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4.1.) Nach dem Ersten Weltkrieg wird die unterbrochene Forschung in interna- tionaler Zusammenarbeit fortgesetzt.

Nach dem Ersten Weltkrieg stand Deutschland vor gewaltigen gesellschaftlichen und politischen Veränderungen: Millionen von Menschen waren Opfer der Waffen geworden, Herrscherhäuser und Währungen waren gestürzt, und die anno 1914 so außerordentlich interessante und aufregende Naturwissenschaft war durch diese Ereignisse jäh unterbrochen worden. Angesichts der allgemein noch bestehenden politischen Ressentiments war an eine Fortsetzung der bewährten internatonalen

Zusammenarbeit auch zunächst kaum zu denken. Dennoch ging es nach einigen Jahren der Stille wieder erstaunlich schnell weiter: Insbersondere der belgische Solvay-Konzern bemühte sich, den wissenschaftlichen Austausch durch die Organisation von Tagungen wieder in Gang zu bringen. Dieses Unternehmen hatte sich vor dem ersten Weltkrieg durch die Gründung eines Instituts für Sozialwissenschaft in Brüssel einen über die Grenzen seiner Chemie-Produktion hinaus reichenden Namen gemacht. In den Zwanziger Jahren gewannen die „Solvay-Kongresse“

eine steigende internationale Bedeutung. Es scheint uns Älteren und Alten heute, als hätten die damaligen Spitzenkräfte von Chemie, Physik, Mathematik u.dgl. nur auf eine derartige Gelegenheit gewartet, um wieder zu jener Tätigkeit zurück zu kehren, die sie zu Recht als wesentlich nutzbringender ansahen als Panzerschlachten und Giftgas.

Es war dies die Zeit von Albert Einstein, Max Planck, Max Born, Pascual Jordan, Werner Heisenberg und anderer großer Physiker; gemeinsam mit ausländischen Kollegen wie Niels Bohr, Louis de Broglie, Erwin Schrödinger und Paul A.M. Dirac konnten sie in überraschend harmonischer, Grenzen und Generationen überschreitender Zusammenarbeit viele der noch immer schwelenden Probleme der Physik, besonders in den Relativitätstheorien und in der Quantenmechanik in gemeinsamer Arbeit angehen und mathematisch wie auch experimentell untermauern. In dem sehr klar geschriebenen kleinen Buch von Franco Selleri, „Die Debatte um die Quantentheorie“ (5), ist eine Gruppenaufnahme vom Solvay-Kongress 1927 zu sehen, die ich mir immer wieder mit Faszination betrachte: Dort sind alle oben genannten Wissenschaftler zusammen mit weiteren Persönlichkeiten der europäischen Physik und Chemie abgebildet, deren Namen jeder Fachmann kennt. Man beginnt zu ahnen, dass die Zusammenarbeit derartiger Köpfe nicht nur der Wissenschaft nutzte, sondern in einer von tiefen nationalen Ressentiments belasteten Zeit auch zu einem menschlichen Brückenbau und darüber hinaus zu einer Entspannung der Atmosphäre beitrug. Dies hat sich auch nach dem zweiten Weltkrieg in ähnlicher Form wiederholt.

Wegen des jungen Lebensalters vieler der aus diesen Kreisen hervor gehenden Nobelpreisträger bezeichnete man auch gerade die Quantenmechanik als die „Physik der Zwanzigjährigen“. Deutsche Universitäten waren in dieser Zeit eine Art physikalisches Mekka, und einige der US-Wissenschaftler, die in den vierziger Jahren am „Manhattan-Projekt“, d.h. an der Konstruktion der Atombombe, führend mitgearbeitet haben, hatten zumindest teilweise in Göttingen studiert. Edward Teller, der aus Ungarn stammende Kernphysiker, musste wegen des NS-Regimes seine Studienorte Leipzig und Göttingen verlassen, ging in die USA, wurde dort der

„Vater der Wasserstoffbombe“ und arbeitete nach dem Kriege an der friedlichen Nutzung der Kernfusion, wofür er 1962 den Enrico-Fermi-Preis erhielt.

Hier beginnt sich unser geschichtlicher Überblick wieder zeitlich zu überholen; so ist es notwendig, die wissenschaftliche Situation des damaligen Kriegsendes zu rekapitulieren, um die hierauf aufbauenden Forschungsschwerpunkte der Zwanziger und beginnenden Dreißiger Jahre zu analysieren.

Das Jahr 1919 brachte die Neueröffnung der friedlichen Forschung in der theoretischen Physik mit einem großen Erfolg für Einsteins Relativitätstheorie: Aus Anlass einer Sonnenfinsternis konnte erstmals experimentell nachgeprüft werden, dass das Licht in der Nähe großer Massen zu diesen hin abgelenkt wird. Wegen der Ausblendung der hellen Sonnenscheibe durch den davor stehenden Mond lassen sich für die kurze Zeit der totalen Bedeckung auch die Positionen von Sternen vermessen, die dem Sonnenrand sehr nahe stehen oder eigentlich durch den Sonnenkörper verdeckt sein müssten: Durch die Gravitationwirkung der Sonne wird der Lichtstrahl des Sternes um einen messbaren kleinen Winkel „umgebogen“, sodass der betreffende Himmelskörper sozusagen „um die Ecke“ dennoch sichtbar wird. Streng genommen müsste ein derartiger Effekt auch eintreten, wenn das Licht nach Newton‘s Theorie aus „Teilchen“ bestünde. Die 1919 gemessenen Werte entsprachen jedoch sehr gut den von Einstein gemäß seiner Theorie vorher gesagten Zahlen, sodass nun die Äquivalenz von Masse und elektromagnetischer Energie als erwiesen gelten konnte.

Bereits im 18. Jahrhundert wurde - ein Beweis für die schon damals möglichen sehr exakten astronomischen Messungen - die Periheldrehung der Merkurbahn um die Sonne festgestellt: Die große Hauptachse der Bahnellipse dreht sich in 100 Jahren um 43´´ ( Winkelsekunden ) um den Planeten als Mittelpunkt. Dieser Effekt konnte nur unter Zuhilfenahme von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie quantitativ aufgeklärt werden. Er ist inzwischen mit noch kleineren Zahlen auch für Venus und Erde ermittelt worden.

Durch diesen erfolgreiche Festigung der so „unglaublich“ empfundenen Einstein‘schen Überlegungen auf dem Felde astronomischer Beobachtungen wurde die Gültigkeit seiner Theorien über einen sehr weiten Größenbereich vom Submikroskopischen, also dem Photoeffekt und der Brown‘schen Molekularbewegung bis ins Kosmische ausgedehnt; hierbei sind die astronomischen Berechnungen besonders wichtig, da sie keine induktiven Schlussfolgerungen aus anderen Beobachtungen, sondern unmittelbare Messungen und Berechnungen von Eigen-Effekten der Relativitätstheorien selbst sind. So kann man sagen, dass diese unerwartete, außergewöhnliche Erweiterung und Korrektur der Klassischen Physik seit den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine weitgehend gesicherte Basis hatte.

Dennoch war die Schockwirkung der Einstein‘schen Befunde derart allgemein, dass es noch längere Zeit hindurch teils sachlich harte Diskussionen, teils unsachlich gemeine Anfeindungen gab, unter anderem von einer „Anti-Einstein-Liga“, bei denen das Wort „wissenschaftlicher Dadaismus“ noch zu den gepflegteren Ausdrücken zählte. Abgesehen von derartigen Pöbeleien, bei denen bezeichnenderweise auch das noch junge Hakenkreuz zur

„wissenschaftlichen“ Argumentation diente, muss man schon die Sorgen echter Skeptiker ernst nehmen, die sich durch ihre feste Bindung an die „Eindeutigkeit“ der Klassischen Physik nicht an die wissenschaftliche Äquivalenz so gegensätzlicher Dinge wie Masse und Energie, an absurd erscheinende Vorstellungen wie das Zwillingsparadoxon, an die absolute Konstanz der Lichtgeschwindigkeit oder die Lorentz‘sche

Verkürzung von Gegenständen bei hoher Geschwindigkeit gewöhnen konnten. All dies erschien als ein Rückschritt gegenüber den so eindeutig klaren Aussagen der Newton‘schen Physik. - Ungereimtheiten gab es hier und da schon immer, aber die so stolzen „Modernen“ konnten den fragenden Konservativen schließlich auch nur immer sagen: „Das ist halt so!“

Derartige Zweifel traten auch bei der Weiterentwicklung der Quantentheorie auf: Sie berührte sich mit der Relativitätstheorie bei der Äquivalenz von Energie und Masse, blieb aber sonst völlig selbständig, da sie auf ganz anderen Basis-Vorstellungen aufbaute: Hier blieb ja Einstein selber, wie ich bereits erwähnt habe, ein lebenslanger Skeptiker; er war bei seinen Überlegungen von einem Raum-Zeit-Kontinuum ausgegangen, dessen dynamische Aspekte er im Wesentlichen durch Anwendung einer speziellen Geometrie analysierte. Hierdurch konnte er über längere Zeit eine „Kopf-Theorie“ entwickeln, die auf Bücherlesen, Nachdenken und Arbeit mit Papier und Bleistift basierte. Die Quantentheorie dagegen entstand ja gerade durch den Zwang, die Vorstellung einer Natur des Kontinuums zu verlassen, weil sich nur auf diese Weise bei Experimenten über energiereiche Strahlung eines ideal schwarzen Körpers die gemessenen Werte in eine auf Diskontinuität gegründete, empirisch aufgestellte Formel einpassen ließen. In diesem prinzipiellen Unterschied liegt wohl auch ein Großteil jener bis heute noch nicht überwundenen Schwierigkeiten begründet, beide Theorie-Komplexe in irgendeiner Form mathematisch von einander abzuleiten.

Die ersten Entwicklungsarbeiten zur Quantentheorie durch Planck und Einstein betrafen Probleme der elektromagnetischen Strahlung und nachfolgend auch der Atomtheorie; sie griffen über lange Zeiten nicht in Erscheinungen des Mesokosmos oder der Astronomie über. Bis zum Ersten Weltkrieg verlief die Forschung auch in beiden Bereichen parallel und sich gegenseitig unterstützend.

4.3.) Das Atom wirft bei seiner Erforschung immer neue Fragen auf

Jetzt, zu Beginn der Zwanziger Jahre, begann für die Quantentheorie ein intensives Suchen nach rationalen Begründungen für eine ganze Reihe von nicht einsehbaren Paradoxa, die sich zum Teil schon in den Arbeiten vor dem Krieg sowohl in Experimentalergebnissen wie auch in deren mathematischen Weiterbehandlung ergeben hatten und die wegen der chaotischen Zeitläufte liegen geblieben waren. Der nunmehr geistig enorm fruchtbare Wiederbeginn der Forschung bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges soll jetzt in seinen Ergebnissen kurz zusammenfassend beschrieben werden. Ich werde mich dabei nicht streng an den exakten zeitlichen Ablauf halten, da dies ein zu starkes thematisches Umherspringen erfordern würde. Dagegen werde ich manche Entwicklungen über die Kriegszeit hinaus bis etwa in die Jahrhundertmitte verfolgen, in denen nach einer hektischen Zeit ständig neuer Forschungsergebnisse wiederum eine kurze Zeit der geistigen Aufarbeitung eingetreten war.

Hier kann wiederum eine Zäsur gemacht und bilanziert werden, welche schon bestehenden Paradoxa inzwischen gelöst werden konnten, welche weiter bestehen

blieben und welche - dies sind die wichtigsten - gerade im Zuge der Aufklärung der alten neu und noch ungelöst hinzugekommen sein werden. Die Diskussion dieser Probleme führt dann zu der bereitserwähnten Frage, in wie weit wir den Erkenntnis- und Verarbeitungsmethoden unseres Denkorgans und dessen Arbeitsergebnissen überhaupt vertrauen können. Damit werden zu den Paradoxien der unbelebten Welt solche der Lebewesen kommen, und man beginnt zu fragen: Was macht denn der „Beobachter“ bei diesen Forschungen?

Da war zunächst das Modell des Atoms. Wir bemerkten bereits, dass man schon vor dem Ersten Weltkrieg die Einheitlichkeit dieses Elementarkörperchens durch den Aufbau aus einem Kern aus elektrisch positiv geladenen Protonen und ihn umkreisenden negativ geladenen Elektronen ersetzt hatte, wobei die Ladungszahl des Kerns der Stellung des betreffenden Elementes im Periodischen System entsprach. Das Atomgewicht war aber vielfach doppelt so hoch, wie dieser Ordnungszahl entsprach; deswegen nahm man zu Anfang an, dass eine entsprechende Zahl Elektronen im Kern die überzähligen Protonen neutralisieren würde.

Bezüglich der äußeren „Valenzelektronen dagegen kamen jetzt ganz spontan Ideen auf, nach denen vielleicht einige mögliche Elektronenbahnen „erlaubt“ seien, oder dass man sich die Elektronen als eine Art schwingender Ladungswolke vorzustellen habe. Außerdem fand Lord Rutherford 1921 die Vorstellung der neutralisierenden Elektronen im Kern zu unwahrscheinlich und sagte die Existenz elektrisch neutraler Teilchen voraus, der Neutronen, die in geeigneten Zahlenverhältnissen mit den Protonen den Kern bilden würden. 1932 konnte sein Schüler Chadwick tatsächlich diese Neutronen nachweisen. Da gab es wiederum eine Überraschung: Die Rutherford‘sche Voraussage, dass die Neutronen als eine Art „Kitt“ zwischen den Protonen bildeten, stimmte zwar, und in dieser Funktion waren sie auch stabil; aber wenn man sie außerhalb des Kerns als freie Teilchen untersuchte, zerfielen sie mit einer Halbwertszeit von etwa zehn Minuten in ein Proton und ein Elektron, wobei allerdings die Berechnung der Massen nicht ganz auf ging - es fehlte noch eine Kleinigkeit.

Geradezu als „Deus ex machina“ muss man hier den schweizer Physiker Wolfgang Pauli nennen, der am 25. 4. 1900 als Österreicher in Wien als Sohn eines Chemieprofessors geboren wurde. Er promovierte 1921 bei Sommerfeld in München in Physik und wechselte nach kurzer Professur in Hamburg in seine Wahlheimat Zürich, wo er die schweizer Staatsbürgerschaft erwarb; durch seine intensiven Kontakte mit den USA wurde er 1946 auch US--Amerikaner. Sein Lebenszentrum blieb jedoch Zürich, wo er auch am 15. 12. 1958 starb.

Bereits als Einundzwanzigjähriger hatte er durch einen Artikel über die Relativitätstheorie Interesse und hohes Lob von Albert Einstein gefunden, und in seinen anschließenden Arbeiten über die Quantentheorie kam er besonders mit Bohr, Born und Heisenberg in engere Zusammenarbeit. Schon in jungen Jahren hatte er bei der Formulierung der Quantentheorie eine sehr entscheidende Rolle gespielt. In seinem nicht sehr langen Leben konnte er nicht nur als ein hervorragender Kenner seines

Faches der Physik wesentliche neue Erkenntnisse bescheren, sondern war in seinem breit angelegten philosophischen Interesse und seinem Hang, geistige Zusammenhänge zwischen den Naturwissenschaften und der Psychologie bis hin zur Metaphysik zu ziehen, auch eine faszinierende Persönlichkeit. Gerade Menschen dieser Eigenart, die über den Rand der rein apparativen und messenden Forschung hinaussehen konnten und ein gesamtwissenschaftliches Ziel verfolgten, waren aber nun in den Jahren zwischen 1920 und 1960 sehr nötig, da in dieser Zeit ja die Quantentheorie ihre wichtigsten eigenen Entwicklungssprünge machte und da es eines der schwierigsten Probleme war, die experimentell und rechnerisch gewonnenen Ergebnisse mit dem Weltbild der klassischen Physik in Einklang zu bringen.

Pauli übernahm von Bohr den Begriff der Komplementarität und erweiterte seine Bedeutung als Grundprinzip für den Aufbau der Physik; er forderte zum Ausgleich einer kleinen Menge fehlender Energie beim radioaktiven Zerfall die Existenz eines weiteren Teilchens, das ( fast ) ohne Masse dieses Manko beseitigen solle, und es wurde dann, weil es mit Materie nur sehr wenig reagiert, nach längeren Jahren auch gefunden und Neutrino genannt; dabei stellte sich heraus, dass es auch noch in einer „anti-Form“ und in zwei weiteren Modifikationen vorkommt; die wohl bedeu- tungsvollste Leistung Pauli´s war das nach ihm benannte Ausschließungsprinzip, nach dem in einem abgeschlossenen System keine zwei Unterteilchen mit vollkommen gleichen Quantenzahl-Systemen auftreten können, so z.B. in einem Atom keine zwei Elektronen mit gleichen Haupt-, Neben- usw. Quantenzahlen und gleichem Spin. Hierdurch konnte eine bislang kaum erklärbare Schwierigkeit beim Aufbau eines quantisierten Atommodells beseitigt werden. Die internationale Wissenschaft belohnte diese außergewöhnlichen Leistungen 1945 mit dem Nobelpreis.

Die hier geschilderten Fakten seines so erfolgreichen Berufsweges stellen aber nur die eine Seite des Menschen Wolfgang Pauli dar. Einerseits gibt es trotz seiner wissenschaftlichen Prominenz keine umfassende Biographie von ihm, und von seinen Zeitgenossen lebt fast niemand mehr. Er wird einmal als kritisch, sarkastisch und zynisch beschrieben, offenbar aus einer ihm innewohnenden Ungeduld heraus. Seine Konzentration auf das Geistige hielt ihn offenbar von sportlicher Betätigung fern und sorgte für einen etwas derben Ausgleich im Züricher Party- und Nachtleben. Ich kann nicht beurteilen, ob und wie aus dieser Seite seines Wesens heraus seine spätere lebenslange Freundschaft mit Carl-Gustav Jung, dem großen schweizer Psychoanalytiker, entstanden ist. Hier entwickelte sich nun die zweite, wohl ebenso wichtige Seite seiner Persönlichkeit, das Interesse an den philosophischen Problemen des menschlichen Daseins und an der dem Menschen gegebenen Möglichkeiten, die ihn umgebende Natur in ihrem Wesen zu erkennen. Der umfangreiche Briefwechsel, den die beiden Wissenschaftler auf diesem Gebiet miteinander austauschten, ist erst in letzter Zeit in mehreren Schüben veröffentlicht worden (6). Ernst Peter Fischer schreibt im Philosophen-Lexikon ( 7 ):

„P. hat schon früh die Ansicht vertreten, dass es die von R. Descartes .... ein-geleitete Verbannung des Geistes aus der Materie und der Seele aus der Natur

war, die jene seelen- und gefühllose Wissenschaft ermöglicht hat, die in Hiros- hima auf der einen und in der Umweltzerstörung auf der anderen Seite ihren welthistorischen Höhepunkt erreicht hat.

Pauli schreibt 1956 an C.G. Jung:

„In dieser schwankenden Notlage, wo alles zerstört werden kann - der Einzel- ne durch Psychose, die Kultur durch Atomkriege - wächst das Rettende auch, die Pole der Gegensatzpaare rücken wieder zusammen und der Archetypus der coniunctio ... ist konstelliert. Die zukünftige Entwicklung muss eine solche Erweiterung der Physik, vielleicht zusammen mit der Biologie, mit sich bringen, dass die Psychologie des Unbewussten in ihr aufgenommen werden kann.“

Diese Sätze zeigen Ansichten, wie sie von einem „Vollblutphysiker“ in dieser Entschiedenheit wohl nur sehr selten zu vernehmen sind. Es fehlt aber hier völlig der Platz, um die sehr umfangreiche Ernte aus diesem Teil der Pauli´schen Lebensarbeit einzubringen und zu diskutieren. Sicher stehen manche Ansichten unter dem unmittelbaren Aspekt der damaligen weltpolitischen Situation und sie sind auch keinesfalls unumstritten, manche Ansichten sind inzwischen auch überholt, aber wenn man die Weltlage Mitte des Jahres 2004 betrachtet, kann man eine gewisse Parallelität - oder Verschlimmerung? - zumindest auf der politischen Seite kaum übersehen.

Es wäre völlig falsch, Wolfgang Pauli wegen seiner phantasievollen Verbindungen von

„härtester Physik“ mit Psychoanalyse und feinsinniger Philosophie als eine Art idealistischen Schwärmer zu betrachten. Kaum ein anderer Naturwissenschaftler hat die Quantenmechanik und die sie begründeten Prinzipien so kompromisslos vertreten wie er, wenn er z.B. schreibt ( 8 ):

„Materielle oder allgemein physikalische Objekte, deren Beschaffenheit unab-hängig sein soll von der Art, in welcher sie beobachtet werden, sind meta-

physische Extrapolationen. Wir haben gesehen, dass die moderne Physik, durch Tatsachen gezwungen, diese Abstraktion als zu eng aufgeben musste.“

Anno 1954 schreibt er:

„Ich hoffe, dass niemand mehr der Meinung ist, dass Theorien durch zwin- gende

logische Schlüsse aus Protokollbüchern abgeleitet werden. ... Theorien kommen zustande durch ein vom empirischen Material inspirierte Verstehen, welches am besten im Anschluss an Platon als zur-Deckung-kommen von Bil- dern mit äußeren Objekten und ihrem äußeren Verhalten zu deuten ist.“

Wolfgang Pauli war in seiner Art sicher einer der eigenartigsten Vertreter seiner Zunft, aber durch die bisweilen provokante Novität seiner Denkanstöße auch einer der notwendigsten Interpreten der modernen Naturwissenschaft. Es ist einseh-

bar, warum man bei öffentlichen oder literarischen Erwähnungen überwiegend die rein physikalische Seite seiner Verdienste preist. Die andere ist aber ebenso wichtig.

Man beachte hier, wie im Laufe von gut zwei Jahrzehnten aus dem „kleinsten Teilchen der Materie“, dem nun schon in Kreuzworträtseln auftretenden „Atom“, ein hochkompliziertes Konstrukt geworden war, das keineswegs frei von Unklarheiten und Widersprüchen ist, die bei den Forschern teils sehr heftige Diskussionen in Gang setzten. Dabei war diese in der Zwischenkriegszeit entstandene Lage erst der Anfang: Die Welt des Mikrokosmos sollte sich um vieles komplexer erweisen, als der phantasievollste Physiker je befürchten konnte!

Zumutungen der geschilderten Art geschahen zu einer Zeit, als so mancher Chemie- oder Physikprofessor zu Beginn seiner „Großen Vorlesung“ mit Blick auf die anwesenden

„Mediziner und anderen Laien“ mit erhobener Stimme betonte, Chemie und Physik seien EXAKTE Wissenschaften. Ich bringe diese Gegenüberstellungen nicht deswegen, weil ich mich über eine derart konservative Haltung mokieren wollte: Es handelte sich schließlich um meist hochgradige Fachleute, denen die neuesten Veröffentlichungen in ihren Fachzeitschriften genauso dubios vorkommen mussten, wie manchen ihrer in der Atomphysik forschenden Kollegen, denn diese „Crème de la Crème“ war untereinander sachlich keineswegs einig! Ich weise auf diese Erkenntniskonflikte ganz bewusst deshalb hin, um auf die grundsätzliche Schwierigkeit des Umdenkens aufmerksam zu machen, das nun innerhalb weniger Jahrzehnte das naturwissenschaftliche Weltbild zu verändern begann. Gerade hierin aber - und wir werden diese Zeitspanne noch weiterhin untersuchen, denn sie ist noch sehr ergiebig - lag auch ein großer Reiz, in Kenntnis des wissenschaftlichen Risikos ganz neue und aufregende Wege zu beschreiten.

Immerhin zeigten sich auch erste praktische Erfolge bei der Anwendung der neuen Theorien: So gelang es mit Hilfe der Quantentheorie, die bislang rätselhaften scharfen Spektrallinien zu erklären und mathematisch zu erfassen, die von den chemischen Elementen oberhalb bestimmter Temperaturen ausgesandt wurden. Sie waren schon Anfang des 19.

Jahrhunderts von dem bayrischen Optiker und Physiker Joseph ( von ) Fraunhofer ( 1787 - 1826 ) im Spektrum der Sonne entdeckt worden und erwiesen sich nun quasi als optische Fingerabdrücke ihrer Atome; auf diese Weise konnte man erkennen, aus welchen Stoffen ein ferner Stern aufgebaut war, und auf der Sonne hatte man so ein neues Element, das Helium entdeckt.

Leider waren die begrifflichen Schwierigkeiten der Atomphysik mit dem grundsätzlichen Aufbau des Atoms noch keineswegs erschöpft, denn in der Folgezeit bis in die Sechziger Jahre hinein fand man, besonders in der Höhenstrahlung, immer wieder neue Elementarteilchen, die in den meisten Fällen nur eine sehr kurze Lebensdauer hatten und mit der Zeit so zahlreich wurden, dass die Fachwelt hierfür den Ausdruck „Teilchenzoo“ aufbrachte. Es blieb nicht der einzige galgenhumorige Ausspruch in der Physikerzunft: Ein sehr bekannter Amerikaner rief bei der Nachricht der Entdeckung eines weiteren Teilchens resigniert aus: “Wer hat denn das bestellt?“