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In der vorliegenden Arbeit wurde gezeigt, dass die zentralnervös wirksamen Medikamente Desipramin, Doxepin, Imipramin, Citalopram, Mirtazapin, Amisulprid und Quetiapin die organischen Kationentransporter hOCT1, hOCT2 und hOCT3 hemmen. In dieser Arbeit wurden als Expressionssystem Zelllinien verwendet: Sie sind permanent und stabil mit den humanen organischen Kationentransportern transfiziert, lassen sich in der Kultur bei guter Pflege sehr einfach vermehren und wurden bereits in vielen Studien für derartige Zwecke verwendet (Breidert et al 1998;

Busch et al 1996,1998; Martel et al 1996; Tamai et al 1997,1998). Für die Versuche wurden die Zelllinien CHO (chinese hamster ovary) und HEK (human embryonic kidney) eingesetzt, in denen die mRNA aller drei OCTs exprimiert war. Der Kontrolltyp dieser Zellen (CHO-pcDNA5 und HEK-CMV, Leervektoren) weist eine geringe Transportaktivität für MPP auf und exprimiert die organischen Kationentransporter nicht (Martel et al 2001). Die HEK293-Zellen stammen aus menschlichen embryonalen Nierenzellen, welche durch den menschlichen Adenovirus 5 transformiert wurden (Graham et al 1977), die CHO-Zellen von chinesischen Hamsterovarien. N-Methyl-4-Phenylpyridinium (MPP+) gilt als prototypisches Substrat für die organischen Kationentransporter, das von allen drei hOCTs mit vergleichbaren Affinitätskonstanten (Kt) transportiert wird (Koepsell et al 2007); die Aufnahme von MPP+ an transfizierten Zellen wurde ausführlich beschrieben (Bleasby et al 2000; Russ et al 1992, 1993; Shang et al 2003). Deshalb wurden die Hemmversuche und die Kontrollen mit diesem Neurotoxin als Modellsubstrat gemacht. Bei der hier angewandten Messmethode ist die Aufnahme der zu untersuchenden Substanzen nur kurze Zeit linear, so dass Kurzzeitmessungen an den dissoziierten Zellen gemacht wurden. In anderen Publikationen werden die Messungen über längere Zeiten und an Monolayern durchgeführt (Bleasby et al 2000; Müller et al 2002; Neuhoff et al 2003). Der Vorteil der Kurzzeitmessungen liegt darin, dass hierbei noch keine Sättigung eingetreten ist, so dass auch initiale Raten messbar sind. Daher wurde für diese Arbeit diese Messmethode bevorzugt.

Die OCT-Subtypen überschneiden sich hinsichtlich ihrer Substratspektren stark und in vielen Organen sind mehrere Subtypen exprimiert. Daher ist es möglich, dass bei

fehlender Funktion einer der Transporter verwandte Transporterproteine bei ein und derselben Spezies die Funktion mit übernehmen (Arndt et al 2001; Urakami et al 2001). OCT1 und OCT2 besitzen eine sehr nahe verwandtschaftliche Beziehung bzgl. der Nukleinsäuresequenz mit dem OCT3 (Fukushima-Uesaka et al 2004; Itoda et al 2004), pharmakologisch stehen sich jedoch OCT2 und OCT3 näher (Gründemann et al 1999, 2000, 2003; Kerb et al 2002; Martel et al 1999; Wu et al 1998). Daher wurden in dieser Arbeit die Hemmkinetiken der Psychopharmaka (möglichst) jeweils an allen drei Transportern hOCT1, hOCT2 und hOCT3 gemacht und die IC50-Werte bestimmt. Für die Hemmkinetiken wurden auch weitere Substrate gesucht. Obwohl Histamin keine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Modellsubstrat MPP hat, wurden bei manchen Psychopharmaka Hemmkinetiken an mit hOCT3 transfizierten Zellen mit Histamin bestimmt, denn es gilt als physiologisches OCT-Substrat (Gründemann et al 1999). Die Km-Werte dieser Substrate für hOCT3 waren bereits in vorherigen Untersuchungen bestimmt worden und betrugen für das Histamin 180µM (Busch et al 1998; Gründemann et al 1999) und für MPP 47µM (Gorboulev et al 1997; Wu et al 2000; Zhang et al 1997,1998). Histamin ist ein wichtiger Neurotransmitter und Gewebehormon/Mediator, bei physiologischen Bedingungen positiv geladen und somit auf ein spezielles Transportsystem angewiesen. Im Gegensatz zu den anderen Neurotransmittern gibt es für Histamin jedoch keinen spezifischen Transporter, es sind nur die organischen Kationentransporter (OCT2 und OCT3) als spezielles Transportsystem für Histamin bekannt. Dieses funktioniert bei der Ratte gleichermaßen gut wie beim Menschen (Amphoux et al 2006).

Da viele Psychopharmaka nicht passiv membrangängig sind, ist insbesondere das Überschreiten der Blut-Hirn-Schranke und damit das Erreichen spezifischer Zielregionen im ZNS von Transportproteinen abhängig. Auch die Konzentration vieler Neurotransmitter wie z. B. der Monoamine, ist vom Vorhandensein spezifischer Transportsysteme abhängig. Je nach Wirkort der Monoamine wird ein veränderter Transportmechanismus mit verschiedenen Krankheitsbildern wie Depression, Morbus Parkinson oder Schizophrenie in Verbindung gebracht (Mössner et al 2001, 2002; Ogasawara et al 2006). Der vor allem phylogenetisch bedingt verschiedenartige Aufbau einzelner ZNS-Abschnitte und die tierartabhängig verschiedenen Qualitäten und Quantitäten der Neurotransmitter sowie ihre

Verteilungsunterschiede führen zu speziesspezifisch unterschiedlichen Antwortreaktionen auf die Applikation der gleichen Dosis eines ZNS-wirksamen Pharmakons. Im Gehirn befinden sich spezielle Transporter (SERT, DAT, NAT), die allesamt Neurotransmitter transportieren (siehe Abschnitt 1.3.), gleichzeitig wird ein Neurotransmittertransport durch die OCTs beschrieben (Amphoux et al 2006; Busch et al 1998; Gründemann et al 1998; Okabe et al 2005; Suhre et al 2005). Die physiologische Bedeutung von OCT1, OCT2 und OCT3 als Monoamintransporter wird angesichts des überlappenden Substratspektrums durch ihre Lokalisation bestimmt (Breidert et al 1998). Während eine Expression von OCT1 neben Organen wie Leber, Niere und Darm (Gorboulev et al 1997; Gründemann et al 1994; Kim et al 2006) in Endothelzellen von Hirnkapillaren, die an der Blut-Hirn-Schranke beteiligt sind, nachgewiesen wurde (Lin et al 2010), lässt sich der hOCT2 in den Pyramidenzellen des Gehirns nachweisen (Busch et al 1998). Der hOCT3 hingegen ist in sehr vielen anderen Zelltypen finden: Im Gehirn in der Area Postrema (Hirnareal; Haag et al 2004), Gehirnneuronen, sympathischen Ganglien, Gliazellen und dem Plexus choroideus (Jonker et al 2004; Koepsell H. 2004; Koepsell et al 2004), ebenso wie am Herz, in der Leber (Gründemann et al 1998) und in späteren Untersuchungen auch in Aorta, Skelettmuskulatur, Prostata, Drüsen, Plazenta und fetaler Lunge (Kekuda et al 1998). Eine Expression organischer Kationentransporter ist also in vielen Bereichen des Gehirns vorhanden. Obwohl der hOCT3 neben den bekannten Transportern DAT, NET, SERT, nicht als alleiniger zusätzlicher Monoamintransporter angesehen wird, spricht unter anderem gerade diese sehr breite Gewebeverteilung für seine Rolle als „zweite Verteidigungslinie“ für Katecholamine, die der neuronalen Wiederaufnahme an der Synapse entkommen sind (Amphoux et al 2006; Gasser et al 2006; Vialou et al 2004). In anderweitigen Untersuchungen wurden die Levels von Serotonin, Dopamin, Noradrenalin und Histamin bei sowohl Wildtyp als auch knockout Mäusen mittels HPLC bestimmt: es konnte gezeigt werden, dass die Abwesenheit von OCT3 mit einer signifikanten regionsspezifischen Erhöhung dieser Katecholamine verbunden ist. Der OCT3 spielt also eine wichtige Rolle in der Monoamin-Clearance (Kitaichi et al 2005; Nakayama et al 2007). OCT3-knockout Mäuse zeigten unterschwellige Verhaltensänderungen, des Weiteren war nach Inkorporation von Amphetaminen und Kokain bei den OCT3- knockout Mäusen eine deutliche Anreicherung dieser Drogen im Organismus festzustellen (Vialou et al 2008). Durch die Hemmung der Aufnahme von 5-HT durch

Kokain und Amphetamine beispielsweise lässt sich deren zentrale euphorisierende Wirkung erklären (Inazu et al 2001), gleichzeitig ist die Aufnahme von 5-HT jedoch durch SERT-selektive Inhibitoren nicht beeinflussbar (Chen et al 2001; Schmitt et al 2003). Daraus ergibt sich, dass Psychopharmaka die gesamten Wirkungssysteme der physiologischen Überträgerstoffe beeinflussen können. Die Neurotransmitter–

Systeme sind also Zielstruktur der Psychopharmaka und die Neurone Angriffspunkt für Psychostimulantien (Vialou et al 2008).

Die IC50-Werte des trizyklischen Antidepressivums (Inhibitor des Serotonintransporters) Desipramin am hOCT1 und hOCT2 sind relativ niedrig und unterscheiden sich kaum (hOCT1 3,0µM, hOCT2 4,8µM), die Hemmung des hOCT3 vermittelten Transports ist vergleichsweise hierzu relativ niederaffin (63,1µM) und unterscheidet sich deutlich von den beiden anderen Hemm-Konzentrationen. Die zu früheren Zeiten bestimmten IC50-Werte aus veröffentlichten Aufnahmeuntersuchungen (Gorboulev et al 1997; Wu et al 2000; Zhang et al 1998) konnten somit auch nur teilweise bestätigt werden (hOCT1 5,4µM, hOCT2 16µM, hOCT3 14µM). Obwohl die gemessenen IC50-Werte von Desipramin niedrig sind, werden sie im Patienten nie erreicht: Die Normwerte von Desipramin im Serum sind 0,1-1,1µM.

Bei den Transportversuchen mit 0,1µM 3H-markiertem Desipramin zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den verschiedenen Zelltypen, es wurde eine mittlere Aufnahme von 2,27 pmol/mg/sec gemessen. Auch die Hemmstoffe Desipramin, MPP und TBuA bewirkten in 5mM Konzentration keine Hemmung des Desipramin-Transports, im Gegenteil, die Zugabe von 5mM Desipramin bewirkte sogar stets eine signifikante Steigerung der Transportrate an den CHO-Zellen. An den HEK/CMV-Zellen fand mit den Hemmstoffen nie eine signifikante Änderung der Transportrate statt. Obgleich früher ein Transport von Desipramin über die organischen Kationentransporter beschrieben wurde (Gorboulev et al 1997; Koepsell et al 2003; Wu et al 2000; Zhang et al 1998), konnte er hier nicht bestätigt werden.

Die beobachtete Stimulation durch 5mM Eigensubstanz deutet jedoch darauf hin, dass die endogene Aufnahme von 3H-Desipramin in den CHO-Zellen nicht passiver Natur ist, sondern über ein kooperativ geregeltes Transportsystem vermittelt wird.

Bei dem ebenfalls trizyklischen Antidepressivum Doxepin wurden zur Hemmung des

3H-MPP Transports ebenfalls sehr niedrige IC50-Werte ermittelt (hOCT1 9,5µM, hOCT2 1,3µM, hOCT3 19,6µM). Es könnte nur bei regelmäßiger Einnahme und/oder Überdosierung dieses Medikamentes höchstens der hOCT2 blockiert werden, denn die Normwerte von Doxepin im Serum des Menschen betragen 0,035-0,717µM. Beim Versuch den Transport von radioaktiv markiertem Doxepin nachzuweisen, wurden bei den OCT-transfizierten CHO-Zellen und bei beim Kontrollvektor keine signifikanten Unterschiede in der Transportrate festgestellt (ø 1,06 pmol/mg/sec). Bei den Versuchen mit den klassischen OCT-Hemmstoffen war die Selbsthemmung im Gegensatz zum ungehemmten Transport hoch signifikant, die mit den Hemmstoffen MPP und TBuA nicht. Lediglich bei stabil mit hOCT1 transfizierten Zellen konnten alle Hemmstoffe eine signifikante Hemmung hervorrufen, der hOCT1 könnte also Doxepin transportieren. Die Aufnahme des Doxepin ist also größer als die Diffusion, aber diese ist -ausser beim hOCT1- nicht OCT-vermittelt, sondern erfolgt über einen endogenen Transporter.

Mittels Hemmkinetik wurden für das Psychopharmakon Imipramin die IC50-Werte 5,7µM (hOCT1), 1,4µM (hOCT2) und 56,8µM (hOCT3) ermittelt. Der im Jahr 2000 von Wu et al am hOCT3 gefundene Ki-Wert von 42µM wurde somit bestätigt. Bei regelmäßiger Einnahme von Imipramin beträgt beim Menschen die Serumkonzentration 0,178-0,536µM, eine Blockade des hOCT2 wäre also fast nur bei regelmäßiger Medikamentenüberdosierung möglich.

Bei dem Versuch den Transport von radioaktiv markiertem Imipramin nachzuweisen zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen OCT-transfizierten Zellen und Kontrollen und es wurde in allen CHO-Zellsystemen eine mittlere Aufnahmerate von 2,66 pmol/mg/sec ermittelt. Die OCT-Hemmstoffe MPP und TBuA zeigten keine Hemmung, die Hemmung mit 5mM Eigensubstanz war stets deutlich signifikant, auch in den HEK/CMV-Zellen. Diese Ergebnisse sprechen für die Existenz eines endogenen, nicht OCT-vermittelten Transportsystems für Imipramin.

Bei den Transportmessungen wurde der Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) Citalopram als starker Inhibitor des MPP-Transportes identifiziert.

Die Affinität von Citalopram zu den organischen Kationentransportern hOCT1 (IC50

3,1µM) und hOCT2 (IC50 11,9µM) ist hoch, die zu hOCT3 (IC50 145µM) niedriger. Die Normwerte von Citalopram beim Menschen im Serum liegen bei 0,093-0,4µM, eine

Blockade eines organischen Kationentransporters ist also nicht zu erwarten. Ein weiterer IC50-Wert des Citalopram für den humanen OCT3 konnte aus einem Hemmexperiment abgeleitet werden, bei dem die Histaminaufnahme über den hOCT3 mit steigenden Citalopramkonzentrationen in der Aufnahmelösung gehemmt wurde. Der hier ermittelte IC50 für Citalopram beim Histamintransport ist 91,7µM, beim MPP-Transport 145,2µM, die Affinität des hOCT3 für Citalopram ist demnach beim Histamintransport deutlich höher als beim MPP-Transport (p<0,01). Dies könnte in unterschiedlichen Bindungsstellen für Histamin und MPP begründet sein.

Ergebnisse früherer Arbeiten legen nahe, dass die OCTs komplexe Substratbindungstaschen besitzen (Popp et al 2005). Innerhalb dieser Bindungstasche gibt es vermutlich unterschiedliche Interaktionsdomänen für verschiedene Substrate. Dafür spricht vor allem, dass bei rOCT1 ein Austausch des Aspartat 475 durch Glutamat die Bindung von TEA oder TBuA stark verändert, die von MPP hingegen nicht (Gorboulev et al 1999). Es besteht die Vermutung, dass verschiedene Substrate und Inhibitoren erstens an unterschiedlichen, sich teilweise überlappenden Stellen der Bindungsregion binden können und dass die Bindungsregion zweitens gleichzeitig mit mehreren Liganden besetzt sein kann. Dies bedeutet die Liganden der Substratbindungstasche haben teilweise überlappende Interaktionsdomänen und können sich teilweise oder vollständig verdrängen (Popp et al 2005). Liganden mit kaum oder nicht überlappenden Interaktionsdomänen können sich dabei nicht wie kompetitive Hemmstoffe verhalten.

Bei dem Versuch OCT-vermittelten Transport von Citalopram nachzuweisen, wurde das radioaktiv markierte Citalopram in allen Zelltypen nur mit 5mM Eigensubstanz signifikant gehemmt. Die klassischen OCT-Substrate MPP und TBuA zeigten keine Veränderung der Transporteffizienz. Diese Ergebnisse lassen darauf schliessen, dass Citalopram endogen transportiert wird (deutliche Selbsthemmung), jedoch nicht über die organischen Kationentransporter.

Mirtazapin ist ein „Atypisches“ und ein gängig verwendetes Antidepressivum, welches durch Blockierung von Rezeptoren an der äußeren Zellwand eine weitere Serotoninausschüttung bewirkt. Die mittels MPP-Hemmung ermittelte Affinität des Mirtazapin zu hOCT2 (IC50 6,0µM) war hoch, die zu hOCT1 (IC50 71,8µM) und hOCT3 (IC50 24,9µM) geringer. Für den Histamin-Transport an mit hOCT3 transfizierten Zellen wurde ein IC50 von 15,6µM bestimmt, beide Substrate lassen

sich also gleichermaßen gut durch Mirtazapin hemmen (p>0,5). Die Normwerte von Mirtazapin beim Menschen im Serum liegen bei 0,038-0,38µM. Die gemessen IC50 -Werte liegen in einem Bereich von 6-71µM, damit ist eine Blockade eines organischen Kationentransporters beim Patienten nicht zu erwarten.

Amisulprid und Quetiapin gehören zu den Antipsychotika bzw. Neuroleptika, die in der Regel alle als Dopaminantagonisten wirken. Es wird diskutiert, dass sie nicht nur direkt das dopaminerge System beeinflussen, sondern kaskadenartig das Gleichgewicht der Neurotransmitter möglicherweise über Einwirkung organischer Kationentransporter. Quetiapin als Neuroleptikum hat eine erhöhte antagonistische Wirksamkeit an 5-HT-2-Rezeptoren. Die experimentell und rechnerisch ermittelten IC50-Werte des Amisulprid bei der Hemmung des 3H-MPP-Transports waren bei allen drei Transportern im gleichen niedrigen Größenbereich (hOCT1 19,3µM, hOCT2 27,8µM, hOCT3 11,1µM). Amisulprid als Antipsychotikum hat einen Normwert von 0,27-1,08µM im Patientenserum. Die Konzentrationen der ermittelten IC50-Werte liegen alle darüber, daher ist eine Blockade eines organischen Kationentransporters bei regelmäßiger und regelrechter Einnahme dieses Medikamentes nicht zu erwarten.

Die Hemmung der MPP-Aufnahme durch das Antipsychotikums Quetiapin an hOCT2 transfizierten Zellen (IC50 41µM) ist dreimal niedriger affin wie an hOCT1 (IC50

13,5µM) und wie an hOCT3 transfizierten Zellen (IC50 11,7µM). Für Quetiapin wurde ebenfalls der IC50 am hOCT3 mit Histamin als Substrat bestimmt (14,9µM).Die Werte von MPP und Histamin liegen in der gleichen Größenordnung, die Beeinflussung von Quetiapin auf die Funktion des hOCT3 verläuft gleichermaßen. Obwohl die gemessenen IC50-Werte von Quetiapin niedrig sind, werden sie im Patienten nie erreicht: Die Normwerte von Quetiapin im Serum betragen 0,196-1,3µM.

Die meisten getesteten Psychopharmaka kennzeichnen sich durch sehr niedrige IC50-Werte für die Hemmung des MPP-Transports, ebenso wie für den Histamintransport. Substanzen mit noch höheren Affinitäten zu den hOCTs wurden bisher nur wenige entdeckt, der überwiegende Teil der bisher getesteten Substanzen ist weit weniger affin zu den drei organischen Kationentransportern. Als hochaffin anzuführen wäre der Inhibitor Decynium 22 mit IC50 Werten von 0,1µM für hOCT2

und 0,09µM für hOCT3 (Gorboulev et al 1997; Hayer-Zillgen et al 2002) und Disprocynium mit einem IC50 von 0,015µM für den hOCT3 (Gründemann et al 1998;

Minuesa et al 2009). Trotz der sehr niedrigen ermittelten IC50-Werte war die Affinität der Hemmung der Aufnahme von 0,1µM MPP im Vergleich zu den bei der Behandlung mit diesen Medikamenten errechneten Blutkonzentrationen (Drs.

Hermann/Holzer, 11/2010) relativ gering (siehe Tabelle), so dass aufgrund dieser Daten kein Effekt auf den Neurotransmittertransport von hOCT2 und hOCT3 im Gehirn zu erwarten wäre.

IC50-Werte der Hemmung der Aufnahme von 0,1µM MPP durch Psychopharmaka und die Normwerte derer im Serum der Patienten [µM]:

Psychopharmakon hOCT1 hOCT2 hOCT3 NW i.S.

Desipramin 3,0 +/- 0,4 5,0+/- 0,4 64,0 +/- 6,0 0,1-1,1 Doxepin 9,5 +/- 1,3 1,3 +/- 0,2 19,6 +/- 3,4 0,035-0,717 Imipramin 5,7 +/- 0,7 1,4 +/- 0,2 56,8 +/- 5,1 0,178-0,536 Citalopram 3,1 +/- 1,8 11,9+/- 2,6 145,2 +/- 24,7 0,093-0,4 Mirtazapin 71,8 +/- 24,1 6,0 +/- 0,8 24,9 +/- 3,2 0,038-0,38 Amisulprid 19,3 +/- 2,1 27,8 +/- 2,4 11,1 +/- 0,9 0,27-1,08 Quetiapin 13,5 +/- 1,1 41,0 +/- 4,1 11,7 +/- 0,7 0,196-1,3

Aus zwei Gründen ist jedoch nicht auszuschliessen, dass hOCT2 und hOCT3 im Gehirn in vivo doch durch diese Medikamente gehemmt wird. Erstens könnte es sein, dass die beschriebenen Psychopharmaka den Transport von Neurotransmittern durch hOCT2 und hOCT3 mit höherer Affinität als der von MPP hemmen. Zweitens ist beschrieben worden, dass die organischen Kationentransporter mit sehr hoher Affinität durch bestimmte Hemmstoffe gehemmt werden, wenn sehr geringe Substratkonzentrationen für die Hemmung eingesetzt wurden (Koepsell et al 2011;

Nies et al 2011). Beispiel hierfür ist Lamivudine (Minuesa et al 2009). Der Grund für diesen Effekt ist bisher nicht verstanden. Offensichtlich besitzen die organischen Kationentransporter niederaffine und hochaffine Kationenbindungsstellen, die wahrscheinlich beide am Transportmechanismus beteiligt sind (Koepsell 2010).

Bei meinen Untersuchungen konnte ich keinen Transport von Desipramin, Imipramin und Citalopram durch hOCT1, hOCT2 und hOCT3 feststellen. Doxepin könnte

möglicherweise durch hOCT1 transportiert werden, ein Transport durch hOCT2 und hOCT3 war nicht festzustellen. Publizierte Daten unterstreichen den Aspekt, dass Substratbindung und Substrattransport auf grundsätzlich unterschiedlichen Mechanismen beruhen können. Am rOCT2 konnte ein Modell für OCTs vorgeschlagen werden, das neben der in zwei Konformationen vorliegenden Substratbindungsregion zusätzlich einen Selektivfilter annimmt, welchen die Substrate beim Transport passieren müssen (Schmitt und Koepsell 2005). Cholin beispielsweise hat mit etwa 400µM eine niedrige Affinität, aber eine hohe Wechselzahl. Die negativen Befunde meiner Versuche können jedoch nicht ausschliessen, dass die untersuchten Psychopharmaka doch mit geringer Transportrate transportiert werden. Während der Untersuchungen stellte sich nämlich heraus, dass die HEK293- und CHO-Zellen die zur Expression der untersuchten organischen Kationentransporter benutzt wurden, einen hochaktiven endogenen Transporter besitzen, welcher Imipramin, Doxepin und Citalopram transportiert. Da die Expressionshöhe der endogenen Transporter stark von den Kultivierungsbedingungen abhängig sind und deshalb von Versuch zu Versuch schwanken, ist es nicht möglich die Expression eines wenig aktiven Transportes von Doxepin, Imipramin und Citalopram durch OCTs auf dem Hintergrund des hochaktiven endogenen Transporters nachzuweisen. Daher muss für diese Substanzen ein Expressionssystem ohne endogene Transporter benutzt werden wie beispielsweise Xenopus laevis Oozyten (Oozyten des südafrikanischen Krallenfrosches). Weiterführende Untersuchungen mit solchen Expressionssystemen sollten durchgeführt werden, um abschliessend zu klären, ob ein geringgradiger Transport dieser Psychopharmaka durch OCTs stattfindet.

Bei der Untersuchung, ob der hohe endogene aber nicht OCT-vermittelte Transport der Psychopharmaka Imipramin, Doxepin und Citalopram über einen oder mehrere endogene Transporter erfolgt, konnte ermittelt werden, dass es sich immer um den gleichen Transporter handelt. Sowohl die Aufnahme von Imipramin als auch die Aufnahme von Doxepin als auch die Aufnahme von Citalopram konnten sowohl durch sich selbst als auch durch die anderen Psychopharmaka deutlich gehemmt werden.

Durch die Charakterisierung der am Arzneimittelmetabolismus beteiligten Transporter könnte es irgendwann möglich werden, z. B. durch Drug Design, den Metabolismus

von Medikamenten selektiv zu modifizieren, um damit eine bessere Wirkung oder geringere Nebenwirkungen zu erreichen (Ballestro et al 2006; Bednarczyk et al 2003;

Ganapathy et al 2000; Ohsiro et al 2000; Wright et al 2004). Damit könnte z. B.

vorausgesagt werden, wie ein Medikament aussehen muss, damit es entweder nicht von der Niere aufgenommen wird (Verhinderung der Nierenschädigung) oder von der Niere ausgeschieden werden kann (schnelle Elimination). Cisplatin beispielsweise induziert eine Nierenschädigung, da es über den hOCT2 in die Tubuluszellen aufgenommen wird und als Zytostatikum wirksam diese schädigt (Ciarimboli et al 2005; Yonezawa et al 2005, 2006). Bei manchen Medikamenten wäre auch eine längere Bioverfügbarkeit wünschenswert. Es gibt nur wenige Beispiele für die derzeitige klinische Anwendung dieses Konzepts. Möglicherweise kann auch der Einsatz von Psychopharmaka selektiver werden, wenn man genauer differenzieren kann, ob diese nicht nur mit organischen Kationentransportern interagieren, sondern von diesen auch transportiert werden.