Austausch mit der Umwelt verringerten wurde die Bindung unter Patienten und Mitarbeiter gestärkt.
• Der Selbstwert und das Selbstverständnis der in der therapeutischen Gemeinschaft sozialisierten Mitarbeiter ist bedroht, wenn die therapeutische Gemeinschaft, mit der der Mitarbeiter sich bis dahin identifiziert, durch die Umwelt geringgeschätzt wird.
Strukturvorgaben und Kontrollinstrumente der Leistungsträger werden als versteckte oder offene Kritik an der bisher geleisteten Arbeit wahrgenommen.
• Spaß an der Arbeit wird möglicherweise weniger erlebt, wenn der Eindruck entsteht, mehr auf Grund wirtschaftlicher Ziele der Träger und Vorgaben der Leistungsträger als auf Grund der Ergebnisse der Kommunikation „auf Augenhöhe“ mit Patienten und Mitarbeitern zu handeln.
Folgt man Stracke, ist der Prozess der Umgestaltung der alten therapeutischen Gemeinschaften im Bereich der Rehabilitation von Drogenabhängigen hin zu Fachkliniken, die den Organisationsprozessen moderner Kliniken und damit auch den Vorstellungen der Leistungsträger entsprechen, noch längst nicht abgeschlossen. Widerstände resultieren aus den Traditionen der Einrichtungen und dem Selbstverständnis der Mitarbeiter. Darüber hinaus ist aber auch denkbar, dass die Organisationsform „Klinikbetrieb“ und der damit verbundene Versuch der Behandlungsoptimierung durch Linearisierung von Behandlungsabläufen nicht den menschlichen Veränderungsprozessen entspricht, die eher dynamisch verlaufen und durch Rückkopplungsprozesse gekennzeichnet sind (vgl. Stracke 2010). Durch die in der Phase fünf langsam erfolgende Integration von Substitutionstherapie in die Entwöhnungsbehandlung, die ein weiter differenziertes Behandlungsangebot – mindestens im somato-medizinischen Bereich der Fachklinik – erfordert, wird der Prozess der Entwicklung in Richtung einer neuen Organisationsform möglicherweise beschleunigt.
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im Krankenhaus begonnene Therapie unter möglichst realen Lebensbedingungen außerhalb der Klinik fortzusetzen. Dazu entwickelte der ADV das Konzept für mehrere therapeutische Wohngemeinschaften im Zentrum von Berlin. Die erste Wohngemeinschaft eröffnete noch im selben Jahr. 1980 wurde eine überbetriebliche Ausbildungstischlerei in Berlin-Kreuzberg gegründet, um den Patienten eine Beschäftigungsmöglichkeit und eine berufliche Perspektive zu geben. Ähnliche Zwecke verfolgte der 1981 gegründete erste „Kleinholz-Spielzeugladen“
in Schöneberg. Auch die HIV-Problematik bewegte den Verein, so dass im Rahmen eines Nachsorgeangebotes 1987 zwei Lebenswohngemeinschaften für HIV-positive, abstinent lebende Menschen gegründet wurden. Ab 1988 kamen weitere Kleinholz-Spielzeugläden hinzu, die vor allem der beruflichen Integration und Beschäftigung von drogenabhängigen Menschen dienten.
1990/91 veränderte sich die Sicht auf die Drogentherapie und im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands auch auf ihre Finanzierung in Berlin. Bis 1991 wurden die Einrichtungen des ADV durch Zuwendungen des Berliner Senats gefördert. Diese deckten rund 90 % der Kosten. Aufgrund der schwierigen Berliner Haushaltslage sollte der ADV e. V. nunmehr innerhalb von sechs Monaten eine Finanzierungsvereinbarung mit der Rentenversicherung treffen. Die Zuwendungen aus dem Landeshaushalt wurden gekürzt und ihr Wegfallen angekündigt.
Neben existentiellen Sorgen für den Träger waren hiermit auch konzeptionelle Diskussionen verbunden. Aufgrund der standardisierten konzeptionellen Vorgaben des Rentenversicherungsträgers sollte das Konzept der Einrichtung völlig verändert werden. Dies hatte zur Folge, dass das ursprüngliche, offene Therapieangebot mit den dezentralen Wohngemeinschaften nicht mehr existieren konnte (s. Abbildung 5.1 „Todesanzeige“).
Abb. 5.1: „Todesanzeige“, Flugblatt, 1991
Trotz des Zeitdrucks gelang es, mit der Rentenversicherung die Finanzierung der Therapie über Tagespflegesätze zu vereinbaren. Strukturelle Vorgaben des Rentenversicherungsträgers mussten umgesetzt werden: Der Therapieverbund mit der Station 19 des Krankenhauses Havelhöhe wurde aufgehoben. Ein wissenschaftlich fundiertes Konzept wurde erarbeitet und dem federführenden Rentenversicherungsträger zur Genehmigung vorgelegt, eine ärztliche Leitung wurde eingeführt sowie ein Umzug der dezentralen Wohngemeinschaften an einen gemeinsamen Standort durchgeführt. Durch Umzug der Wohngemeinschaften in ein Berlin-Neuköllner Haus entstand die Fachklinik F42 des ADV e. V.
Die Orientierung an den Vorgaben der Rentenversicherung erfolgte also nicht freiwillig, sondern nur unter dem Druck notwendiger Finanzierungsumstellung. Die Mitarbeiter, die vorher die therapeutischen Gemeinschaften betreut hatten, sollten jetzt Therapien im Rahmen
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durchführen. Dies führte zu Teamkonflikten, die personelle Veränderungen und einen Wechsel in der therapeutischen Leitung nach sich zogen.
Nach und nach veränderten sich weitere zentrale Bestandteile der früheren therapeutischen Wohngemeinschaften: Bis 1995 konnten Patienten über die Neuaufnahme anderer Patienten
„mitbestimmen“. Auch über die Fortführung der Therapie eines Patienten nach einem Rückfall wurde noch lange „basisdemokratisch“ von der Bezugsgruppe (mit)entschieden.
Nach einer Visitation des zuständigen Leistungsträgers gab es erhebliche Kritik des federführenden Leistungsträgers (BfA bzw. DRV Bund) an der Struktur- und Prozessqualität:
Die Raumsituation orientiere sich stärker an den Wünschen und Vorstellungen der Patienten, z. B. in Bezug auf Hygiene und Einrichtung der Patientenzimmer, als an den Standards einer medizinischen Einrichtung. Die Personalvorgaben seien nicht erfüllt worden, da „Ex-User“
therapeutische Aufgaben erfüllten. Strukturvorgaben im Sinne einer Hierarchie und einer deutlichen Trennung zwischen professionell handelnden Mitarbeitern und Patienten würden nicht ausreichend umgesetzt. Vor allem bezog sich die Kritik auf den Vorwurf, ein wissenschaftliches Konzept nur pro forma, aber nicht inhaltlich zu vertreten und weiter einem eher „gesellschaftlichen“ als medizinischem Suchtbegriff zu folgen. Das Konzept wurde 1996 neu formuliert und deutlich stärker an den Vorgaben der Rentenversicherung ausgerichtet.
Dies beinhaltete eine zunehmende Professionalisierung bzw. Qualifizierung des therapeutischen Personals.
Das Spannungsfeld zwischen den Traditionen des ADV und den Vorgaben der Rentenversicherung blieb jedoch bestehen, was immer wieder zu Konflikten führte. Vor allem die räumliche Ausgestaltung der Therapieeinrichtung in einem normalen Berliner Mietshaus und die Umgebungsfaktoren der Lage in der Stadt wurden als Störfaktoren für die Behandlung wahrgenommen. Während in der F42 Eigenverantwortung und Autonomie der
„Klienten“ betont wurde, sprachen die Leistungsträger schon lange von „Patienten“, die in einem bestimmten Behandlungssetting zu behandeln, vor Einflüssen zu schützen und als nicht erwerbsfähig anzusehen seien, so dass auch das Umfeld der Therapieeinrichtung, ein eher sozial problematischer Stadtteil Berlins und die weitgehende Selbstversorgung, negativ bewertet wurde. Eine ähnlich negative Bewertung erfuhr die Arbeitstherapie, die in Form einer Tischlerei durchgeführt wurde. Hier verrichteten die Patienten Tätigkeiten, die denen in einer „normalen“ Tischlerei ähneln. Differenzen im Menschenbild wurden auch in der Diskussion über die in der Fachklinik durchgeführte Selbstversorgung der Patienten im
Bereich der Ernährung deutlich. Einer Kompetenzannahme in Bezug auf den Patienten seitens der Fachklinik stand eine Defiziterwartung seitens der Rentenversicherung gegenüber, die entsprechend eine Versorgung und Anleitung der Patienten in Ernährungsfragen erwartete.
2003 wurde ein teilstationäres Konzept entwickelt, das intensiv mit der DRV diskutiert wurde. Die Umsetzung scheiterte an den räumlichen Gegebenheiten, die nicht den Strukturanforderungen der DRV für neue Einrichtungen entsprach. Im selben Jahr wurde die Rechtsform des Trägers der Fachklinik geändert. Aus dem wesentlich auch durch Mitarbeiter geprägten Verein wurde die Fachklinik ausgelagert und in eine gGmbH überführt. Dies sollte auch die Umsetzung von Vorgaben der Rente durch die Geschäftsführung und Klinikleitung erleichtern50, die bei „alten“ Mitarbeitern weiter auf viel Skepsis trafen.
Ab 2006 übernahm ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie die Einrichtungsleitung.
Dem voraus gegangen war wiederholte Kritik der Leistungsträger an der nicht ausreichenden Qualifizierung der leitenden Ärztin, die nur über die Fachkunden in Suchtmedizin und Psychotherapie verfügte, aber nicht Facharzt war. Mit dem Wechsel waren Erwartungen der Leistungsträger in Richtung einer stärkeren Hierarchisierung und Arbeitsteilung in der Fachklinik verbunden. Im selben Jahr wurde auf Anregung der Rentenversicherung ein modulares Behandlungskonzept erstellt, das in einem ersten Teil die Grundlagen der Rehabilitation in der ADV gGmbH im allgemeinen darstellte und durch spezifische Konzepte für die Langzeittherapie und die neu angebotene Kurz- und Kombinationsbehandlung ergänzt wurde. Damit wurden differenziertere Indikationsstellungen in Bezug auf die Dauer der Behandlung möglich.
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