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5. Diskussion

5.3. Diskussion der immunzytochemischen Ergebnisse

5.3.2. Funktionelle Schlußfolgerungen

5.3.2.1. NPY

Das Vorkommen von NPY in allen drei Hauptbahnen unterstreicht die Bedeutung des Neuropeptides als Neuromodulator innerhalb und zwischen den visuellen Bahnen.

Blähser und Tobies (1990) beschreiben die räumliche Beziehung von

NPY-immunreaktiven Fasern mit Kernarealen vegetativer und sensibler Funktionskreise.

Beziehungen zum visuellen System fanden sich im Kontakt von NPY Fasern mit Afferenzen und Efferenzen des ROT, mit Perikaryen des GLv, innerhalb des TO, des ICo und Teilen des Nucleus nervi trochlearis. Aus einer lichtmikroskopisch

erkennbaren engen räumlichen Beziehung zwischen Projektionsfasern und Perikaryen kann nicht zwangsläufig auf eine funktionelle Beziehung geschlossen werden; hierfür bedarf es des elektronenmikroskopischen Nachweises, zum Beispiel von Synapsen. Jedoch können lichtmikroskopische Beobachtungen sehr deutliche Hinweise auf funktionelle Zusammenhänge geben. So beschreiben Blähser et al.

(1991), dass bei den blinden Neunaugenlarven bereits NPY-Immunreaktivität in visuellen Zentren besteht, die sich jedoch beim erwachsenen Tier mit geöffneten Augen dramatisch erhöht. Bei erwachsenen Haushähnen, die Jahre vor ihrem Tode ein Auge verloren, ist die NPY-Immunreaktivität in dem dem blinden Auge

contralateralen visuellen Areal stark herabgesetzt. Bei monophtalmen Kükenfeten Tage vor dem Schlupf, also vor Einsetzen der Lichtinformation, ist kein Unterschied in der NPY-Immunreaktion zwischen beiden Hirnseiten zu erkennen. Bei unter Rotlicht aufgezogenen Broiler-Küken ist, vor allem im TO, die NPY-Immunreaktivität weitaus stärker als bei gleichaltrigen, jedoch unter natürlichen Lichtbedingungen lebenden Küken.

NPY zeigt von den drei untersuchten Neuropeptidsystemen den auffallendsten Bezug zu visuellen Kerngebieten. Besonders wichtig könnte der vermutlich hemmende Einfluß des NPY über nMOT und PT auf die oberflächlichen

Tectumschichten sein, denn zum einen gelangen Informationen aus dem LM der akzessorischen Bahn über den nMOT zum oberflächlichen TO und zum anderen können alle Afferenzen zum TO z.B. aus Wulst, Praetectum, VLT, GLv und mesencephalen Kernen über den PT berücksichtigt werden, da dieser über die Kollateralen des SGC die verschalteten Projektionen aus dem tiefen Tectum erhält und dadurch selbst in den oberflächlichen, direkte Opticusfasern empfangenden Schichten mit Hilfe von NPY tectale Aktivitäten modulieren kann.

Kombinierte Läsionen von SpL und PT ergeben Schwierigkeiten beim Picken von sich bewegenden Objekten (Bugbee 1979). Diese beiden Nuclei scheinen eine Rolle bei der visuomotorischen Integration zu spielen. Bei Amphibien wird von einer

inhibitorischen praetectalen Kontrolle über die visuelle Informationsverarbeitung berichtet ( Ewert 1984). So haben praetectale Läsionen eine Aufhebung

verschiedener Hemmvorgänge, wie das Vermeiden der Aufnahme zu großer, ungeeigneter Futterstücke, zur Folge.

Außerdem könnte NPY in positiven Neuronen des rostralen nMOT, wie im IGL der Säuger, der Kollaterale aus dem retino-hypothalamischen Tractus erhält und über NPY positive Zellen zum Nucleus suprachiasmaticus projiziert, Einfluß auf die

circadiane Rhythmuskontrolle nehmen, die tages- und jahreszeitliche Schwankungen in die neuroendokrinen Regelkreise des Hypothalamus und der Hypophyse

einfließen läßt.

5.3.2.2. SP

SP kommt wie NPY weit verbreitet im Gehirn vor. Dem Neuropeptid wird ein

erregender Effekt im ZNS nachgesagt, der zwar langsam beginnt, aber lange anhält (Otsuka und Konishi 1983). Aste et al. (1995) sehen einen deutlichen Bezug von SP zu Kerngebieten, die für die männliche Reproduktion zuständig sind wie die

praeoptische Region, der Hypothalamus und das Zentrale Grau. Im Gegensatz zu NPY zeigt SP keine auffallende Assoziation zu visuellen Kerngebieten. Es scheint aber über SP produzierende Ganglienzellen der Retina direkten Einfluß als

Neurotransmitter oder Neuromodulator auf die retinotectale Informationsübertragung zu nehmen. Ehrlich et al. (1984) vermuten in ihren Untersuchungen an zwei Wochen alten Tauben, daß SP eine wichtige Aufgabe bei der Entwicklung der retinotectalen Bahnen übernimmt. Bagnoli et al. (1992) und die eigenen Untersuchungen zeigen, daß auch adulte Tiere SP positive Markierungen in den Opticusfasern

empfangenden Schichten enthalten. Eine Funktion von SP bei der retinotectalen Verschaltung erwachsener Tiere kann also ebenfalls angenommen werden.

Die unterschiedliche Verschaltung von Information aus dem lateralen und frontalen Gesichtsfeld, wie sie Remy und Güntürkün (1991) bei der Taube beschreiben, wirft die Frage auf, ob eine retinale bzw. tectale regionale Schwankung der Neuropeptide im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Verarbeitung der seitlichen und

schnabelnahen Sehinformation steht. Die Area centralis der Retina erhält ihre Information aus dem lateralen Gesichtsfeld und projiziert in das laterale Tectum, während der schnabelnahe Bereich von der superior-temporalen Retina in das rostroventrale Tectum gesendet wird. Obwohl das Tectum in beide Verschaltungen mit einbezogen ist, scheint das schnabelnahe Gesichtsfeld verstärkt im ventralen Tectum abgebildet zu werden, während Projektionen zum Thalamus aus diesem Gebiet nahezu fehlen. Aus dem lateralen Gesichtsfeld werden die Informationen zum Tectum und zum OPT des Thalamus gesendet. Ein eindeutiger Zusammenhang zu der regionalen Variation von SP läßt sich allerdings hier nicht feststellen. Das

vermehrte Vorkommen SP-erger Ganglienzellen in der dorsotemporalen Retina, wie es Ehrlich et al. (1984) beschreiben, ließe aufgrund der retinotopischen Ordnung eine verstärkte Ansammlung peptiderger Fasern bzw. Terminals im ventralen TO erwarten. Die Autoren berichten jedoch über ein gehäuftes Auftreten immunpositiver Fasern im dorsalen Tectum, was von Bagnoli et al. (1992) bestätigt wird. Diese dorsale Verstärkung könnte ihre Ursache in zusätzlichen SP markierten Fortsätzen anderer Perikaryen aus den Hirnregionen haben, die auch für die SP positiven Reaktionen in den tiefen Tectumschichten verantwortlich sind. Dafür kommen z.B.

SP positive Zellen aus dem Telencephalon, rostralwärts produzierende Perikaryen aus Rückenmark und Spinalganglien oder SP-erge Zellen des Tectum selbst in Frage. In der vorliegenden Studie der Hühnergehirne fällt ein verstärktes Vorkommen der SP positiven Fasern im dorsolateralen und im ventralen Bereich des TO auf, wobei hier auch Unterschiede in den einzelnen Raumebenen beobachtet werden können. Diese Schwankungen können tatsächlich durch die unterschiedlichen Anschnitte der anatomischen Strukturen in den verschiedenen Raumebenen

entstehen oder eine individuelle oder physiologisch bedingte Ursache haben. Obwohl in den eigenen Untersuchungen keine SP positiven Perikaryen im Tectum

nachgewiesen werden, sprechen die übereinstimmenden Ergebnisse der anderen Autoren für das Vorkommen SP produzierender Zellen im tiefen TO, die vermutlich auch an der intrinsischen Informationsweiterleitung beteiligt sind. Die von Britto et al.

(1989) beschriebene Aufgabe von SP innerhalb der Verbindung der Retina zum GLv, wird in dieser Studie durch die SP positiven grobkörnigen Markierungen, die

vermutlich Terminale darstellen, im GLv bestätigt. Als mögliche Quelle dieser

Teminale müssen aber, neben retinalen Ganglienzellen, auch Zellen des visuellen Wulstes in Betracht gezogen werden. Die regionale Variation von SP im SGC unterscheidet sich in den einzelnen Raumebenen und scheint nicht im

Zusammenhang mit der Zuordnung der tectalen Information auf die

unterschiedlichen Rotunduseinheiten zu stehen, da die Immunreaktionen das SGC gleichmäßig von außen nach innen durchziehen, während sich die einzelnen

Zelltypen verstärkt in der Peripherie oder zentral ansammeln. Eine Ansammlung der verschiedenen Zelltypen des SGC im dorsalen oder ventralen Tectum, was einen möglichen Zusammenhang zu der hier gefundenen Neuropeptidverteilung ergeben würde, wird nur bei der Taube beschrieben (Hellmann und Güntürkün 1999/2001) und scheint beim Huhn nicht zu existieren (Deng und Rogers 1998, Luksch et al.

1998).

Zweifellos spielt SP auch eine gewisse Rolle in der aviären thalamofugalen Bahn, da sich SP-erge Fasern artübergreifend im dorsalen wandnahen Thalamus anfärben lassen. Güntürkün und Karten (1991) beschreiben SP positive Fasern besonders im primären Projektionsareal LdOPT, so daß als möglicher Ursprung für die peptidergen thalamischen Fasern neben telencephalen und mesencephalen Zellen auch retinale SP-Zellen berücksichtigt werden sollten.

Das hohe Vorkommen SP-erger Fasern im ICo weist auf eine Beteiligung des Neuropeptides im Vokalisations- und Respirationssystem hin. In wieweit SP bei der Verbindung zum visuellen System mitwirkt, bleibt offen.

5.3.2.3. VIP

Innerhalb der drei visuellen Bahnen weist nur der tectofugale Weg auffallende VIP positive Strukturen auf. Die immunreaktiven granulären Konturen der ummantelten Perikaryen im TO stellen lichtmikroskopisch zu vermutende Kontaktstellen

immunpositiver Terminale dar. Künzel und Blähser (1993) beschreiben die

markanten Strukturen als mögliches immunzytochemisches Äquivalent zu den VIP Rezeptoren und stellen eine auffallende Übereinstimmung zwischen dem

Vorkommen dieser VIP-ergen Zellkonturen und den von Hof und Dietl (1991) gefundenen Bindungsstellen für VIP fest. Der bemerkenswert gleichbleibende Abstand zwischen den ummantelten Perikaryen könnte für eine Funktion innerhalb des Umschaltungsvorgangs von der rein retinotopischen Abbildung der retinalen Information auf die nach Farben, Lichtintensitäten und Bewegungen eingeteilten Rotunduseinheiten sprechen. Die zugehörigen peptidproduzierenden Zellkörper liegen dann vermutlich auch innerhalb des Tectums. Für den Ursprung der übrigen VIP-ergen Fasern und Terminals des SGFS kommen neben tectalen VIP

produzierenden Neuronen auch die zahlreichen immunpositiven Perikaryen des Tegmentum in Frage. Neben diesen nicht visuellen tegmentalen Afferenzen, scheint VIP auch die Informationsverschaltung in Teilen des Praetectum, das wiederum ebenfalls zum Tectum projiziert, zu beeinflussen. Wie schon bei der Verteilung des Neuropeptides SP, läßt sich auch bei der regionalen Variation der VIP positiven Immunreaktionen im Tectum kein Zusammenhang zu der unterschiedlichen

Verschaltung der Information aus dem lateralen und frontalen Gesichtsfeld erkennen.

Vermutlich sind andere funktionelle Aufgaben, physiologische oder individuelle Schwankungen für die auch raumebenenabhängige Schwankung der

Neuropeptidlokalisation in den Tectumgebieten verantwortlich. Eine weitere Aufgabe von VIP besteht in der Mitwirkung bei der Verbindung des visuellen Systems und des Vokalisationssystems über den ICo. VIP positive Strukturen kommen nicht nur in zahlreichen Relaisstationen vor, die für den Gesang zuständig sind (Ball et al. 1988).

Sie befinden sich auch in Kerngebieten des Pons und der Medulla oblongata, die in

einen respiratorisch-vokalen Pfad eingebunden sind (Künzel und Blähser 1993). Die Autoren vermuten einen Einfluß von VIP auf die Koordination von Vokalisations-, Respirations- und kardiovaskulärem System.

Außerhalb des visuellen Systems bestätigt das gehäufte Vorkommen VIP-erger Fasern und Zellkerne in Kerngebieten des Hypothalamus und im periventrikulären Bereich seine Aufgabe innerhalb neuroendokriner Regelkreise, wie z.B. bei der Freisetzung von Prolactin und der Stimulation der Freisetzung anderer

Hypophysenhormone. Künzel und Blähser (1993) beschreiben VIP positive Perikaryen im LSO, die vermutlich Bestandteil eines zirkumventrikulären Organs sind. Es wird vermutet, daß das LSO als encephaler Photorezeptor dient und so tages- oder jahreszeitlich bedingte Schwankungen in die Regelkreise der

Hypophysenhormone einfließen lassen kann.

Unter Berücksichtigung des Vorkommens von VIP innerhalb des visuellen Systems könnte es also eine wichtige Rolle bei der Einbindung visueller Information in die jahreszeitlich bedingten hormongesteuerten ethophysiologischen Regelkreise, wie Brautwerbung, Nestbau, Brutverhalten usw. einnehmen.

5.3.3. Vergleich der Ergebnisse beim Vogel mit Untersuchungen bei