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(5) Das bestehende soziale Sicherungssystem bzw. seine Entwicklung beeinflussen die weitere Entwicklung der wohlfahrtsstaatlichen Institutionen. In einem von Sozialversicherungen dominierten Wohlfahrtssystem wurde eine aus Haushaltsmitteln finanzierte, auf dem Sozialbürgerrecht beruhende Volksrente von Anfang an von der Regierung in der Planung des künftigen Rentensystems abgelehnt, während hingegen einer Rentenversicherung der Vorzug gegeben wurde. Mit dem Auf- und Ausbau des Basisalterssicherungssystems, das aus den eben erwähnten Alterszuschussprogrammen besteht, wurden bis 2004 über 70% der Menschen über 65 Jahre zu Empfängern der staatlichen Transferleistung. Dadurch ging die politische Bedeutung einer universalen Institution für die Alterssicherung allmählich verloren, was an der Veränderung der Rentenentwürfe der Regierung erkannt werden kann, also weg von einer umfassenden und vor allem die bestehenden Berufs-Sozialversicherungen integrierenden Rentenversicherung hin zu einer kleinen Rentenversicherung, die nur auf die bis dahin nicht sozialversicherten Personen zwischen 25 und 65 Jahren zielen sollte, also vornehmlich auf die Hausfrauen, Studenten und Langzeitarbeitslosen.

(6) Wie erwähnt, betraf die Entwicklung des Alterssicherungssystems seit den 1990er Jahren drei Dimensionen – den Auf- und Ausbau des Basisalterssicherungssystems, die separaten Reformen in bestehenden berufsbezogenen Institutionen der Alterssicherung (in der Beamtenversicherung sowie in der staatlichen und obligatorischen betrieblichen Altersversorgung) und die Konstruktion des künftigen nationalen Rentensystems –, die jeweils ein unterschiedliches Entwicklungsmuster charakterisierten bzw. auf verschiedener Ebene (Hall 1993) erfolgten. Die layering-Entwicklung kam im Auf- und Ausbau des Basisalterssicherungssystems durch die Einführung verschiedener statusdifferenzierter Alterszuschussprogramme vor und wurde stark durch den politischen Wettbewerb beeinflusst. Die institutionelle conversion erfolgte sowohl im Regel- Alterssicherungssystem der Berufs-Sozialversicherungen (die Änderungen auf der ersten und zweiten Ebene) als auch im System der beruflichen Altersversorgung (die Änderungen auf der dritten Ebene); sie wurden vornehmlich durch die endogenen Probleme der jeweiligen Systeme erzeugt und stellten in erster Linie die Verwaltungsarbeit dar. Durch eine multidimensionelle Entwicklung erhöht sich die Komplexität des gesamten Alterssicherungssystems, was sich wiederum hemmend auf die Konstruktion eines universalen Rentensystems auswirkt, das die bisher kaum im Wohlfahrtssystem Taiwans betonte Umverteilung und soziale Solidarität fördern könnte.

taiwanischen Wohlfahrtsstaates mit Rücksicht auf die wichtigsten wirtschaftlichen, politischen und demographischen Rahmenbedingungen. Die Gründe dafür sind erwähnenswert.

In der Literatur über die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung in den westlichen Demokratien wird festgestellt: Die unterschiedlichen erklärenden theoretischen Schulen beruhen darauf bzw. ergeben sich daraus, dass die Konstruierung, Entwicklung und Reform des Wohlfahrtsstaates offensichtlich mit dem Wandel der Wirtschaft, Politik, Gesellschaft sowie den sozialpolitischen Institutionen verknüpft sind. Nach einem guten halben Jahrhundert seit dem Zweiten Weltkrieg wird dies erschöpfend behandelt und es gibt darüber eine beträchtliche Summe an Literatur. So kann man heutzutage bei der Forschung über den westlichen Wohlfahrtsstaat direkt auf das untersuchte Thema eingehen und ohne große Mühe die Details der erwähnten Kontextbedingungen bearbeiten. Da die wissentlichen Forschungen über den Wohlfahrtsstaat in Ostasien bzw. in Taiwan erst seit den 1990er Jahren blühen, gibt es noch keine ausreichende Literatur, die auf den Zusammenhang zwischen der untersuchten Sozialpolitik (dem Wohlfahrtssystem sowie -regime) und den wesentlichen Kontextbedingungen bzw. –faktoren systematisch hinweist. Oft werden die für die sozialpolitische Entwicklung bedeutenden länderspezifischen wirtschaftlichen, politischen, sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen nicht komplett und tiefgreifend berücksichtigt. Dies hat zur Folge, dass die Frage einer Korrelation zwischen der Einführung der Sozialpolitik mit den kontextbedingten Ereignissen nicht selten falsch gestellt wird und dadurch unadäquate Argumente vorgebracht werden. Um diesen Makel zu korrigieren bzw. die Forschungslücke zu schließen, werden die zuvor in verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen separat durchgeführten Themen – die politische, wirtschaftliche und demographische Entwicklung sowie die Konstruktion des Wohlfahrtsstaates – mittels der sekundären Literatur im ersten Teil der vorgelegten Studie zusammengefasst. Diese sind für das Verständnis für den Aufbau des taiwanischen Wohlfahrts- bzw. Alterssicherungssystems von großer Bedeutung.

Das erste Kapitel beschäftigt sich mit den politischen, wirtschaftlichen und demographischen Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg, die den wichtigen Kontext für die Konstruierung des taiwanischen Wohlfahrtsstaates bildete. Betrachtet werden die zentrale Merkmale dieser Entwicklung und ihre wesentlichen Auswirkungen auf den Aufbau des Wohlfahrtssystems. Die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Taiwan nach dem Zweiten Weltkrieg wurde durch das damals aus chinesischen Eliten bestehende KMT-Regime stark beeinflusst. Durch das Kriegsrecht und viele autoritäre Maßnahmen wurden für knapp vier Jahrzehnte zahlreiche politische Freiheitsrechte untersagt. Da die politische Sphäre – verglichen mit der wirtschaftlichen und sozialen – am strengsten eingeschränkt wurde, wirkte sich der demokratische Wandel seit Ende der 1980er Jahre unmittelbar auf diesen Bereich intensiv aus. Die Wirtschaft, die als regulierte Marktwirtschaft gekennzeichnet wurde, stellte während der autoritären Zeit eine bedeutende freie Arena für die Taiwaner dar, die auf nationaler Ebene politisch marginalisiert wurden. Durch die erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung mit „growth-with-equality“ gab es keine

aus ökonomischer Unsicherheit und Deprivation sowie aus sozialer Marginalisierung erzeugten wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die leicht von oppositionellen Kräften hätten mobilisiert werden können oder direkte wohlfahrtsstaatliche Tätigkeiten erfordert hätten. Die überwiegend von kleinen und mittleren Betrieben ausgeprägte Unternehmensstruktur befand sich in einer ungünstigen Lage, mit der Erhöhung der Lohnnebenkosten umzugehen. Somit spielten sie in der Gewährung der betrieblichen Sozialleistungen einschließlich der beruflichen Ausbildung nur eine marginale Rolle. Private Versicherungen, die in vielerlei Hinsicht die staatlichen und betrieblichen Sozialleistungen ergänzen oder sogar übernehmen konnten, waren durch die Kontrolle des Staates über das Finanz- und Banksystem sowie die Lizenzen bis Anfang der 1990er stark unterentwickelt.

Der demographische Faktor hat bislang keinen entscheidenden Druck auf den Aufbau der wohlfahrtsstaatlichen Institutionen bzw. des Alterssicherungssystems ausgeübt, da trotz der Überalterung der Bevölkerung seit den 1990er Jahren das aus dem demographischen Wandel resultierende Problem erst im kommenden Jahrzehnt akut auftreten wird.

Verglichen mit dem weitgehend von einem im Nachkriegseuropa geprägten Verständnis des

„Wohlfahrtsstaates“ hat Taiwan einen idiosynkratischen Charakter nationaler Entwicklung zur Wohlfahrtsstaatlichkeit. Dies wird mittels eines historisch-institutionalistischen Ansatzes im zweiten Kapitel gezeigt. Aus der Darstellung über die sozialpolitische Entwicklung sowie die Analyse über die Sozialausgaben und die Probleme im Wohlfahrtssystem wird eine Kontur darüber errschaffen: Welche sozialpolitischen Institutionen sind für welche Personen gegen welche Lebensrisiken gegeben bzw. auf welche Art und Weise werden sie ausgestaltet, verwaltet und finanziert? Damit prägen sich die Struktur, Orientierung, Prioritäten, Charakter und vor allem die institutionellen Lücken des Wohlfahrtsstaates aus. Die bisher dafür entwickelten wichtigsten theoretischen Erklärungen werden eingehend erörtert.

Der zweite Teil schließt drei Kapitel ein. Es wird versucht, einen integrierten Theorienansatz zu entwickeln und damit die Entwicklung des Alterssicherungssystems seit den 1990er Jahren zu analysieren und zu erklären. So widmet sich das dritte Kapitel dem Aufbau eines erklärenden Theorienansatzes. Dies thematisiert im Wesentlichen die Wechselwirkungen zwischen den drei Institutionen, also dem Wohlfahrtsstaat, der politischen Institution für die Interessenrepräsentation durch Wahlen und Parteien sowie dem Regierungssystem für die politische Willensbildung und Entscheidungsfindung. Erörtert wird zunächst der Wohlfahrtsstaat als System zur Erzeugung der Stratifizierung und Ungleichheit sowie als Einflussmechanismus auf die weitere Entwicklung der wohlfahrtstaatlichen Institutionen, also „policy-feedback“ und „path dependency“. Ferner werden auch die institutionellen Veränderungen bzw. ihre Muster skizziert. Anschließend wird die Bedeutung von Parteien und Wahlen für die Interessenrepräsentation im (semi-)präsidentiellen Regierungssystem behandelt, da diesen beiden Faktoren in jüngeren Demokratien wie Taiwan eine zentrale Rolle zukommt. Durch die Analyse der Genese, Entwicklung und Charakter der politischen Parteien, der Einflussnahme des Parteienwettbewerbs auf die Sozialpolitik, der Wahlen bzw. der Effekte der in Taiwan praktizierten Wahlsysteme in Bezug auf die demokratische

Repräsentation werden die folgenden Fragen beantwortet: (1) Warum orientieren sich die Parteien in Taiwan in erster Linie an klientelistischen Verbindungen mit Wählern und üben sie die repräsentative Funktion – „interest articulation and aggregation and policy formulation“ (Bartolini und Mair 2001) – etwas anderes aus als das die meisten westlichen Demokratien charakterisierende „responsible party government“-Model (Kitschelt und Wilkinson 2007)? (2) Wie wird diese Art der Interessenrepräsentation durch das in Taiwan praktizierte Wahlsystem gefördert? (3) Wie wirken sich die Wahlen und die Parteienkonkurrenz auf die demokratische Repräsentation und die sozialpolitische Entwicklung aus? Letztlich werden die politische Willensbildung und die Entscheidungsfindung, also das policy-making, im (semi-)präsidentiellen Regierungssystem betrachtet. Behandelt werden die zur Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative beitragenden Faktoren, die legislativen Befugnisse des Staatspräsidenten und vor allem ihre Wirkungen auf das policy-making im Bereich der Alterssicherung. Mithilfe dieses integrierten Theorieansatzes wird die Entwicklung des Alterssicherungssystems während der Zeit der KMT-Regierung (1992 bis zum Anfang 2000) sowie der DPP-Regierung (2000-2005) jeweils im vierten und fünften Kapitel analysiert. Die „politics“ der Entwicklung des Alterssicherungssystems werden aufgezeigt. Die im letzten Abschnitt vorgebrachten Argumente werden in diesen zwei Kapiteln stufenweise gerechtfertigt.

Der dritte Teil behandelt die sozialpolitischen Instrumente für die Alterssicherung und ihre Entwicklungstendenz und umfasst zwei Kapitel. Im sechsten Kapitel wird die derzeitige Struktur des Alterssicherungssystems, also „policy“ der Alterssicherung Taiwans, vorgestellt. Nach dem Überblick über das Gesamtsystem der Alterssicherung hinsichtlich der Kerninstitutionen und ihrer Ausmaße wird detailliert auf die Inhalte heutiger einschlägiger Regelungen des öffentlich- rechtlichen Alterssicherungssystems eingegangen. Schwerpunkte bilden die verschiedenen Ausgestaltungen, das Recht auf die Inanspruchnahme, die Art und Weise der Leistungsberechnung, das Leistungsniveau, die Finanzierung und nicht zuletzt die Verwaltung. Die darüber hinausgehenden Regelungen über die soziale Absicherung bei Invalidität und die Leistungen für Hinterbliebene werden dabei ausgeklammert. Neben dem öffentlich-rechtlichen System sind die zusätzliche Alterssicherung und das funktionale Äquivalent für die Alterssicherung darzustellen.

Anschließend werden zentrale institutionelle Charakteristika und Probleme des bestehenden Alterssicherungssystems untersucht. Das abschließende Kapitel versucht, aus den bisher präsentierten Ergebnissen einige Schlüsse zu ziehen und perspektivische Überlegungen anzustellen. Dabei werden die zentralen Befunde dieser Studie zusammengefasst und vor allem die Entwicklung des Alterssicherungssystems zwischen 2006 und 2008 bzw. die wesentlichen Inhalte der neu eingeführten Maßnahmen skizziert. Anschließend wird ein knapper Vergleich zwischen der Entwicklung des taiwanischen Alterssicherungssystems und der rentenpolitischen Entwicklung in den westlichen Wohlfahrtsdemokratien seit den 1990er Jahren einerseits und in den ostasiatischen Ländern andererseits angestellt. Zum Schluss werden die Beiträge dieser Arbeit und die Möglichkeiten weiterer Forschungen aufgezeigt.

Kapitel 1 Politische, Wirtschaftliche und demographische Entwicklung seit

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