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Ergebnisse der qualitativen Auswertung der Interviews mit den substituierten Patienten

6 Erfahrungen mit Substitutionstherapie in Fachkliniken zur Rehabili- Rehabili-tation von Drogenabhängigen

9.2 Ergebnisse der qualitativen Auswertung der Interviews mit den substituierten Patienten

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9.2 Ergebnisse der qualitativen Auswertung der Interviews mit den substituierten

Substitutionsbehandlung vor. Der Bereich Entwicklung umfasst Veränderungen im emotionalen und kognitiven Bereich, in der Motivation und in sozialen Kompetenzen. Diese Veränderungen stehen in einem Zusammenhang mit dem Verhältnis zu den Mitpatienten und anderen sozialen Kontaktpersonen im Themenbereich Beziehungen.

9.2.1 Gesundheit

Angst vor dem Entzug

„Ich hab richtig Angst, das ist auch meine Hauptsorge im Moment.“ (S1)92

Die Ängste vor dem Entzug, der Umgang mit Entzugserscheinungen und die Sorge zu scheitern treiben die Patienten immer wieder um. Es ist das Gefühl, zu dem am ehesten Zugang besteht. Andere Gefühle werden viel seltener benannt oder erlebt. „...aber diese Angst die hat sich richtig manifestiert...vor dem Entzug...es ist komisch...die ist richtig...ich denke kaum noch über was anderes...“ (C2) Zum Teil scheint der Wunsch nach einem schnelleren Abdosieren des Substituts auch in dem Wunsch nach der Vermeidung dieser Angst begründet zu sein. „Dass ich jetzt hier so langsam ausgeschlichen werde, ist nicht in meinem Sinne.“

(W1) „Also die Angst vorm Entzug… natürlich habe ich Angst vorm Entzug.“ (W2)

„Eigentlich will ich ja auch so schnell wie möglich runter.“ (S1)

Neben dem Wunsch nach einem schnellen Ende der Substitution ist Ablenkung eine häufig verfolgte Strategie, mit Ängsten umzugehen. Dies erschwert unter Umständen aber gerade auch die Konzentration auf andere, therapierelevante und emotional belastende Themen, die insgesamt kaum benannt werden.

Die langsame Reduktion des Substituts wird durchaus als fürsorglich und stützend erlebt. Dies scheint die Bindung an die Fachklinik und das Vertrauen in den gesamten therapeutischen Rahmen zu stützen. „Draußen hätte ich das nie geschafft und hier sage ich mir auch, durch Frau Doktor jetzt, dass man hier das vorsichtig macht, dass man aufpasst und langsam vor allem und nicht hier mit dem Vorschlaghammer.“ (H1) „Wenn ich zwei [ml] nachher kriege dann wird sich das schon ein bisschen bemerkbar machen, ist ja klar...aber ich werde versuchen mich dann abzulenken, und ich weiß, sie passen auf mich auf.“ ( K1) Im Kontrast dazu wird der Entzug im Krankenhaus („gnadenlos jeden Tag runter“ W1) oder beim Hausarzt

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(„Der Entzug, der ist brutal. Ich kenn’s, ich hab’s durchgemacht, über eineinhalb Jahre. Mein Hausarzt, der kann mich schon gar nicht mehr sehen und wenn dann nur von hinten.“ W1) als wenig individuell und auf die persönliche Situation eingehend erlebt. Die Möglichkeit der langsamen Abdosierung wird als seltene Chance begriffen: „… und habe vorher die Therapiebedingungen nicht erfüllen können mit dem Clean sein und habe halt immer gehofft oder gesucht, nach einer Therapieform wie diese jetzt hier angeboten wird, mit dieser Substitution.“ (B1)

Umgang mit Substitution und Entzugssymptomatik

„Immer dieses, alles dreht sich um Substitut oder Nicht-Substitut. Ich bin das so leid.“ (W2)

Große Teile der Gespräche thematisieren den Umgang mit dem Substitut, der Abdosierung, den unterschiedlichen Substanzen und ihre Vor- und Nachteile. Die Entzugssymptomatik wird vielfach schwerer als erwartet erlebt. „Ich hab’s ehrlich gesagt nicht so schwer erwartet.“ (C2)

„Das ist eine Qual für mich. Seit Montag. Ich versuche mit Tabletten auf den Beinen zu bleiben.“ (T2) Der Entzug vom Substitut wird dabei überwiegend schwerer als vom Heroin beschrieben. „Zum Anfang von Heroin, also da hatte ich nur eine Woche Entzug, das ging.

Aber vom Substitut selber das ist ja das Schlimmste, was es gibt.“ (S2)

Der Umgang mit der Symptomatik ist unterschiedlich. Die Entzugssymptomatik wird z. T. als Grund für eine geringere Beteiligung an den therapeutischen Angeboten gesehen: „Also ich mach wirklich nur so wie ich kann.“ (S1) „Da werde ich auch mit der Ärztin heute sprechen, dass ich nicht zur AT [Arbeitstherapie] gehen muss.“ (S1) Der Umgang wird aber auch kritisch reflektiert: „Ich hab keinen Appetit – das liegt am Substitut, ich kann nicht schlafen – liegt am Substitut. Und dann hab ich jetzt im Moment: Mir ist kalt – liegt am Entzug, Zigaretten schmecken nicht – liegt am Entzug. Das läuft jetzt alles so. Das kann ich mir jetzt noch ein paar Tage einreden, aber…“ (W2)

Die eigene Symptomatik wird gegenüber den Mitpatienten häufig eher verborgen. „Ja klar, geht’s mir abends auch manchmal schlecht. (…) Aber ich versuche das wirklich nicht zu zeigen manchmal.“ (C1) Hintergrund sind sowohl das Bedürfnis, andere nicht zu belasten, als auch Ängste, dann stärker abgelehnt zu werden.

Die Patienten sehen die Entzugssymptomatik auch als eine Möglichkeit, eigene Leistungsgrenzen zu erproben und auszuweiten. „In der AT, da will ich mich durchbeißen, da gehe ich trotzdem hin. Wenn der Entzug zu übel ist, kann mich ja auch einer abholen oder so.

Ich gehe da soweit es geht, dass will ich austesten, mir beweisen.“ (T2)

Der Ehrgeiz, die Abhängigkeit vom Substitut zu überwinden, ist hoch: „Wenn ich auch Jahre lang runter auf vier Metha oder auf drei Metha war, es ist doch eine Sucht, es ist ein Halsband, es ist ein Würgeband und ich will das jetzt endlich mal schaffen, ganz und gar clean zu sein, ja.“ (H2) Dabei sind weniger konkrete Zielvorstellungen die treibende Kraft, sondern ein Gefühl, so nicht mehr weiter leben zu wollen. „Ich habe das so satt.“ (K1) „Für mich beginnt der Tag erst ab da, wo ich mein Substitut gekriegt hab und ich denke: So, jetzt bin ich lebensfähig. Aber das hat für mich nichts mit leben zu tun“ (W2) Eine deutliche Unterscheidung zwischen Substitut und Heroin wird von den Patienten kaum getroffen:

„Metha oder Hero, was soll´s.“ (S1) „Ja, wo ist der Unterschied, ob ich jetzt eine legale Droge im Kopf habe oder eine illegale?“ (W2)

Komorbidität

„…und dann spürt man seinen eigenen Körper, was da los ist überhaupt“ (C2).

Vier der sechs interviewten substituierten Patienten weisen erhebliche chronische komorbide Erkrankungen auf. Dies wird aber kaum von ihnen selbst thematisiert. Lediglich ein Patient nennt als eine Funktion der Substitution auch die Mitbehandlung der somatischen Beschwerden „Ich hab richtig Schmerzen. Durch die Knie oder durch die Bandscheiben und so. Ist wirklich Wahnsinn. Das Methadon war für mich auch ein Schmerzmittel.“ (H1) Ein weitere Patient sieht einen unklaren Zusammenhang mit psychischen Problemen: „Und dann sind da ja noch die psychischen Schwierigkeiten, die machen es auch nicht leichter, Depressionen.“ (W1) Ein dritter Patient war immerhin mehrere Monate in der Psychiatrie. Er attribuiert dies vor allem auf die Wirkung des Substituts, räumt aber ein, dass die depressive Erkrankung bereits vor der Abdosierung begann: „Zwei Monate Krankenhaus wegen Depressionen noch. Die zwar auch mit dem Entzug auch zu tun hatten, die aber auch vorher schon da waren. Die sich halt durch den Entzug verstärkt haben.“ (B1) Häufig wird eine Verbesserung der Selbstwahrnehmung mit der Abdosierung genannt, dies jedoch häufiger in Bezug auf kognitive oder emotionale Veränderungen (s. u.).

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9.2.2 Entwicklung

Motivation und Ambivalenz

„Und eigentlich lief draußen alles. Aber trotzdem kann es nicht so weiter gehen.“ (H1)

Die Suche nach Veränderung ist eine deutliche Motivation für die Patienten: „Aber ich wollte das auch mal miterleben, wie so ´ne Therapie halt ist, weil ich das ja nicht kenne.“ (T1) „Es muss sich irgendwas ändern, was, das weiß ich noch nicht genau.“ (H1) Der Wunsch, (bürgerlichen) Normen zu entsprechen, spielt bei der Motivation zur Abdosierung eine große Rolle. „Also ich will von mir aus, weil ich 30 werde und ich muss auch, weil ich 30 werde.“

(S2) „Ich will wieder normal denken. Normal schmecken. Normal riechen. Normal Sex haben.“ (K2) „Das hat bei mir Klick gemacht dieses Jahr. Es hat schon vorher Klick gemacht.

Aber noch nicht so wie jetzt. Dieses Jahr richtig. Wie sagt man? Midlife-crisis?“ (S2)

Praktische Ziele, wie z. B. „Therapie-statt-Strafe“, spielen eine untergeordnete Rolle. Deutlich wird der Wunsch, die Substitution und die damit verbundenen Lebensbedingungen hinter sich zu lassen: „Warum ich das machen will? Ich will endlich weg.“ (S1) „… alles toll. Aber hintenrum war doch nicht alles toll. Die ganze Beschaffung, die ganze Kriminalität.“ (H2)

Die Patienten haben im Laufe der Abdosierung immer wieder mit Gedanken an einen Rückfall oder Behandlungsabbruch zu kämpfen. Dabei werden Ängste deutlich vor den Anforderungen, die nun abstinent zu bewältigen sind. „Bin gespannt, was meinen sie, wie das hier ist, wenn das Substitut ganz weg ist? Bisschen Angst ist da.“ (B1) „Was wäre, wenn ich nachher vom Methadon runter wäre und die Schmerzen fangen an, ich hoffe, dass es dann hier oben irgendwo nicht Klick macht und ich denke vielleicht daran, mir irgendwas zu holen oder zu nehmen.“ (H1)

Der Wunsch, diese Anforderungen zu bewältigen, ist groß: „Und was mich einfach so am meisten animieren wird: Mein Vater hat mir ja immer gesagt, ich sei dumm, ich tauge nichts, ich lande in der Gosse, und das hat mich ja schon immer fertig gemacht, diese Minderwertigkeitskomplexe, wenn man das lange genug erzählt kriegt, du bist doof, dann glaubt man das.“ (W1) Dabei werden biografische Einflüsse auf die psychische Struktur der Patienten deutlich, die Wünsche, Normen oder Vorstellungen über die eigene Person schufen,