1. Spanien und sein Kulturbetrieb
2.1 Erwägungen zur Methode: Problemstellungen, Chancen, Kritik
2. Untersuchung
Zeitung B?‘ – ist auch das Entdeckungspotenzial offen und für die Inhaltsanalyse bleibt unklar, nach welchen Merkmalen gesucht werden soll.271 Hier sieht sich das Verfahren selbst in Abgrenzung zur Hermeneutik, der Werner Früh ein auf Einzel-texte bezogenes, subjektiv interpretatorisches Paradigma zuschreibt und der es im Gegensatz zur Inhaltsanalyse an intersubjektiver Nachvollziehbarkeit und damit am wissenschaftlichen Qualitätsmerkmal der Objektivität mangele.272 Für die gestellten Forschungsfragen sind aber sowohl Quellen untersuchende als auch empirische Ele-mente wichtig und daher für die nachfolgende Untersuchung eine hybride Analyse-form notwendig.
Eine inhaltsanalytische Vorgehensweise ist hinsichtlich zweier Aspekte ge-winnbringend: Zum einen ist sie „auch als Suchstrategie konzipiert“273 und kann im vorliegenden Fall dem planmäßigen Auffinden geeigneter Zeitungsartikel dienen.
Zum anderen können durch eine systematische Erfassung verschiedener Textmerk-male mithilfe zuvor definierter Kategorien verschiedene Eigenschaften der Artikel und damit formale und thematische Strukturen aufgezeigt werden, die ein wesentli-cher Anhaltspunkt dafür sind, Aussagen über die Art und Weise der Presseberichter-stattung zu treffen.
Was für einen systematisierten Blick kulturpolitischer Entwicklungen sinnvoll erscheint, nämlich aus einer verallgemeinernden Perspektive den Weg des spanischen Kulturbetriebs in einem größeren Zusammenhang nachzuzeichnen, wird bei der Er-fassung und Beschreibung spezifischer Inhalte zu einem Problem, denn es können keine bemerkenswerten Einzelentwicklungen erfasst werden, auch wenn diese von entscheidender Relevanz für die Fragestellung wären, weshalb über eine inhaltsanaly-tische Kategorisierung der Beiträge hinaus eine enge Arbeit am Text unumgänglich ist. Auch schrittweise erfolgende Generalisierungs- und Abstraktionsprozesse, wie sie Philipp Mayring für sein qualitatives Paradigma als ‚induktive Kategorienbildung‘ vor-sieht,274 sind hier nicht zweckdienlich, da vereinzelte Entwicklungen anhand spezifi-scher Textpassagen belegbar sein müssen und durch einen solchen Reduktionsvor-gang womöglich nivelliert würden.
Einen ähnlichen, methodisch kombinierten Weg gehen vereinzelte Studien im Bereich der Betriebswirtschafts- und Managementlehre, wie etwa Thomas Kotulla in
271 Auch die von Früh vorgeschlagenen Strategien zur Einengung der Fragestellung durch eine Explo-rationsphase oder eine erweiterte empiriegeleitete Kategorienbildung können diesem fundamentalen Problem keine Abhilfe schaffen. (Vgl. ebd. 77f.)
272 Vgl. ebd. 64.
273 Ebd. 78.
274 P. Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse Grundlagen und Techniken, Weinheim 112010.
seiner Arbeit Strategien der internationalen Produktstandardisierung und -differenzierung, der diese Vorgehensweise schlicht als Literaturanalyse bezeichnet. 275 Er hält aber auch fest, dass es „eine verbindliche und allgemein anerkannte Klassifikation“ einer solchen bis-her nicht gibt.276 Seine Untersuchung umfasst die Erhebung spezifischer Fachveröf-fentlichungen, die seinen Forschungsgegenstand behandeln und die anschließend ei-ner „deskriptiv-quantitativen“ sowie gegebenenfalls eiei-ner „qualitativen Literaturanaly-se“ unterzogen werden, wobei letztere von ihm auch als „Literaturüberblicke“ be-zeichnet werden: „Solche Literaturüberblicke fassen die bisherige Forschung verbal – in narrativer und/oder tabellarischer Form – möglichst systematisch und umfassend zusammen.“277 Sie liegt damit in der Nähe zu einer literaturwissenschaftlich orientier-ten Quellenarbeit. Dagegen werden in der deskriptiv-quantitativen Analyse – auch
„Literaturanalyse i.e.S.“ – die Forschungsbeiträge Häufigkeitsanalysen unterzogen, um sich „sehr schnell einen systematischen Gesamteindruck von einem Forschungsfeld verschaffen [zu können].“278 Auch wenn diese an keiner Stelle eine explizite Erwäh-nung findet, trägt diese Vorgehensweise doch deutliche Züge einer quantitativen In-haltsanalyse.
Zwar fehlt es Kotullas Methodologie insgesamt an theoretischer Schärfe und an einem Bewusstsein für die erkenntnistheoretischen Bedingungen jener Disziplinen, aus denen er die Teile seines Instrumentariums entlehnt. Dennoch liefert er eine praktikable Verschränkung qualitativer und quantitativer Ansätze, die nicht in den bestehenden methodischen Verwerfungen zwischen Literaturwissenschaft und empiri-scher Sozialwissenschaft gefangen bleibt. Alles in allem formt er sich damit eine seinen wissenschaftlichen Bedürfnissen entsprechende, praktikable Methode, die – nicht zu-letzt durch seine systematische Entwicklung und Offenlegung – den grundsätzlichen wissenschaftlichen Qualitätskriterien wie Objektivität, Validität, Reliabilität gerecht wird.
Im Gegensatz zu Kotullas Vorgehensweise ist jedoch für die Arbeit mit Zei-tungsinhalten eine kritische Annäherung an die Publikation selbst unablässig und er-folgt, gemäß der Schrittfolge von Früh, in den theoriegeleiteten Vorüberlegungen der Untersuchung. Darüber hinaus können aufgrund des großen Textumfangs nicht alle Texte, die die Eurokrise in Verbindung mit dem Kulturbetrieb erwähnen, in die
275 T. Kotulla, Literaturanalyse, in: Strategien der internationalen Produktstandardisierung und -differenzierung, Wiesbaden 2012, 5–53.
276 Ebd. 26.
277 Ebd. 28.
278 Ebd.
tersuchung einbezogen werden, genauso wenig wie jedes kulturpolitische Detail, über das im Laufe der Monate womöglich berichtet wurde. Es erfolgt vielmehr eine geziel-te Auswahl der Texgeziel-te nach zuvor bestimmgeziel-ten Krigeziel-terien, die bestimmgeziel-te Artikel als relevant für die zu beschreibende Entwicklung ausweisen.279 Dementsprechend erfolgt keine Stichprobenziehung, wie es für eine Inhaltsanalyse üblich ist, sondern ähnlich wie bei Kotulla eine systematisierte Auswahl, bei der die gesamte Textmenge – also alle verfügbaren Artikel der Tageszeitungen El País und El Mundo zwischen dem 20.
November 2011 und dem 31. Mai 2014 – auf Merkmale hin durchsucht wird, die für die gewünschten Texte charakteristisch sind.280 Diese Indikatoren werden anhand einer der Untersuchung vorangestellten Explorationsphase erhoben, die wiederum der inhaltsanalytischen Vorgehensweise entspricht und die theoriegeleitete Kategorienbil-dung praktisch ergänzt. Außerdem wird in dieser Phase bereits eine auf jenen Vor-überlegungen beruhende inhaltliche Kategorisierung erprobt, die die Basis für eine weiterführende Merkmalserfassung darstellt und damit die Funktion der empiriegelei-teten Kategorienbildung übernimmt.281 Eine Analyseeinheit entspricht dabei einem publizierten und den Suchkriterien entsprechend ausgewählten Artikel. Anschließend findet dann die Auswahl der Artikel statt sowie ihre Analyse durch die Erhebung der zuvor festgelegten formalen und inhaltlichen Variablen.282 Wurde die mögliche Merkmalsausprägung einer Variable zuvor in spezifischen Kategorien definiert, so erfolgt die Analyse durch eine qualitative Prüfung des Textes auf Erfüllung dieser De-finition.
Im Grunde genommen handelt es sich bei der nunmehr beschriebenen Me-thode um eine Literaturanalyse mit formal-inhaltsanalytischen Aspekten – eine chro-nologische Literaturrecherche, die sich in ihrer systematischen Auswahl inhaltsanalyti-scher Vorgehensweisen bedient. Der angestrebte Effekt dieser Verschränkung ist eine Erhöhung sowohl der Validität hinsichtlich der quantifizierenden Ergebnisse als auch der Reliabilität bezüglich der qualitativen Textauswahl. Zwar merkt Früh an, dass jedes der beiden Kriterien nur zu Lasten des jeweils anderen gesteigert werden kön-ne,283 die dargelegte Methode erscheint aber angesichts der zweigeteilten Forschungs-frage als der bestmögliche Kompromiss.
279 Siehe 3.4 Kategorienbildung und Auswahlverfahren
280 Bei Kotulla war dies eine Kombination aus zwei verschiedenen Wortfeldern, aus denen jeweils ein Begriff im gesuchten Text vorkommen musste. (Vgl. Kotulla, Literaturanalyse, 30.)
281 Früh, Inhaltsanalyse, 156–158.
282 Siehe: 2.4 Variablen und Kategorien.
283 Vgl. Früh, Inhaltsanalyse, 120–127.
Ein weiteres Problem betrifft die Durchführung der Erhebung: Inhaltsanalysen wie die folgende setzen in der Regel mehrere Personen voraus, die am Codierprozess beteiligt sind. Grund dafür ist der individuelle ‚Codierstil‘, zu dem jeder Beteiligte trotz intensiver Vorbereitung neigt, mit der Folge, „dass subjektive Idiosynkrasien sich in seinen Codierresultaten unkontrolliert niederschlagen“.284 Diese ließen sich durch eine höhere Zahl an Personen ausgleichen, was insgesamt vor allem eine höhere Reli-abilität der Ergebnisse gewährleisten würde. Aufgrund des zusätzlichen Arbeitsum-fangs – Auswahl, Schulung und nicht zuletzt Vergütung der Mitarbeiter – ist dies für die folgende Untersuchung jedoch nicht realisierbar.
2.2 Theoriegeleitete Kategorienbildung: Dynamiken der spanischen