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Die „Great Transformation“ durch die Demokratisierung seit Mitte der 1980er Jahre und ihre Auswirkungenihre Auswirkungen

Kapitel 1 Politische, Wirtschaftliche und demographische Entwicklung seit 1945 als Hintergrund der wohlfahrtsstaatlichen Konstruierung

3. Die „Great Transformation“ durch die Demokratisierung seit Mitte der 1980er Jahre und ihre Auswirkungenihre Auswirkungen

Ausgangspunkt der Regimekrise war die Aufnahme der VR China in die UN im Jahre 1971 und damit die Übertragung des Alleinvertretungsanspruches, den zuvor die Republik China inne hatte.

In den folgenden Jahren befand sich das KMT-Regime in einer bedrohlichen Lage durch den als Dominoeffekt gekennzeichneten Abbruch der diplomatischen Beziehungen, der sich durch die Aufnahme formaler diplomatischer Beziehungen der USA mit der VR China zum 1. Januar 1979 zuspitzte.12 Folglich ist der Alleinvertretungsanspruch der Republik China zur rechtlichen Fiktion geworden; Taiwan wurde nach und nach international isoliert.

Zu diesem Zeitpunkt begann sich im Vorfeld der Kommunalwahlen eine radikale und vom taiwanischen Unabhängigkeitsgedanken beeinflusste Opposition zu sammeln, die sich zur informellen Gruppierung von “Parteilosen“ zusammenfand und schließlich die Bewegung der Tang-wai (wörtlich übersetzt: außerhalb der Partei, also der KMT) formierte. Durch eine Reihe politischer Ereignisse wurde die innenpolitische Legitimität des KMT-Regimes in Frage gestellt:

den aufsehenerregenden Wahlerfolg von 197713, die Zusammenschließung der oppositionellen Kräfte zum “Tang-wai Campaign Corps” für die Zusatzwahlen zu zentralen Vertretungsorganen 1978 und den Kao-hsiung-Zwischenfall im Dezember 1979.14 Die politische Opposition war während der Zeit informelle Gruppierung der KMT-Gegner. Sie präsentierten sich mit einer anti-autoritären Orientierung, die sich später zur Anti-KMT entwickelte.

3. Die „Great Transformation“ durch die Demokratisierung seit Mitte der 1980er Jahre und

Bevölkerung zu verbessern, von deren Zustimmung sie künftig abhängen würde (Bürklin 1994:

142). Dabei kam Chiang Ching-kuo – dem KMT-Parteiführer und Staatspräsidenten nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1975 – eine besondere Rolle zu. Er betrieb eine systematische Öffnung der Führungsebene seiner Partei sowie der staatlichen Verwaltung für die einheimischen Eliten. Dies führte zur Erhöhung der taiwanischen Mandate in den zentralen Vertretungsorganen und zum Aufstieg der bislang in der Politik unterrepräsentierten Taiwaner in höchste Regierungsämter.

Chiang Ching-kuo leitete maßgeblich die politische Liberalisierung ein, die zu vielfältigen, zeitgleichen politischen Ereignissen seit Mitte der 1980er Jahre führte.

Die erste politische Oppositionspartei – die Democratic Progressive Party (DPP) – wurde am 28.

September 1986 trotz des Parteiverbots gegründet. Sie etablierte sich sehr rasch und konsolidierte sich zur wichtigsten oppositionellen Kraft. Am 14. Juli 1987 wurde das Kriegsrecht aufgehoben.

Mit diesem Datum begann der demokratische Wandel Taiwans. Zur selben Zeit entstanden viele soziale Bewegungen, die den Antrieb für die Transformation der Grundzüge und des Verhaltens des KMT-Staates aufrechterhielten (Hsiao 1997: 534, Chang 1989: 11 f.). Außer den Staatsbeamten und Polizisten waren fast alle sozialen Gruppen in den Bewegungen engagiert.15 Dies erkennt man anhand der dramatisch gestiegenen Anzahl der Proteste und Demonstrationen zwischen 1986 und 1987 (Chang 1989: 12).16 Mithilfe der Aktivierung des gesellschaftlichen Protestpotentials gelang es der DPP, das KMT-Regime weiter unter Druck zu setzen und seine Reformbereitschaft zu erzwingen.

Nach dem Tod Chiangs übernahm der Vizepräsident Lee Teng-hui verfassungsgemäß das Amt des Präsidenten; er wurde später zum KMT-Parteivorsitzenden gewählt. Somit lagen erstmals die beiden wichtigsten Ämter in der Hand eines Taiwaners. Lee setzte die Reformpolitik entschlossen fort; zentrale Eckpunkte waren dabei der Erlass des Gesetzes über die Versammlung und Demonstration (Januar 1988) sowie die Legalisierung der Oppositionsparteien (Januar 1989). Am 1. Mai 1991 erklärte Lee die „Vorläufigen Bestimmungen“ für aufgehoben, was implizierte, dass die kommunistische Rebellion für beendet erklärt war und die Verfassung wieder in Kraft treten sollte. 1990 berief er die „Konferenz für Nationale Angelegenheiten“ ein. Somit wurde zum ersten Mal im Beisein der Opposition und unabhängiger Wissenschaftler die gesamte Bandbreite verfassungsrechtlicher Probleme diskutiert sowie die Grundposition der Verfassungsreform abgesteckt. 17 Unmittelbar vor der Konferenz wurde am 21. Juni 1990 ein

15 Zu denen zählen die Konsumentenbewegung (seit 1980), die Umwelt- und Naturschutzbewegung (seit 1980/1982), die Frauenbewegung (seit 1982), die Bewegung zum Schutz der Bürgerrechte der Ureinwohner (seit 1983), die Studentenbewegung (seit 1986), der Kirchenprotest des Neuen Testaments (1986-1990), die Arbeiter-, Bauern- und Lehrerbewegung, die Bewegung der Behinderten und Benachteiligten (seit 1987), die Bewegung der Kriegsveteranen (1987-1990), die Bürgerrechtsbewegung für die politischen Gefangenen (1987-1992), die Bewegung für Heimatbesuche auf dem Festland (1987-1989), die Heimkehrbewegung für die Überseetaiwaner (1988-1992) und die Anti-Atomkraftbewegung (seit 1988) (Chang 1989).

16 So nahm zwischen 1986 und 1987 die Zahl der „unnormalen“ Aktivitäten um 52% und der Personalaufwand der zuständigen Polizeistellen um 183% zu (Chang 1989: 12).

17 Mit Hilfe eines Kommunikationsangebotes an eine breite gesellschaftspolitische Klientel zielte Lee durch die Konferenz darauf ab, einen gesellschaftlichen Konsens in Verfassungsfragen herzustellen und so die öffentliche

Verfassungsgerichtsurteil über den Zwangsrücktritt aller auf dem Festland gewählten Abgeordneten der zentralen Vertretungsorgane bis zum 31. Dezember 1991 verkündet.

(2) Konsolidierung der Demokratie in den 1990er Jahren und ihre Folgen – permanente Wahlkämpfe und Formierung des neuen Mehrparteiensystems

In der Folgezeit erfolgte die demokratische Konsolidierung durch die Weiterentwicklung der politischen Reformen, wesentlich angetrieben durch eine mehrstufige Verfassungsrevision, die sich über die gesamten 1990er Jahre hinzog. Von zentraler Bedeutung ist die Durchführung der demokratischen Wahlen: Auf nationaler Ebene die Wahlen zu den zwei Vertretungsorganen – Nationalversammlung (ab Dezember 1991) und Legislativ-Yuan (ab Dezember 1992) – sowie die Direktwahl des Staatspräsidenten (ab 1996), auf kommunaler Ebene die Direktwahl des Gouverneurs der Provinz Taiwan und des Bürgermeisters der zwei regierungsunmittelbaren Städte Taipei und Kao-hsiung (ab 1994). Die kompetitiven Wahlen gehören somit seit den 1990er Jahren zur politischen Tagesordnung und sind die wichtigste Quelle der politischen Legitimität. Vor allem ist seitdem ein permanenter Wahlkampf die politische Normalität: Außer den Jahren 1999 und 2002 fand zwischen 1991 und 2005 jährlich eine Wahl statt.

Bei den Parlamentswahlen Ende 1992 wurden erstmals alle Parlamentssitze neu vergeben. Mit ihrem sehr guten Wahlergebnis – 30% der Stimmen bzw. 50 von 161 Mandaten – ist die DPP zu einer wirksamen parlamentarischen Opposition geworden, wodurch sich auf Taiwan ein substantielles Zweiparteiensystem bildete. Nach der demokratischen Wende war jedoch von einer Entmachtung der regierenden KMT zunächst keine Rede. Dies ging vornehmlich auf die Rolle des charismatischen Präsidenten Lee Teng-hui zurück. Unter seiner Leitung war die Stammwählerschaft der Opposition gespalten, so dass es nicht zu einer einheitlichen Unterstützung der DPP kam (Schubert 2003: 341). In der Folgezeit erfolgte die Formierung des Mehrparteiensystems, die sich ausschließlich aus der inneren Spaltung der KMT ergab.

Mit dem Machtkampf um den Parteivorsitz verschärfte sich die Spannung zwischen taiwanischen und festländischen bzw. der zweiten Generation der festländischen Eliten der KMT. Lee setzte nicht nur die „Politik der Taiwanisierung“ ein, also eine allmähliche ideologische Ausrichtung an den Interessen einer vom chinesischen Festland getrennten bzw. souveränen Republik China; er marginalisierte auch mit seiner Personalpolitik die festländischen KMT-Mitglieder offenkundig.

1993 vollzog ein Teil dieser Mitglieder den Bruch mit der KMT und gründete die New Party (NP).

Erst nach einem erheblichen Mandatsgewinn der NP bei den Parlamentswahlen 1995 – gegenüber dem Verlust der absoluten Mehrheit der KMT – etablierte sich die NP als bedeutende politische Kraft. So formierte sich auf der Insel ein Drei-Parteien-System. Im März 1996 gewann der

Unterstützung für ein politisches Reformprogramm zu gewinnen. Auf der Tagesordnung der einwöchigen Konferenz standen Beratungen zu fünf zentralen Bereichen: (1) die Reform der zentralen Vertretungsorgane, (2) die Frage der Präsidentenwahlen, (3) die Frage der kommunalen Selbstverwaltung, (4) die Verfassungsreform und (5) die Frage der Chinapolitik und der Beziehungen zwischen Taiwan und der VR China (Tränkmann 1997: 64).

KMT-Kandidat Lee Teng-hui mit einem Stimmenanteil von 54% die erste direkte Präsidentschaftswahl. Derweil ging die interne Spaltung der KMT weiter: Sie war im Wesentlichen gekennzeichnet durch den Austritt wichtiger Personen aus der Partei, die als unabhängige Kandidatur an den Präsidentschaftswahlen jeweils im Jahre 1996 und 2000 teilnahmen. Der Konflikt spitzte sich vor allem durch die Gründung der People First Party (PFP) durch den damaligen KMT-Generalsekretär Song am 31. März 2000 zu.18

(3) Der erste Regimewechsel 2000 und seine Konsequenzen – Bildung des Mehrparteiensystems, das Problem „divided government“, ideologische Polarisierung über die Frage der Unabhängigkeit und reine endogenorientierte Entwicklung

Zur Überraschung aller Beobachter kam es zum ersten Regimewechsel im Jahr 2000. Der DPP-Kandidat Chen Shui-bian, ein bekannter Befürworter der Unabhängigkeit Taiwans, gewann mit knapper Mehrheit die zweite Präsidentschaftswahl im März 2000. Die Niederlage der KMT, die – wie erwähnt – vornehmlich auf die Spaltung ihres Wählerpotentials aufgrund der Teilnahme Songs zurückging, führte zum Rücktritt Lee Teng-huis vom Parteivorsitz. Lee holte daraufhin zum Schlag gegen die KMT aus und gründete eine neue Partei – Taiwan Solidarity Union (TSU) – im August 2001, die sich ausschließlich für die Unabhängigkeit Taiwans einsetzt. Somit gab es ein Mehrparteiensystem mit vier effektiven Parteien: KMT, DPP, PFP und TSU.19 Außer der DPP entstanden alle neuen Parteien aus der Spaltung der KMT. Sie differenzieren sich überwiegend durch die tongdu-Frage,20 also die Frage der Wiedervereinigung bzw. Unabhängigkeit, die gewissermaßen an der ethnischen Spaltung gekoppelt ist, und somit gliedern sich in zwei Blöcke:

Zum einen gibt es die Parteien des „blauen Lagers“ – KMT, PFP und NP. Sie werden zwar nicht unbedingt von Festländern oder ihrer zweiten Generation dominiert, jedoch immer als vom Festland beeinflusste Parteien angesehen. Vor allem streben sie eine langfristige Wiedervereinigung ohne festen Zeitplan an. Zum anderen existieren die Parteien der „grünen Lager“ – DPP und TSU. Sie bezeichnen sich als die echten taiwanischen Parteien und streben die Absicherung der Souveränität Taiwans und letztlich eine Verfestigung der de facto existierenden Unabhängigkeit an.

Eine der wesentlichen Konsequenzen aus dem Regimewechsel ist das Problem der „divided

18 Im Vorfeld der ersten Präsidentschaftswahlen trat der frühere Premierminister Hao aus der KMT aus und kandidierte zusammen mit einer der ehemals wichtigsten Persönlichkeiten der KMT, Lin, gegen die KMT-Kandidaten Lee und Lian. Die nächste Spaltung entstand im Jahr 2000 durch den Austritt Song Chu-yu – dem ersten (im Jahr 1994) direkt gewählten und sehr beliebten Provinzgouverneur. Nach der Aussetzung der Direktwahl zum Provinzgouverneur und der Abschaffung der Provinzversammlung bzw. durch die Verweigerung der Nominierung zum KMT-Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2000, kündigte Song seine Beteiligung als unabhängiger Kandidat an den Wahlen an, bei denen er mit weniger als 2,5% der Stimmen verlor.

19 Wegen des sinkenden Stimmenanteils und vor allem der Sitze im Parlament (1995: 13%, 21 Sitze; 1998: 7,1%, 11 Sitze; 2001: 2,6%, 1 Sitz) spielt die NP seit 2001 fast keine Rolle im Parlament. Dagegen gewann die TSU 2001 7,8% des Stimmenanteils bzw. 13 Parlamentssitze (Datenbank der Central Election Commission, im Internet:

http://210.69.23.140/cec/cechead/asp).

20 Das chinesische Wort tongdu fasst zwei Begriffe zusammen: tongyi (Wiedervereinigung) und duli (Unabhängigkeit).

government“: Der Präsident hat ein Parlament gegen sich, in dem die Oppositionspartei die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich weiß. Ab dem 20. Mai 2000 stellte die DPP die Regierung, die im Parlament im Vergleich zum dominierenden Sitzanteil der KMT nur eine Minderheit besaß.

So kam es zu harten Auseinandersetzungen zwischen DPP und KMT, deren Auswirkungen die Regierungsarbeit blockierten: Durch das effektive Vetorecht der oppositionellen KMT konnten viele politische Entwürfe der DPP-Regierung – vor allem die Politik zur Regelung der Arbeitszeiten, den weiteren Ausbau der Atomkraft sowie die Gewährung einer allgemeinen Altersrente – keine parlamentarische Zustimmung finden und unterlagen deshalb ständigen Veränderungen. Nach den Parlamentswahlen im Dezember 2001, bei denen die KMT erstmals ihre Mehrheit verlor und nicht mehr die stärkste Kraft war, ist die DPP zwar die größte Partei im Parlament geworden (sie gewann 86 von 226 Sitzen), jedoch ohne ausreichende Mehrheit. Die Einflussnahme des präsidentiellen Regierungssystems auf den policyrelevanten politischen Prozess und die Regierungstätigkeit, die zuvor aufgrundder Dominanz der KMT in der Legislative und Exekutive nicht existierte, gewann nach dem Regimewechsel an Bedeutung.

Ferner ist eine spürbare ideologische Polarisierung zwischen den beiden Parteienblöcken über die tongdu-Frage zu beobachten, die als eine der normativen Konflikte bezeichnet wird (Hsiao 1997:

531). Diese Frage spiegelt sich in dem Wandel der Nationsidentität Taiwans wider: von der Republik China nach dem Zweiten Weltkrieg über die Republik China auf Taiwan nach der diplomatischen Niederlage der 1970er Jahre, unabhängige Republik China auf Taiwan nach der politischen Transformation der 1990er Jahre hin zu einem unabhängigen Staat Taiwan nach dem ersten Regimewechsel 2000. Während des Kalten Kriegs besaß die Republik China unter der Leitung des KMT-Regimes den Alleinvertretungsanspruch, einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der UN und die Nationssouveränität. Dies hat sich durch die Aufnahme der VR China in der UN sowie dem Austritt Taiwans Anfang der 1970er Jahre verändert. Trotzdem konnte das KMT-Regime durch die positive wirtschaftliche Entwicklung und der politischen Liberalisierung den Systemwettbewerb mit der wirtschaftlich unterentwickelten, politisch undemokratischen, kommunistischen VR China behaupten.Aufgrund der veränderten politischen, wirtschaftlichen bzw. internationalen Bedingungen und vor allem der ideologischen Orientierung sah sich die DPP-Regierung mit vielen Problemen konfrontiert und so versuchte sie auf andere Art und Weise ihre Wttbewerbsfähigkeit zu erhöhen.

Seit Mitte der 1990er Jahre verlangsamt sich das Wachstum in Taiwan im Zuge einer steigenden wirtschaftlichen Abhängigkeit von der VR China, die mit den Reformen Ende der 1980er Jahre in vielerlei Hinsicht nach und nach erstarkt. In Ermangelung der internationalen Anerkennung und infolge der Einflussnahme der VR China kann Taiwan nicht als souveräner Staat an den internationalen Organisationen teilnehmen.21 Diese Isolierung und Marginalisierung auf der

21 Im Vergleich zu Korea, das 1996 als Mitgliedstaat in die OECD aufgenommen wurde, hat Taiwan die Eintrittsbedingungen – pluralistische Demokratie, Marktwirtschaft und Respekt vor den Menschenrechten – längst erfüllt. Eine Aufnahme steht bis heute aus.

internationalen Bühne ist vor allem in einer Zeit der Intensivierung der Aktivitäten vieler internationaler Organisationen sehr auffällig und wurde von der DPP zu Propagandazwecken genutzt. Seit der Parteigründung strebt die DPP einen unabhängigen Staat Taiwans an und differenziert sich damit insbesondere von der KMT. Nach dem Regimewechsel versuchte sie sogar mit Hilfe einer Volksabstimmung für die Unabhängigkeit die Menschen in ihrem Wahlkampf zu mobilisieren. Dies scheiterte aus mehreren Gründen. Die VR China schließt eine gewaltfreie Lösung der Taiwanfrage nicht aus; eine Volksabstimmung über die Eigenstaatlichkeit Taiwans wäre nicht realistisch ohne die Unterstützung der USA, die allerdings am

„Ein-China-Prinzip“ nach Maßgabe der VR China festhalten und Taiwan kein Recht auf eine formale Eigenstaatlichkeit zugestehen. Da die DPP-Regierung die schwebende Frage der Unabhängigkeit nicht zum Ergebnis bringen konnte, jedoch im Wahlkampf eine befriedigende Antwort darauf geben musste, veränderte sie ihre politische Orientierung von Anti-KMT zu Anti-VR China, die zum destruktiven Faktor bezüglich der Staatssicherheit bzw. als Hauptursache für die internationale Marginalisierung Taiwans erklärt wurde. Dadurch widmete sie sich einer rein endogenorientierten Entwicklung, also mit dem Motto „love Taiwan“ konzentrierte die DPP sich ausschließlich auf die innenpolitische Entwicklung. Nach ihrem Sieg der dritten Präsidentschaftswahl 2004 musste die Frage der Unabhängigkeit somit nicht mehr zur Disposition gestellt werden. Der Konflikt um die tongdu-Frage wurde nicht nur zur emotionellen Basis für die Wahlkampfmobilisierung gemacht, sie steuerte auch die innenpolitische Dynamik in der jüngeren Vergangenheit.22 Seine Spuren zeigten sich in der Wirtschafts- und Handelspolitik mit der VR China sowie in der Sozial- und Alterssicherungspolitik.23 Auf absehbare Zeit wird er noch weiterhin bewirken.

Wirtschaftliche Entwicklung

Dass Taiwan ein lohnendes Forschungsobjekt ist, lässt sich zunächst und am deutlichsten anhand der wirtschaftwissenschaftlichen Diskussionen über die erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung belegen. Vornehmlich wird erklärt, wie, warum und mit welchem Konzept sich diese Insel innerhalb von 25 Jahren von einem Agrarland mit geringem Außenhandel zu einem exportorientierten bzw. –abhängigen New Industrial Country entwickelt hat, ohne dramatische Inflation, finanzielle Krisen und höhere Auslandsverschuldung zu erzeugen (Wade 1990: 39).

Diesbezügliche Arbeiten sind zahlreich und fundiert.24 Die Darstellung der wirtschaftlichen Entwicklung erfolgt in zwei Schritten. Zuerst werden die wesentlichen Strategien und Charakteristiken der Wirtschaftsentwicklung sowie ihre zentralen Einflussfaktoren skizziert.

Anschließend werden die wesentlichen politischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen der Wirtschaftsentwicklung zusammengefasst. Die in den Diskussionen angeführten statistischen

22 Zur Entwicklung der Unabhängigkeitsfrage seit den 1990er Jahren vgl. Schubert 2001a und 2001b.

23 Dies wird im Kapitel 5 behandelt.

24 Vgl. Amsden 1985, Chen 1981, Clark 1989, Deyo 1987, Gold 1986, Haggard 1990, Liu. u.a. 1995, Wade 1990.

Angaben über Produktion, Einkommen und Verteilung, Beschäftigung und Staatsverschuldung werden am Ende des ersten Abschnitts dargestellt.

1. Zentrale Strategien und Charakteristiken der Wirtschaftsentwicklung sowie ihre

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