4 Analyse prioritärer sektoraler Handlungsfelder des Ressourcenkonsums im
4.4 Bauen im Gesundheitssektor
4.4.1 Hintergrund und Kontext
Die quantitative Analyse hat ergeben, dass Bauen in großem Maße zum Ressourcenkonsum im Ge-sundheitssektor beiträgt: ihr Ressourcenkonsum belief sich 2016 auf 10,2 Mio. Tonnen, das entspricht einem Anteil von ca. 9,5 % am gesamten Ressourcenkonsum des Gesundheitssektors (Kap. 2.1.3
„Ergebnisse“). Die Kostenseite des Bauens wurden in den Untersuchungen zu Kosten (Kap. 2.2) noch nicht näher betrachtet, da Investitionen in Gebäude nicht in den Gesundheitsausgaben enthalten sind, sondern von den Ländern getragen werden. Einige statistische Angaben zum Bauvolumen folgen da-her weiter unten.
Bauaktivitäten sind in der Regel insbesondere mit dem Einsatz mineralischer Rohstoffe verbunden, aber mit Blick auf die technische Gebäudeausstattung spielen auch andere Ressourcen (z. B. Metalle und Kunststoffe) eine wichtige Rolle. Gleichzeitig hat das Bauen großen Einfluss auf den Ressourcen-konsum im Betrieb eines Gebäudes - nicht nur bezüglich Energiebedarf (vgl. Heeser 2019; Schlomann et al. 2014), sondern im Gesundheitssektor nach Aussage von Expertinnen und Experten auch bezüg-lich des Bedarfs an Reinigungsmitteln.
Der in den statistischen Analysen aufgewiesene Ressourcenkonsum des Vorleistungssektors Bau be-zieht sich auf alle Stakeholdergruppen des Gesundheitssektors. Der Schwerpunkt der folgenden Ana-lyse liegt jedoch auf Gebäuden der stationären Versorgung - also einem Teilbereich des Gesund-heitssektors im engeren Sinne - aus folgenden Gründen:
► Bauvorhaben im ambulanten Bereich unterscheiden sich nicht signifikant von (Wohnbau-/Nichtwohnbau-) Bautätigkeiten in der übrigen Wirtschaft. Die Aspekte der Ressourcenscho-nung werden also im Rahmen der generellen Förderung von Ressourceneffizienz im Bauwesen adressiert. Die Potenziale hier sind hoch (vgl. Jacob et al. 2020 (im Erscheinen)) und Wege zu ihrer Umsetzung sind bereits Gegenstand der Diskussion um die Fortschreibung des Ressour-ceneffizienzprogramms der Bundesregierung (vgl. Ostertag et al. 2020 (im Erscheinen)).
► Bei Krankenhäusern, Vorsorge-/Reha-Einrichtungen und Pflegeheimen sind aufgrund ihrer Rolle in der Gesundheitsversorgung höhere Ansprüche an die bauliche Gestaltung zu stellen, die sich im Vergleich zu anderem Nichtwohnbau auch in einem höheren Ressourcenbedarf für die Bauvorhaben widerspiegeln dürften.
► Die Planung und Finanzierung von Krankenhausbauten liegt überwiegend in der Zuständigkeit der Bundesländer. Private Klinikketten tragen wesentlich zu Bauinvestitionen bei.
In einem ersten Schritt wird der Umfang der Bautätigkeiten im Gesundheitssektor näher beleuchtet.
Der Bedarf an Gebäuden hängt eng zusammen mit der benötigten Anzahl von Krankenhausbetten, die wiederum von Fallzahlen und Verweildauer in der stationären Einrichtung abhängt. Ein weiterer Ein-flussfaktor ist die Zahl der Standorte, auf die die Betten verteilt sind. Die Frage ist also, wie sich diese Einflussfaktoren des Baubedarfs entwickelt haben. Darüber gibt Abbildung 35 Auskunft. Sie zeigt, dass die Zahl der aufgestellten Betten in den letzten 25 Jahren stark reduziert wurde. Das Niveau lag aber
122 2015 immer noch deutlich über dem Durchschnitt der OECD (s. Abbildung 36). Die gesunkene Betten-zahl spiegelt das seit vielen Jahren bestehende gesundheitspolitische Ziel wieder, die Effizienz der sta-tionären Versorgung in Krankenhäusern zu steigern. Durch die gleichzeitige Reduktion der Belegungs-tage konnte die Fallzahl trotz gesunkener Anzahl aufgestellter Betten gesteigert werden.
Abbildung 35: Krankenhäuser und Vorsorge-/Rehabilitationseinrichtungen in Deutschland 1995-2017
Quelle: www.gbe-bund.de (erstellt am 23:03.2020)67
Mit der Reduktion der Anzahl der Betten ging auch die Schließung von Krankenhäusern einher. Wie die amtliche Statistik der Bautätigkeit belegt, hat dies die Bautätigkeit im Gesundheitssektor aber nicht in gleichem Maße reduziert. Vielmehr hat sie mit über 400 fertiggestellten Gebäuden im Jahr nach wie vor einen erheblichen Umfang. Dabei entfallen deutlich mehr Bauvorhaben auf Vorsorge- und Reha-Einrichtungen sowie Pflegeeinrichtungen als auf Krankenhäuser (s. Abbildung 37). Marktstudien der Münchner Unternehmensberatung „Schwab Marketing“ weisen für das Jahr 2018 in einer breiter ange-legten Betrachtung 1.075 Bauprojekte in Krankenhäusern, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtun-gen aus, zum überwieRehabilitationseinrichtun-genden Teil ErweiterunRehabilitationseinrichtun-gen (n= 400), SanierunRehabilitationseinrichtun-gen und Umbauvorhaben (385), Neubau und Ersatzneubauvorhaben (283) sowie Nutzungsumwandlungen (7). Investitionen in den Klinikbau werden derzeit vor allem in Westdeutschland getätigt. Klinikzusammenschlüsse führen in der Regel zu Bauvorhaben, da am neuen, größeren Standort die Kapazitäten an die größere Zahl der Behandlungsfälle angepasst werden müssen. Bei Sanierungsmaßnahmen liegt ein Schwerpunkt auf der Erneuerung von Operationseinheiten, sowie auf Energieeffizienz, Brandschutz-, Gebäude- und Me-dizintechnik (Kucera 2018).
67 Absolute Werte siehe Tabelle A.9-4 im Anhang.
60 70 80 90 100 110 120 130
1995 2005 2010 2015 2016 2017
Anzahl (indexiert auf 1995 = 100)
Jahr
Anzahl Einrichtungen Aufgestellte Betten Belegungstage Fallzahl
123 Abbildung 36: Anzahl von Krankenhausbetten im OECD-Vergleich
Quelle: Health at a Glance 2017 - OECD Indicators (http://www.oecd.org/berlin/publikationen/health-at-a-glance-2017.htm)
Die Bautätigkeit stellt also auch unter den aktuellen Entwicklungen zur Gesamtzahl der Einrichtungen einen wichtigen Ansatzpunkt zur Steigerung der Ressourceneffizienz des Gesundheitssektors dar. Zu unterscheiden sind Neubau, Sanierung und Erweiterungsbauten. Expertinnen und Experten schätzen die Potenziale im Neubau als am höchsten ein, aber auch bei Sanierungs- und Erweiterungsaktivitäten werden prinzipiell ähnliche mögliche Ansatzpunkte gesehen, wenn auch mit weniger absolutem Po-tenzial zur Verbesserung der Ressourcenschonung.
Abbildung 37: Bautätigkeit im Gesundheitssektor - Fertigstellungen von Gebäuden
Quelle: Destatis, Fachserie 5, Reihe 1 (Bautätigkeit und Wohnungen), verschiedene Jahrgänge, Darstellung des Fraun-hofer ISI
14,7 4,7 11,4 9,1 8,0 8,8 6,7 7,8 8,0 7,9 8,8 7,0 6,4 5,6 6,3 5,4 7,5 4,8 4,8 1,7 4,0 5,0 3,7 4,7 3,8 3,7 3,5 2,1 3,8 4,1 3,3 3,1 2,8 2,7 1,8 0,7
13,2 11,5 8,5 8,1 7,6 7,0 7,0 6,6 6,5 6,2 6,1 5,8 5,7 5,0 4,8 4,7 4,6 4,5 4,4 4,3 4,2 3,9 3,8 3,8 3,4 3,2 3,1 3,0 3,0 3,0 2,8 2,7 2,7 2,6 2,6 2,5 2,4 2,3 2,3 2,1 1,6 1,5 1,0 0,5
-1 2 5 8 11 14 17
20Per 1 000 population 2000 2015
124 Für den Bau von Krankenhäusern ist die Norm VDI 5800 „Nachhaltigkeit in Bau und Betrieb von Kran-kenhäusern“ relevant. Sie verweist auf allgemeine Regelwerke zum nachhaltigen Bauen bzw. Bewer-ten nachhaltiger Gebäude, so zum Beispiel die Kriterien der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Die DGNB entwickelt für verschiedene Gebäudetypen Nutzungsprofile, die mit einem umfassenden Kriterienkatalog hinterlegt sind. Auch für den Neubau von Gesundheitsbauten existiert ein solcher Kriterienkatalog einschließlich Empfehlungen zu Designprinzipien und dem Planungspro-zess. Er sollte 2019 überarbeitet werden, aus Kapazitätsgründen hat die DGNB dies aber vertagt und erst ab 2020 geplant. Insgesamt finden sich derzeit nur 9 DGNB-zertifizierte Neubauten im deutschen Gesundheitswesen (Kliniken)68. Die Nachfrage nach DGNB-Zertifizierungen ist im Gesundheitssektor eher gering, die Zertifizierung wird deshalb in diesem Bereich nach Aussage der DGNB derzeit nicht aktiv vermarktet und es gibt nur wenige Seminare und Schulungen.
Krankenhäuser haben in gewissen Bereichen sehr spezifische und hohe Anforderungen an das Ge-bäude, z. B. hohe Deckentraglasten bei Großgeräten, komplexe Gebäudeautomation und -leittechnik sowie dadurch bedingt große Kabelbäume und Platzbedarfe dafür sowie hohe Anforderungen beim Brandschutz. Auch die Anforderungen an die Bauausführung sind sehr hoch. So müssen z. B. Armatu-ren steril eingebaut werden. Dies treibt den Ressourcenbedarf im Vergleich zu andeArmatu-ren Gewerbebau-ten in die Höhe. In anderen Teilbereichen sind die Anforderungen dagegen ähnlich wie beispielsweise in Hotels, insbesondere bei Patientenzimmern in Krankenhäusern und Vorsorge-/Reha-Einrichtungen sowie in Pflegeheimen.
Neben der technischen Komplexität sind die Akteurskonstellationen bei Gesundheitsbauten in der Re-gel sehr komplex. Die Nutzerinnen und Nutzer der Gebäude sind sehr heterogen und umfassen Patien-tinnen und Patienten, die Ärzteschaft, Pflegepersonal, Personal für Verpflegung, Haustechnik und Rei-nigung und Publikumsverkehr. In einem Bauvorhaben sind neben diesen verschiedenen Nutzergrup-pen das zuständige (Landes-) Ministerium als Finanzier, das Bauamt der Kommune vor Ort sowie die Fachplaner und ausführenden Gewerke involviert. Die Beteiligten und die Prozesse variieren zwischen Bundesländern. Die Berücksichtigung dieser komplexen Akteurskonstellation wird als Voraussetzung für eine optimale Planung gesehen, die die Nachhaltigkeit eines Gesundheitsbaus gewährleistet (Roth et al. 2015).
Es existieren bereits eine Reihe von Initiativen und Good Practice-Beispielen, die ressourcenschonen-des Bauen im Gesundheitswesen vorantreiben (s. auch Good Practices im Anhang). Wegen seiner Breite und internationalen Relevanz sei hier zunächst das Green Hospital Konzept erwähnt. Es kann breit als Management-Philosophie für Nachhaltigkeit in Krankenhäusern verstanden werden (Graf 2013). Viele Studien und Projekte unter diesem Dach befassen sich aber mit nachhaltigem Bauen. Das Land Rheinland-Pfalz ebenso wie das Land Bayern verfolgen Förderprogramme unter diesem Titel. In Bayern soll u. a. anhand des Leuchtturmprojekts Green Hospital Lichtenfels aufgezeigt werden, wie der Passivhausstandard auch in Krankenhausbauten umgesetzt werden kann.
Das VDI-Zentrum Ressourceneffizienz (VDI-ZRE) fungiert als bundesweites Kompetenzzentrum für Ressourceneffizienz. Sein Fokus liegt zwar auf dem verarbeitenden Gewerbe und behandelt das Thema Bauen eher am Rand. Konzepte und Technologien mit starkem Querschnittscharakter sind aber auch für den Gesundheitsbau teilweise relevant. Dies gilt insbesondere für die Informationen und Materia-lien, die das VDI-ZRE zu haustechnischen Anlagen (Energieversorgung, Wasserversorgung etc.) bereit-stellt. Einzelne Materialien sind hier auch krankenhausspezifisch ausgearbeitet. (s. z. B. VDI-ZRE 2015), nach aktuellen Aussagen werden diese derzeit aber aus Kapazitätsgründen nicht aktiv ver-marktet.
68 https://www.dgnb-system.de/de/projekte/ gefiltert nach Nutzungsprofil „Neubau Gesundheitsbauten (Stand 23.03.2020).
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