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Teil I: Philosophische Grundzüge der Leib-Seele-Diskussion

2 Historischer Abriss

2.6 Descartes

ad hominem-Argument cogito ergo sum entfaltet Descartes in seiner zweiten Meditation, er hält es für unmittelbarer als jedes logische Argument und kommentiert es in den Prinzipien der Philosophie wie folgt:46

„Ich habe oft bemerkt, dass Philosophen fehlerhafterweise das an sich Bekannte durch logische Definitionen zu erklären suchten, obgleich sie es damit nur dunkler machten.

Wenn ich deshalb hier gesagt habe, der Satz: „Ich denke , also bin ich“ sei von allen der erste und gewisseste, der sich dem ordnungsgemäß Philosophierenden darbietet, so habe ich damit nicht bestreiten wollen, dass man vorher wissen müsse, was „Denken“, was „Dasein“, was „Gewissheit“ sei; ebenso, dass es unmöglich sei, dass das, was denkt, nicht existiert, und dergleichen; sondern ich habe nur ihre Aufzählung nicht für nötig erachtet, weil das die einfachsten Begriffe sind und sie für sich allein nicht die Erkenntnis eines existierenden Dinges gewährleisten.“

Res cogitans, die unhintergehbare Selbstgewissheit des Bewusstseins, ist die erste der beiden Substanzen. Sie ist etwas enger gefasst als das, was man heute unter dem Psychischen versteht, denn sie beschränkt sich (a) auf die menschliche Psyche, (b) auf ihren bewussten Teil, beides aus religiösen Gründen, da Descartes freien Willen als bewussten vernünftigen Willen verstand und den Tieren weder Willensfreiheit noch individuelle Unsterblichkeit zuschreiben wollte. In diesem Punkt ist die teleologische, fast evolutionäre Skala des Psychischen bei Aristoteles uns heute näher als Descartes’ monolitische res cogitans. Andererseits ist diese aber nicht so eng und intellektualistisch, wie manche sie heute auffassen, z. B. A. Damasio, der in seinem Bestseller Descartes’ Irrtum (1997) das Affektive in der res cogitans vermisst. Der Irrtum liegt bei Damasio, wie Descartes an vielen Stellen klar macht, z. B. gleich zu Beginn der Prinzipien der Philosophie:47

„9. Unter Denken verstehe ich alles, was derart in uns geschieht, dass wir uns seiner unmittelbar aus uns selbst bewusst sind. Deshalb gehört nicht bloß das Einsehen, Wollen, Einbilden, sondern auch das Wahrnehmen hier zum Denken. Denn wenn ich sage: „Ich sehe, oder: ich gehe, also bin ich,“ und ich dies von dem Sehen oder Gehen, das vermittels des Körpers erfolgt, verstehe, so ist der Schluss nicht durchaus sicher;

denn ich kann glauben, ich sähe oder ginge, obgleich ich die Augen nicht öffne und mich nicht von der Stelle bewege, wie dies in den Träumen oft vorkommt; ja, dies könnte geschehen, ohne dass ich überhaupt einen Körper hätte. Verstehe ich es aber von der Wahrnehmung selbst oder von dem Bewusstsein (conscientia) meines Sehens oder Gehens, so ist die Folgerung ganz sicher, weil es dann auf den Geist bezogen wird, der alles wahrnimmt oder denkt, er sähe oder ginge.“

46 Descartes 1922, S.3/4.

47 Descartes 1922, S.3.

Wesensmerkmal der res cogitans ist ihre Unteilbarkeit:48

„Auch darf man nicht die Fähigkeiten des Wollens, Empfindens, Erkennens usw. als seine Teile bezeichnen, ist es doch ein und derselbe Geist, der will, empfindet und erkennt. Im Gegenteil aber kann ich mir kein körperliches, d. h. ausgedehntes Ding denken, das ich nicht in Gedanken unschwer in Teile teilen und ebendadurch als teilbar erkennen könnte, und das allein würde hinreichen, mich zu lehren, dass der Geist vom Körper gänzlich verschieden ist, wenn ich es noch nicht anderswoher zur Genüge wüsste.“

Die unabweisbare Einheit des Bewusstseins in der Vielheit des Bewussten gehört zum bleibenden cartesianischen Erbe, sie ist eine theoretisch unbegreifliche praktische Evidenz geblieben und hat sich bis heute jeder wissenschaftlichen Erklärung entzogen. So viel zur res cogitans. Um nun von innen nach außen zur res extensa zu gelangen, braucht Descartes göttliche Hilfe, die er sich durch drei traditionelle Gottesbeweise verschafft. Alle drei sind für die Gläubigen eng verschränkt und machen Gebrauch von Gottes Wesensmerkmal der Vollkommenheit. Der ontologische Gottesbeweis schließt auf Gottes Existenz, weil ein nichtexistenter Gott sehr unvollkommen wäre, der kosmologische Beweis schließt aus der partiell vollkommenen Schöpfung auf den vollkommenen Schöpfer, und der physiko-teleologische Beweis schließt aus der Korrelation subjektiv angenehm / biologisch zweckmäßig auf Gottes Fügung. Ein derart fürsorglicher Schöpfer würde seine Geschöpfe nicht böswillig betrügen durch Vorspiegelung einer nichtexistenten res extensa. Dieses Argument ist nicht ganz so billig wie es klingen mag, denn Descartes hält fundamentale menschliche Irrtümer fast überall für möglich – außer in jenen wenigen Fällen, in denen wir ideae clarae et distictae haben . Und solche haben wir (a) im Fall der res cogitans, (b) im Fall der Gottesbeweise und (c) im Fall der mathematischen Ideen. An dieser Stelle wird wichtig, dass Descartes die res extensa rein mathematisch, genauer, rein geometrisch versteht:

Körper sind dreidimensional, grenzenlos teilbar, ihre Substanz ist ein völlig homogenes Plenum, es gibt keine Atome, kein Vakuum und keine unterschiedliche Dichte der res extensa. Durch diese rationalistische Konzeption der Physik unterscheidet sich Descartes deutlich von den Empiristen Galilei und Newton, die mathematische Körper als Abstraktionen physischer Körper betrachten.

Descartes identifiziert Physik und Geometrie und kommt daher, anders als moderne Platonisten, mit zwei ontologischen Grundkategorien aus. Diese Verschmelzung des Konkreten mit dem Formalen findet auch heute durchaus Anhänger. Physikalische Grundlagenforschung , etwa in der

48 Descartes 1976, S.77.

String-Theorie, läuft auf fast reine Mathematik hinaus, und manche vermuten, dass am Ende nichts an physikalischer Grundsubstanz bleiben könnte.49

So viel zur cartesianischen Spaltung res cogitans / res extensa, die sich in der Moderne zur psycho / physische Spaltung entwickelt hat. Aber an den philosophischen Grundproblemen hat sich seit Descartes erstaunlich wenig geändert. Es sind im wesentlichen die drei ersten der oben genannten Alltagsgewissheiten:

(a) personale Identität

(b) psychophysische Wechselwirkung

(c) subjektive Urheberschaft des individuellen Bewusstseins.

Ich beginne mit (b). Descartes hielt die Zirbeldrüse (Epiphyse) für den Ort der Wechselwirkung.

Dort sollte der Wille auf ein hydraulisches System von Körperflüssigkeiten einwirken, und diese sollten umgekehrt in der Seele Wahrnehmungen, Empfindungen und die Gefühle auslösen. Die Epiphyse war nach dem Stand der damaligen Anatomie nicht schlecht gewählt, sie war die einzige gegenüber beiden Hirnhälften neutrale Struktur und kam, wie Descartes zu Unrecht glaubte, in Tierhirnen nicht vor. Daher waren Tiere für Descartes mechanische Reflexmaschinen, und Menschen waren es auch, wenn ihr Wille nicht tätig war. Gemessen am Stand der Wissenschaft war Descartes’ Vorschlag nicht schlechter als die spärlichen Vorschläge moderner Dualisten wie J.

Eccles50 und R. Penrose51, die von der übergroßen Mehrheit der Fachleute als gänzlich unhaltbar zurückgewiesen werden (Da ich nicht zu den Fachleuten gehöre, bin ich bereit, ihnen zu glauben).

Ähnlich unglaubhaft wirkte schon Descartes’ Vorschlag auf seine Zeitgenossen; insofern hat sich also nichts geändert. Die cartesianische Wechselwirkung war und ist mysteriös; würden wir sie nicht ständig erleben, würden wir sie nicht glauben. Allerdings glaube ich, dass manche Darstellungen tendenziös sind und Descartes nicht gerecht werden. Zum Beispiel schreibt Popper:52

„Die Descartesche Seele ist unausgedehnt, aber sie hat einen Ort. Deshalb wird sie in einem unausgedehnten Euklidischen Punkt im Raum lokalisiert. Descartes scheint

49 In diese Richtung gehen z. B. die Spekulationen von Stephen Wolfram: „ A New Kind of Science“, Wolfram, Media Incorporated 2002.

50 Eccles 1987.

51 Penrose 1994.

52 Popper/Eccles 1989, S.224.

diesen Schluss nicht (wie Leibniz) aus seinen Prämissen gezogen zu haben. Sondern er verlegte die Seele „hauptsächlich“ in ein sehr kleines Organ – die Epiphyse.“

Ich habe bei Descartes keinen Hinweis darauf gefunden, dass er die Seele irgendwo als Punkt oder Stelle im Raum lokalisiert. Soll sie etwa dort bleiben,wenn der Körper stirbt? Oder erst dann aus dem Raum verschwinden? So weit ich Descartes verstehe, wirkt die Seele auf die Epiphyse, aber sie ist dort nicht und auch sonst nirgends im Raum. Kein Wunder, dass niemand sie im Hirn oder sonstwo gefunden hat. Wer an sie glaubt, darf sie nicht im Raum suchen, sie ist physikalisch nicht greifbar. Poppers tendenziöse Darstellung scheint mir von der Absicht getragen, seinen eigenen nicht weniger mysteriösen Dualismus, auf den ich später komme, dadurch aufzuwerten, dass er Descartes’ Kausalvorstellungen als allzu mechanistisch abwertet.

So viel zum Mysterium (b), und nun zu (a), der personalen Identität. Wo wir heute von Person sprechen, spricht Descartes vom Individuum („In-dividuum“), obgleich er es in zwei Substanzen spaltet. Und die Hilflosigkeit aller Ganzheitsphilosophen, die seit Descartes tausendfach die

„untrennbare Einheit von Leib und Seele“ beschworen haben, ohne uns mitzuteilen, was es eigentlich heißen soll – diese Hilflosigkeit finden wir auch bei Descartes in einem Gemisch von praktischer Selbstverständlichkeit und theoretischer Unverständlichkeit. Da ich nicht weiß, wie man das analysieren soll, möchte ich es lieber zitieren. In der Einleitung zu seinen Meditationen kündigt er an:53

„Es wird bewiesen, dass der Geist sich substantiell vom Körper unterscheidet, und gezeigt, dass er nichtsdestoweniger so eng mit ihm verbunden ist, dass er mit ihm eine Art von Einheit bildet.“

Dazu zwei Kernpassagen aus der sechsten Meditation:54

„Und wenngleich ich vielleicht – oder vielmehr gewiss, wie ich später auseinandersetzen werde – einen Körper habe, der mit mir sehr eng verbunden ist, so ist doch, da ich ja einerseits eine klare und deutliche Vorstellung meiner selber habe, sofern ich nur ein denkendes, nicht ausgedehntes Wesen bin, und andererseits eine deutliche Vorstellung vom Körper, sofern er nur ein ausgedehntes, nicht denkendes Wesen ist – so ist, sage ich, soviel gewiss, dass ich von meinem Körper wahrhaft verschieden bin und ohne ihn existieren kann.“

53 Descartes 1976, S.14.

54 Descartes 1976, S.70.

Aber etwas später :55

„Ferner lehrt mich die Natur durch jene Schmerz- , Hunger-, Durstempfindungen usw., dass ich meinem Körper nicht nur wie ein Schiffer seinem Fahrzeug gegenwärtig bin, sondern dass ich ganz eng mit ihm verbunden und gleichsam vermischt bin, so dass ich mit ihm eine Einheit bilde. Sonst würde ich nämlich , der ich nichts als ein denkendes Wesen bin, nicht, wenn mein Körper verletzt wird, deshalb Schmerz empfinden, sondern ich würde diese Verletzung mit dem reinen Verstand wahrnehmen, ähnlich wie der Schiffer mit dem Gesicht wahrnimmt, wenn irgend etwas am Schiffe zerbricht, und ich würde alsdann, wenn der Körper Speise oder Getränke braucht, eben dies ausdrücklich denken, ohne verworrene Hunger- oder Durstempfindungen zu haben. Denn sicher sind diese Hunger-, Durst-, Schmerzempfindungen usw. nicht anderes als verworrene Bewusstseinsbestimmungen, die aus der Vereinigung und gleichsam Vermischung des Geistes mit dem Körper entstanden sind.“

So viel wird deutlich, personale Identität, psychophysische Wechselwirkung und subjektive Urheberschaft sind nicht drei Mysterien, sondern eins, denn sie setzen sich, wie oben S. 12/13 gezeigt, wechselseitig voraus. Dieser Zirkel lässt sich nur evolutionär auflösen. Doch dazu muss es irgendwann eine erste Empfindung, den ersten Funken von Selbst und Bewusstsein, gegeben haben. Wie kam es dazu? Der Ursprung der cartesianischen Spaltung ist noch immer so mysteriös wie eh und je.

Da die Wechselwirkung zweier grundverschiedenen Substanzen schon bei Descartes’ Zeitgenossen auf massive Ablehnung stieß, suchten sie intensiv nach einer besseren Lösung. Spinoza postulierte eine tieferliegende Identität, Malebranche und andere Okkasionalisten postulierten ein permanentes göttliches Wunder, Leibniz postulierte eine prästabilierte Harmonie. All das liegt uns heute sehr fern. Aber solange das cartesianische Rätsel offen ist, wird es immer wieder große spekulative Entwürfe provozieren. Daher verdienen auch diese drei, nicht nur aus historischen Gründen erwähnt zu werden.

55 Descartes 1976, S.72/73.