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Dezember 1720 – 28. Februar 1721

Frühjahr 1716 – 11. Januar 1718

30. Dezember 1720 – 28. Februar 1721

Daniel Gottlieb Messerschmidt (1685–1735) 136

An dieser Stelle ist es angebracht, dass wir den Bericht über die Vorbereitung von Messerschmidts „fernerer Reise“ unterbrechen und uns ausführlicher mit dem größten Problem beschäftigen, mit dem sich Messerschmidt und seine Begleiter vom ersten bis zum letzten Tag der Expedition immer und immer wieder auseinanderzusetzen hatten, das ihnen Schwierigkeiten mannigfacher Art bereitete und den Expeditionsleiter oftmals an den Rand der Verzweiflung brachte. Es war dies das Problem der Kommunikation mit seinem Petersburger Vorgesetzten Johann Deodat Blumentrost.

Kaum hatte Messerschmidt am 2. Januar 1721 den vi. Rapport an Blumentrost abge-schickt, da wurde ihm am 7. Januar ein „Höchstgeneigtes Schreiben“ seines Vorgesetzten behändigt, „auß welchem Dero geschöpftes Mißvergnügen über bißhero nicht erhaltene Nachrichten von meinen Verrichtungen verstanden.“ Diese seine 3. Instruktion hatte Blu-mentrost am 16. August abgeschickt. Den von seinem Vorgesetzten erhobenen Vorwurf konnte Messerschmidt selbstverständlich nicht auf sich sitzen lassen, weshalb er bereits am 10. Januar mit einem weiteren, dem vii. Rapport361 reagierte, um nachzuweisen, „wie bemühet ich jeder zeit gewesen von meinen allerunterthänigsten, und nach aller Möglich-keit verrichteten Diensten völlig zu rapportiren, daß Selbige, nach beschaffenheit der Umbstände, so in allen Briefen marqviret, die Schuld meinem Versehen nicht beÿzume-ßen geneigt geruhen werde“. Diesen Nachweis führt Messerschmidt in aller Ausführlich-keit, indem er sämtliche seit dem 25. Juni „verwichenen Jahres“ nach St. Petersburg ex-pedierten Rapporte aufzählt und darlegt, von wo aus und wie er diese „zu befödern“ sich hat angelegen sein lassen. Die Zurückweisung von Blumentrosts Vorwürfen verbindet er selbst mit einem – natürlich höflich „verpackten“ – Vorwurf an dessen Adresse, wenn er schreibt, „Ew. HochEdelGebohrnen“ werde „auß obigem in eÿle verfaßten gantz klähr-lich ersehen werden, wie bißhero gantz innocent und mit meinem Wißen oder fürsatz nichts negligiret, waß entweder in meinen allerunterthänigsten Diensten selbst, oder auch in rapportirung der Verrichtungen, von einem eintzigen Manne, da mir keine geschickte, und zwar erbethene Leüte zu hülfe bißhero concediret worden, könte erfodert werden“.

Wie Messerschmidt Blumentrosts Rüffel bewertete, wenn er nicht gezwungen war, sich in höflich formulierten Wendungen gegenüber dem „HochEdelGebohrnen Herrn Präsidenten“ zu rechtfertigen, erweist ein Blick in den „Extract“. Da lesen wir folgenden Kommentar:

(a) Reprimandiret Mich unschuldig, nach abgelaßenen 4ten. 5tenund 6.tenReporte nichts nach hoffe Raportiret zu haben

(b) Bauet auff auff vorher gemeldten falschen Grundt, der Raporten wegen, inten-dirte Contre mandirung der Sybirgischen untersuchchungen,

(c) urgiret abermahls wie in zweÿten instruction (vide zurück)362

361 СПбФ АРАН. Ф. 98. Оп. 1. Д. 21, S. 195r-196v; vgl. auch № 94.

362 Relationes-2, S. 76r.

9 Zweiter Aufenthalt in Tobol’sk 137 Ungeachtet von Messerschmidts Klarstellung sollte Blumentrost von nun an seinen Un-tergebenen immer wieder und in immer gereizterem Ton mit dem Vorwurf konfrontieren, dass dieser seiner Berichtspflicht nicht oder nur ungenügend nachkomme, so dass sich im Gegenzug Messerschmidt auch immer wieder veranlasst sah, sich zu rechtfertigen und die Unbegründetheit von Blumentrosts Vorwürfen nachzuweisen. Wir werden auf dieses Dauerproblem noch mehrfach zu sprechen kommen.363

Indem Messerschmidt noch einmal auf das in dem vi. Rapport besonders erwähnte

„Alaun-Saltz“ zu sprechen kommt, erweitert er den Bericht über dessen Auffindung um die Mitteilung, er habe von einem „Torachanskischen Einwohner so auf promischle ge-het“, erfahren, „wie sich nehmlich am Außfluße des Chatanga ins Eÿsmeer ein genuines Succinum und zwar zu zeiten haüfig genug finden solle, deßen denn einige körner zur probe übersende, [...]. Von eben diesem ist auch beÿkom̅endes ΘXum, welches an eben-selbigem Strohm umb den daselbst brennenden Berg haüfig sich generiren soll: So daß also Ew. HochEdelGebohrnen einiger maaßen ersehen können, wie dieses weitlaüfige kö-nigreich Siberien vielleicht wohl einige Besonderheiten in sich faßen möchte“. Und wie-der blickt er auf die geplante große Expedition voraus, wenn er darauf hinweist, dass „das Mittägliche und beste theil noch bevorstehet, wohin noch nicht hineingelaßen worden“

und wo „ein weit mehreres vielleicht würde können præstiret werden, daferne ein oder andere geschickten Menschen so sich vielleicht hie unter denen Teütschen Gefangenen finden möchte, mir adjungiren dörfte; wozu doch ohne Dero positive Ordre schwerlich einige apparence ersehe“. Wir werden sehen, dass diesem beständigen „Nachbohren“ tat-sächlich Erfolg beschieden sein sollte.

Nach der Absendung des vii. Rapports machte sich Messerschmidt an die Aufgabe, die für die von ihm geplante, große Expedition erforderlichen Vorbereitungen zu treffen.

Dazu war er natürlich zwingend auf die Mitwirkung der Gouvernementsbehörden, ja des Gouverneurs selbst angewiesen. Und so wandte er sich mit seinen Eingaben direkt an den Fürsten Čerkasskij.

Zunächst teilte der Forschungsreisende am 10. Januar mit einem in russischer Sprache aufgesetzten Berichtschreiben – „доношєниє“ – die Rückkehr von seiner ersten Expediti-on mit364 – „приѣхал 30. днь дєкабря мсца 1720. Году“ – und verknüpfte diese Mitteilung mit dem Hinweis, er sei „nunmehr verpflichtet, weiterzureisen in die unten gelegenen Städte, nach Tara, nach Tomsk, nach Jenisejsk und weiter umher bis zur Grenze des si-birischen Gouvernements und dort nach jeglichen Kuriositäten zu suchen“ – „Ї н҃нѣ єщє надлєжит мнѣ ѣхати в низовыє Городы, в тар, в томско᾽, Ї єнисє᾽ско᾽, Ї далє, вкргъ до границы сибирско᾽ Гбєрниі; Ї тамо обыскать всяких криωситєтов“. Gleichzeitig bat er den Gouverneur, dieser möge den örtlichen Behörden Anweisungen in puncto Ge-spanne, Podoroschnen etc. erteilen.

363 Vgl. zu diesem Problem v. a. das 17. Kapitel.

364 СПбФ АРАН. Ф. 98. Оп. 1. Д. 32, S. 21v-22r. Vgl. auch № 95.

Daniel Gottlieb Messerschmidt (1685–1735) 138

Am 16. Januar ließ Messerschmidt seinem kurzen Bericht ein wiederum direkt an den Gouverneur gerichtetes Gesuch – „прошєниє“ – folgen.365 Unter Hinweis auf den Erlass des Zaren, ihn, Messerschmidt, „in dieses Gouvernement zu entsenden, um in den Städten und Orten anzutreffende Tiere, Steine, Anpflanzungen und Kräuter zu erkunden sowie Kuriositäten auf jede mögliche Weise zu beschreiben“, ersuchte er den Gouver-neur, dieser möge ihn für die gesamte weitere Reise mit einem Ukas versehen, in dem vor allem zwei Angelegenheiten geregelt werden sollten, die Messerschmidt besonders wichtig erschienen: 1. Sollten ihn während des Aufenthalts in einer Stadt Mitteilungen über irgendwelche „interessante Orte“ erreichen, dann sollten die Behörden verpflichtet sein, ihm „вѣдомцовъ Ї вожє’“, also Ortskundige und Führer beizugesellen, damit er sich an Ort und Stelle „zwecks besserer Erkundung“ – „для лтчаго обыскания“ – selbst ein Bild verschaffen könne. 2. Besonders dringlich erschien Messerschmidt der zweite Punkt seines Gesuchs: Sollte sich in Tobol’sk ein deutscher Gefangener ausfindig machen lassen, der „befähigt sei zum Umgang mit apothekarischen Dingen“ – „со аптєкарскими вєщми удобноє обхождєниє знаєт“ –, dann möge ihm, Messerschmidt, gestattet werden, eine solche Person in seine Dienste zu nehmen und sie die Expedition mitmachen zu lassen. Die Begründung für diese Bitte lautet, unter „der hiesigen Nation“ seien solche Helfer nicht zu finden – „ѿт ѕдѣшняго нациωна таковыя спомогатєли нє обрящтся“.

Schließlich bat Messerschmidt den Gouverneur auch noch, er möge die „Komman-danten“ – „камєнданты“ – der sibirischen Städte, „in denen ich mich aufhalten wer-de“ – „в которых обрѣтатися бд“ – dazu verpflichten, ihm während der Expedition das Jahresgehalt stets pünktlich und ohne Verzögerung auszufolgen – „Чтоб имъ на прилчающияся годы жалованьє давать мнѣ бєз задєржания“. Zu diesem Zweck möge ihn der Gouverneur mit einem Ukas ausstatten, den er den Kommandanten von Tomsk, Jenisejsk und Irkutsk vorlegen könne.

Am 17. Januar ließ Messerschmidt den Gouverneur wissen,366 er habe „einen geeig-neten Gefangenen mit Namen Jakob Schöning, Leutnant, gefunden, der sich mit apo-thekarischen Sachen und beim Anpflanzen auskennt, um jenen schriftlich unter meiner Bürgschaft zu meiner Verfügung und Dienst mit mir zu nehmen“ – „годного члка мєжд здєшними плѣнниками имєнємъ якова шєннига портчика обрѣлъ которыя со ωбтєкарскими вєщми Ї насаждєниі удобноє обхождєниє знаєтъ, дабы оного писмено за моєю поркою к моєму отправлєнию Ї услгє с собою взяти“.367 Am 21. Januar wur-de ihm von wur-der Rentkammer das Gehalt für das Jahr 1721 in Höhe von 500 Rubeln aus-gezahlt.368 Am 27. Januar wandte sich Messerschmidt noch einmal mit einem Gesuch an Čerkasskij.369 Unter Berufung auf sein vorangehendes „Memorial“ erbat er sich „im

Hin-365 СПбФ АРАН. Ф. 98. Оп. 1. Д. 32, S. 22r-22v. Vgl. auch № 96.

366 СПбФ АРАН. Ф. 98. Оп. 1. Д. 32, S. 22v-23r. Vgl. auch № 97.

367 Vgl. auch Тункина, Савинов 2017, S. 43.

368 Messerschmidts Quittung in СПбФ АРАН. Ф. 98. Оп. 1. Д. 32, S. 23r-23v; vgl. auch № 98.

369 СПбФ АРАН. Ф. 98. Оп. 1. Д. 32, S. 23v-24v. Vgl. auch № 99.

9 Zweiter Aufenthalt in Tobol’sk 139 blick auf ein besseres Gedeihen des untertänigen Dienstes“ – „по лтчєм прєдспѣянию унижєнно᾽ слжбы“ – „noch einige höchst notwendige Dinge“ – „єщє нѣкия нжнѣишия вєщи“. Im Einzelnen geht es um folgende Punkte, die in ihrer Gesamtheit erkennen las-sen, wie sorgfältig der Forschungsreisende auch diesmal seine Expedition vorbereitete.

1. An erster Stelle wiederholt Messerschmidt sein Gesuch in puncto Auszahlung des ihm jährlich zustehenden Gehalts. Er begründet dieses Ansuchen nunmehr, und zwar mit dem Hinweis darauf, eine Anordnung hierfür sei erforderlich, damit diejenigen Perso-nen seiner Begleitung, die er auf eigene Kosten unterhalte, keine Not litten und damit es bei seiner Abfertigung zu keinen Verzögerungen komme. – Hier wird deutlich, dass Messerschmidts Unternehmen keineswegs vollständig vom russischen Staat finanziert wurde, sondern dass der Forschungsreisende in die eigene Tasche griff, damit auch solche Arbeiten ausgeführt werden könnten, die den Rahmen seiner offiziellen Aufgabenstel-lung überschritten.

2. An zweiter Stelle steht eine Mitteilung darüber, dass Messerschmidt nach der Ab-sage eines ersten Kandidaten unter den deutschen Gefangenen den Unteroffizier Daniel Capell ausfindig gemacht habe. Dieser sei geeignet zum Sammeln „apothekarischer An-pflanzungen und Gräser“ – „Аптєкарскихъ насаждєниі Ї травъ удобєнъ“ – und bereit, die Expedition mitzumachen — „Ї птєшєствовати со мною хощетъ“.

3. Da bei der Ausübung seines Dienstes die hauptsächlichsten und wichtigsten Auf-gaben darin bestünden, physikalische und mathematische Beobachtungen über Verän-derungen des Klimas und des Wetters anzustellen, habe er dazu unter den schwedischen Gefangenen den „Oberoffizier“ – „оборъ Аѳицєра“ – mit Namen „Ivan Filipovič Ta-bert“ – „Їванъ ѳилиповичь табѣртъ“ –, d. h. Philipp Johann v. Strahlenberg ausfindig gemacht, „der mir sehr beistehen wird“. Messerschmidt bittet den Gouverneur, ihm die beiden Gefangenen mitzugeben. Er oder ihre „Brüder“, d. h. andere Gefangene, seien bereit, für sie zu bürgen.

4. Ferner bittet Messerschmidt darum, den, wie er das Lebensalter angibt, sechszehn-jährigen Karl Gustav Schulman – „которо’ 16 лѣтъ, Єсть имєнємъ шлманъ“ – auf die Expedition mitnehmen zu dürfen, da dieser vortrefflich zu zeichnen verstehe – „рисовать Ї знамєнить нарочито умѣєтъ“. Tatsächlich war Schulman, damals bereits 19 Jahre alt.

5. Da es „gefährlich sei, in Sibirien über weite Steppen zu reisen“ – „чрєз вєликия стєпи опасно ѣздити“ –, ersucht Messerschmidt den Gouverneur, dieser möge den Kom-mandanten in den Städten per Ukas befehlen, ihm zur Verteidigung und zum Geleit je-weils einige Dienstpflichtige beizuordnen – „нѣколико Слжилых людє᾽ для обороны Ї провожания давати“.

6. Messerschmidt wiederholt sein Ansuchen, die Stadtkommandanten mögen ange-wiesen werden, ihm Ortskundige und Führer – „вѣдомцовъ Ї вожє᾽“ – zur Verfügung zu stellen, falls er Kunde von zu seiner Aufgabe „passenden“ Orten erhalten und dann den Wunsch äußern sollte, diese entweder selbst in Augenschein zu nehmen oder dazu jeman-den von seinen Bediensteten zu entsenjeman-den.

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7. Da die beiden ihm aus St. Petersburg mitgegebenen Dragoner „in puncto Uniform und Gage sehr bedürftig“ seien – „мндиромъ Ї жалованьєм вєлми оскдали“ –, bittet der Gesuchsteller darum, diese mögen „hier und dort in den Städten“ – „ѕдєс Ї тамо вгородѣх“ mit einer Uniform versehen werden und ihren Lohn ausgezahlt bekommen.

8. Ferner bittet Messerschmidt darum, den Kommandanten von Städten, in denen er sich mit der Verrichtung seiner Dienstaufgabe zu beschäftigen gedenke, möge die Anweisung erteilt werden, ihm zu diesem Zweck „freie und geräumige Quartiere“ –

„свободныє Ї пространныє квартиры“ – anzuweisen, damit er bei dieser Verrichtung nicht unter Beengtheit zu leiden habe – „чтобы во управлєниі утѣснєния нєбыло“.

– Hier denkt Messerschmidt gewiss an das Ordnen und Systematisieren von unterwegs gesammelten Pflanzen, Mineralien, „Kuriositäten“, an das Sezieren von Tieren, insbeson-dere von Vögeln usw.

9. Falls irgendwo in den Städten und bei den Behörden und an anderen Orten auf-gefundene „Wurzeln und mineralische Dinge“ – „корєния Ї мєнєралныя вєщи“ – lagern sollten, „von denen die Einheimischen nicht wissen, wozu sie tauglich sind und wozu sie verwendet werden können“ – „которых здєшния жители нєзнаютъ къ чєм угодны Ї употрєблятися могтъ“ –, dann sollen die Kommandanten verpflichtet sein, sie dem Forschungsreisenden vorzuweisen, damit er herauszufinden versuchen könne, zu wel-chem Zweck sie verwendet werden könnten.

10. Da sich Dinge anfinden werden, die „in starkem Wein“ – „в крѣпком винѣ“ – kon-serviert und aufbewahrt werden müssten, bittet Messerschmidt den Gouverneur darum,

„in die Städte einen Ukas darüber zu senden“ – „дабы в городы Ї о томъ указ послать“.

11. Schließlich ersucht Messerschmidt noch darum, ihm 14 Gespanne zur Verfügung zu stellen, da es sonst nicht möglich sei, dass er sich mit seinen Sachen und Leuten auf den Weg mache – „дабы 14 подводами награждєнъ был занє мєнєѣ того смоими вєщми Ї слгами мнѣ убратися нєвозможно“.

Anders als während Messerschmidts ersten Aufenthalts in Tobol’sk ein Jahr zuvor scheint es jetzt keine Hindernisse, keine Verzögerungen gegeben zu haben. Am 13. Febru-ar erließ der Gouverneur Čerkasskij einen von ihm selbst, dem Vizegouverneur Aleksandr Petrov Solov’ev und dem Sekretär Koz’ma Baženov unterzeichneten Ukas,370 mit dem die Behörden der Städte, in denen sich Messerschmidt aufhalten würde, gegen Vorlage dieses Dokuments und Hinterlassung einer Kopie angewiesen wurden, alle Forderungen zu erfüllen, die Messerschmidt in seinem Gesuch vom 27. Januar niedergelegt hatte und die hier Punkt für Punkt aufgeführt werden. Ferner werden die Behörden angewiesen, der Gouvernementskanzlei in Tobol’sk Bericht über ihr Tun in dieser Angelegenheit zu erstatten.

Am selben Tag wurde weiterhin eine von denselben Personen unterschriebene Podo-roschna371 ausgefertigt für Messerschmidts Reise „von Tobol’sk nach Tara, nach Tomsk

370 СПбФ АРАН. Ф. 98. Оп. 1. Д. 32, S. 24v-25v. Vgl. auch № 100.

371 СПбФ АРАН. Ф. 98. Оп. 1. Д. 32, S. 25v. Vgl. auch № 101.

9 Zweiter Aufenthalt in Tobol’sk 141 und anderen Städten des sibirischen Gouvernements, wohin die Route zu führen hat, und zurück“ – „ѿ тоболска до тары до томска Ї до дргихъ сибирско᾽ Гбєрниі Городов кды пть надлєжитъ Ї назад“. In dem Dokument heißt es, Messerschmidt und den bei-den ihn begleitenbei-den schwedischen Offizieren, Soldaten und Leuten seien – stets – vier-zehn Fuhrwerke – „ямских чєтырнатцать подводъ“ – und die an den Wechselstationen zu entrichtenden Fahrgelder – „прогонныє дєнги“ – zur Verfügung zu stellen. „Und wo es keine Fuhrwerke gibt, sind staatliche Pferde zu geben“ – „а Гдѣ ямскихъ подвод нѣтъ, давать Гсдрєвы лошади“.

Am 24. Februar bestätigte Messerschmidt:

Daß Ihro kaÿserliche Maÿestäten assignirte pragon„Gelder. auff 14. Pferde von Tobolskoë biß Tara berechnet 10. Rubel .8. Cop. sage zehn Rubel und acht Co-pecken mir auß Tobolskischer Rentoreÿ richtig gelieffert, solches habe hiemit mit doppelter qvittance beÿde für eins gültig qvittiret.372

Und schließlich unterzeichnete der Forscher am 27. Februar ein weiteres Dokument.373 In diesem heißt es, gemäß dem Ukas des Zaren und auf Anordnung des Gouverneurs samt Gehilfen seien auf Verlangen Messerschmidts und auf dessen schriftlich gegebenes Wort hin diesem von der Tobol’sker Gouvernementskanzlei die schwedischen „Arrestanten“

der „Oberoffizier“ – „оборъ аөицєр“ – „Їванъ Θилиппєцъ таббѣрт“, also Philipp Johann v. Strahlenberg, und der „Unteroffizier Daniel Capell“ – „ундєр аөицєр данила капѣль“

– übergeben worden. Diese hätten den Befehl erhalten, Messerschmidt zu begleiten „zur Erkundung verschiedener Materialien“ – „для Їскания разных матєриаловъ“. Messer-schmidt sei verpflichtet, nach der Rückkehr aus den „unten gelegenen Städten des sibi-rischen Gouvernements“ – „Їз ниѕовых Сибирско᾽ Гбєрниі Городовъ“ – „diese schwe-dischen Arrestanten“ – „тѣхъ швєцких арєстантов“ – wieder der Gouvernementskanzlei zu überstellen.

An dieser Stelle sind einige Erläuterungen zu Messerschmidts nunmehrigem Reise-gefährten Philipp Johann Tabbert-von Strahlenberg (1677-1747) erforderlich. Dieser aus Stralsund stammende schwedische Offizier war nach der Niederlage der Armee Karls XII. bei Poltawa 1709 in russische Kriegsgefangenschaft geraten und zusammen mit zahlreichen Kameraden nach Tobol’sk verbracht worden.374 Bereits im Januar 1707 war er unter Verleihung des Namens „Stralenberg“, später in der deutschen Form „von Strahlen-berg“, nobilitiert worden. Da er sich aus pietistischer Gesinnung lange gegen diese Stan-deserhöhung sträubte, verwendete er selbst und verwendete seine Umgebung, so auch

372 СПбФ АРАН. Ф. 98. Оп. 1. Д. 32, S. 26r. Vgl. auch № 103.

373 СПбФ АРАН. Ф. 98. Оп. 1. Д. 32, S. 26r-26v. Vgl. auch № 104.

374 Zur Geschichte der schwedischen Gefangenen in Sibirien vgl. etwa die zeitgenössische Darstellung in o.

V. 1720, S. 197-246. Nach dieser Quelle „kamen zu Tobolsky fast bei 1000 Officirer zusammen / welche von Uffa / Sefske / Kiow / und andern Orten in den Jahren 1711. und 1712. dahin gebracht worden“

(S. 198).

Daniel Gottlieb Messerschmidt (1685–1735) 142

Messerschmidt, noch lange den ursprünglichen Namen „Tabbert“, der daher auch in der vorliegenden Arbeit vorkommt. Während seines unfreiwilligen Aufenthalts in Sibirien unternahm er ausgedehnte Forschungsreisen, zu denen auch seine Teilnahme an der Ex-pedition Messerschmidts zu zählen ist. Nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft veröffentlichte Strahlenberg mehrere Schriften, deren bekannteste 1730 in Stockholm unter dem Titel „Das Nord= und Ostliche Theil von Europa und Asia, In so weit solches Das gantze Rußische Reich mit Siberien und der grossen Tatarey in sich begreiffet“ er-schien. Bekannt wurde Strahlenberg auch durch eine Eurasienkarte mit einem Vorschlag zur Bestimmung des geographischen Grenzverlaufs zwischen Europa und Asien.375 Hinzu kommt, dass – da Messerschmidts Aufzeichnungen ganz überwiegend unpubliziert ge-blieben waren – Strahlenberg einige zusammen mit diesem gewonnene Erkenntnisse und Beobachtungen erstmals mitteilte, so etwa die Entdeckung der „runen“-türkischen In-schriften, deren Sprache und Zweck damals noch unbekannt waren, oder die Vermutung von der Verwandtschaft der Samojeden mit den Finno-Ugriern. Auch erbrachte Strahlen-berg wohl als Erster – von Vorgängern wie Martin Fogel (1634-1675), der das Finnische und das Ungarische miteinander verglichen hatte, einmal abgesehen – den Nachweis der Verwandtschaft der finno-ugrischen Sprachen.376

Mit der Ausfertigung und Quittierung dieser beiden Dokumente waren die Reisevor-bereitungen abgeschlossen, und so konnte Messerschmidt samt Gefolge nunmehr zu der großen Expedition aufbrechen, von der er damals kaum geahnt haben dürfte, dass sie ihn erst fast auf den Tag genau fünf Jahre später, am 27. Februar 1726, nach Tobol’sk zurück-führen würde, und dann unter ganz anderen Umständen als denen, unter denen er die Stadt nunmehr zu verlassen sich anschickte.

375 Vgl. zu v. Strahlenberg Новлянская 1966; Jarosch 1966; Knüppel 2013, S. 19, und die dort angegebene weiterführende Literatur; weitere Einzelheiten im 21. Kapitel. – Bei John Bell (1788, S. 219) lesen wir in dessen Bericht über den Aufenthalt in Tobol’sk Ende 1719/Anfang 1720: „Captain Tabar, a Swedish offi-cer, was at this time writing a history of Siberia. He was a gentleman very capable for such a performance;

and, if it shall ever be published, it cannot fail of giving great satisfaction to the curious“.

376 Vgl. hierzu Stehr 1957. Vgl. auch das 15. Kapitel.

10 Die große Sibirienexpedition 1721 bis 1727

10 Die große Sibirienexpedition 1. März 1721 – 27. März 1727

Vorbemerkung: Das hier nun folgende Kapitel ist der – wie sie heißen soll – großen Expedition unseres Protagonisten gewidmet, zu der dieser mit seinen Begleitern am 1.

März 1721 von Tobol’sk aus aufbrach und die fast exakt fünf Jahre dauern sollte, bis Messerschmidt am 27. Februar 1726 wieder dorthin zurückkehrte. Diese Expedition, die sich bis an die russisch-chinesische Grenze erstrecken und diese – versehentlich – sogar überschreiten sollte, bildete zweifellos in jeder Hinsicht die wichtigste Unternehmung Messerschmidts während seines Aufenthalts in Russland, jа das wichtigste Geschehen seines Lebens überhaupt. Sie darf daher beanspruchen, in einer Biographie des großen Forschungsreisenden eine zentrale Stellung eingeräumt zu bekommen, darf beanspru-chen, möglichst vollständig, umfassend und gründlich beschrieben zu werden, mit dem Hauptaugenmerk auf Messerschmidts Sammel- und Forschungstätigkeit.377

Die wichtigste Grundlage einer so angelegten Darstellung muss Messerschmidts fünf-bändiges Expeditionstagebuch bilden. In ihm hat der Forschungsreisende Tag für Tag festgehalten, wo er sich jeweils aufhielt, was er erlebt hat, wem er begegnet ist, was er an Pflanzen, Tieren, Mineralien gesammelt, untersucht, verzeichnet und beschrieben, wel-che archäologiswel-chen Denkmäler er erkundet, welwel-che Sprawel-chen er erlernt hat, hat systema-tisch Wetterbeobachtungen notiert, hat die immer wiederkehrenden Schwierigkeiten im Umgang mit den Behörden und mit seinen Gehilfen beschrieben. Nicht zuletzt hat er hier oftmals umfangreiche religiöse und moralische Betrachtungen niedergeschrieben, die es uns ermöglichen, uns eine – annähernde – Vorstellung von Messerschmidts religiös-geis-tiger Statur zu bilden.

Als eine kaum weniger wichtige Quelle ist die Korrespondenz anzusehen, die Messer-schmidt mit seinem Vorgesetzten Johann Deodat Blumentrost, dem Präsidenten der Me-dizinischen Kanzlei, geführt hat. Im engeren Sinne gehören dazu die von Messerschmidt nach St. Petersburg gesandten Briefe und Berichte sowie die Briefe und Instruktionen, die er von dort empfangen hat und die ihm das Leben oft genug erschwert haben, wie zu zeigen bleibt. Im weiteren Sinne zählen hierzu die insgesamt 22, oft umfangreichen

„Rapporte“, von denen fünfzehn auf die beiden Expeditionen durch Sibirien entfallen

377 Eine gedrängte, dennoch sehr informative Beschreibung des Verlaufs von Messerschmidts Sibirienexpe-dition findet der Leser bei W. J. Bryce (2008, S. 36-58). Diese Darstellung zeichnet sich dadurch aus, dass in ihr besonderes Gewicht auf Messerschmidts botanische Entdeckungen gelegt wird.