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5.1 Hitzdrahtmessungen

5.1.6 Fehlerbetrachtung für Hitzdrahtmessungen

Hitzdrahtanemometrie ist ein indirektes Messverfahren. Aus den gemesse-nen Anemometerspannungen wird durch Anwendung einer Kalibrierung eine Geschwindigkeit und bei Mehrdrahtsonden auch eine Anströmungsrichtung be-stimmt. Dabei sind viele Fehlerquellen zu beachten, deren Einflüsse möglichst minimiert werden müssen. Bei der Erfassung der Anemometerspannungen ist die Genauigkeit des Datenerfassungsgeräts relevant. Da die Anemometer-spannung in direktem Zusammenhang mit dem Widerstand des jeweiligen Hitzdrahtes steht, sind die Kontaktwiderstände der Anschlusskabel bis zum eigentlichen Hitzdraht ebenfalls von Bedeutung. Für die Genauigkeit der instationären Geschwindigkeitsinformationen, welche im Wechselspannungs-anteil der Anemometerspannungen enthalten sind, ist auch eine Ungenauigkeit des Messverstärkers zu beachten. Die größten Fehler werden aber bei der Anwendung der Kalibrierung auf die Messung erwartet, da hier alle bis-her diskutierten Fehlerquellen der Messkette kombiniert auftreten und die Kalibriersituation auf die Messsituation übertragen wird. Alle signifikanten Unterschiede zwischen der Kalibriersituation und der Messsituation führen also zu einer Fehlinterpretation der Anemometerspannung. Eine Alterung der Drähte in der Zeitspanne zwischen Kalibrierung und Messung hat einen Einfluss auf den Drahtwiderstand und schränkt die Anwendbarkeit der Ka-librierung ebenso ein wie eine Änderung der Anschlusskontaktwiderstände.

Der Temperaturunterschied wird in der Temperaturkompensation (siehe Ab-schnitt 5.1.1) berücksichtigt. Die Temperatur während der Messung wird allerdings mithilfe der Kanalmesstechnik in der Beruhigungskammer des Windkanals bestimmt. Eine als adiabatisch angenommene

Temperaturände-5.1 Hitzdrahtmessungen rung durch den Druckabfall zwischen Beruhigungskammer und Messstrecke wird berücksichtigt, aber die ermittelte Temperatur muss nicht exakt mit der Temperatur am Ort der Hitzdrahtsonde übereinstimmen. Der dadurch erwar-tete Fehler ist normalerweise klein, mit Ausnahme der Untersuchungen mit dem Heizaktuator, siehe Abschnitt 7.3. Ein weiterer möglicher Fehlereinfluss betrifft die Bestimmung dervSo-Komponente, also der Komponente senkrecht zur Hauptachse der Sonde, in einer Grenzschicht mit starken wandnormalen Geschwindigkeitsgradienten. Ist der Rollwinkel der Sonde nicht genau so ausgerichtet, dass die beiden Drähte sich in exakt demselben Wandabstand befinden, können wandnormale Geschwindigkeitsgradienten fälschlicherweise als ein Betrag vonvSo interpretiert werden. Da der Rollwinkel der Sonde manuell ausgerichtet wird, unterliegt er einer nicht zu vernachlässigenden Ausrichtungsungenauigkeit. Dies ist besonders auch bei der Bestimmung von vsvon Bedeutung.

Die beschriebenen Unterschiede zwischen Kalibrier- und Messsituation wurden durch experimentelle Maßnahmen minimiert, was u.a. durch Vergleichmes-sungen mit einer Prandtlsonde überprüft wurde, siehe Abschnitt 5.1.2. Des Weiteren werden in Abschnitt 6.1 Reproduktionsmessungen der Strömungs-größen am Grenzschichtrand beschrieben, anhand deren Schwankungsbreiten das Maß des kombinierten Einflusses der beschriebenen Fehler abgeschätzt wird. Bei der Anwendung des kalibrierten nichtlinearen Zusammenhangs zwischen Spannung und Geschwindigkeitskomponenten sind methodische Fehler aber unvermeidbar. Die in Abschnitt 5.1.1 beschriebenen Kalibrier-und Auswerteverfahren stellen modellierte Abbildungen zwischen den ge-messenen Anemometerspannungen und der Anströmgeschwindigkeit sowie des Anströmwinkels dar. Diese modellierten Abbildungen unterliegen selbst einer gewissen Ungenauigkeit. Des Weiteren weisen sie ein nicht-triviales Ver-halten bzgl. der Fehlerfortpflanzung auf. Im Folgenden werden die dadurch erwarteten Fehler diskutiert.

Methodische Fehler - Empirische Betrachtung

Die Anwendung der Kalibrierung mithilfe der jeweils modellierten Abbildung der gemessenen Anemometerspannungen E1 und E2 auf die Anströmge-schwindigkeitU und den AnströmungsschiebewinkelφSokann nicht fehlerfrei erfolgen. Wie in Abschnitt 5.1.3 beschrieben wurde, wird die Hitzdraht-sonde bei der Kalibrierung bekannten Anströmgeschwindigkeiten UC und AnströmungsschiebewinkelnφSo,C ausgesetzt und jeweils das Spannungspaar (E1,E2) gemessen. Wendet man die dadurch modellierte Abbildung des

Span-5.1 Hitzdrahtmessungen

Abbildung 5.1.8:(a) Relative HäufigkeitZi/Zder Abweichung∆U und (b) der Abweichung∆φSodes jeweils ausgewerteten Werts vom bekannten Wert als Maß für den Geschwindigkeitsfehler und den Winkelfehler

nungspaares nach den beiden in Abschnitt 5.1.1 beschriebenen Verfahren an, müssten idealerweise dieselben WerteUC undφSo,C als Ergebnis erreicht wer-den. Dies ist aber durch die Ungenauigkeit der jeweils modellierten Abbildung nicht immer der Fall.

Um die Genauigkeit des jeweiligen Kalibrier- und Auswertungsverfahrens zu beurteilen, wurden die während einer Kalibrierung aufgenommenen Span-nungen E1 und E2 als Messwerte interpretiert und mit beiden Methoden ausgewertet. Die Kalibrierung erfolgte jeweils an61Werten fürφSo,C und10 Werten fürUC, also an61·10 = 610Messpunkten, von denen für die getrennte Methode nur ein kleiner Teil zur Kalibrierung benötigt wird (10Messpunkte zur Kalibrierung der Geschwindigkeitsabhängigkeit bei festem Anströmwinkel und61Messpunkte zur Kalibrierung der Winkelabhängigkeit bei fester An-strömgeschwindigkeit). Die ausgewerteten AnströmgeschwindigkeitenU und AnströmwinkelφSo können dann mit den aus der Kalibrierung bekannten WertenUC undφSo,C verglichen werden. Dies wurde für146Kalibrierungen mit je 610 Messpunkten durchgeführt (GesamtanzahlZ= 146·610 = 89060).

Die relative Häufigkeit der Abweichung des ausgewerteten Geschwindigkeits-wertes vom bekannten Wert ∆U =U −UC ist als Histogramm für beide Kalibrier- und Auswertemethoden in Abbildung 5.1.8(a) dargestellt. In Ab-bildung 5.1.8(b) ist die jeweilige relative Häufigkeit der Winkelabweichung

∆φSoSo−φSo,C als Histogramm dargestellt. Die Standardabweichungen

5.1 Hitzdrahtmessungen dieser Verteilungen sind in Tabelle 5.1.2 zusammengefasst.

s(∆U)[m/s] s(∆φSo)[°]

getrennte Kalibrierung und Auswertung 0.20 0.86

Interpolationsmethode 0.11 0.46

Tabelle 5.1.2: Standardabweichungen der in Abbildung 5.1.8(a) und 5.1.8(b) dargestellten Verteilungen als Geschwindigkeitsfehler und Winkelfehler für die beschriebenen Kalibrationsmethoden

Die Verteilungen der Abweichungen sind erwartungsgemäß um Null verteilt, wobei die Intervalle mit den geringsten Abweichungen die höchste relative Häufigkeit aufweisen. Die Abweichungen∆U für die Interpolationsmetho-de und die getrennte MethoInterpolationsmetho-de weisen prinzipell ähnliche Verteilungen auf, während besonders bei der getrennten Methode häufiger zu niedrige Ge-schwindigkeiten ausgewertet werden als zu hohe. Diese Asymmetrie ist bei der Interpolationsmethode deutlich geringer ausgeprägt, was sich auch in der geringeren Standardabweichung der Geschwindigkeitsabweichungen gegen-über der getrennten Methode äußert. Bei der getrennten Kalibrationsmethode treten des Weiteren deutlich häufiger größere Fehler bei der Auswertung des Anströmwinkels φSo zu beiden Seiten des wahren Wertes auf. Die Standard-abweichung der Winkelfehler im Fall der Interpolationsmethode entspricht nahezu der Hälfte des bei der Kalibrierung verwendeten Winkelschrittes.

Wegen des deutlich geringeren Fehlers bei der Auswertung des Anströmwinkels wurde im Rahmen dieser Arbeit die Interpolationsmethode zur Auswertung der Hitzdrahtmessungen angewandt. Bei der Auswertung wirdU mitφSo in unterschiedliche Koordinatensysteme projiziert. Der angegebene Messfehler pflanzt sich dadurch unterschiedlich in die jeweiligen Koordinatensysteme fort und wird bei der Diskussion berücksichtigt werden.

Fehlerfortpflanzung - Statistische Betrachtung

In Abschnitt 5.1.1 wurde das Kingsche Gesetz (Gleichung 5.1.20) eingeführt.

Dieser Zusammenhang stellt eine Modellgleichung für die Auswertung von Geschwindigkeiten aus Anemometerspannungen dar. In der in Abschnitt 5.1.1 beschriebenen Interpolationsmethode wird er verwendet, um auf einem nur grob abgetasteten Gitter aus kalibrierten Geschwindigkeiten physikalisch motiviert zu interpolieren. Bei der ebenfalls in Abschnitt 5.1.1 beschriebenen

5.1 Hitzdrahtmessungen

getrennten Auswertemethode stellt Gleichung 5.1.5 eine verallgemeinerte Form des Kingschen Gesetzes dar.

Zur Untersuchung der Fehlerfortpflanzung einer Ungenauigkeit in der Span-nungE und den angepassten Parametern des Kingschen GesetzesA,B und nbietet sich eine statistische Untersuchung an. Dazu wurde das Kingsche Gesetz exemplarisch mithilfe eines Anpassungsalgorithmus zur Minimierung der Summe der Fehlerquadrate an einen kalibrierten SpannungsverlaufE(U) angepasst. Dabei ergeben sich ParameterA, B und nund ihre Kovarianz-matrix. Die Kovarianzmatrix enthält exemplarisch die Ungenauigkeit der angepassten Parameter der Modellgleichung, während für die Ungenauigkeit der SpannungEangenommen wird, dass sie der Hälfte der in Abschnitt 5.1.5 angegebenen Auflösung der Datenerfassung entspricht.

Aus dem kalibrierten Wertebereich werden 100 gleichverteilte Mittelwerte der SpannungE ausgewählt. Unter der Annahme, dass Schwankungen der Ane-mometerspannung normalverteilt sind, werden für jeden dieser Mittelwerte 106zufällige Werte aus einer Normalverteilung um diesen Mittelwert gezogen, deren Standardabweichung der angenommenen Ungenauigkeit der Spannung

∆E= 3.2·102 −4 Ventspricht. Des Weiteren werden für die ParameterA,Bund njeweils106 um ihren jeweiligen Mittelwert normalverteilte Werte zufällig gezogen, wobei die Ziehung aus einer multivariaten Normalverteilung gemäß der Kovarianzmatrix der exemplarisch kalibrierten Parameter des Kingschen Gesetzes durchgeführt wurde. Dabei wurden Methoden aus der Software-Bi-bliothekNumPy [41] verwendet. Durch Auswertung des Kingschen Gesetzes dieser106 zufällig gezogenen Kombinationen der Eingangsparameter gemäß:

U =

E2−A B

n1

(5.1.33) ergibt sich für jeden Mittelwert vonE eine statistische Verteilung der 106 ausgewerteten Werte von U, welche die Nichtlinearität der Modellgleichung berücksichtigt. Diese Art der statistischen Betrachtung einer Fehlerfortpflan-zung ist als Monte-Carlo Methode bekannt [19, 48].

In Abbildung 5.1.9(a) sind zwei solcher Verteilungen der ausgewerteten Werte vonU am oberen und am unteren Rand des untersuchten Wertebereichs von E¯ als Histogramm dargestellt. Dabei erkennt man, dass bei niedrigen Werten von E¯ bzw. U¯ die Verteilung von U um den Mittelwert im Wesentlichen symmetrisch ist. Bei hohen Mittelwerten weist sie allerdings eine leichte Asymmetrie hin zu höheren Werten auf, während die Schwankungsbreite

5.1 Hitzdrahtmessungen

Abbildung 5.1.9: (a) Resultierende Verteilung der ausgewerteten Werte vonU für zwei exemplarische Mittelwerte vonE, (b) Schwankungsbreiten der statistischen Verteilung von U abhängig vom jeweiligen Mittelwert U¯ bzw. vom Medianwert M(U)im Vergleich zu den empirisch bestimmten Ungenauigkeiten aus Abschnitt 5.1.6

relativ zum Mittelwert vergleichsweise geringer ist. Als Maß für diese Schwan-kungsbreite ist die Standardabweichung der 100 ausgewerteten Verteilungen fürU in Abbildung 5.1.9(b) in Abhängigkeit vom jeweiligen MittelwertU¯ der Verteilung und im Vergleich mit den im vorigen Abschnitt empirisch ermittelten Standardabweichungen aus Tabelle 5.1.2 dargestellt. Dort wurde aufgrund der vergleichsweise geringen Anzahl an Stichproben der Geschwin-digkeitsfehler nicht abhängig vom Mittelwert der Geschwindigkeit untersucht.

Da die Verteilungen im Allgemeinen asymmetrisch sind, sind im Histogramm in einem Intervall mit der Breite der doppelten Standardabweichung mehr Stichproben enthalten als bei einer symmetrischen Verteilung. Daher ist zum Vergleich als alternative Schwankungsbreite der jeweiligen Verteilung auch der halbe Quantilsabstand, in dem 68.3% der Stichproben enthalten sind, abhängig vom MedianwertM(U)der Verteilung dargestellt. Die ermittelten Schwankungsbreiten dieser statistischen Untersuchung liegen also im selben Wertebereich wie die für die beiden untersuchten Kalibrier- und Auswerteme-thoden empirisch bestimmten Geschwindigkeitsfehler. Also ergibt sich eine konsistente Abschätzung für die zu erwartenden methodischen Fehler der Hitzdrahtanemometrie.