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4.4 Integration von Substitutionsbehandlungen in das System der Rehabilitation

4.4.3 Effekte langfristiger Substitution: Ergebnisse der „Premos“ Studie

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Substitutionsvergabe beim substituierenden Arzt, der also auch persönlich bereit sein muss, diese Verantwortung zu tragen.

Zur Lagerung der Substitutionsmittel und der Betäubungsmittelrezepte muss gemäß den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes ein Tresor zur sicheren Lagerung vorhanden sein.

Darüber hinaus gibt es für die Rezepte genau definierte Formalien, die einzuhalten sind.

Fehlerhaft ausgestellte Rezepte und der beim Arzt verbleibende Teil des Betäubungsmittelrezeptes müssen mindestens drei Jahre lang aufbewahrt werden und gegebenenfalls der zuständigen Landesbehörde vorlegt werden können.

Neben den allgemeinen Dokumentationspflichten, die sich aus dem Berufsrecht und aus den Vorschriften der Leistungsträger ergeben, gibt es weitere Dokumentationsverpflichtungen in der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtmGvv). Diese Verordnung bestimmt, dass jeder Arzt Substitutionsbehandlungen an die Bundesopiumstelle zu melden hat, die ein Substitutionsregister führt, um Doppelsubstitutionen zu vermeiden. Neben der Dokumentation im Rahmen der Qualitätssicherung und der Dokumentation für die Leistungsträger ist darüber hinaus eine Substitutionsbescheinigung auszustellen, die zeitweilige oder dauerhafte Wechsel des behandelnden Arztes festhält.

Durch die Vielzahl der beteiligten Gesetze und die restriktive Zielsetzung des Betäubungsmittelgesetzes, das Zuwiderhandlungen schnell als Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten behandelt, wird ein Abschreckungseffekt erzielt. Dieser Effekt ist zum Teil sicher gewollt, um den Missbrauch von Betäubungsmitteln einzuschränken oder zu verhindern, wirkt aber auch unspezifisch auf Behandlungseinrichtungen, die mit opiatabhängigen Menschen arbeiten, aber von ihrer Tradition her eher nicht-medizinisch ausgerichtet sind und personelle Schwierigkeiten haben, die rechtlichen Vorgaben zu erfüllen.

Patienten (11 %) wurden abstinent oder wechselten in eine weiterführende drogenfreie Abstinenztherapie. Die Haltequote betrug 65 % und die meisten Patienten reduzierten ihren Substanzkonsum. Damit einher ging eine Verbesserung des Gesundheitszustands der oft auch chronisch psychisch und körperlich kranken Patienten.

Eine repräsentative Längsschnittstudie stellt die „Premos-Studie42“ (vgl. Wittchen et al. 2011) dar, die zwischen 2003 und 2010 zu insgesamt maximal fünf Untersuchungszeitpunkten mit Ausschöpfungsquoten zwischen 71 und 91 % 2694 Patienten über einen 6-Jahres-Zeitraum untersuchte. Lediglich die letzte der Nachuntersuchungen wurde an einer Zufallsauswahl von 33 % der Patienten der vorangegangenen Nachuntersuchung durchgeführt. Insgesamt standen 1624 vollständige Datensätze zur Verfügung, auf die sich die Schlussfolgerungen der Studie stützen. Dabei wurden vor allem die Themenbereiche „Beschreibung von Verlauf und Ergebnis langfristiger Substitution“ und „Analyse der Einflussfaktoren auf Verlauf und Ergebnis langfristiger Substitution“ erfasst.

Patientenmerkmale zum Studienbeginn

Das Durchschnittsalter lag bei 35,3 Jahren, 53,1 % waren arbeitslos, 3,7 % ohne festen Wohnsitz oder in Einrichtungen lebend. Die Dauer des Opioidgebrauchs betrug im Durchschnitt 15,4 Jahre, die meisten Patienten befanden sich schon länger als 4 Jahre in Substitutionstherapie, mindestens jedoch bereits zwei Monate. Für 28,6 % war es die erste Substitutionsbehandlung. 61,1 % wurden als leichtgradig, 32,5 % als mittelschwer und 6,4 % als schwer suchtkrank beurteilt. Der Beigebrauch betrug 20 - 25 % für Heroin, 1 - 10 % für Kokain und 27 – 47 % für Cannabis. Die somatische Morbidität war im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung vierfach erhöht: 77 % litten an mindestens einer schwerwiegenden körperlichen Erkrankung, vor allem chronischen HCV-Infektionen (67,7 %). Die psychischen Morbidität war im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung zweifach erhöht, 30 % wiesen zwei oder mehr Störungen nach ICD 10 auf. 83,3 % der Patienten zeigten auffällig erhöhte Werte in der psychopathologischen Belastung.

Behandlungsmerkmale und Veränderungen im Laufe der Studie

Anfangs standen für fast alle Patienten (85 - 99 %) die Verminderung der negativen Auswirkungen des Drogenkonsums im Vordergrund. Abstinenz bzw. Opioid- und Substitutsfreiheit wollten immerhin anfangs 53 – 69 % erreichen, dieser Anteil stieg im

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Verlauf deutlich um 15 bis 20 % an, so dass mindestens dreiviertel der Patienten dieses Ziel anstrebten.

Während des Studienzeitraums stieg der als stabil eingeschätzte Dosisstatus leicht an. 70 % der Patienten verblieben im Beobachtungszeitraum in Substitution, 21 % unternahmen mindestens einen Versuch der Abdosierung. Die psychosoziale Betreuung wurde relativ wenig in Anspruch genommen und betrug am Ende des Beobachtungszeitraums zwischen 54,8 % und 47,1 % gegenüber 76,1 und 60,8 % Teilnahmequote zu Beginn.

Ergebnisse für die Gesamtgruppe der Untersuchten

In der Premos-Studie wird zwischen primären und sekundären Zielkriterien unterschieden.

Für die Beurteilung der primären Zielerreichung wurden zwei Outcome-Gruppen gebildet, die einen positiven oder ungünstigen Verlauf definieren. Danach zeigen 46 % der Patienten nach sechs Jahren in den letzten zwölf Monaten einen stabilen Substitutionsverlauf, 7,1 % waren abstinent oder in abstinenzorientierter Therapie. Allerdings wird kritisch angemerkt, dass bei zeitlich differenzierter Analyse nur 30 % der Patienten einen stabilen Substitutionsverlauf aufweisen. Auch die Abstinenz scheint nicht über die Zeit stabil zu sein. Insgesamt wird der Klassifikationsversuch „günstig versus ungünstiger Verlauf“ als nicht als nicht aussagefähig beurteilt, weil er der Heterogenität und der zeitlichen Dynamik der Erkrankung nicht gerecht wird. Die Nützlichkeit und Aussagekraft dieser Beurteilungsversuche beschränkt sich auf Zeiträume von etwa einem Jahr.

In den sekundären Zielkriterien werden die Ergebnisse überwiegend positiv interpretiert. Der Beigebrauch reduziert sich insgesamt für alle erhobenen Substanzen von 58,9 % auf 40,7 %.

Opioidbeikonsum reduziert sich von 21,2 % auf 12,8 %, bei der letzten Nachuntersuchung konsumieren 33,4 % Cannabis und 18,6 % Benzodiazepine oder Barbiturate. Dieser relativ hohe Anteil wird damit erklärt, dass rund ein Drittel der Patienten eine Dosierung erhält, die unter der empfohlenen Erhaltungsdosis liegt. Der Alkoholkonsum wurde nicht als problematischer Beikonsum erfasst, sondern nur im Rahmen der Ermittlung der Lebenszufriedenheit berücksichtigt.

Bemerkenswert ist die geringe Verbesserung in der körperlichen und psychischen Morbiditätslage. Die körperliche Morbidität wird vor allem durch die erfolgreiche Behandlung von Hepatitis B und C gesenkt, allerdings kam es in den insgesamt 9

untersuchten Krankheitsgruppen nur noch bei neurologischen Erkrankungen zu einer Abnahme, alle anderen Erkrankungsarten wiesen einen mehr oder weniger starken Anstieg auf43.

Bezüglich der psychischen Morbidität gibt es ebenfalls Verbesserungen, so steigt der Anteil der Patienten ohne psychische Belastung von 36,7 % auf 44,3 %. Jedoch bleibt mehr als die Hälfte schwer psychopathologisch auffällig. Depressive Erkrankungen, Schlafstörungen, Angststörungen und Persönlichkeitsstörungen nehmen zu. Entsprechend ist die Entwicklung in der generischen Lebensqualität. Der Anteil unauffälliger Patienten stieg von 27,6 % auf 30,7 %, der der schwer beeinträchtigten aber deutlicher von 20,6 auf 34,5 %. Besonders positiv stechen die abstinenten Patienten heraus, die mit Abstand die höchste Lebensqualität erreichen. Eine systematische Untersuchung der funktionalen Gesundheit, wie sie im ICF konzeptualisiert ist fand nicht statt.

Die berufliche Situation verbessert sich etwas. Der Anteil Arbeitsloser sinkt von 51,6 % auf 42 %. Deutlich sind auch die Verbesserung in der Wohnsituation und der Rückgang der Drogendelikte und der Haftquote.

Die substituierenden Ärzte geben Zielerreichungsquoten von 70 % bis 80 % an, wobei besonders die Abstinenz von illegalen Drogen als erreichtes Ziel genannt wird44. Deutlich seltener wird „Opioidabstinez“ oder „Vermittlung in Abstinenztherapie“ als erreichtes Ziel erwähnt, obwohl dieses Ziele von mehr als dreiviertel der Patienten angestrebt wird.

Folgerungen aus der Premos-Studie

Bei Gruppenvergleichen wird deutlich, dass die Gruppe der Abstinenten in allen untersuchten Variablen (Lebensqualität, Schweregradindex, Morbidität) die besten Ergebnisse zeigt, gefolgt von den stabil substituierten Patienten. Besonders Patienten mit Beigebrauch und instabilem Substitutionsverlauf zeigen schlechte Werte. Die Gruppe der Patienten mit abgebrochener Substitutionsbehandlung weist dazu im Vergleich überraschend gute Werte auf. Eine Abstinenzorientierung in der Substitution scheint aber dennoch nicht eindeutig empfehlenswert, da sich zwar grundsätzlich die Werte für den Schweregrad und den

43 In der Studie wird dieses Ergebnis nicht näher interpretiert. Neben der sicher zum Teil auf Alterungsprozesse

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Beigebrauch verbessern, allerdings auch eine höhere Mortalität und Abbruchrate der Substitution beobachtet wird45. Dies lädt zu der Folgerung ein, dass „…eine regelhafte Beendigung der Substitution mit dem Ziel Abstinenz für die überwiegende Mehrzahl aller teilnehmenden Substitutionsärzte und die Mehrzahl ihrer Patienten im langfristigen Therapieverlauf kein sinnvolles Behandlungsziel ist“ (Wittchen et al. 2011, S. 79). Dabei wird aber nicht die Förderung der Abstinenz durch eine Rehabilitation diskutiert. Damit werden das erklärte Ziel der Mehrheit der Patienten und die Möglichkeiten der Rehabilitationsbehandlungen in Fachkliniken bei dieser Einschätzung übergangen.

Bedauerlich ist, dass in der Studie „von den ursprünglich 96 Personen in einer abstinenzorientierten Behandlung … aus Datenschutzgründen keine Informationen gesammelt werden“ (Wittchen et al. 2011, S. 123) konnten. Vor dem Hintergrund der für abstinenzorientierte Therapien vorliegenden Ergebnisse (vgl. Funke, 2011b; Fischer, 2008, Fischer et al. 2007a, 2007b) mit Abstinenzquoten von 22 bis 55 % in den Katamnesen scheint hier ein Potential für deutliche Verbesserungen oder Ergänzungen der Substitutionstherapie zu liegen.

Trotz hohem Behandlungsbedarf (nach Einschätzung der Ärzte 84,3 bis 95,4 %) und hoher Belastung der Patienten durch psychische Störungen (63,3 bzw. 55,7 % nach sechs Jahren Substitutionstherapie) wird nur eine geringe Zusammenarbeit mit psychiatrischen (22,4 %) und psychotherapeutischen (18 %) Institutionen festgestellt. Eine Zusammenarbeit mit Rehabilitationseinrichtungen wird überhaupt nicht berichtet. Insgesamt wird für die Gesamtgruppe nur durchschnittlich ein Termin bei einem Psychiater oder Psychotherapeuten in den letzten 12 Monate als Durchschnittswert ermittelt. Hier sind dringend Verbesserungen zu fordern, da die Psychotherapie von Drogenabhängigen in Substitutionsbehandlung durchaus wirkungsvoll ist (vgl. Specka u. Scherbaum 2011).

Es werden überwiegend höchst komplexe und variable Langzeitverläufe gefunden, in denen krisenhafte Zuspitzungen und Verschlechterungen selbst bei positiv verlaufender Substitution – oder erreichter Abstinenz – eher die Regel als die Ausnahme sind. Festgehalten werden

45 Gerade diese Einschätzung der Premos-Studie wird kontrovers diskutiert. „…Teilhabeorientierung, Rehabilitation oder Abstinenz gelten jedoch als „Risiko“, Behandlung von psychischer Komorbidität und die Betreuung von Müttern, Eltern und Kindern bleiben hinter dem Notwendigen zurück. Der Fachverband Drogen und Suchthilfe hält eine Verbesserung der Substitutionsbehandlung in allen Bereichen der Teilhabe für dringend notwendig“ (Fachverband Drogen- und Suchthilfe 2012, pdf S. 5)

durchschnittlich deutliche Verbesserungen in einer Reihe von Kriterien, z. B. Senkung des Beigebrauchs von 58,9 % auf 40,7 % (jedoch ohne Berücksichtigung möglicher Veränderungen im Alkoholkonsum) und Verbesserung der somatischen Morbidität in Teilbereichen (HCV), sowie positive Veränderungen durch geringere Kriminalitätsbelastung und verbesserte Wohn- und Beschäftigungssituationen. Dies schlägt sich aber nur teilweise in einer höheren Lebenszufriedenheit nieder. Die psychische Morbidität bleibt hoch und die Chancen zur Mitbehandlung komorbider psychischer Erkrankungen werden nicht ausreichend genutzt.

Ein Modell, dass die Einflussfaktoren für günstige oder ungünstige Langzeitverläufe darstellt, konnte nicht gefunden werden. Dies deutet darauf hin, dass die Erfassung von personenbezogenen Variablen allein, ohne die Berücksichtigung situativer Faktoren und der individuellen Lebenssituation, die Behandlungserfolge und –misserfolge nicht angemessen aufklären kann.

Trotz der deutlich positiveren Werte in Morbidität, Lebenszufriedenheit und Schweregradindex für abstinente Patienten wird empfohlen, die Abstinenz nur nach sorgfältiger Prüfung im Einzelfall anzustreben, da die Risiken durch Rückfälle einerseits hoch und die Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften Abstinenz andererseits als gering eingeschätzt werden. Dabei werden jedoch die Ergebnisse der Patienten, die in abstinenzorientierte Therapien wechselten, nicht erhoben und entsprechend nicht berücksichtigt. Zwar wird ausdrücklich eine bessere Kooperation, zum Beispiel in Modellprogrammen zwischen Substitutionsstellen, PSB sowie Psychiatern und Psychotherapeuten empfohlen. Die bestehenden Versorgungsangebote im Rahmen der ambulanten und stationären Rehabilitation oder die bestehenden Möglichkeiten, Patienten gemäß der Anlage 4 der „Vereinbarung zwischen Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern“ in Rehabilitationsbehandlungen zu vermitteln, werden hingegen nicht erwähnt. Dies bestätigt die These von Heinz, der postuliert, dass „die Opiatsubstitution (…) de facto als Ausschlussgrund gegenüber der medizinischen Rehabilitation“ (Heinz 2011, S. 2) wirkt, u. a. auf Grund von mangelnder

„Kenntnis und Feldkompetenz hinsichtlich der medizinischen Rehabilitation“ (ebd. S. 2) seitens des substitutionsorientierten Gesundheitswesens.

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