3. Die Rolle der Sparkassen bei der Finanzierung der Staatsausgaben
3.4 Geschäftspolitische Handlungsmöglichkeiten und Geschäftspolitik der Sparkassen und ihrer Verbände
Der öffentlich-rechtliche Status schuf die Voraussetzung dafür, die Sparkassenorganisation aufs engste mit dem Regime zu verquicken.543 Als Konsequenz dieses systemimmanenten Einflusses der politischen Instanzen konnte die personelle und organisatorische Integration der Sparkassen und ihrer Verbände nach der Machtübernahme durch das Regime zügig vorangetrieben werden.
Der nationalsozialistischen Machtübernahme bei den lokalen und regionalen Gewährträgern544 folgte automatisch die Machtübernahme bzw. Machtsicherung in den Sparkassenvorständen.545
Die Leiter der Gewährverbände hatten – mit Ausnahme der Sparkassen in Großstädten mit mehr als 70.000 Einwohnern – persönlich den
Vorsitz im Sparkassenvorstand inne546 und beriefen die übrigen Vorstandsmitglieder.547
Da die Gewährverbandsleiter vielfach Funktionsträger der NSDAP waren, wurden im Einverständnis mit den zuständigen
Parteifunktionären nur politisch zuverlässige Personen in den Vorstand berufen.548
Der Einfluss des „politisch dominierten“ Vorstandes erstreckte sich jedoch nicht nur auf die Aufsicht der laufenden Geschäfte der
Sparkasse, sondern prinzipiell auch unmittelbar auf die Geschäftspolitik des Institutes.
543 Thomes, Paul: 1996, S. 63 f.
544 Gewährträger waren diejenigen öffentlichen Körperschaften, die die jeweilige Sparkasse errichteten. Gewährträger der Sparkasse Köln war somit die Stadt Köln, die in letzter Konsequenz die Gewährträgerhaftung übernahm, also die Übernahme einer Eventualschuld mittels öffentlich-rechtlicher Ausfallgarantie.
545 Mura, Jürgen: 1999, S.198
546 Vgl. § 4 (3) der Mustersatzung für Sparkassen (MsfS); in: Hoffman, Walter: 1941, S. 385 ff.
547 Ashauer, Günter: 1991, S. 252
548 Mura, Jürgen: 1999, S. 199
Der Vorstand beaufsichtigte gemäß § 5 MsfS die laufende
Geschäftsführung des Sparkassenleiters und konnte nach § 8 (1) MsfS der Sparkassenleitung Geschäftsanweisungen erteilten.
Wenn auch nicht alle Entscheidungen im Rahmen der
Betriebsdisposition vom Vorstand entschieden werden mussten, so konnte der Einfluss des Vorstandes durch die Möglichkeit von Eventualeingriffen in die laufenden Geschäfte dominierend sein.
Hinzu kam, dass die neuen politischen Machthaber eine
Positionsstärkung des Sparkassensektors im kreditwirtschaftlichen Wettbewerb in Aussicht stellten und für die Sparkassen meistens
„freundliche“ Worte fanden.549
So waren nach Ansicht des führenden NS-Rechtstheoretikers und zeitweiligen Regierungspräsidenten von Magdeburg, Helmut Nicolai, die Sparkassen „rechte Kinder des Nationalsozialistischen
Wirtschaftsdenkens“ und standen „mustergültig für die gesamte Bankenpolitik im dritten Reiche“.550
Da die Sparkassen seit je her den „kleinen Mann“ und den Mittelstand im geschäftspolitischen Fokus sowie den gemeinnützigen Charakter in ihren Statuten verankert hatten, kamen sie der nationalsozialistischen Parole „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ sehr entgegen.
Tatsächlich lässt sich eine Reihe von weiteren Überschneidungen zwischen dem Selbstverständnis des Sparkassensektors und den Überzeugungen der Nationalsozialisten ausmachen, doch spätestens bei der rassenpolitischen Dimension der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Sozialideologie fehlt diese Übereinstimmung.
Nach Ansicht der NS-Ideologen waren die Sparkassen zwar die
„deutsche Alternative“ zu den „vom internationalen Judentum
beherrschten Großbanken“551, doch in lediglich einer der ausgewerteten Originalquellen ist ein Indiz für die aktive Parteinahme einzelner
Sparkasseninstitute zu Gunsten der nationalsozialistischen Rassenpolitik zu finden.552 Die überwiegende Mehrheit der Entscheidungsträger im Sparkassensektor dürfte sich
rassenideologischen Diskussionen entzogen haben und wollte – wie auch Hjalmar Schacht – auf die wirtschaftlichen Ressourcen der jüdischen Bevölkerung nicht verzichten.553
Die Sparkassen passten vielmehr aufgrund ihrer historischen
Geschäftsentwicklung (hier: passiv getriebenes Bilanzwachstum durch stetig steigende Spareinlagenzuflüsse) und ihrer regionalen
Aufbauorganisationsstruktur in die wirtschaftspolitischen Ziele des Regimes.
Bis 1927 waren die Sparkassen die einzigen Institute, die kleine Sparbeträge annahmen und anzulegen bereit waren.
Die „Sparkassenmänner“ verfügten über eine enge Beziehung zum Sparpublikum und genossen in Hinblick auf ihre Integrität ein hohes Ansehen in der Bevölkerung. Das engmaschige Filialnetz erleichterte die Förderung des Spargedankens und die nahezu „perfekte fiskalische Instrumentalisierung“554 des Sparkassensektors.
551 Wixforth, Harald: 2000, S. 8.
552 SHA-BN, Bestand I.L/2/8, DSGV (Hrsg.): Verbandsrundschreiben Lfd. Nr. „Vb“ 164 betreffend Maßnahmen gegen Juden mit Anlage des Reichswirtschaftsministers an den DSGV vom 11.09.1935, in dem es heißt: „ Aus den mir vorgelegten (…) Berichten entnehme ich zu meinem Befremden, dass von einzelnen Sparkassen ohne Billigung der zuständigen Aufsichtsinstanzen eigenmächtig Boykottmaßnahmen gegen Juden in die Wege geleitet worden sind. (…) so ist eine völlige Neutralität der Sparkassen bei der Entgegennahme von Spareinlagen und Depositen zu üben. In einer Zeit, in der es entscheidend darauf ankommt, dass die Spartätigkeit im Interesse einer
notwendigen Konsolidierung (…) der kurzfristigen Verschuldung des Reichs (…) gefördert wird, sind Beschlüsse von Sparkassenvorständen, nur von Ariern Einlagen entgegen zu nehmen und sonstige Einlagen zurückzuhalten, völlig unangebracht.“
553 Im gesamten gesichteten Schriftwechsel zwischen DSGV und
Sparkasseninstituten sowie in allen DSGV-Sitzungsprotokollen findet sich kein Hinweis auf eine rassenideologische Parteinahme. Anordnungen und
Verfahrenshinweise bezüglich der Enteignung jüdischen Vermögens geschehen in sachlicher und völlig unideologischer Form. Auch im Verlauf des Krieges weichen der DSGV und die untersuchten Institute nicht von dieser unideologischen Position ab.
554 Caesar, Rolf: 1991, S. 69.
Aus politischer Sicht – sowohl in der Betrachtung auf die Sparkassen als auch aus den Sparkassen heraus – musste man somit von einer hohen Akzeptanz der Sparkassenfunktionäre mit der staatlichen Kriegsfinanzierung ausgehen, obwohl es nach Einsetzen der
expansiven Rüstungsfinanzierung und mit zunehmenden staatlichen Reglementierungen zu einem dramatischen Wechsel im Aktivgeschäft der Sparkassen kam.
Neben diesen politischen Motiven wurde die Geschäftspolitik jedoch auch von weiteren Aspekten beeinflusst.
Abbildung 20: Einflussfaktoren auf die Geschäftspolitik der Sparkassen
Obwohl die wichtigsten gesetzlichen Rahmenbedingungen in den vorherigen Kapiteln bereits behandelt wurden, sei an dieser Stelle nochmals erwähnt, dass Kommunalkreditverbot, Emissionssperre und Hypothekensperrerlass die geschäftspolitischen Möglichkeiten stark beschränkten. In deren Folge kam es notgedrungen zu einer
Fokussierung auf die Anlage der Spargelder in Staatspapieren.
Geschäftspolitik
Politische Motive
Wirtschaftliche Motive
Gesetzliche Rahmenbedingungen
Gesellschaftliche Akzeptanz
Dabei deckten sich in Einzelfällen die staatlichen Motive der
gesetzlichen Rahmenbedingungen mit den wirtschaftlichen Motiven der Sparkassen.
Gemäß Artikel 15 der „Ersten Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Reichsgesetzes über das Kreditwesen“ vom 09.02.1935555 konnten die Sparkassen auf die vorgeschriebenen
Liquiditätsguthaben 50 Prozent der Wertpapierbestände anrechnen, die der Reichswirtschaftsminister als dafür geeignet bestimmte.
Obwohl die Sparkassen dadurch ihre Liquidität für Staatszwecke banden, erzielten sie durch dieses Verhalten doch deutlich höhere Verzinsungen als durch die Sichteinlage ihrer Guthaben bei den
Girozentralen.556 Da zudem diese „Li-Anleihen“ auch bevorzugt von der Reichsbank lombardiert wurden, machten die Sparkassen von dieser Form der Liquiditätsanlage gern Gebrauch.557
Grundsätzlich hatten die Sparkassen die Auswahl zwischen verschiedenen Schuldtiteln mit unterschiedlichen Laufzeiten und Zinssätzen. Die jeweilige Anlageentscheidung berücksichtigte den möglichen Zinsertrag, die Struktur der eigenen Passiva (hier:
Fristenkongruenz) und die Veränderung im Anlageverhalten der
Sparer.558, 559 So befürchtete man eventuelle Liquiditätsschwierigkeiten für den Fall einer expansiven Anlage von Termingeldern in
Reichsanleihe. Zudem befürchtete man eine abträgliche Diskussion in der Kundschaft, falls die Platzierung einer besonderen
„Sparkassenanleihe“ weiterhin öffentlich diskutiert würde.560
555 RGBI.1935 1, S. 205
556 Vgl.: „Runderlass des Reichswirtschaftsministers und Preußischen Ministers für Wirtschaft und Arbeit betreffend 4,5-prozentige Reichsanleihe vom Jahre 1935“ vom 16.02.1935; in: Schultzenstein, Siegfried und Dieben, Wilhelm: 1942, S. 70.
557 Sperk, Ludwig und Wilsdorf, Manfred: 1956, S. 100.
558 So berichtet der Präsident des DSGV, Dr. Heintze, in seinem einleitenden Referat zur Vorstandssitzung am 03.02.1944 (s. SHA-BN, Bestand I.B/8/10) in Dresden, dass im Verlauf des Jahres 1943 durch viele Sparkassen eine „noch beweglichere
Anlagepolitik“ gestaltet wurde, da die meisten Sparer eine möglichst liquide Anlageform suchten und die Sparkassen ihrerseits auch liquide bleiben wollten.
559 Die Anlagepolitik der Sparkassen beruhte auf der Berücksichtigung der
Fristenkongruenz. Die Anlage von Termingeldern in Reichsanleihen hätte bei einem unvorhergesehenen Mittelabzug der Sparer zu Liquiditätsengpässen der Sparkassen geführt. (siehe SHA-BN, Bestand I.B/8/1, Niederschrift über die
DSGV-Vorstandssitzung vom 13.12.1935, S. 4)
560 Ebenda
Selbst jedoch für den Fall, dass die Gesamtemission an Staatspapieren durch die Einzelsparkassen nicht vollumfänglich oder nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt gezeichnet wurde, konnte das Regime auf die Funktionsfähigkeit der geräuschlosen Finanzierung vertrauen.
Im Zweifelsfall sorgten die politisch kontrollierten und wirtschaftlich motivierten Sparkassenverbände für eine reibungslose Aufnahme der Papiere.561
Die scheinbare „Linientreue“ der Sparkassen begründete sich zudem in der Hoffnung, dass es bei einem Wohlverhalten der Institute zu
Erleichterungen des Geschäftsverkehrs kommen könnte.562
Die Förderung des Spargedankens und die Schaffung unterschiedlicher Sondersparformen flankierten die Sparkassen in ihrem ureigensten Geschäftszweck.
Für jede gesellschaftliche Gruppe und Altersstufe existierte nun ein eigener Sparanlass bzw. eine eigene Sparform. Berücksichtigt man dabei den historisch gewachsenen Wettbewerbsvorteil des
Sparkassensektors im Spargeschäft so ist es einleuchtend, dass die Sparkassen diesen staatlichen Impuls nur zu gerne aufnahmen und ihrerseits verstärkten. Bot sich doch dadurch die Möglichkeit,
Marktanteile auszubauen und das Zinsmargenaufkommen zu steigern.
561 SHA-BN, Bestand I.B/8/2, DSGV (Hrsg.): Niederschrift über die Sitzung des Vorstandes des DSGV vom 24.01.1936: „Der Vorsitzende berichtete über den weiteren Verlauf der Reichsanleihezeichnung seit der letzten Vorstandssitzung.
Damals habe der Zeichnungsbetrag sich auf rund 230 Millionen RM belaufen. Mit zwei gleichzeitigen Rundschreiben vom 5. Dezember habe dann der Verband den
Verbandsvorstehern und die DGZ den Girozentralen die Anregung gegeben, die Sparkassen zur Heranziehung ihrer bei den Girozentralen unterhaltenen
„überschüssigen“ Guthaben aufzufordern. Dieses Rundschreiben habe
verhältnismäßig wenig Erfolg gehabt, so dass am 20. Dezember noch ein Rückstand von 210 Millionen RM vorhanden gewesen sei. Daraufhin habe der Verband (…) eine Schlüsselung der noch ausstehenden Beträge vorgenommen; (…) notfalls sollten die Girozentralen einen etwaigen Restbetrag vorübergehend auf eigene Rechnung übernehmen.“
562 SHA-BN, Bestand I.B/8/2, DSGV (Hrsg.): Verhandlungsniederschrift der
Vorstandssitzung des DSGV vom 13.12.1935: „Zurzeit stehe aber die Rücksicht auf das Gelingen der Reichsanleihe im Vordergrund aller Erwägungen. Wenn das geforderte Zeichnungsergebnis baldigst erzielt sei, werde sich vielleicht hier und da eine Erleichterung für den Geschäftsverkehr der Sparkassen erreichen lassen.“ Auf derselben Sitzung bemerkte der Ministerialrat des Preußischen
Wirtschaftsministeriums, Sperl, dass solange die Anleihezeichnung nicht wesentlich