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Gemeinsames Projekt der Diyanet und der Frankfurter Universität: Gründung einer Stiftungsprofessur für

Islamische Religion

Der Umzug der IRH nach Gießen und A. Zaidans und K. Khans nach Wien hatte zur Folge, dass es nun in Frankfurt am Main eine panislamisch multiethnisch orientierte Organisation mit dem Anspruch, für die reli-giösen Belange der Muslime politisch einzutreten, nicht mehr gab. Die nach dem 11. September 2001 ein-setzende antiislamische Propaganda, verstärkt u. a. durch den Irak-Krieg, die Kopftuchdebatte und den Mord an dem holländischen Regisseur van Gogh, führte dazu, dass das politische Engagement der muslimischen Vereine und einzelner Muslime spürbar zurückging, man scheute öffentliche Auftritte und zog sich

873) Stellungnahme zu den Religionsgemeinschaften der Aleviten und Ahmadiyya (o.J.), S. 1 (Archiv der IRH) 874) Freitagsblatt, Nr. 1/1998, S. 3

875) Siehe drittes Gutachten, S. 12 f.

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hend aus dem politischen Leben zurück. Die mit dem Terrorismus verbundenen Ängste der Bevölkerung projizierten sich hauptsächlich auf die arabischen Muslime. Abgesehen vom Kaplan-Prozess in Köln blieb das Image der türkischen Diaspora in der deutschen Gesellschaft positiv, wozu die europäische Orientierung der Türkei mit der Option eines Beitritts in die EU beigetragen haben mochte.

Die DITIB (Diyanet Isleri Türk-Islam Birligi – Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion) in Frankfurt bemühte sich aktiv, sich in diesen für Muslime schweren Zeiten zu einem soliden Partner für einen interkulturellen bzw. interreligiösen Dialog in der deutschen Gesellschaft zu entwickeln. Die Organisation bot interessierten Menschen Führungen in der Zentralmoschee im Frankfurter Bahnhofsviertel an und nahm an zahlreichen Dialogveranstaltungen teil. In der Dialogszene nahm die DITIB den Platz der nun in Gießen residierenden IRH ein. Eine loyale, gemäßigte und mit diplomatischem Geschick geführte Politik kennzeich-net die Beziehung der DITIB zu den gesellschaftlichen Institutionen und den politischen Entscheidungs-trägern im hessischen Raum.

Auch hinsichtlich des islamischen Religionsunterrichts änderte die DITIB ihre Position. Ihr ursprünglich nationalistisch orientierter Ansatz für den IRU wurde neu konzipiert. Unter dem Motto „Wir haben zehn Jah-re geschlafen“ plädierte die DITIB für einen deutschsprachigen Islamunterricht, der in das staatliche Bil-dungswesen integriert werden sollte. Dieser Wandel wurde durch den Wahlsieg der pro-islamischen AKP, der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, im Jahr 2003 und den darauf folgenden Regierungswechsel in der Türkei möglich.

Die aktuelle Entwicklung der DITIB zeigt, dass sie bestrebt ist, die panislamische Gemeinschaft der Muslime in Deutschland zu vertreten. Dies wird auch in dem Zitat aus einem Interview der Islamischen Zei-tung mit R. Cakir, dem türkischen Botschaftsrat für religiöse Angelegenheiten und Vorstandsvorsitzenden der DITIB, deutlich:

„Unabhängig davon, welche Leistungen die Türkei für ihre Staatsangehörigen in Deutschland und Europa erbringt, übernimmt DITIB die religiöse Betreuung der Muslime in Deutschland, ohne Unterscheidung nach Nationalität, Rasse oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe. … Als verlässlicher Partner bemüht sich unsere Organisation, das Vertrauen in die Muslime und in den Islam zu stärken.“876

Die DITIB hat sich ein Ziel gesetzt, das alle muslimischen Organisationen in Deutschland ansprechen soll:

„Wir möchten die Gleichstellung der Angehörigen aller Religionen. Diese muss auch Eingang finden in die jeweiligen Bundes- und Landesverfassungen.“877

Entstehung und Geschichte der Stiftungsprofessur für Islamische Religion an der Frankfurter Universität

Erste Vorgespräche

Die Idee einer Stiftungsprofessur wurde vom Fachbereich Evangelische Theologie und der DITIB Frankfurt entwickelt. Man gelangte der zu der Überzeugung, dass es auf dem Gebiet des Islam und seiner Auslegung auf akademischer Ebene in Deutschland Handlungsbedarf gebe.878 Es entstand die Idee einer

876) Interview mit R. Cakir in der Islamischen Zeitung, März 2005 877) Siehe ebd.

878) Gespräch mit Prof. Dr. Weber, November 2005

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professur für Islamische Religion, die analog zu der seit Jahren bestehenden Martin-Buber-Stiftungsprofessur für jüdische Religionsphilosophie an der Universität879 eingerichtet werden könnte.

Als mögliche Stifterin wurde die türkische Religionsbehörde Diyanet in Ankara gewonnen. Als Spre-cher der DITIB hatte Dr. H. Kurt einen guten Kontakt zum damaligen Religionsattaché der türkischen Diya-net, Herrn Kalkan, dem die Idee einer Stiftungsprofessur für Islamische Religion vorgestellt wurde. Diyanet signalisierte Interesse an dem Projekt und an einer diesbezüglichen Zusammenarbeit mit der Universität. Es folgte eine Einladung deutscher Religionswissenschaftler in die Türkei zum Kennenlernen der Universität in Izmir, die als mögliche akademische Partnerin in Betracht gezogen wurde.880

Diyanet

Auszüge aus der Dokumentation der Diyanet belegen, dass sie durchaus an einer interreligiösen Zusammen-arbeit im Ausland, besonders im Bereich „religiöse Bildung“ interessiert war:

„Damit unsere Bürger und deren Kinder, die im Ausland leben, ihre nationale und religiöse Identität bewahren, muss ihrer religiösen Bildung und Unterweisung besondere Bedeutung beigemessen werden; die ‚offiziellen Religions-beauftragten’, die in diese Länder entsandt werden, müssen speziell ausgebildet werden.“881

Es war ein Anliegen der Diyanet, auf in Deutschland ausgebildete islamische Fachkräfte zurückgreifen und so die islamische Religion angemessen an die zweite und dritte Generation der Muslime weitergeben zu können:

„Es besteht Bedarf an Mitarbeitern, die mit der Bewahrung der nationalen und religiösen Identität des unabhängigen türkischen Staates sowie mit der Sprache und Kultur des Landes, in das sie entsandt werden sollen, eng vertraut sind.“882

Auch für die Arbeit in der Türkei brauchte Diyanet solche muslimischen Fachkräfte, um einen konstruktiven Dialog führen und die deutschen bzw. christlichen Institutionen mitgestalten zu können.

„Die Mitarbeiter des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten in der Türkei, vor allem die Muftis, die Prediger und Vorbeter, müssen dazu angehalten werden, Weiterbildungskurse über die anderen Religionen im In- und Ausland zu be-suchen; es sind auch entsprechende Seminare zu veranstalten.“883

Das Interesse an einem akademisch fundierten interreligiösen Studium für seine Mitarbeiter, besonders im jüdisch-christlichen Bereich, war bei Diyanet programmatisch festgelegt:

„Das Präsidium für Religiöse Angelegenheiten muss die notwendigen Initiativen ergreifen, um die Mitarbeiter im Hin-blick auf die Religionen von heute, besonders das Judentum und Christentum, zu schulen; sie sollten die Sprachen der

879) Diese Stiftungsprofessur wurde 1985 von der EKHN mit dem Ziel ins Leben gerufen, „dass die zukünfti-gen Pfarrer und Religionslehrer durch besondere Kenntnis des Judentums das Neue Testament nicht mehr antijüdisch auslegen, sondern bereit für eine vorurteilslose Begegnung zwischen Juden und Christen sind“

(Privatarchiv Prof. Dr. E. Weber).

880) Gespräch mit Prof. Dr. Weber am 24. März 2005

881) Dokumentation „Republik Türkei“, Präsidium für Religiöse Angelegenheiten, CIBEDO-Beiträge 13 (1999) 4, S. 150

882) Ebd., S. 147

883) Dokumentation „Republik Türkei“, Präsidium für Religiöse Angelegenheiten, CIBEDO-Beiträge 13 (1999) 4, S. 152

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Quellen dieser Religionen kennen. Daher müssen die betreffenden Institutionen Stipendien für Fachstudien anbie-ten.“884

Auch an einem aus theologischer Perspektive geführten Dialog in Deutschland und an der Einrichtung ent-sprechender Institutionen war Diyanet nachweislich interessiert:

„Sinnvoll erscheint angesichts der starken türkischen Prägung des Islam in Deutschland jedenfalls die Einbeziehung auch von Diyanet in den theologischen Dialog. Zu begrüßen wäre es, wenn dort die Forderung des Religionsrats nach Einrichtung eines Interreligiösen Sekretariats realisiert werden könnte.“885

Die Frankfurter Universität

Das Interesse der Universität und des Fachbereichs Evangelische Theologie bestand darin, einen interreligiö-sen Diskurs in authentischer Form zu etablieren. Neben der Einrichtung der Stiftungsprofessur war die des Studienfachs Islamische Religionswissenschaft im Rahmen des seit 1994 bestehenden Magisterstudiengangs

„Religionswissenschaft und Religionsgeschichte“ vorgesehen.

Vorbereitungen

Die Verhandlungen zwischen Universität und Diyanet begannen als ein interner Vorgang zwischen den bei-den Teilnehmern. Professor Edmund Weber schrieb einen Brief an bei-den Präsibei-denten von Diyanet M. N. Yil-maz:

„Sehr geehrter Herr Präsident,

der Fachbereich Ev. Theologie befasst sich seit Jahren mit dem interreligiösen Dialog zwischen Christentum und Is-lam. Dies ergibt sich nicht nur aus der Globalisierung der interreligiösen Beziehungen, sondern ganz besonders dar-aus, dass gerade in unserer Region viele Menschen muslimischen Glaubens leben. Wir sind daher daran interessiert, mit der islamischen Theologie unter unseren konkreten Bedingungen in einen dauerhaften und qualifizierten Diskurs zu treten und dazu den gebildeten Muslimen, insbesondere Studierenden unserer Universität, die Möglichkeit zu geben, ih-re Religion auch in islamisch-theologischer Auslegung kennen zu lernen bzw. sie auch fachbezogen zu studieih-ren.

Diese Verbindung zur islamischen Lehre und Forschung sollte am besten in Form einer Stiftungsprofessur hergestellt werden.

Der Fachbereich ist an einer solchen institutionellen Verbindung aber auch deshalb interessiert, weil das Gebiet der islamischen Religion für das neu errichtete Internationale Promotionsprogramm „Religion im Dialog“, an dem auch türkische Doktoranden und Professoren beteiligt sind, und für den überkonfessionellen Magisterstudiengang Religions-wissenschaft und Religionsgeschichte, in dem bereits zahlreiche muslimische Studierende eingeschrieben sind, von gro-ßer theologischer und curricularer Relevanz ist.

Vor allem aber wäre diese Stiftungsprofessur für das Lehramtstudium für islamische Religion von allergrößter Bedeu-tung, da durch sie – im Falle der Einrichtung dieses Schulfachs – dann entsprechende Erfahrung in Forschung und Lehre bereits vorlägen und daher mit der Ausbildung islamischer Religionslehrer unverzüglich begonnen werden könn-te.

Die Stiftungsprofessur wäre zudem eine wichtige Hilfe für die andiskutierte Einrichtung einer Studienrichtung Islami-sche Religion im Rahmen des Magisterstudienganges Religionswissenschaft und Religionsgeschichte.

Ein islamisch-theologisches Lehrangebot ist auch insofern äußerst wünschenswert, als es zur Versachlichung der all-täglichen interreligiösen Beziehungen in Schulen und Gemeinden beitragen kann. Denn die von uns ausgebildeten

884) Ebd., S. 151

885) Ebd., S. 145

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tigen christlichen Religionslehrer und Pfarrer werden in ihren jeweiligen späteren Wirkungsbereichen Mediatoren für einen Dialog zwischen Christen und Muslimen sein. Durch eine authentische und qualifizierte Repräsentanz der islami-schen Religion an unserer Universität würde zudem die internationale, interdisziplinäre und interkulturelle Zusammen-arbeit in Forschung und Lehre deutlich gefördert. Wir möchten sie daher fragen, ob die Anstalt für religiöse Angele-genheiten grundsätzlich bereit wäre, an unserem Fachbereich die Stelle eines Stiftungsprofessors für Islamische Religi-on und eine dieser Professur zugeordnete Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters einzurichten.

Wir würden sehr gerne mit Ihnen diese zukunftsweisende Angelegenheit ausführlich beraten und Sie zu diesem Zweck in unserer Universität begrüßen. Bitte lassen Sie uns Ihre diesbezüglichen Ansichten wissen.“886

Ministerium für Wissenschaft

Da der Komplex der Stiftungsprofessur für Islamische Religion zunächst informell an der Universität ver-handelt wurde, kam die Information mit dem entsprechenden Antrag für das zuständige Hessische Ministeri-um für Wissenschaft und Kunst ein wenig überraschend. Die Reaktion war verhalten, aber letzten Endes po-sitiv. Dem Vorhaben der Universität wurde grünes Licht gegeben.887

Vertrag zwischen der Frankfurter Universität und der Diyanet-Behörde

Der Vertrag wurde am 1. November 2002 vom Präsidenten der Diyanet Mehmet Nuri Yilmaz und dem Prä-sidenten der Universität Prof. Dr. Rudolf Steinbach in Frankfurt am Main unterschrieben. In dem Vertrag spiegelten sich die Interessen der Vertragspartner wider. Dort heißt es:

„Stifterin und Universität fördern das wechselseitige Verständnis der Weltreligionen – insbesondere der historischen Verbindungen zwischen Judentum, Christentum und Islam und deren Fortentwicklung in einer zusammenwachsenden Weltgesellschaft. Die Stifterin richtet hierzu die Stiftungsprofessur für Islamische Religion zum Zwecke authentischer Vermittlung islamischer Religion im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses an der Universität ein. Die Gast-professur soll insbesondere der Förderung des intertheologischen Diskurses und der intensiveren interdisziplinären Er-forschung der islamischen Religion sowie der Erweiterung des religionswissenschaftlichen Lehrangebots und der aka-demischen Bildung von Religionsfachkräften für die Arbeit in islamischen Gemeinden dienen. Die Stiftungsprofessur für Islamische Religion führt so die überkonfessionelle Tradition der liberalen Universität Frankfurt fort.“888

Der zweite Paragraph des Vertrags widmete sich den Lehr- und Forschungsaufgaben der Stiftungsprofessur:

„Die Stiftungsprofessur vertritt mit dem vollen Lehrdeputat einer Professur den Studienschwerpunkt: Islamische Reli-gionswissenschaft innerhalb des Magister-Studiengangs ReliReli-gionswissenschaft und Religionsgeschichte. Insbesondere gehören zu ihren Lehraufgaben

eine hochschulöffentliche Vorlesungsreihe zu grundlegenden Fragen der Islamwissenschaft, ein vorlesungsbegleitendes Seminar,

Mitwirkung an der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses.“

Im dritten Paragraph wurde die organisatorische Einbindung der Stiftungsprofessur geregelt:

„Die SP ist dem Fachbereich Evangelische Theologie der Universität zugeordnet. Inhaber der Stiftungsprofessur sind Angehörige des Fachbereichs.“

886) Brief an M. N. Yilmaz 2002 (Privatarchiv E. Weber) 887) Gespräch mit Prof. Dr. E. Weber im Dezember 2005

888) Vertrag zur Einrichtung der Stiftungsprofessur für islamische Religion (Privatarchiv E. Weber)

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Der vierte Paragraph regelt die Besetzung der Stiftungsprofessur:

„1. Die Besetzung erfolgt in jedem Semester. 2. Die Besetzung erfolgt für mindestens ein, maximal vier Semester in Folge durch die gleiche Person. 3. Die Besetzung erfolgt durch das Präsidium auf einstimmigen Vorschlag des Stif-tungsrates.“

Im fünften Paragraph des Vertrags geht es um den Stiftungsrat:

„Der Stiftungsrat setzt sich zusammen aus zwei von der Stifterin benannten Vertretern,

einem Präsidiumsmitglied der Universität bzw. einer vom Präsidium benannten Vertretung, zwei Professorinnen oder Professoren des Fachbereichs Evangelische Theologie,

einer Professorin oder einem Professor aus einer verwandten Disziplin; Benennung durch den Stiftungsrat.“

Der siebte Paragraph enthält die Bestimmungen bezüglich Stiftungsdauer und Kündigung:

„Die Stiftung verlängert sich automatisch, sofern keine Kündigung erfolgt. Eine Kündigung ist zu jedem Zeitpunkt mög-lich. Stifterin und Universität erfüllen alle vertraglichen Verpflichtungen, die vor einer Kündigung gegenüber Dritten eingegangen wurden.“889

Etablierung und Erweiterung der Stiftungsprofessur für Islamische Religion

Beim Aufbau der Stiftungsprofessur und der dazugehörigen Infrastruktur waren ausschließlich die zuständi-gen Gremien der Goethe-Universität und der Diyanet beteiligt.

Zum ersten Inhaber der Stiftungsprofessur für Islamische Religion wurde Mehmet Ermin Köktasch, Pro-fessor an der Fakultät für Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaft an der Dokuz-Eylül-Universität in Iz-mir, berufen. Die Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters erhielt M. Seyhun. Die Antrittsvorlesung von Professor Köktasch, bei der die Vertreter von Kommunal- und Bundespolitik anwesend waren, fand große gesellschaftliche Resonanz.

Anfang des Jahres 2005 genehmigte das hessische Wissenschaftsministerium die neue Studienrichtung

„Islamische Religionswissenschaft“ an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Das neue Studienfach wurde in den Magisterstudiengang „Religionswissenschaft und Religionsgeschichte“ eingegliedert, der zum Fachbereich Evangelische Theologie gehört. Zu den Lehrinhalten zählen islamisches Recht, Geschichte und Religionssoziologie des Islam, islamische Glaubenslehre und Koranwissenschaft.

Die Besetzung der Professur erfolgt gemäß § 72 des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG) in Überein-stimmung mit dem Stiftungsrat, die Besetzung der Gastprofessur durch das Präsidium der Universität auf einstimmigen Vorschlag des Stiftungsrates. Damit soll sichergestellt werden, dass die maßgeblichen Ent-scheidungen über die Berufung der Professoren ausschließlich durch die Organe der Universität, gegebenen-falls mit Zustimmung des Wissenschaftsministeriums getroffen werden.

Die Studierenden des neuen Fachs sind verpflichtet, auch die Studienrichtung Jüdisch-Christliche Reli-gionswissenschaft zu belegen, denn „einen Schwerpunkt soll der Diskurs islamischer Traditionen mit christ-lichen und jüdischen Traditionen in ihren europäischen und deutschen Ausprägungen bilden“.890

889) Vertrag zur Einrichtung der Stiftungsprofessur für islamische Religion (Privatarchiv E. Weber) 890) Informationsdienst Wissenschaft (http://idw-online.de/pages/de/news)

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Gesellschaftliche Reaktionen auf die Erweiterung der Stiftungsprofessur

Die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Stiftungsprofessur waren sowohl positiv als auch negativ. In den positiven Einschätzungen standen deren integrative Aspekte im Mittelpunkt. Die Frankfurter Grünen schrie-ben dazu:

„Auch wenn der neue Studiengang nicht unmittelbar auf die Ausbildung islamischer Geistlicher abzielt, so stellt er doch einen wichtigen Schritt hin zu einer Infrastruktur dar, die eine staatlich überprüfbare Ausbildung von Religions-lehrerinnen und -lehrern ermöglicht. Darüber hinaus ist es ein Zeichen der weiteren notwendigen Annerkennung und gesellschaftlichen Integration des Islam in unserer Gesellschaft.“891

Die Reaktionen auf muslimischer Seite waren überwiegend positiv. Die muslimische Dialogorganisation im Web al Qantara brachte im Großen und Ganzen eine positive Einschätzung der Stiftungsprofessur und ihrer Entwicklung in Frankfurt zum Ausdruck, gab aber zu bedenken:

„Diyanet ist eine staatliche Behörde und steht für den sunnitischen Islam, wie er in der laizistischen Türkei gelehrt wird: ein moderner, nicht-fundamentalistischer Islam zwar – aber auch ein Islam unter strenger staatlicher Kontrol-le.“892

Diese Bedenken belegen die argwöhnische Haltung, die viele außerhalb der DITIB stehende Muslime in Deutschland gegenüber dem türkischen Staatsislam einnehmen. Die negativen Reaktionen reichen bis hin zu verschwörungstheoretischen Interpretationen, die hinter dem Projekt die vermeintlich verdeckten Interessen der türkischen Regierung sehen. Der Bundesverband der Bürgerbewegungen formulierte ihren äußerst kriti-schen Blick auf die Stiftungsprofessur in einem offenen Brief an den hessikriti-schen Ministerpräsidenten Roland Koch:

„Über die massiven Versuche der türkischen Regierung, Lehrinhalte an deutschen Universitäten und Schulen zu beein-flussen, sind der BDB und seine Mitglieder äußerst beunruhigt … Wir erwarten …, dass die türkische Regierung, die vehement in die europäische Union drängt, den Studiengang für ihre politischen Zwecke instrumentalisieren wird … Es ist für den BDB unbegreiflich, dass unter Ihrer Regierung das hessische Wissenschaftsministerium den Vertrag zwi-schen der Goethe-Universität und dem Diyanet genehmigt hat. Vermutlich hat das Diyanet mit ‚Taquya’ (gemäß dem Koran erlaubte Täuschungsstrategie) etwaige Bedenken des in der Universität zuständigen evangelischen Fachbereichs ausgeräumt.“893

Es wird die Frage gestellt: „Ist Hessen nicht in der Lage, einen Studiengang Islam der Goethe-Universität zu finanzieren?“894 Auch der Fachbereich Evangelische Theologie wird angegriffen:

„Laut FAZ sind Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ‚sich sicher, dass die Universität die nötigen Vorkehrungen getroffen hat’. An der Wirksamkeit dieser ‚Vorkehrungen’ haben wir erheblichen Zweifel, denn die geradezu fahrlässi-ge Toleranz evanfahrlässi-gelischer Theolofahrlässi-gen im Dialog mit dem Islam ist bekannt.“895

In einem „Heikle Professur, umstrittene Geldgeber“ überschriebenen Artikel zeigten die Autoren der katholi-schen Tagespost bereits im Titel ihre Position gegenüber der Stiftungsprofessur für Islamische Religion. Sie warfen Diyanet indirekt vor, von „Salafisten unterwandert zu sein“896 und verstärkt von Milli Görüs

891) Pressemitteilung (www.gruene-frankfurt.de/partei/pressemitteilungen/pm_kv_050125.htm) 892) www.qantara.de/webcom/show_article.php?wc_c=469&wc_id=303&printmode...

893) www. buergerbewegungen.de/aktipe4koch.htm 894) Ebd.

895) Ebd.

896) www. die-tagespost.de/Archiv/titel_anzeige.asp?ID=12704

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flusst zu werden. Die Stiftungsprofessur wurde von den Autoren im Kontext einer „schleichenden Islami-sierung“ Deutschlands gesehen. Hier würden „die westlichen Geschäftspartner zunehmend von einer klaren Position des Rechtsstaates abweichen und dem Werterelativismus Tür und Tor öffnen“.897 Professor M.

Köktasch verteidigte den Vertrag:

„Die Reaktionen verfolge ich sehr interessiert. Aber diejenigen, die kritisieren, wissen nicht, was hier gemacht wird.

Und wenn die Kritiker mich mal anrufen oder fragen würden, könnte ich ihnen genauestens die Inhalte der Vereinba-rungen erklären. In dem Vertrag steht ganz offen, welche Verantwortung Diyanet hat. Der türkische Staat ist in keiner Weise in irgendeiner Form damit verbunden, und das wird auch in Zukunft so bleiben. Es gibt nur eine Vereinbarung – und zwar zwischen der Universität und Diyanet.“898

Zwischenfazit

Auf beiden Seiten ist ein übergeordnetes Interesse festzustellen, religiöse Bildung für Muslime in einem in-tegrativen Sinn zu ermöglichen. Es geht um Bildung als Integrationsbeitrag, als Gestaltung der Zukunft des Islam in Deutschland und um die Schaffung einer neuen interkulturellen liberalen Mentalität als Vorausset-zung für ein freundliches Zusammenleben.

Dies entsprach dem Interesse der Politik, die Beziehungen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen auszubauen und eine den gesetzlichen Kriterien entsprechende Infrastruktur von Muslimen für Muslime friedlich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Die muslimische Stifter-Seite war daran interessiert, is-lamische Fachkräfte mit Realitätsbezug und primären Erfahrungen bezüglich des Lebens in einer europäi-schen Gesellschaft für den Einsatz im In- und Ausland zu gewinnen. Für die Universität ging es um die adä-quate Vermittlung der islamischen Religionslehre für Nichtmuslime und Muslime sowie die Stärkung der Beziehungsfähigkeit untereinander.

Durch die Einführung eines Magisterstudiengangs wird die religiöse Ausbildung nicht nur für Diyanet-Imame ermöglicht, sondern für alle – muslimischen oder nichtmuslimischen – Interessenten. Die Studienin-halte werden eine neue Qualität erStudienin-halten, weil sie von türkischen und deutschen Lehrkräften konzipiert und in deutscher Sprache vermittelt werden. Der Studiengang eröffnet eine Option für die Ausbildung von Reli-gionslehrern für einen – noch nicht zugelassenen – islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen.

Bei der Einrichtung der Stiftungsprofessur und des neuen Studiengangs Islamische Religionswissenschaft ging es jedoch nicht um den islamischen Religionsunterricht. Insofern ist dieses Projekt nicht dem der IRH vergleichbar, und zwar in allen wichtigen Punkten wie Organisation, Durchführung und strukturelle Konstel-lation. Während im ersten Fall ein vertragliches Verhältnis zwischen einer Landesregierung und einem priva-ten Verein verhandelt wurde, entstand die Stiftungsprofessur durch einen Vertrag zwischen einer (deutschen) staatlichen Universität und einer (türkischen) staatlichen Behörde, d.h. sie hatte eine internationale akademi-sche Dimension. Die hessiakademi-sche Regierung war u.a. insofern beteiligt, als das Wissenschaftsministerium den von der Universität vorgesehenen Professor ernennt. Entstehung und Entwicklung der Stiftungsprofessur können aber trotz aller Unterschiede als eine Fortsetzung der integrativen Bemühungen der Muslime und Nichtmuslime auf einer anderen Ebene gesehen werden. Die Projekte sind insofern wesensverwandt, als sie das gleiche Ziel verfolgen, wenn auch auf verschiedenen Wegen, nämlich die Integration der islamischen Bildung in die staatlichen Strukturen. Die Etablierung eines neuen Studiengangs schuf die akademische Ba-sis für einen IRU und eröffnete den Politikern einen Entscheidungsspielraum, in welchem die Neuerungen an der Universität auch für den IRU nutzbar gemacht werden können. Gegenwärtig sieht die hessische Politik keinen geeigneten Vertragspartner für die Durchführung des IRU an staatlichen Schulen, signalisiert aber ihr

897) Ebd.

898) www. qantara.de/webcom/show_article.php?wc_c=469&wc_id=303&printmode