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2. Demografische Einflussgrößen

2.5 Gerontologie – Ein Exkurs

Demografische Einflussgrößen 35

Die dem Sozialstaatsgebot innewohnende soziale Gerechtigkeit, die im Art. 3 Abs. 3 GG mit der Nennung der Diskriminierungsanlässe ihren Niederschlag findet, soll in dieser Arbeit unter Berücksichtigung des (noch) fehlenden Krite-riums „Alter“ betrachtet werden.

Demografische Einflussgrößen 36

• 1928 Gründung des ersten Instituts für Altenforschung an der Stanford-Universität in Kalifornien.

• Experimentelle Tierversuche in Russland durch den Physiologen und No-belpreisträger (1904) Iwan Petrowitsch Pawlow (*20.09.1849 Rjasan,

†27.02.1936 Leningrad). Hierfür steht der klassisch gewordene Tierver-such der signalabhängigen Futtergabe an Hunden.27

• 1920 japanische Forschungsergebnisse über das Alter28 und die Intelli-genz werden veröffentlicht.29

• 1938 erste europäische Erkenntnisse finden Eingang in die Erforschung des Alterungsprozesses. Ein gewisses Gewicht erhielt in der deutschen Altersforschung das Werk von Gruhle (1938) mit dem Titel „Das seelische Altern“. In diesem sind die Ergebnisse der Beobachtungen des Psychia-ters über die Umstellungsschwerfälligkeit, das Erlernen neuer Gedächt-nisinhalte, die Vergesslichkeit, den Eigensinn und die steigende

Gereizt-heit publiziert.30 Zwischen den beiden Weltkriegen lassen sich für den deutschen

Sprach-raum nur schwache Ansätze einer gerontologischen Forschung erkennen.

Hervorzuheben sind die Ergebnisse einer Befragung von Giese zum sub-jektiven Alterserleben31 und insbesondere das Werk von Charlotte Bühler, die 1933 unter dem Titel „Der menschliche Lebenslauf als psychologi-sches Problem“ zu nennen. Mit dieser Publikation führte die Wissen-schaftlerin die biographische Methode in die entwicklungspsychologische Forschung ein.32

2.5.3 Gerontologie und Gesellschaft

In unserer Gesellschaft ist bis heute das Bild vom älteren Menschen durch Situationen wie Isolation, Vereinsamung, Abhängigkeit, Hilfsbedürftigkeit und Abbau bzw. Verlust von Fähigkeiten und Fertigkeiten charakterisiert.

Die Ergebnisse seit den 1950er Jahren von den in der Quellenangabe aufge-führten Wissenschaftlern33 können wie folgt zusammengefasst werden:

1. Es herrschen Stereotypien und unzulässige Generalisierungen vor. Häu-fig als Folge der einseitigen Fokussierung auf eine bestimmte Gruppe wird das Bild generell negativ gesehen und auf die Ganzheit der älteren Menschen übertragen.

Demografische Einflussgrößen 37

2. Jüngere Personengruppen entwickeln das negativste Bild von älteren Menschen und zeigen so die größte Diskrepanz zum tatsächlichen Ver-halten Älterer. Die VerVer-haltenserwartungen sind vorrangig durch Restrikti-onen34 geprägt. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Beurteiler mit zu-nehmendem Lebensalter ein positiveres Bild über ältere Menschen zeichnen und diesen einen größeren Verhaltensspielraum zubilligen.

3. Die systematischen Methoden, die eine nuancierte Darstellung des älte-ren Menschen erlauben, machen deutlich, dass die Beurteilung nicht nur vom Lebensalter des Befragten, sondern auch von dessen Lebenssituati-on geprägt wird. Aspekte wie gesundheitliches Wohlbefinden und die ei-gene optimistische Verfassung wirken sich bei der Beurteilung anderer Menschen positiv aus.35 Auch zeigt sich, dass z. B. das Zusammenleben mit Älteren bei der Jugend ein differenziertes und weniger negativ ausge-prägtes Bild erzeugt.

Diverse Allensbach-Umfragen zeigen, dass 69 Prozent in 1975 und 65 Pro-zent in 1989 einen überwiegend günstigen Eindruck von älteren Menschen hatten. Die Hälfte der Befragten in der Altersgruppe von 16 – 29 Jahren gab eine positive Beurteilung ab. In den Altersgruppen von 45 – 49 Jahren waren es 77 Prozent, bei den 60-Jährigen und Älteren 82 bzw. 76 Prozent. Ein un-günstiges Bild wurde von 9 bzw. 10 Prozent der Befragten (16 – 29 Jahre 18 bzw. 17 Prozent, 30 – 34 Jahre 11 bzw. 10 Prozent) gezeichnet.

In diesem Kapitel sollte (lediglich) ein Einstieg in den Zusammenhang zwi-schen Altern und Gesellschaft erfolgen. Die gesellschaftlichen, wirtschaftli-chen und politiswirtschaftli-chen Einflüsse mit Kumulationen der Benachteiligungen auf-grund des Geschlechts, der Ethnie, einer Behinderung u. ä. stützen die The-se vom Altern als soziales Schicksal.36

Die Gesellschaft wird als ein System von Institutionen verstanden, welches als lenkendes Gebilde existiert. Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts domi-nierte die Überzeugung, dass das Alter ein Prozess des Abbaues war, wel-chen man nur beobachten ggf. lindern könne. Die auch noch im Alter vor-handenen Entwicklungspotenziale sind in der Gesellschaft bisher nur in we-nigen Bereichen erkannt und genutzt worden.

Demografische Einflussgrößen 38

1 Unter diesem Begriff subsumiert der Autor die gesellschaftlichen Ereignisse i.w.S., wie z.B.:

die wirtschaftliche Situation, den' Arbeitsmarkt, Wohnungs-, Energiefragen, Bevölkerungs-entwicklung, Bildung, Renten, Altersversorgung u. a. m.

2 Kistler, Ernst, u.a. (2001): Auswirkungen des demographischen Wandels auf Arbeit und Ar-beitslosigkeit, S. 5.

3 Schirrmacher, Frank (2004): Das Methusalem-Komplott, S 11.

4 Zeng, Y.; George, L. (2000): Family Dynamics of 63 Millions (in 1990) to more than 330 Mil-lion (in 2050) Elders in China.

5 Beier, Walter, u. a. (1983): Prozesse des Alterns, S. 10.

6 Ries, Werner, u. a. (1991): Biologisches Alter. Problem und Bericht, S. 6.

7 Olbrich, Erhard (1983): Altern – Soziale Aspekte, S. 133 f.

8 Lehr, Ursula (2003): Die Jugend von gestern – und die Senioren von morgen.

9 Ebenda, S. 72 f.

10 Behrens, Johann (2001): „Was uns vorzeitig alt aussehen lässt.“ Arbeits- und Laufbahnges-taltung – Voraussetzung für eine länger andauernde Erwerbstätigkeit, S. 16.

11 Ebenda, S. 16

12 Solms-Braunfelser vom 24.10.2004, Beilage: Der gute Sonntag, S. 10.

13 Behrens, Johann (2001): „Was uns vorzeitig alt aussehen lässt.“ Arbeits- und Laufbahnges-taltung – Voraussetzung für eine länger andauernde Erwerbstätigkeit, S. 16.

14 „Heute dominiert das Ideal der Zweikindfamilie, die Statistiken verzeichnen bei deutschen Ehepaaren durchschnittlich 1,7 Kinder pro Familie, bei ausländischen knapp 2,1“. (Geißler, Reiner (2002): Die Sozialstruktur Deutschlands. Die Gesellschaftliche Entwicklung vor und nach der Vereinigung, S. 57).

15 Interessant ist der Vergleich der beiden deutschen Staaten. In der DDR konnte in den späten 1970er Jahren ein zweiter Babyboom erreicht werden, die Fruchtbarkeitsraten lagen bis 1989 über der in der Bundesrepublik, obwohl fast alle Frauen erwerbstätig, gesellschaftlich aktiv und der Schwangerschaftsabbruch legalisiert war. Offenbar war diese Entwicklung das Ergebnis einer familien- und frauenpolitischen Politik in der DDR, die so dem säkularen Trend des Geburtenrückgangs erfolgreich entgegenwirken konnte. (Ebenda, S. 59)

16 Aussage der Frau Prof. Uta Meier-Gräve, Inhaberin des „Lehrstuhls für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen anläss-lich einer Veranstaltung des Gesamtverbandes der Unternehmen im Lahn-Dill-Gebiet.

(Solms-Braunfelser vom 10. November 2007, S. 16).

17 „2000 gab es im früheren Bundesgebiet insgesamt 1 415 000 allein erziehende Mütter oder Väter mit einem oder mehreren Kindern unter 18 Jahren (einschließlich Alleinerziehende, die Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sind)… 451 000 der Alleinerziehenden waren nie verheiratet“. (Statistisches Bundesamt (2002): S. 41)

18 „Von den 1950 geborenen Frauen blieben nur 11% kinderlos, von den 1960 Geborenen sind es bereits 22%, und von den 1965 Geborenen werden nach Hochrechnungen 35% kinderlos bleiben. Der demographische Wandel, das Altern unseres Volkes, ist also zum größten Teil durch die mittlere und jüngere Generation ausgelöst. Wir haben keine ′Überalterung′ (wo ist hier die Norm?): sondern eine ′Unterjüngung′ durch zu wenig Kinder!“.

(Lehr, Ursula 2003, Die Jugend von gestern – und die Senioren von morgen, S. 3)

19 In diesem Kontext sei auf eine „Empfehlung“ des Deutschen Bundesverbands für Steuer-,

Finanz- und Sozialpolitik e. V. zur Familienplanung hingewiesen. Der Verband rät: „Denjeni-gen, die Nachwuchs planen, sei empfohlen, sich sicherheitshalber bis Mitte 2007 zurückzu-halten. Die Bundesregierung plant erst für nach dem 01.01.2008 Geborene die Kinderzulage zur Riester-Rente von dann € 185 auf € 300 pro Jahr zu erhöhen. Man stelle sich vor: Mehr-lingsgeburt zum 30.12.2007 – irgendwie tragisch.“ (Haller, Joachim (2006): Sozialversiche-rung 2006.)

20 Butterwegge, Christoph; Klundt, Michael (2002): Kinderarmut und Generationengerechtig-keit, S. 6.

21 Model, Otto, u.a. (1997): Staatsbürger – Taschenbuch, S. 78 f.

22 Deutscher Bundestag (2002a): Schlussbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“; CD – S. 55.

23 Unter „Greisenalter“ wird die letzte Phase im Lebenszyklus eines Menschen verstanden. In diesem Lebensabschnitt kommt es durch physiologische Veränderungen der Körpergewebe zu speziellen Beschwerden und Krankheiten (z. B. Gelenkerkrankungen durch Abnutzung [Arthrose], Begünstigung von Knochenbrüchen durch Auflockerung und Abbau von Kno-chensubstanz [Osteoporose], zu Verkalkungen sowie einer Degeneration von

unterversorg-Demografische Einflussgrößen 39

ten Körperstellen). Auch das seelische Leben macht Veränderungen durch. ( BEK (1993): S.

203).

24 Ebenda, S. 196 f.

25 Streib, G. F.; Orbach, H. L. (1967): Aging, S. 615.

26 Hall, Stanley (1922): Senescence-the last half of life.

27 Lange, Erhard; Dietrich, Alexander (1987): Philosophen-Lexikon, S.735 f.

28 Tachibana, K. (1959): Trends in gerontology in Japan, S. 150 ff.

29 Kirihara, H. (1934): Generalintelligence test and it´s norm, S. 1 ff.

30 Gruhle, H. (1938): Das seelische Altern, S.89 ff.

31 Giese, F. (1928): Erlebnisformen des Alterns.

32 Bühler, Charlotte (1933): Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem.

33 Z. B.: Aaronsen, B. S., (1966); Tuckman, J. & Lorge, I., (1952, 1953); Lehr, U. & Niederfran-ke, A., (1991); Osswald, F ., (1997); Palmore, E.,(1998).

34 Schneider, H. D. (1970): Soziale Rollen im Erwachsenenalter.

35 Tuckman, J., Lorge, I. (1953): Attitudes toward older workers.

36 Thomae, H. (1969): Altern als psychologisches Problem, S. 22 ff.

Gesetzliche Vorgaben 40