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Erotisierung des sexuellen Körpers – Vaginalität

Im Dokument Mareen Leykauf (Seite 32-36)

4.2 Der Körper im Sexocorporel

4.2.1 Erotisierung des sexuellen Körpers – Vaginalität

Der Begriff ‚sexueller Körper‘ umfasst im Sexocorporel zwei Bereiche. Auf der objektivierbaren Ebene ist damit die Beschaffenheit der Sexualorgane gemeint.3 Diese körperliche Beschaffenheit legt eine Nutzungsart nahe: Körperausstülpungen motivieren eher zum Eindringen, zur Intrusivität; Körpereinstülpungen zum Aufnehmen, zur Rezeptivität (Sztenc 2020, S. 63-64). Es ist nachvollziehbar, dass diese Perspektive und diese Wortwahl dem Sexocorporel anhaltende Kritik einbringen.

Rezeptivität wird im Sexocorporel jedoch als aktiv verstanden (ebd. S. 64), eine Sichtweise, die als modern und feministisch interpretiert werden kann. Die Bezeichnung ‚Scheide‘ oder lateinisch ‚Vagina‘ wird ebenso wie die Begriffe des Eindringens und der Penetration insbesondere in feministischen Kreisen oft kritisiert.

Wie eine Scheide ohne Schwert suggeriert diese Wortwahl, das weibliche Geschlecht habe ohne den eindringenden Penis keine eigene Funktion. Darüber hinaus sollten die

3 In der alten Sprache des Sexocorporel wurde diese körperliche Basis als „sexueller Archetyp“

bezeichnet.

gewaltvollen Konnotationen und das Verstärken der Vorstellungen von Aktivität und Passivität kritisch hinterfragt werden. Um die aktive Rolle der Vagina zu verdeutlichen, könnten beispielsweise Begriffe wie ‚umschließen‘ etabliert werden. Der Begriff

‚Circlusion‘, der das aktive Umschließen von etwas mit der Vagina bezeichnet, ist eine Wortkreation der Autorin Adamczak (2016) (zit. nach Lorenz 2022, S. 39-40) und letztlich das, was im modernen Verständnis des Sexocorporel als ‚Rezeptivität‘

bezeichnet wird. Auch wenn die Begriffe ‚Rezeptivität‘ und ‚Intrusivität‘ Nutzungsarten nahelegen, kann grundsätzlich jede Körperregion als Quelle erotischen Empfindens genutzt werden. Auf phänomenologischer Ebene geht es im Sexocorporel um das subjektive Erleben der Sexualorgane und um das Verständnis dafür, wie diese körperlichen Formen erlebt und im sexuellen Kontext genutzt werden können.4 Vereinfacht ausgedrückt geht es darum, wie wohl oder unwohl sich ein Mensch mit seinem Genital fühlt, ob er es ‚bewohnen‘, als angenehm und lustvoll empfinden kann, oder ob es mit Gefühlen von Ekel und Schmutz besetzt ist und als Fremdkörper oder Werkzeug empfunden wird, das funktionieren muss. Inwiefern der eigene sexuelle Körper erotisiert wurde, ist also kein festgeschriebener Zustand, sondern ein dynamisches Erleben auf einem Kontinuum (Sztenc 2020, S. 63-65).

Abbildung 4: Gefühl der Zugehörigkeit und Erotisierung des sexuellen Körpers als Kontinuum (Bischof 2020a, S.13)

Wie anhand der bisherigen Darstellung des Forschungsstandes deutlich wurde, verfügt die Vagina über ein reiches sensorisches Potenzial. Dass Frauen in ihrer Lerngeschichte die Klitoris meist deutlich früher entdecken und erotisch besetzen,

4 In der alten Sprache des Sexocorporel als „Erotisierung des Archetyps“ bezeichnet.

kann neben subtilen kulturellen Verboten auch am schwierigeren anatomischen Zugang liegen (Bischof 2018, S. 41). Da die weiblichen äußeren Genitalien leichter erreichbar sind, ist es wahrscheinlich, dass zuerst die Vulva, die äußere Klitoris sowie die äußeren und inneren Labien für die sexuelle Erregung genutzt werden. Das erotische Potenzial des vaginalen Innenraums wird demnach mehrheitlich erst im Laufe der Ontogenese entdeckt und muss erlernt werden. (Sztenc 2020, S. 63). Da insbesondere Erkundungen des vaginalen Innenraums mit den Fingern nicht naheliegend sind, entdecken Mädchen ihre Vagina später, teilweise wird die Vagina erst mit der Menarche oder beim Geschlechtsverkehr entdeckt. Manche Frauen entdecken sie hingegen überhaupt nicht und die Wahrnehmung dieses Innenraums bleibt nicht oder unvollständig entwickelt. Ob die Vagina ‚bewohnt‘ wird, also angeeignet ist, hängt davon ab, inwieweit und inwiefern Erkundungen stattgefunden haben: Das Kontinuum der Möglichkeiten reicht von der bloßen Entdeckung über wiederholtes Explorieren bis zur Entwicklung von Erregbarkeit durch wiederholtes Stimulieren (Bischof 2008, S. 12). Für alle Geschlechter müssen vier Voraussetzungen gegeben sein, um ein Erleben des eigenen sexuellen Körpers als ‚maximal erotisiert‘

zu ermöglichen:

 Das eigene Genital wird als zugehörig erlebt, es ist im Körperschema vorhanden.

 Es besteht eine prinzipielle sensorische Verbindung mit dem eigenen Genital und es kann als Quelle sensorischer Stimulation genutzt werden.

 Die sensorische Stimulation am und mit dem eigenen Genital kann als angenehm bis sexuell erregend erlebt werden.

 Die sexuelle Erregung kann symbolisiert werden: Sie kann mental erinnert und antizipiert werden und in Worten, Bildern, Träumen und Fantasien ausgedrückt werden (Sztenc 2020, S. 84).

Neben anderen Möglichkeiten, ihre sexuellen Körper zu erotisieren, hat die Vaginalität für Frauen im Sexocorporel eine zentrale Bedeutung. Unter dem Begriff wird das Potenzial einer Frau verstanden, über entdecken, Selbstaneignung und teilen, also über gemeinsames Genießen des erotisierten inneren Geschlechts, der Vagina, Zugang zu sexueller Lust und zu erotischem Genuss zu finden (Bischof 2017a, S. 162).

Aus den oben geschilderten Voraussetzungen für maximale Erotisierung des sexuellen Körpers können folgenden Bedeutungen von Vaginalität für Frauen abgeleitet werden:

 die Fähigkeit, die Vagina im eigenen Körper als weibliches Sexualorgan wahrzunehmen,

 die Fähigkeit, das Aufnehmen von Penis, Fingern oder Objekten als Teil einer sexuellen Begegnung (z. B. beim Geschlechtsverkehr) lustvoll zu erleben,

 die Fähigkeit, die Vagina und den Geschlechtsverkehr mit dem Einsatz des eigenen Körpers und anhand von Fantasien zu erotisieren (Bischof 2017a, S. 163).

Um den sexuellen Körper zu erotisieren und das Potenzial der Vaginalität zu entwickeln, ist es hilfreich, den vaginalen Innenraum während der Selbstbefriedigung einzubeziehen und dabei zu üben. Frauen, die diese Lernschritte noch nicht gegangen sind, erleben vaginale Stimulation häufig nicht als erregend oder beschreiben ein Gefühl der Taubheit in Bezug auf ihre Vagina (Bischof 2018, S. 41). Pfaus und Kolleg:innen betonen ebenso die Wichtigkeit der Erfahrung, des Lernens durch Konditionieren, des eigenen Körpereinsatzes und insbesondere den Aspekt der dynamischen Entwicklung im Laufe des Lebens, auch mit verschiedenen Partner:innen:

„Obviously a woman who never goes there, or who has never received competent stimulation with a toy or by a partner, will simply not know - until she does.” (Pfaus et al. 2016)

Wird das Konzept der Vaginalität von Frauen nicht als An- oder Aus-Zustand, sondern als ein sich stetig entwickelnder und verändernder Prozess innerhalb des Lebens und der verschiedenen Lebensphasen verstanden, ist es eher eine Ressource für Frauen und wird nicht als weitere Anforderung angesehen. Mit wenigen Ausnahmen ist die Vaginalität ein allen Frauen zugängliches Potenzial. Sie kann bei den unterschiedlichen Herausforderungen und Veränderungen im Leben einer Frau, beispielsweise bei einer Schwangerschaft, bei einer Geburt, in den Wechseljahren oder beim Altern, aber auch beim Aufrechterhalten eines sexuellen Interesses in Langzeitpartnerschaften eine Unterstützung sein (Bischof 2017a, S. 163). Die Art und Weise, wie der Körper spezifisch eingesetzt wird, um in der Sexualität Erregung zu steigern, kann die Vaginalität fördern oder erschweren. Im Folgenden sollen diese spezifischen Muster, im Sexocorporel ‚Erregungsmodi‘ genannt, genauer betrachtet werden, insbesondere in Bezug auf die jeweiligen Stärken und Grenzen, die für ein lustvolles Erleben des vaginalen Innenraums maßgeblich sind.

Im Dokument Mareen Leykauf (Seite 32-36)