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3.3 Spielarten des Referierens im Kriminalroman

3.3.1 Das Erzeugen fiktionaler Gegenstände

erwähnten oder ihm als bekannt vorausgesetzten Gegenstand der Sprecher/Schreiber Bezug nimmt.

Abschließend ist zu bemerken, dass all diese Ausdruckstypen zur syntaktischen Kategorie von Nominalphrasen (NP) gehören, deren Strukturelemente Nomen als Kern (Substantive, Pronomen) und Erweiterungsmöglichkeiten links und rechts vom Kernnomen umfassen (vgl. Heringer 1989, 193ff.): links durch Determinative wie Artikel, Numerale, Quantoren (z.B. der Mann, dieser Mann, ein Mann, zwei Männer, jeder Mann), Adjektivattribute (z.B. der große Mann, ein sehr großer Mann), Partizipialattribute (z.B. ein gestern Nacht in Hamburg gestohlenes Auto, das trotz des Lärms den ganzen Tag schlafende Baby), Genitivattribute (z.B. Chandlers Krimis, des Ministers neues Haus) und rechts durch Genitivattribute (z.B. das Auto des Präsidenten), Präpositionalphra-sen (z.B. die Spende an das Kinderheim), Appositionen (z.B. der Hauptkommissar, Herr Maier), sog. situative Attribute (z.B. der Mann dort), Infinitivkonstruktionen (z.B. der Versuch, die Leiche zu verstecken) und Relativsätze (z.B. das Auto, das gestern Nacht in Hamburg gestohlen wurde).

Dank solcher Erweiterungsmöglichkeiten kann man Nominalphrasen zur Referenz verwenden und dabei zusätzliche Informationen über den Bezugsgegenstand vermitteln, was besonders nützlich für den Wissensaufbau bei Gesprächen und in Texten ist. Demnach gehen wir im Folgenden auf die grundlegenden Verwendungsweisen von Nominalphrasen unterschiedlicher Art als Referenzmittel im Kriminalroman sowie ihren Beitrag zum krimispezifischen Wissensmanagement ein.

deutlichen Wissensvorsprung gegenüber seinem Hörer/Leser und behält die ganze Kommunikation über die dominante Kommunikationsrolle. Dagegen beginnt der Hörer/Leser die Kommunikation mit einem Wissensdefizit,157 das durch die bei der Kommunikation erfolgende Wissensvermittlung am Schluss aufgehoben wird.

Da in Kriminalromanen von fiktionalen Kriminalfällen und den in diese verwickelten Figuren erzählt wird, bedeutet die Einführung von Gegenständen im Rahmen eines Kriminalromans in den meisten Fällen das Erschaffen fiktionaler Gegenstände in der jeweiligen Romanwelt. Wie bereits in Abschnitt 2.3.2 im Zusammenhang mit der Handlungsstruktur des Kriminalromans ausgeführt wurde, legt Searle in Der logische Status fiktionalen Diskurses (1979, Dt.: 1982, vgl. hierzu 4. Aufl., Searle 1998, 80ff.) die Auffassung dar, dass sich bei der literarischen Kommunikation sowohl der Autor als auch der Leser an anderen Konventionen, Gebrauchstraditionen und Spielregeln orientie-ren als bei der Kommunikation mit nicht-fiktionalen Erzähltexten. Die speziellen Konventionen der literarischen Kommunikation ermöglichen es dem Autor, in seinem fiktionalen Text vorzugeben (d.h. „ein Als-Ob-Benehmen ohne Täuschungsabsichten“ an den Tag zu legen, Searle 1998, 87), sprachliche Handlungen zu vollziehen, wobei seine Äußerungen ihn nicht auf den Wahrheitsgehalt der Proposition festlegen. Dabei kann der Autor in der Romanwelt fiktionale Gegenstände einführen und charakterisieren, indem er sie durch vorgebliche Bezugnahme erzeugt, über sie weiterredet bzw.

von fiktiven Ereignissen erzählt: Aufgrund der oben genannten Existenz-Präsupposition, d.h. der Voraussetzung bei identifizierender Referenz, dass es den gemeinten Gegenstand gibt, werden fik-tionale Gegenstände durch den vorgeblichen Bezug erschaffen, die eine Art kommunikative Exis-tenz haben und weitgehend mit Eigenschaften angereichert werden können. Aufgrund der Konven-tionen der literarischen Kommunikation lässt sich der Leser auf das Vorgebliche ein, als gäbe es diese Gegenstände tatsächlich.

Zur Erzeugung von Figuren im Kriminalroman durch die Verwendung von Nominalphrasen lässt sich sagen: Zur Neueinführung einer Figur wird normalerweise ihr voller Name (gegebenen-falls mit Titel) verwendet, der oft von einer in Apposition stehenden Zusatzangabe (zu Beruf, Amt, Funktion etc.) begleitet wird. Bei den Äußerungen „Hauptkommissar Kurt Wallander saß in seinem Büro im Polizeipräsidium von Ystad und gähnte. [...] Im gleichen Moment betrat Martinsson, einer der jüngeren Polizisten des Distrikts, den Raum“ (Hunde von Riga von Henning Mankell, 12) wer-den die beiwer-den Figuren z.B. mit Hilfe von Nominalphrasen wie Hauptkommissar Kurt Wallander und Martinsson, einer der jüngeren Polizisten des Distrikts durch Namen eingeführt, wobei gleich-zeitig zusätzliche Informationen über sie vermittelt werden. Diese Form der Einführung kommt be-sonders häufig am Beginn eines Romans bzw. Textteils vor. In diesem Fall dient die Verwendung des Namens der eingeführten Figur als Aufhänger, mit dem der Leser im Verlauf der Lektüre Wis-sen über diese Figur akkumulieren kann.

Auch indefinite Kennzeichnungen werden oft zur Einführung von Figuren verwendet. Bei-spielsweise kann eine Figur durch den oben genannten Einführungs-Operator ‚ein N‘ vorgestellt

157 Dementsprechend kommt es häufig vor, dass der Hörer/Leser dank der Verwendung von Eigennamen, definiten Kennzeichnungen usw. zwar einen bestimmten Gegenstand problemlos als Redegegenstand identifiziert, aber zunächst sehr wenig über diesen weiß.

werden, wobei ihr Name dem Leser (in den meisten Fällen) später enthüllt wird, wie etwa im Fall der folgenden Figureneinführung aus Raymond Chandlers Der große Schlaf: „Ein Mann trat flink ein und hielt jäh an. [...] Der Mann war grau, ganz grau, außer seinen blankpolierten, schwarzen Schuhen [...]. Er war Eddie Mars“ (60). Außerdem ist es kennzeichnend für den Kriminalroman, dass Randfiguren mit der Verwendung von indefiniten Kennzeichnungen (z.B. ein Zeuge, ein Poli-zist) eingeführt werden und bei ihrem kurzen Auftreten durchweg namenlos bleiben.158 Dies führt oft dazu, dass der Leser automatisch annimmt, eine derart vorgestellte Figur sei irrelevant, was der Autor zu einem Spiel mit den Lesererwartungen ausnutzen kann, z.B. indem er den Leser später mit der Mitteilung überrascht, diese Figur sei doch von großer Bedeutung für den Fall.

Darüber hinaus werden Pronomina, die in der Regel zum kontextabhängigen Gegenstandsbe-zug gebraucht werden, oft bei der Einführung einer Figur gezielt genutzt, um beim Leser den Ein-druck zu erwecken, er wüsste bereits, um wen es sich bei dieser Figur handelt. Vor allem bei Ich-Erzählungen kommt es dem Leser so vor, als kenne er die Figur, die durch das Pronomen ich eingeführt wird und als Erzähler fungiert. Der Eindruck der Vertrautheit entsteht auch durch die be-reits erwähnte kataphorische Verwendung von Pronomina, bei der dem Leser nachträglich mitgeteilt wird, wer die zunächst durch Pronomina er, sie neu eingeführte Figur ist. Bei dem Beispiel „Sie er-reichte den Parkplatz vor der verabredeten Zeit. Als sie aus dem Wagen stieg, hüllte sie die dichte Finsternis der extrem feuchten Julinacht ein [...]. Masako Katori spürte, wie ihr das Atmen schwer fiel, und sah zum sternlosen Nachthimmel auf“ (Die Umarmung des Todes von Natsuo Kirino, 11) wird das Pronomen sie kataphorisch und koreferent mit dem Postzedens Masako Katori verwendet, sodass der Leser ein wenig verzögert erfährt, wer diese durch das Pronomen sie eingeführte Figur eigentlich ist. Da Pronomina meist anaphorisch gebraucht werden, fällt die kataphorische Verwen-dung von Pronomina ins Auge und stellt folglich eine wirksame Strategie für die Einführung von Figuren dar.

Außerdem kommt es im Kriminalroman häufig vor, dass Figuren durch definite Kennzeich-nungen neu eingeführt werden. In Der Knochenmann von Wolf Haas wird z.B. eine Figur mit Hilfe der definiten Kennzeichnung „dieselbe Kellnerin wie am Nachmittag“ (20) neu eingeführt, obwohl zuvor bei der Darstellung der besagten Szene im Lokal am Nachmittag nicht explizit von ihr die Rede war. In diesem Fall schließt der Leser aus der verwendeten definiten Kennzeichnung, dass es in der vorigen Szene eine Figur dieser Art gab, über die jetzt etwas erzählt wird. Anzumerken ist, dass der Autor diese Einführung der Figur, auf die danach durch die definite Kennzeichnung die Kellnerin erneut Bezug genommen wird, zum Zweck der Irreführung einsetzt: Aufgrund der defini-ten Kennzeichnungen hat der Leser unbewusst das stereotype Bild einer Kellnerin vor Augen, so-dass er zu einem späteren Text-Zeitpunkt eine Überraschung erlebt, weil sich diese Figur als Mann entpuppt.

Es wird deutlich, dass der Autor beim Verfassen eines Kriminalromans fiktionale Gestalten auf vielfältige Weise durch einen vorgeblichen Bezug erschaffen kann, und dass viele Schreibstrategien

158 Beim Verfassen von fiktionalen Erzähltexten ist der Autor nicht verpflichtet, seinen Figuren Namen zu geben – so-fern das Fehlen von Namen keine Referenzprobleme verursacht. Bei einer Erzählung mit einer sehr geringen Figuren-anzahl kann es sogar vorkommen, dass die Figuren für den Leser den gesamten Text hindurch namenlos bleiben.

für die Einführung von Figuren zugleich zur strategischen Wissensvermittlung dienen. Eine wirk-same spannungserzeugende Strategie, mit der der Autor beim Leser sofort Neugier und die Erwar-tung auf mehr Informationen wecken kann, besteht etwa darin, dass er eine Figur durch Pronomina (z.B. er, sie, ich) oder definite Kennzeichnungen (z.B. der Mann, die Frau) einführen und den Be-zug wiederaufnehmen, ohne dem Leser ihren Namen zu verraten. Um welche Figur der Romange-sellschaft es sich handelt bzw. welche Rolle sie spielt, wird erst aus dem weiteren Textverlauf re-konstruierbar. Dieses Verfahren kommt besonders häufig in Bezug auf den Täter zum Einsatz, damit der Leser ihn in Tätererzählungen aus nächster Nähe kennenlernen und Informationen über ihn in Erfahrung bringen kann, ohne über seine wahre Identität Bescheid zu wissen (mehr dazu vgl. Ab-schnitt 6.2.2.2). Auf die Einführung und Charakterisierung von Figuren im Kriminalroman sowie ihr Beitrag zu den krimitypischen Formen des Wissensmanagements werden wir in Abschnitt 6.2 noch näher eingehen.