2. Literaturübersicht
5.11 Fallbesprechungen
5.11.1 Anwendung von Thiafentanil+Xylazin
+Tiletamin/Zolazepam für Feldnarkosen beim Damwild
Der Großteil der für die Studie verwendeten Tiere wurde, sobald sie stabil waren, in die Klinik des Tierparks gebracht. Dort wurden sie in Transportkisten antagonisiert und für mehrere Stunden beobachtet, bevor sie wieder in ihr Freigehege entlassen wurden. Dieses Vorgehen erlaubt mehr Handlungsspielraum bei möglichen Komplikationen in der Erholungsphase und schützt die Tiere vor möglichen Gefahren durch schwieriges Terrain, Artgenossen oder anderen Tieren.
Es war jedoch Ziel dieser Studie ein Narkoseprotokoll zu entwickeln, das eine Antagonisierung im Feld erlaubt. Von den Beobachtungen in der Klinik kann man schließen, dass die Tiere schnell genug ihr volles Bewusstsein erreichen
Thiafentanil+ 60 mg Telazol+ 60 mg Xylazin (TXTe) verlief die Induktion schnell und problemlos. Erste Anzeichen der Sedierung wurden nach 3 Minuten festgestellt, Brustlage wurde nach 5 und Seitenlage nach 7 Minuten erreicht. In den ersten 10 Minuten der Überwachung atmete sie unregelmäßig ca. 4 Mal pro Minute. Die Herzfrequenz war 30 - 40 /min, die Sauerstoffsättigung nach Pulsoximeter nur 74 %. Die Verabreichung von 60 mg Doxapram i.v. und 0,16 mg Atropin i.v. erzielte nicht die gewünschte Wirkung. Auch die Stimulation eines Akupunturpunktes zwischen den Nasenöffnungen (LG 26) war erfolglos.
Im Gegenteil, das Tier hörte für eine und dann für 3 Minuten vollständig auf zu atmen. Der Herzschlag wurde unregelmäßig und die Schleimhäute verfärbten sich violett. Daraufhin wurde entschieden den Eingriff zu beenden und die Antagonisten zu verabreichen. In der Zwischenzeit wurde eine Ohrmarke appliziert. 60 mg Naltrexon ¼ i.v. und ¾ i.m. und 6 mg Atipamezol ½ i.v. und
½ i.m. wurden verabreicht. Eine Minute später erhob sich das Tier in Brustlage und innerhalb der nächsten Minute stand es auf und lief davon. Die Gesamtzeit von Teleinjektion zu vollständiger Erholung betrug 26 Minuten. Das Tier wurde die nächsten Stunden und Tage vermehrt beobachtet, verhielt sich aber unauffällig und war mit der Herde zusammen. Die Ursache für die Komplikationen bei diesem Individuum konnte nicht herausgefunden werden.
Rotes und weißes Blutbild sind ohne besonderen Befund. Das biochemische Blutbild zeigt eine Hyperglykämie (Glukose 17,37 mmol/l), geringgradig erniedrigtes Gesamtprotein (51 g/l) und erniedrigtes Globulin (13 g/l) bei normalem Albumin (38 g/l). Die Proteinwerte erscheinen nicht signifikant.
Hyperglykämie wird häufig in Zusammenhang mit α2-adrenerge Agonisten beobachtet und beruht auf eine Erniedrigung im Insulinspiegels (Plumb 1999).
Da das Alter der Individuen unbekannt ist, einige aber um die 20 Jahre alt sein müssen, ist es denkbar, dass es sich bei diesem Tier um ein älteres handelt, das eventuell unter einem chronischen Herz-Kreislauf Problem leidet. Das selbe Tier wurde zu einem späteren Zeitpunkt mit denselben Anästhetika immobilisiert und zeigte keine Auffälligkeiten.
Bei dem zweiten Fall handelt es sich um ein Tier mit einer Verletzung, die chirurgisch gereinigt, lokal und systemisch behandelt werden sollte. Dieses Tier hatte schon an den Messungen für die Studie teilgenommen, war geimpft und markiert und sollte deshalb nur so kurz wie möglich in Narkose gehalten
werden. Auch hier wurde die Narkose mit dem Cocktail TXTe (1,2 mg THIA +60 mg TEL + 60 mg XYL) eingeleitet. Die Induktion verlief ohne Probleme und das Tier war nach 3 Minuten in Seitenlage. Keine weiteren Anästhetika oder Notfallmedikamente waren für den 37 Minuten dauernden Eingriff notwendig.
Die Anästhesie und Analgesie waren ausreichend, die Herzrate durchschnittlich 44 Schläge pro Minute und die Atemfrequenz durchschnittlich 12 Atemzüge pro Minute. Die Schleimhäute waren während der ganzen Zeit rosa und feucht und die kapilläre Rückfüllzeit lag unter 2 Sekunden. Die Verletzung wurde gereinigt und desinfiziert, nekrotisches Gewebe entfernt und ein Wundschutzspray aufgetragen. Außerdem wurde Fliegenspray um die Wunde herum und den ganzen Körper aufgetragen. Während der Behandlung erhielt das Tier 500 ml Ringer-Laktat-Lösung i.v. sowie Injektionen mit einem Antibiotikum, einem Entzündungshemmer, B-Vitaminen sowie Vitamin E/ Selen. Die Antagonisten (60 mg Naltrexon ¼ i.v. und ¾ i.m., 6 mg Atipamezol ½ i.v. und ½ i.m.) wurden verabreicht. Drei Minuten später stand das Tier auf und lief davon. Es schloss sich umgehen dem Rudel an und verhielt sich weiter unauffällig. Die Verletzung verheilte problemlos.
5.11.2 Anwendung von Thiafentanil +Xylazin +Ketamin zum Einfangen eines entlaufenden Damtiers.
Die Daten die für die Studie verwendet wurden stammen von klinisch gesunden, nicht übermäßig erregten Tieren. In der Praxis kommt es jedoch häufig vor, dass Tiere narkotisiert werden müssen, die sich in einem Zustand befinden, der sie zu kritischen Narkosepatienten macht. Besonders bei Zoo- und Wildtieren, bei denen präanästhetische Diagnostik sich häufig auf eine Adspektion aus der Ferne beschränkt und andererseits die Anästhesie oft die einzige Möglichkeit ist, bei einem erkrankten Tier eine Diagnose zu stellen, ist dies von besonderer Bedeutung. Bei einem entlaufenen Tier, das erhitzt, erschöpft und sehr aufgeregt war, hat die Kombination 1,2 mg THIA +120 mg
Ein Damtier war dem Park entlaufen und am nächsten Tag in einer anderen Sektion aufgetaucht. Sie hatte mehrere Zäune durchquert und sich an solchen und Hecken verletzt. Über 1 Stunde lang wurde versucht, ihr Zugang zu ihrer Sektion zu gewähren oder sie zu immobilisieren. Erst nachdem das Tier durch einen Teich schwamm, konnten die Anästhetika verabreicht werden. Diese Schilderung soll verdeutlichen, wie gestresst das Tier vor der Injektion war. Sie atmete mit geöffneter Maulspalte und zeigt Anzeichen von Erschöpfung.
Nach der Injektion setzte die Wirkung der Anästhetika schnell ein. Innerhalb der ersten Minute sah man Anzeichen der Sedierung, nach drei Minuten befand sie sich in Brustlage, und nach vier Minuten in Seitenlage.
Es handelte sich um ein Tier, das wir zwei Monate zuvor bereits untersucht, markiert und geimpft hatten. Sie hatte mehrere Abschürfungen am Kopf und an den Beinen und eine Körperinnentemperatur von 41,3 °C. Ihr Herz schlug mit guter Intensität und Regelmäßigkeit mit einer Frequenz von etwa 80 Schlägen pro Minute. Initiale Atemdepression (2 Atemzüge pro Minute) wurde umgehend mit 60 mg Doxapram behandelt und verbesserte sich zunehmend auf 10 bis 20 Atemzüge pro Minute. Sauerstoff wurde intranasal gegeben mit einer Fließgeschwindigkeit von 6 Liter/min. Es wurde Blut von der V. jugularis genommen. Ein venöser Zugang wurde gelegt und darüber 240 mg Dexamethason46 sowie insgesamt 1000 ml Ringer-Laktat-Lösung verabreicht.
Das Tier wurde zur Klinik gebracht. Mit Hilfe der Floureszin-Probe konnten mehrere oberflächliche, schmale und längliche Hornhautulcera festgestellt werden. Diese wurden mit Terramycin Augensalbe47 behandelt. Es wurde Eis auf den Körper und die Innenschenkel gelegt und damit die Körperinnentemperatur auf 40,7 °C gesenkt. Die übliche Präventivmedizin, bestehend aus einem Schmerzmittel, Vitaminen, Vitamin E/Selen, einem Langzeit-Breitspektrum-Antibiotikum und einem Antiparasitikum wurde durch ein weiteres Antibiotikum48 erweitert.
46 Dexamethasone 4mg/ml, Vedco, Inc. St.Joseph, MO,64507 USA
47 oxytetracycline hydrochloride, polymyxin B sulfate, Pfizer Animal Health, NY, NY 10017, USA
48 Baytril 100, Enrofloxacin, Bayer HealthCare LLC, Animal Health Division, Shawnee Mission, Kansas 66201 U.S.A
38 Minuten nach der Induktion wurden dem Tier in der Transportkiste die Antagonisten 60 mg Naltrexon ¼ i.v. und ¾ i.m und 6 mg Atipamezol ½ i.v. und
½ i.m. verabreicht. Die Hirschkuh stand innerhalb einer Minute auf.
Die Ergebnisse der Blutuntersuchung zeigten einen Hämatokrit von 0,51 l/l, 174 g/l Hämoglobin, 2,83 mmol/l Glukose sowie 8952 IU/l CK (Creatinkinase).
Diese Werte deuten auf Dehydration, Hypoglykämie und akute Muskelschäden durch Trauma oder Belastungsmyopathie hin.
Da die Kapazitäten der Kranken- und Quarantänestation ausgeschöpft waren, wurde sie ca. sechs Stunden später zum Rudel entlassen, dem sie sich sofort anschloss. An den kommenden Tagen bewegte sie sich noch etwas steif.
Dieser Zustand verbesserte sich jedoch zunehmend, so dass sie nach einer Woche symptomlos war.