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2 Juristische Begriffsannäherung zu „Praxis der Sortierung und Verwertung“

2.4 Rechtliche Auslegung des Begriffs „Praxis der Sortierung und Verwertung“ als

2.4.3 Ergebnis

Der unbestimmte Rechtsbegriff „Praxis der SuV“ ist so auszulegen, dass es sich um eine deskriptive Beschreibung aller am Markt in Deutschland teilnehmenden Sortier- und

Verwertungsanlagen handelt. Erfasst werden damit auch Sortier- und Verwertungsanlagen im Ausland, die nachweislich mit Mengen der deutschen Systeme beliefert werden. Ein spezifischer Technikstand der Anlagen ist nicht erforderlich, d.h. es kann sich um Recyclingpfade/Anlagen handeln, die dem Stand der Technik entsprechen, sowie um solche Recyclingpfade/Anlagen, die diesem Stand nicht entsprechen. Sortier- und Verwertungsmaßnahmen, bei denen eine

hochwertige Verwertung in einem erfolgreichen Probebetrieb nachgewiesen wurde, werden nur erfasst, wenn sie bereits einen tatsächlichen Verwertungsweg am Markt eröffnen. Nur

theoretisch mögliche Sortier- und Verwertungsverfahren, die z. B. dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen, bei denen es also nicht auf das technisch und wirtschaftlich Machbare ankommt (siehe Abschnitt 2.2.1), sind für die Praxis der SuV nicht zu ermitteln und

aufzunehmen.

Dafür, dass Sortier- und Verwertungsanlagen für systembeteiligungspflichtige Verpackungen nach dem Stand der Technik bzw. der besten verfügbaren Techniken bei der Ermittlung der Praxis der SuV zu berücksichtigen sind, sprechen sowohl der Sinn und Zweck als auch die systematische Auslegung des Begriffs in § 21 Abs. 1 VerpackG.

Der Stand der Technik erlaubt zwar auch andere Nachweise, z. B. Maßnahmen, die sich in einem anderen Fachbereich oder unter vergleichbaren Verhältnissen in einer anderen Branche

bewährt haben, wobei im Ausland ohne Zusammenhang zur Entsorgung deutscher Verpackungsabfälle gewonnene Erfahrungen mit zu berücksichtigen sind. Ein solches

Verständnis ist bei der Ermittlung des Standes der Praxis der SuV aber schon aus praktischen Gründen nicht umsetzbar. So müsste bei der Ermittlung der Praxis der SuV geprüft werden, ob Sortier- und Verwertungstechniken aus anderen Fachbereichen (z. B. bei der Verwertung von Altfahrzeugen oder Elektro- und Elektronikaltgeräten) oder aus dem Ausland (ohne Bezug zur Entsorgung deutscher Verpackungsabfälle) auf die Sortierung und Verwertung von

Verpackungen übertragen werden können. Dies wäre sehr aufwendig und würde auch noch keine tatsächlich in der Praxis stattfindende Sortierung und Verwertung von Verpackungen erkennen lassen. Zudem sprechen der Wortlaut sowie der Sinn und Zweck gegen eine solche Auslegung. Vielmehr sind bei der Ermittlung der Praxis der SuV nur die tatsächlich in

Deutschland vorhandenen und genutzten Sortier- und Verwertungsanlagen für

systembeteiligungspflichtige Verpackungen zu berücksichtigen sowie solche, die sich zwar im Ausland befinden, aber nachweislich relevante Mengen der deutschen Systeme verarbeiten.

Ein Abschneidekriterium in der Form einer konkreten Massenschwelle für die sortierten oder verwerteten systembeteiligungspflichtigen Verpackungen oder einer Prozentzahl für die am Markt belieferten Anlagen (z. B. eine Mehrzahl der Anlagen) ist für die Ermittlung der Praxis der SuV nicht anzuwenden. Eine Massenschwelle würde dem Ziel, die Praxis der Sortierung und Verwertung zu beschreiben, widersprechen; denn auch in geringerem Umfang vorhandene Sortier- und Verwertungspfade führen de facto zu einer anteiligen Verwertung der

entsprechenden Verpackungen und gehören damit zur Praxis im oben herausgearbeiteten Sinn.

Zudem würde eine Massenschwelle dazu führen, dass die Anlagen unterhalb der

Massenschwelle bei der Aufgabenwahrnehmung der Systeme, der ZSVR und des UBA aus dem Blick gerieten, mit negativen Folgen für die Weiterentwicklung bzw. Innovation der

Recyclingfähigkeit von systembeteiligungspflichtigen Verpackungen. Notwendig für

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Einbeziehung in die Praxis der SuV ist lediglich, dass die Sortier- und Verwertungsanlagen einen tatsächlichen Verwertungsweg am deutschen Markt eröffnen, der auch genutzt wird,

unabhängig davon, wie hoch der Anteil am Abfallstrom ist, der durch die Anlage läuft.

Bei der Praxis der SuV handelt es sich um einen dynamischen Stand, der regelmäßig zu

bestimmen ist. Aufgrund des engen Sachzusammenhangs mit dem Mindeststandard gemäß § 21 Abs. 3 VerpackG ist es naheliegend, jährlich zu prüfen, ob sich bei der Praxis der SuV relevante Veränderungen ergeben haben.

Vor dem Hintergrund der Untersuchungen in den vorangegangenen Kapiteln können einige, im Zusammenhang mit § 21 VerpackG zentrale Fragen wie folgt beantwortet werden:

► Erfolgt die Ermittlung der „Praxis der SuV“ einheitlich für alle dualen Systeme (mit der Möglichkeit von Abweichungen für einen besseren Stand der genutzten Sortier- und Verwertungsanlagen) oder spezifisch für jeden Systembetreiber (entsprechend der von diesen genutzten Anlagen)?

Die Auslegung in Abschnitt 2.4.2.8 zeigt, dass der Wortlaut in § 21 Abs. 1 Nr. 1 VerpackG keine eindeutige Antwort gibt. Aber für eine wirksame Anreizsetzung bei den Beteiligungsentgelten kommt es letztlich auf die konkreten Mengenströme an, die ein duales System tatsächlich verwertet und damit auf die individuelle Praxis der SuV der einzelnen dualen Systeme – also eine spezifische Praxis der SuV für jeden Systembetreiber. Gleichwohl sprechen

Praktikabilitätsgründe dafür, die Praxis der SuV insgesamt zu beschreiben (siehe zur Bedeutung und den Zusammenhängen Abschnitt 2.4.2.8 sowie auch die Empfehlungen in Kapitel 4).

► Ist als Grundlage für die Ermittlung der Recyclingfähigkeit vorauszusetzen, dass alle oder ein bestimmter Prozentanteil aller Sortier- bzw. Verwertungsanlagen eine entsprechende Technik nutzt? Ist eine Pilotanlage ausreichend?

Es kommt für Abbildung als Teil der Praxis der SuV nicht darauf an, dass ein bestimmter Prozentanteil aller Sortier- bzw. Verwertungsanlagen eine entsprechende Technik nutzt, sondern die Praxis der SuV ist deskriptiv zu ermitteln. Erfasst werden alle Sortier- und

Verwertungsanlagen, unabhängig von ihrem technischen Stand. Eine konkrete Massenschwelle für die sortierten oder verwerteten Massen oder eine Prozentzahl für die am Markt belieferten Anlagen (z. B. eine Mehrzahl der Anlagen) ist für die Ermittlung der Praxis der SuV nicht anzuwenden. Eine Massenschwelle würde dem Ziel, die Praxis der Sortierung und Verwertung zu beschreiben, widersprechen.

Um einen Orientierungspunkt für die Festlegung der Beteiligungsentgelte mit Bezug zum Kriterium der Recyclingfähigkeit zu bilden, sollten als Grundlage für die auf der Kenntnis der Praxis der SuV aufbauenden Tätigkeiten die Anlagen aber in Cluster gruppiert werden, z. B. in solche Recyclingpfade/Anlagen, die dem Stand der Technik entsprechen, und andere

Recyclingpfade/Anlagen (siehe unten Kapitel 3.3).

Bei der Feststellung der Praxis der SuV sind auch Sortier- und Verwertungsmaßnahmen zu erfassen, bei denen eine hochwertige Verwertung in einem erfolgreichen Probetrieb nachgewiesen wurde, wenn diese Anlagen bereits einen tatsächlichen Verwertungsweg am Markt eröffnen (siehe Abschnitt 2.2.2).

► Ist es notwendig, dass ein bestimmter Massenanteil des Abfallstroms die entsprechenden Anlagen durchläuft?

Ein bestimmter Massenanteil der Verpackungen muss die Sortier- und Verwertungsanlagen tatsächlich durchlaufen, damit diese Sortier- und Verwertungspfade in der Praxis vorkommen

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(vgl. Abschnitt 2.4.2.6). Der Massenanteil ist aber nicht als Abschneidekriterium zu

charakterisieren. Ausreichend für die Abbildung als Teil der Praxis der SuV ist, dass die Anlage einen tatsächlichen Verwertungsweg eröffnet und dieser auch genutzt wird, unabhängig wie hoch der Anteil am Abfallstrom ist, der durch die Anlage läuft.

► Welche Bedeutung haben in der Branche vereinbarte Standards, z. B. zu Sortierfraktionen und deren Qualität?

Die branchenbezogenen Standards zu Sortierfraktionen und Produktqualität geben einen

Hinweis auf die am Markt bestehenden Anforderungen an Rezyklate (siehe Abschnitt 2.4.2.4). So kann z. B. aus den Spezifikationen vom Dualen System Deutschland (DSD)195 ein Überblick gewonnen werden, welche Materialarten und Materialfraktionen sortiert und verwertet werden.196 Diese Standards wirken sich damit auch direkt darauf aus, wie eine hochwertige Verwertung von Verpackungsabfällen bestimmt wird. Zwar handelt es sich bei den Standards um nicht rechtsverbindliche Techniknormen (siehe Abschnitt 2.2.4), aber sie sind als derzeit in der Praxis üblicher technischer Standard bei der Bestimmung der Recyclingfähigkeit mittelbar von Relevanz.

► Inwieweit wird die Marktdurchdringung technischer Neuerungen in der Sortier- und Verwertungstechnik und beim Verpackungsdesign erschwert oder ermöglicht?

Die in diesem Gutachten vertretene Auslegung der Praxis der SuV als deskriptive Beschreibung aller Sortier- und Verwertungsanlagen, die einen tatsächlichen Verwertungsweg für ein

hochwertiges werkstoffliches Recycling am deutschen Markt eröffnen, unabhängig von einem massenbezogenen Abschneidekriterium, steht Neuerungen in der Sortier- und

Verwertungstechnik nicht entgegen. Hingegen würde ein massenbezogenes

Abschneidekriterium für die Abbildung als Teil der Praxis der SuV dazu führen, dass die Anlagen unterhalb der Massenschwelle bei der Ermittlung der Praxis der SuV nicht berücksichtigt

werden können. Damit gäbe es keine Anreize für Verpackungshersteller und duale Systeme, in systembeteiligungspflichtige Verpackungen bzw. innovative Sortier- und Verwertungstechniken zu investieren, die im Vergleich zum Status-quo der Praxis der SuV ein höherwertiges

werkstoffliches Recycling ermöglichen, aber zu Beginn noch keine hohe Mengenrelevanz aufweisen. Dies würde die Marktdurchdringung von innovativen Sortier- und

Verwertungsanlagen für systembeteiligungspflichtige Verpackungen eher erschweren.

► Welche Unterschiede bestehen zwischen dem Begriff der Praxis der SuV nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 VerpackG und den Verwertungswegen nach § 21 Abs. 3 VerpackG?

Der Mindeststandard für die Bemessung der Recyclingfähigkeit legt die Praxis der SuV nicht 1:1 zugrunde. Dies ist aufgrund der unterschiedlichen Begrifflichkeiten in Abs. 1 und 3 nicht

erforderlich oder zielführend. Die Formulierung des Abs. 3 ermöglichst es ZSVR und UBA, im Mindeststandard zu abstrahieren und zusätzliche Aspekte wie Entwicklungsrichtungen zu bedenken. Die Formulierung der Praxis der SuV in Absatz 1 ermöglichst es den Systemen, ihre spezifische Situation bei der Ausgestaltung der Beteiligungsentgelte zugrunde zu legen und zusätzlich zu den Mindestkriterien des Mindeststandards aufgrund ihrer spezifischen Praxis der SuV weitergehende Kriterien für die Ermittlung der Recyclingfähigkeit einzubeziehen.

Gleichwohl müssen sie die Praxis der SuV auch hinsichtlich des Kriteriums der

195 Siehe die Merkblätter zu den einzelnen Spezifikationen auf der Internetseite der Dualen System Deutschland GmbH, DSD: Downloads – Spezifikationen, Stand 2017; unter: https://www.gruener-punkt.de/de/download.html (so am 8.1.2020).

196 Zu weiteren Produktspezifikationen anderer Akteure siehe ZSVR (2019), Anhang 1 des Mindeststandards zur Bemessung der Recyclingfähigkeit.

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Recyclingfähigkeit bei der Entgeltgestaltung berücksichtigen. Die verschiedenen Begrifflichkeiten ergänzen sich daher im systematischen Zusammenhang und knüpfen aneinander an.