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5. Altersdiskriminierung in der Praxis

5.7 Fiskalische Aspekte

Mit 9 Prozent des gesamten Beschwerdeaufkommens nahm die Finanzprob-lematik einen guten Mittelplatz in den Bereichsvorgaben zum Zeitpunkt des Beschwerdetages ein.

Mit Hinweis auf die nachstehende Tabelle ist das unproportionale Gewicht des Sammelbegriffes „Übriges“, mit einem Anteil von 80 Prozent, auffällig. Der Veranstalter dieses ersten Beschwerdetages hatte offensichtlich noch nicht die Bedeutung des unter diesem Sammelbegriff subsumierten Bereichs der Rente erkannt.

Tab. 22:

Beschwerden zum Bereich: Finanzen

(s. Anlage: 13/1) ∑der Beschwerden Gesamt Beschwerdegrund Männlich % Weiblich % %

Kann wegen des Alters keinen

Kredit mehr bekommen 9 15,8 7 8,9 11,8

Bekommt wegen des Alters

keinen Existenzgründerkredit 3 5,3 1 1,3 2,9

Kredit wird wegen des Alters

reduziert 3 5,3 4 5,1 5,1

Finanzen, Übriges 42 73,7 67 84,8 80,1

57 100,0 79 100,0 100,0

abgeleitet aus: Büro gegen Altersdiskriminierung (2002), S. 42 f.

Dieser Unterpunkt macht allein 52 Prozent der Gesamtbeschwerden zum Fi-nanzbereich und rd. ²/3 des Unterpunktes „Übriges“ aus [Anm.: Mehrfachnen-nungen waren auch hier möglich d. V.].

Insgesamt wurden 136 Beschwerden bearbeitet. 58 Prozent der Klagen gin-gen von Frauen ein. Auffallend war, dass die Beschwerden in der Altersgrup-pe zwischen dem 58. und 74. Lebensjahr signifikant zunahmen.

Die altersbedingte Kreditverweigerung wurde von rd. 12 Prozent gemeldet. In diesem Kontext berichtete ein Anrufer, dass er zur Restfinanzierung einer Wohnung bei seiner Bank einen Kredit aufnehmen wollte. Diese Neukreditie-rung erfolgte im Anschluss an eine vertragsgemäße Bedienung von zwei Kre-diten in zwei Jahren. Der Neukredit sollte 15.000,- DM betragen und monatlich mit 2.000,- DM getilgt werden. Nach Prüfung seiner Unterlagen wurde ihm mitgeteilt, dass ihm dieser wegen seiner 69 Jahre nicht gewährt werden kön-ne. Ein weiterer Antrag bei einem anderen Kreditinstitut, zu dem der An-tragsteller früher Verbindungen hatte, führte zum gleichen Ergebnis.

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Tabelle 23:

Beschwerdegrund zum Bereich: Finanzen

(Aufsplittung des Unterpunktes: Übriges) (s. Anlage 13/2)

Beschwerdegrund ∑der

Be-schwerden %

Keine Rentengerechtigkeit zwischen alten u. neuen

Bun-desländern 35 32,1

Frauen, die in der DDR ge-schieden wurden, erhalten

keinen Versorgungsausgleich 12 11,0

Zu niedrige Witwenrente 7 6,4

Rentenabzug bei erzwungenem

Renteneintritt mit 60 Jahren 5 4,6

Nichtanerkennung der

Studien-zeit bei der Rentenberechnung 4 3,7

Nichtanerkennung der Ausbil-dungszeit bei der

Rentenbe-rechnung 3 2,8

Ungleiche Renten für Männer

und Frauen 2 1,8

Keine Ermäßigung in

Bibliothe-ken für RentnerInnen 3 2,8

Kein Anspruch auf Zulassung zur kassenärztlichen

Versor-gung mit 45 Jahren 3 2,8

Keine Firmeneinkaufskarte

mehr ab 70 Jahren 1 0,9

Sonstiges 34 31,2

109 100,0

abgeleitet aus: Büro gegen Altersdiskriminierung (2002), S. 42 f.

Zu dieser Thematik gehört auch die von 5 Prozent der Anrufer/innen geäußer-te Beschwerde einer algeäußer-tersbedinggeäußer-ten Kürzung von Kreditzusagen. Hierzu kam die Mehrzahl der Klagen von über 60jährigen Männern.

In der vorstehenden Tabelle wurde, mit dem Schwerpunkt Rente, der Sam-melbegriff „Übriges“ spezifiziert

Diese Gliederung zeigt, dass die Rentengerechtigkeit zwischen den alten und neuen Bundesländern mit 32 Prozent den größten Anteil der Beschwerden ausmacht, gefolgt von der Nichtanrechnung eines Versorgungsausgleichs für Frauen, deren Ehen in der DDR geschieden wurden (= 11 Prozent). Nicht un-erheblich (= 6,4 Prozent) ist die Klage über zu geringe Witwenrenten.29

Erfreulich stellt das Büro gegen Altersdiskriminierung in seinem Informations-brief Juli 2007 fest, dass die Landesregierung von NRW nun endlich, die in den USA und Großbritannien seit Jahrzehnten üblichen „Reverse Mortgages“

in NRW „auf den Weg bringen“ will.30

Praxisberichte 137

5.7.1 Die gesetzliche Rentenversicherung - eine Diskriminierungsplattform?

Die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) erfasst kraft Gesetzes vorwiegend abhängig beschäftigte Arbeitnehmer/innen. Wegen der differenzierten, vom Gesetzgeber der GRV auferlegten Sonderaufgaben einerseits sowie der man-gelnden Unterrichtung der Bürger/innen über diese Zahlungsvorgänge ande-rerseits stehen diese solchen Finanztransaktionen skeptisch gegenüber. Die-se „UnwisDie-senheit“ ist auch dem Veranstalter des Beschwerdetages zu testie-ren, da auch er die Bedeutung der „Rentenfrage“ nicht erkannte und der Gruppe „Finanzen, Übriges“ zuordnete. Überraschend ist somit dieses Ergeb-nis nicht. Das Sammelbecken für unspezifizierte Beschwerdepunkte beinhaltet zur Rentenproblematik gut 41 Prozent aller zum Gesamtbeschwerdeaufkom-men Finanzbereich erfassten Kritiken. Eines der ReiztheGesamtbeschwerdeaufkom-men und von der Höhe durchaus nachvollziehbar (s. Anl. 14 und 15) sind die von der GRV seit 1957 im Auftrag der Bundesregierung zu übernehmenden so genannten ver-sicherungsfremden Leistungen (vfL.). Die Abgrenzung der vfL. von den versi-cherungskonformen Leistungen ist sehr umstritten. Nach herrschender Mei-nung sind ausschließlich solche Leistungen als korrekt anzusehen, denen Bei tragszahlungen o.ä. gegenüberstehen. Unter Ausschaltung dieses Grundsat-zes werden – trotz bestehender sozialer Ausgleichsverpflichtung - z. B. die beitragsfreien Ausbildungs-Anrechnungszeiten und Zeiten der Kriegsgefan-genschaft als vfL. von der Solidargemeinschaft der Rentenversicherung fi-nanziert. Dagegen wird der Ausgleich von Kriegsfolgelasten von der Politik als ein Leistungsbereich definiert, der nicht zum originären Aufgabenspektrum der GRV gehört. Der durch die Finanzierung dieser dem Gemeinwohl dienenden Anrechnungs- oder Ersatzzeiten bewirkte Mehrbedarf wird daher auch vom Bundesverfassungsgericht der Ausgleichszahlung durch den Bundeszuschuss zugerechnet. Außerdem sprechen weitere Gründe gegen eine enge definitori-sche Festlegung der Fremdleistungen. In Fachkreisen herrscht die Ansicht, dass ein beitragsfinanzierter Ausgleich innerhalb der GRV nur dann als ge-rechtfertigt anzusehen ist, wenn die Versicherten besonders schutzbedürftig bzw. im erhöhten Maße füreinander verantwortlich wären. Diese Schutzbe-dürftigkeit ist jedoch allein aufgrund der äußerst inhomogenen Versicherten-struktur, die über 80 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung und Einkom-men bis zur Beitragsbemessungsgrenze (z. B.: 8.200,- DM alte Bundesländer

Praxisberichte 138

in 1997 im Monat) ausmacht, nicht gegeben. Da die Versichertengemeinschaft sich ausschließlich über gemeinsame Abhängigkeiten und Risiken definiert (Alter, Erwerbsminderung, Tod), ist die Gruppenverantwortung auf den allge-meinen Risikoausgleich beschränkt

Die zweifelsfreie Bestimmung des Fremdleistungsbegriffs lässt sich somit nur an einer Beitrags-/Leistungsbilanz ausrichten. Danach sind alle Leistungen der GRV als versicherungsfremd zu betrachten, die nicht oder nicht im vollen Umfang durch Versichertenbeiträge gedeckt sind. Es handelt sich hierbei um gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die aus Steuermitteln zu finanzieren sind.

Beispiele von Fremdleistungen:

o Anrechnungszeiten, o Kriegsfolgelasten,

o Familienlastenausgleich,

o sozialpolitische Korrekturen (bei Rente nach Mindesteinkom-men),

o Risikoabsicherung bei Arbeitslosigkeit,

o Bestandsschutz in den neuen Bundesländern (Auffüll-, Renten- und Übergangszuschläge).31

Eine weitere Kritikmotivation ist in der vom „Normal-Bürger“ erkannten Un-gleichbehandlung in der Berechnung und Wertigkeit seiner Rente zu den Ru-hestandsbezügen für die politischen Eliten zu vermuten.

Zusätzlich wird das bürgerliche Verständnis für diese Gesamtproblematik durch die komplizierte Berechnungsmethode der Renten belastet. Neben den Begriffen, wie z. B.: aktueller Rentenwert, Durchschnittsentgelt, Rentnerquo-tienten, Äquivalenzrentner und Äquivalenzbeitragszahler beinhalten die §§ 68 SGB IV und 255e SGB VI den Nachhaltigkeitsfaktor zur Berechnung des ak-tuellen Rentenwertes. „In diesem Nachhaltigkeitsfaktor ist ein sog.

′Rentnerquotient′ (Verhältnis der Äquivalenzrentner zu Äquivalenzbeitragszah-lern) „eingebaut“, der auf eine Veränderung des Verhältnisses [...] zwischen Beitragszahlern zu Rentenempfängern reagiert. In der Wirkung sinkt der zu bestimmende Rentenwert, wenn sich künftig das Verhältnis Rentenempfänger zu Beitragszahlern zu Ungunsten der Rentenversicherung verschiebt. Der Rentnerquotient wird mit einem weiteren Faktor alpha multipliziert (′Parameter alpha′), der die Wirkung des Nachhaltigkeitsfaktors (s. Anl. 16) bestimmt.“32

Praxisberichte 139

Allgemein ist den Beschwerdeführern zugute zu halten, dass ihre Kritik in Un-kenntnis der juristischen Begleitumstände erfolgte:

o Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28.02.1990 die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie (Rentenanspruch) gem. Art. 14 Abs. 1 GG bestätigt (Substanzgarantie, BVerfGE 53,257; 28.02.1990).

o Außerdem existiert eine Bundesgarantie, die im Falle einer Illiquidität der GRV den Bund verpflichtet, die Unterdeckung auszugleichen. Diese staat-liche Garantiezusage relativiert die bisher aufgelaufenen, nicht ausgegli-chenen vfL. (s. Anl. 15).

Da sich der Beitrag an die Sozialkassen aus Arbeitnehmer- und Arbeitge-beranteilen zusammensetzt, trägt die Finanzierung der vfL. zur Verteuerung des Faktors Arbeit bei (erhöht die Lohnnebenkosten und schmälert so den Un-ternehmensgewinn). Die Beiträge des Arbeitgebers an die Sozialkassen wä-ren bei einer Steuerfinanzierung der vfL. niedriger (ca. vier bis neun Beitrags-satzpunkte).33

5.7.2 Die Zusatzabsicherung

Zur thematischen Ergänzung verweist der Verfasser auf die Möglichkeit, zur Vermeidung von Versorgungslücken, Altersarmut und staatlicher Unterstüt-zung im Ruhestand freiwillig staatlich subventionierte Zusatzversorgungen ab-zuschließen, die nicht umlagefinanziert, sondern kapitalgedeckt sind:

o die so genannte Riester-Rente (ab 2002), o die Rürup-Rente (Basisrente, ab 2005).

Beide Renten34 unterliegen strengen Kontrollen der Bundesanstalt für Finanz-dienstleistungsaufsicht und liefern – sicherlich bis zum Eintritt der ersten Leis-tungsfälle - reichlich Diskussionsstoff.35