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7 Resümee, Politikempfehlungen und weiterer Forschungsbedarf

7.3 Etablierung eines Round Table „Ressourcenschonung im Gesundheitswesen“

Ein Round Table ist ein Format zum Führen von Gesprächen unter gleichberechtigten Partnern. Meist finden mehrere Gesprächsrunden über eine längere Zeitspanne statt, um eine Fragestellung Schritt für Schritt zu bearbeiten. Die Beteiligten ergeben sich aus der Fragestellung des Round Table und sollten die zur Bearbeitung der Fragestellung relevanten Handlungs- und Entscheidungskompetenzen abde-cken.

In diesem Vorhaben zeigte sich bereits beim Screening des deutschen Gesundheitssektors (Kap. 3), dass ein großes Potenzial zur Steigerung der Ressourceneffizienz darin besteht, der Ressourcenscho-nung im Gesundheitssektor eine höhere Priorität einzuräumen und sie strategisch anzugehen, indem sie auf die politische Agenda gesetzt wird. Ein Round Table ist dafür ein wirksames Mittel, denn er bringt die Beteiligten dazu, Position zu dem Thema zu beziehen, sich in ihrer eigenen Strategiebildung damit zu befassen, an einer Konsensfindung bezüglich notwendiger Schritte mitzuwirken und die ge-meinsam definierten Schritte und Ziele mit ihren Handlungsmöglichkeiten zu unterstützen. Auch von Seiten der Teilnehmenden an den zwei Stakeholder-Workshops in diesem Vorhaben wurden Anregun-gen eingebracht, die die Idee eines Round Table stützen. Gefordert wurde zum Beispiel auf dem ersten Workshop im Oktober 2018 eine proaktive Zusammenarbeit aller Stakeholderinnen und Stakeholder.

Auf dem zweiten Workshop im Januar 2020 haben die Teilnehmenden die Empfehlung formuliert, eine

„Dachstrategie zum Ressourcenthema im Gesundheitssektor“ zu entwickeln, unter der Fachgruppen zu Spezialthemen etabliert werden. Für beides kann ein Round Table einen geeigneten Rahmen bieten.

Die folgenden Abschnitte führen aus, wie ein Round Table „Ressourcenschonung im Gesundheitswe-sen“ umgesetzt werden könnte.

7.3.1 Ressortübergreifende Einbettung in die Politikfelder Ressourcenschonung und Ge-sundheit

Der Vorschlag eines Round Table ist Teil von ProgRess III und kommt damit zunächst aus dem Politik-feld der Ressourcenschonung. Um die Synergien zwischen den PolitikPolitik-feldern Ressourcenschonung und Gesundheit auszuschöpfen, ist eine Beteiligung beider Politikfelder auf Augenhöhe wünschenswert. Es scheint deshalb ratsam, den Round Table als ressortübergreifende Aktivität aufzusetzen und gemein-sam mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) durchzuführen. Dies ist eine wichtige Voraus-setzung dafür, dass alle Beteiligten darauf vertrauen können, dass Zielkonflikte adäquat adressiert werden und beispielsweise die Qualität der Gesundheitsversorgung durch Maßnahmen zur Ressour-censchonung nicht beeinträchtigt wird.

Für die kooperative Erschließung der Potenziale zur Ressourcenschonung muss die Zusammenarbeit zwischen den Politikfeldern weiterentwickelt und auf eine neue - zugleich breitere und tiefgreifendere - Ebene gehoben werden. Die Voraussetzungen dafür sind günstig, denn das Selbstverständnis des Ge-sundheitswesens befindet sich im Wandel. Man begreift sich zunehmend als Wirtschaftsbereich, der

175 selbst Umweltwirkungen verursacht. Dies ist zum Beispiel bei der Diskussion um Spurenstoffe sicht-bar (Niederste-Hollenberg et al. 2016; BMUB et al. 2017). Immer stärker sehen Akteurinnen und Ak-teure aus dem Gesundheitswesen eine Eigenverantwortung, selbst zu einer gesunden Umwelt beizu-tragen, weil eine gute Gesundheit ohne eine gesunde Umwelt nicht erreicht werden kann. Diese gegen-seitigen Abhängigkeiten werden in den Debatten um „Planetary Health“ zunehmend deutlich (s. Kap. 1

„Einleitung“). Die Ostrava-Erklärung der WHO (WHO 2017) zeigt erste Ansatzpunkte, aus dieser Ei-genverantwortung ein verändertes Handeln abzuleiten. Anknüpfend daran sucht auch das Bundesmi-nisterium für Gesundheit (BMG) nach Möglichkeiten, wie das Gesundheitswesen zu umweltbezogener Nachhaltigkeit beitragen kann.

Die Intensivierung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit zwischen BMU und BMG empfiehlt sich auch, weil Ressourcenschonung eng mit Klimaschutz zusammenhängt. Dadurch, dass der Gesund-heitssektor von den Auswirkungen des Klimawandels (u. a. Hitzenotfallpläne, neue Infektionskrank-heiten etc.) direkt betroffen ist, gibt es Strömungen aus dem Gesundheitssektor heraus, für mehr Kli-maschutz einzutreten (Watts et al. 2018; Watts et al. 2019). Der CO2-Fußabdruck des Gesundheitssek-tors wird außerdem zunehmend beforscht (Pichler et al. 2019). In jüngerer Zeit hat das nun auch dazu geführt, dass der Gesundheitssektor kritisch seine eigene Mitverantwortung für den Klimawandel dis-kutiert und der Ruf nach Lösungen lauter wird, wie der Gesundheitssektor seine eigenen Klimawir-kungen reduzieren kann (Lancet Countdown et al. 2019). Das bietet - auch nach übereinstimmender Meinung der Teilnehmenden am zweiten Stakeholder-Workshop in diesem Projekt - die Chance, die Dynamik, Legitimation und Brisanz aus der Klimadebatte für das gleichzeitige Forcieren der Ressour-censchonung zu nutzen und die Synergie zwischen beiden Politikzielen auszuschöpfen. Der Round Table sollte also die Synergien zwischen Ressourcenschonung und Klimaschutz explizit aufgreifen und die möglichen Beiträge des Gesundheitswesens zu beiden Politikzielen adressieren. Die Teilnehmen-den des zweiten Stakeholder-Workshops wiesen zusätzlich darauf hin, dass auch die Debatten und po-litischen Prozesse zur Erreichung der Sustainable Development Goals eine Möglichkeit darstellen, von bereits laufenden institutionalisierten Dynamiken zu profitieren.

Die Corona-Pandemie hat darüber hinaus sowohl Stärken aber auch Schwächen des Gesundheitssys-tems aufgezeigt und neben der Notwendigkeit der akuten Krisenbewältigung auch Forderungen nach längerfristigen Änderungen für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung aufkommen lassen. Zu letzteren gehören auch die ressourcen- und klimafreundliche Gesundheitsversorgung. Investitionen für ein krisenfesteres Gesundheitssystem könnten also auch unter Ressourcen- und Klimaschutzge-sichtspunkten getroffen werden.

7.3.2 Beteiligte und Aufgaben

Gemäß der Formulierung in ProgRess III dient der Round Table der gemeinsamen Beratung über Res-sourceneffizienzmaßnahmen. Nach den Erkenntnissen dieses Vorhabens sollten diese Beratungen ei-nen Strategieprozess darstellen, der aufzeigt, wie die Ressourcenschonung im Gesundheitssektor for-ciert werden kann. Dies muss unter Einbindung der relevanten Stakeholderinnen und Stakeholder er-folgen. Damit die Abdeckung der Breite des Themenfelds einerseits und die Arbeitsfähig des Round Table andererseits gewährleistet ist, empfiehlt sich ein hierarchischer Aufbau in drei Ebenen. Eine Kerngruppe aus BMU und BMG sollte als Initiator und „Eigner“ des Gesamtprozesses fungieren. Sie setzt die Prozesse in Gang und sichert ihre Kontinuität. Außerdem gewährleistet sie die Einbindung in

176 die politische Willensbildung, u. a. über regelmäßige Berichte in der Nationale Plattform Ressourcenef-fizienz (NaRess), die der Koordination mit Ressorts, Ländern und nichtstaatlichen Stakeholdergruppen in der Umsetzung von ProgRess dient97.

Der eigentliche Round Table bringt die verschiedenen Stakeholdergruppen des Gesundheitssystems auf Verbandsebene mit politischen Akteurinnen und Akteuren beider Politikfelder zusammen. Auf Sei-ten des Gesundheitssystems sind dies vor allem die verschiedenen Gruppen der Leistungserbringer (Krankenhäuser und Universitätskliniken, Vorsorge-/Reha-Einrichtungen, Pflegeeinrichtungen, ambu-lante Versorgung), die Kostenträger (private und gesetzliche Krankenkassen, Pflege- und Rentenversi-cherungen) und die Pharma- und Medizintechnikindustrie (s. Kap. 3 „Screening des deutschen Ge-sundheitssektors“). Diese sollten ergänzt werden um Institutionen, die als Promotoren von Ressour-censchonung im Gesundheitswesen aktiv sind. In Frage kommen hier insbesondere Nichtregierungs-organisationen wie die Viamedica-Stiftung für eine gesunde Medizin98 und die Deutsche Allianz Klima-wandel und Gesundheit KLUG e. V.99. Beide waren auch schon als Stakeholderinnen und Stakeholder in das Forschungsvorhaben eingebunden, das diesem Bericht zugrunde liegt. Auf Seiten der politischen Akteurinnen und Akteure wäre neben der Beteiligung der Kerngruppe zusätzlich darauf zu achten, dass die Perspektive der Bundesländer vertreten ist, weil sie zum Beispiel in der Finanzierung der Krankenhäuser eine zentrale Rolle spielen. Ihre Einbindung könnte über Vertreter der Umweltminis-terkonferenz und der GesundheitsminisUmweltminis-terkonferenz erfolgen. Die bereits bestehende länderoffene Arbeitsgruppe Ressourceneffizienz (LAGRE) der Umweltministerkonferenz wäre ein weiterer mögli-cher Kandidat, ebenso wie - mit mehr Nähe zu Umsetzung - Landesagenturen auf dem Gebiet der Res-sourceneffizienzsteigerung (z. B. die Umwelttechnik Baden-Württemberg, s. Kap. 6.5.2). Um den hohen Stellenwert der Qualität der Gesundheitsversorgung im Prozess glaubhaft und verlässlich zu sichern, sollte außerdem die Patientensicht beim Round Table vertreten sein. Dies könnte zum Beispiel über eine Beteiligung des Verbraucherzentrale-Bundesverbands (Team Gesundheit und Pflege)100 oder der

„Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen (BAG Selbsthilfe)“101 erfolgen.

Aufgabe des Round Table wäre es zunächst, eine gemeinsame Problem- und Zieldefinition zu erarbei-ten. In einem zweiten Schritt sind daraus Handlungsfelder abzuleiten und zu priorisieren. Dies kann auf den in diesem Vorhaben identifizierten prioritären Handlungsfelder aufbauen, sollte aber auch ein breiteres Screening zusätzlich erforderlicher Handlungsfelder beinhalten. So wurde in diesem Vorha-ben zum Beispiel der Einsatz von Chemikalien im Gesundheitssektor jenseits von Arzneimitteln noch nicht näher betrachtet. Die Teilnehmenden des zweiten Workshops wiesen außerdem auf die Notwen-digkeit hin, die Analyse des Ressourcenkonsums auf die Ebene wichtiger Prozesse im Gesundheitswe-sen herunterzubrechen. Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung könnten ein weiteres Handlungsfeld sein. Hier wären Handlungsspielräume der relevanten Akteursgruppen (z. B. Kranken-kassen) zu betrachten und gesetzliche Rahmenbedingungen (u. a. Kostenerstattungsprinzipien, Sozial-gesetzbücher) zu hinterfragen. Für das Screening geeigneter Handlungsfelder sollte der Round Table auch Studien initiieren können (s. auch Kap. 7.4 „Weiterer Forschungsbedarf“). Für jedes Handlungs-feld sollte eine Roadmap zur Steigerung der Ressourceneffizienz erarbeitet werden. Die Aufgabe des Round Table bzgl. der Handlungsfelder sollte die Abstimmung der Roadmaps aus den verschiedenen Handlungsfeldern umfassen, um Synergien zu nutzen und Dopplungen zu vermeiden. Außerdem sollte

97 Zu NaRess s. Jacob und Postpischil 2020.

98 https://www.viamedica-stiftung.de/home/ (letzter Aufruf 03.07.2020).

99 https://www.klimawandel-gesundheit.de/ (letzter Aufruf 03.07.2020).

100 https://www.vzbv.de/themen/gesundheit (letzter Aufruf 06.07.2020).

101 https://www.bag-selbsthilfe.de/ (letzter Aufruf 06.07.2020).

177 der Round Table aus den Roadmaps eine Gesamtstrategie erstellen, ein Monitoring dafür durchführen, Fortschritte insgesamt evaluieren und ggf. notwendige Anpassungen initiieren.

Für die Arbeit in den Handlungsfeldern selbst sollte der Round Table Fachgruppen ins Leben rufen, die die Ausarbeitung der Roadmaps übernehmen. Die Besetzung der Fachgruppen sollte neben ausge-wählten Mitgliedern des Round Table weitere für das jeweilige Handlungsfeld besonders relevante Verbände (im Handlungsfeld Ernährung z. B. der Verband der Küchenleitung VKK102) aber auch fachli-che Expertise aus der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft einbinden. Die Fachgruppen sind eine wichtige Möglichkeit, die Breite der relevanten Stakeholderinnen und Stakeholder insgesamt abzude-cken und gleichzeitig Gremien in arbeitsfähiger Größe zu gewährleisten. Für die Erstellung der Road-maps ist eine Verständigung in der Fachgruppe darüber herbeizuführen, welche Handlungsoptionen bestehen, um die Ressourcenschonung in ihrem spezifischen Bereich des Gesundheitswesens voranzu-bringen, welche Prioritäten gesetzt werden sollten und wie die Details der Umsetzung aussehen. Zu den Aufgaben der Fachgruppen gehört es auch zu prüfen, ob zu bereits bestehenden politischen Stra-tegien der Ressourcenschonung eine Verbindung hergestellt werden kann, damit diese künftig auch den Gesundheitssektor (besser) abdecken. Im Handlungsfeld „Lebensmittel- und Getränkeversorgung“

betrifft dies zum Beispiel die Verbindung zur Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittel-verschwendung (BMEL 2019). Hier sollte eine Fachgruppe stetig prüfen, wie diese Strategien so ge-fasst werden können, dass das Segment des Gesundheitssektors gut mit abgedeckt wird. Im Ergebnis sollte die Roadmap einen Aktionsplan mit Maßnahmen beinhalten, die mit Zeitplänen und Zuständig-keiten hinterlegt sind. Die Implementierung der Maßnahmen muss überwacht und ihre Wirkung erho-ben werden, um auf dieser Basis die Roadmaps in den Handlungsfeldern fortzuschreierho-ben.