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6. André Suarès als Vertreter europäischer Bedrohungsängste gegenüber einer

6.3 Suarès und das europäische Bedrohungssyndrom

6.3.2 Zum Hinweis von Suarès auf eine amerikanische Bedrohung Europas

Suarès‟ Beitrag zu dieser Debatte lässt sich besonders ausdrucksvoll anhand seiner essayistischen Schriften und seiner umfangreichen Korrespondenz nachweisen.

Aussagekräftig für die Untersuchung der Bedrohungsängste bei Suarès und den aus diesen Bedrohungsgefühlen hervorgehenden Einflussnahmen auf seine Europa-Idee ist insbesondere der Briefwechsel mit Romain Rolland. Hierin betonte Suarès: „Tu sais mieux que personne […] ma répugnance de tout temps à l‟égard de ces démons (Chinesen; M. G.)“876 Von der Entstehung eines Bedrohungssyndroms bei Suarès kündet insbesondere sein Brief an Rolland vom 20. Juli 1900.877 In ihm gab er seiner Furcht vor einem Krieg zwischen der weißen und der gelben Rasse Ausdruck: „La guerre des Blancs et des Jaunes ça serait la vraie guerre des mondes.“878 Dieser als Reaktion auf den Boxeraufstand entstandene Brief ist für den Nachweis eines Bedrohungsgefühls, das sich auf den Fernen Osten bezog, bei Suarès aus mehrfachen Gründen von ausschlaggebender Bedeutung. Ähnlich wie ein bedeutender Teil der europäischen Öffentlichkeit hat Suarès dem Boxeraufstand eine maßgebliche Rolle bei der Ausprägung eines Bedrohungsbewusstseins zugemessen. Der Dichter selbst hingegen wies 1900 in seiner Korrespondenz mit Rolland darauf hin, dass er bereits seit etwa zehn Jahren vor einer asiatischen Gefahr für den europäischen Kontinent warnte879 , was sich indes mit seinen Veröffentlichungen aus den 1890er-Jahren nur begrenzt belegen lässt. Selbst dem chinesisch-japanischen Krieg von 1894/95, der für die Verbreitung des Schlagworts von der

„Gelben Gefahr“ in Europa von auslösender Kraft war, hatte Suarès noch keine ins Gewicht fallende Wirkung für die europäische Zukunft einräumen wollen. Dabei muss erneut betont werden, dass dieser Krieg sich zu einem globalen Medienereignis entwickelte und für die Wahrnehmung imperialistischer Ambitionen der Japaner in Europa eine ausschlaggebende Rolle spielte.

und „amerikanische Gefahr“ nicht bedient. Dennoch kann er infolge seiner Warnungen insbesondere vor dem drohenden kulturellen und sozialen Einfluss Amerikas auf Europa als Vertreter europäischer Ängste vor einer amerikanischen Bedrohung gelten. Repräsentativ ist Suarès außerdem aufgrund seiner Hinweise auf die Verschiedenartigkeit der Gefahren, die, seiner Meinung nach, dem europäischen Kontinent aus den USA drohten. Hierzu zählten vor allem sein Unbehagen vor einer kulturellen Amerikanisierung Europas, die für ihn u. a. mit dem Verlust der europäischen Hochkultur gleichzusetzen war, Demokratisierungsprozesse in Europa und eine soziale Emanzipation nach amerikanischem Modell. Die politischen Erstrebungen der USA und ihre Auswirkungen auf die europäische Zukunft wurden von Suarès dagegen nur ganz am Rande thematisiert. Aussagekräftig hierfür ist seine nur marginale Anteilnahme am spanisch-amerikanischen Krieg von 1898 und den imperialistischen Ambitionen der Vereinigten Staaten von Amerika, ein Sachverhalt, der hingegen ein wichtiges Thema in der europäischen Debatte über die „amerikanische Gefahr“

bildete.

Ähnlich wie im Falle der fernöstlichen Völker waren auch die Meinungsäußerungen von Suarès über Amerika und das amerikanische Volk deutlich negativ akzentuiert. Die Gründe hierfür waren vielfältig. Zunächst ist festzustellen, dass Suarès zu maßgeblichen europäischen Modernisierungskritikern zählte. Da die sozialen wie die kulturellen Wandlungen, die sich um 1900 in Europa vollzogen, bei Suarès keinen Beifall fanden, kann seine negative Einstellung zu den USA, welche an der Schwelle zum 20. Jahrhundert als Inbegriff der Modernität angesehen wurden, nicht verwundern. Ein besonders scharfes Urteil fällte Suarès über das intellektuelle und kulturelle Niveau der Amerikaner. Schon anlässlich seiner ersten Begegnung mit ihnen, die während eines Aufenthalts in Bayreuth stattfand, schrieb er: „Je n‟attends rien de Bayreuth de les humaniser“880. Die Verachtung der Amerikaner nahm bei Suarès in der Zeit vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges kontinuierlich zu. Einige Jahre nach seinem Besuch in Bayreuth äußerte er sich wie folgt über die amerikanische Denkart:

„La vanité a trouvé son continent et la mécanique son peuples d‟automates […] La pensée américaine est aussi vaine, aussi bruyante, aussi agitée qu‟une mouche.“881 Wie die Deutschen und die fernöstlichen Völker wurden auch die Amerikaner von Suarès als Barbaren bezeichnet. Ihr barbarischer Charakter äußerte sich seinem Urteil nach, neben einem Mangel

880 Suarès, Wagner, Paris 1899, S. 7. Ebenso verächtlich äußerte sich der Dichter über die Sprache der Amerikaner:

„Le murmure de ces langues anglaise, qui claquent comme les battements de grenouilles plaintives et nasillardes.“, in: ebenda.

881 Suarès, Voici l‟homme, S. 286.

an der Hochkultur auch in der „Großtuerei“882 des amerikanischen Volks und seiner

„Brutalität“.883 Suarès verwendete oft den Begriff „Yankees“, den er auf mehrfache Weise variierte. So bediente er sich beispielsweise solcher selbst erfundener Neologismen wie etwa

„Yankerie“884, die er als Synonym für die Begriffe des Hochmuts und einer übermäßigen Selbstgefälligkeit verwendete und „yankiser“885, was Suarès als „singer l‟homme, quand on est automat“886 definierte. Unter „Yankerie militaire“ fasste Suarès auch den preußischen Militarismus auf.887 Seine Verachtung für die Amerikaner kommt ferner in solchen Metaphern wie „la pyramide de vanité“, „la lumière qui n‟illumine, ni ne chauffe“, „le miroir sans réflexion“ und „l‟inhumaine puissance de la matière sans âme“ zum Ausdruck, deren er sich bei der Charakterisierung der Amerikaner bediente.888 Von besonderer Aussagekraft hierfür ist die Bezeichnung Amerikas als „une espèce de grands singes qui n‟a presque plus rien d‟humain“889. Einer scharfen Kritik wurde von Suarès auch die amerikanische Frau unterzogen:

„L‟enfer de l‟Amérique a mûri son démon: la poupée aux traits cruels qui n‟a pas d‟âme. Et parce qu‟ils sont machines et qu‟elles n‟ont pas d‟âme, se servant des hommes comme d‟escabeaux, les femmes se pendront par ennui, en repoussant du pied les cadavres asservis des mâles.“890

Die Frontstellung Suarès‟ gegen die sozialen und politischen Modernisierungsprozesse in den USA folgt aus seinem Kultus der Größe. Seine Bewunderung galt ausschließlich großen Persönlichkeiten in der Geschichte und Gegenwart, wie etwa Tolstoi, Bismarck oder Napoleon. Überhaupt bildete seine Suche nach der Größe im Menschen das zentrale Element in seinem literarischen Werk. Suarès bestritt nicht nur das Recht jedes Individuums auf freie Entfaltung, sondern er postulierte auch die Auffassung von der intellektuellen Unterlegenheit der Frau. Sein Kultus um starke Persönlichkeiten führte bei Suarès zu einer konsequenten Ablehnung der Massengesellschaft, die von ihm vorrangig als eine amerikanische Eigentümlichkeit angesehen wurde. Ihre Entstehung wurde von dem Dichter als Prozess der Entindividualisierung des Menschen aufgefasst. Im Zusammenhang damit stößt man in seinem Nachlass aus der Zeit vor 1914 häufig auf die Bezeichnung der Amerikaner als

„automates“.891 Als großer Verehrer des europäischen Kulturreichtums trat Suarès gegen eine

882 Ebenda, S. 279.

883 Ebenda.

884 Suarès, Sur la Vie, Bd. 1, S. 103.

885 Suarès, Idées et visions, in: Idées et visions et autres écrits, S. 547.

886 Ebenda.

887 Suarès, Sur la Vie, Bd. 1, S. 103.

888 Alle in diesem Satz angeführten Zitate aus: Suarès, Voici l‟homme, in: Idées et visions et autres écrits, S. 152.

889 Suarès, Idées et visions, in: Idées et visions et autres écrits, S. 547.

890 Suarès, Voici l‟homme, S. 287.

891 Hierzu siehe Suarès, Idées et visions, S. 507.

Vermassung in der Kultur auf, die von ihm als Merkmal der amerikanischen Entwicklung auf kulturellem Gebiet betrachtet wurde.

Die Aufmerksamkeit, die Suarès Amerika widmete, ergab sich aus seinem Interesse für den modernen Wandel der Welt. Auch angesichts seines Beitrags zum europäischen Amerika-Diskurs vor 1914 lässt sich die These von Frank Becker bejahen, dass die USA von 1900 als der „geographische Aufhänger für einen Diskurs, der sich um das Pro und Contra der Modernisierung zu drehen begann“892, anzusehen sind. Zudem kann Suarès als Wortführer des frühen Antiamerikanismus als „eines Sündenbocks, dem die Schuld für die verschiedensten Fehlentwicklungen der modernen Gesellschaft gegeben wurde“893 gelten.

Sein repräsentativer Charakter als Teilnehmer der europäischen Amerika-Debatte vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ergibt sich darüber hinaus auch daraus, dass sich Suarès fast ausschließlich für die Auswirkungen der Modernisierung Amerikas auf den europäischen Kontinent interessierte, nicht jedoch für den Wandel Amerikas selbst.