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2. Demografische Einflussgrößen

2.3 Demografische Alterung

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• „Ältere Menschen lernen mehr aus ihren Fehlern.“

• Die verzögerten Reaktionszeiten seien kein Defizit, „sondern eine Strategie der Älteren, die Reaktionsschwelle zu erhöhen – also vorsichtiger zu sein als jüngere.

• Die verzögerte Reizwahrnehmung bei Älteren wird durch eine beschleunig-te Entscheidungsfindung kompensiert. Ein Teil des Denkvorganges läuft also schneller ab als bei Jüngeren.

• „Ältere Menschen ermüden nicht schneller als junge.′…sie ließen sich eher ablenken: Sie blenden unwichtige Informationen schlechter aus′“.

Eine auf biologisch fassbaren Alterungsprozessen basierende vorzeitige Be-grenzung der Tätigkeitsdauer erscheint nahezu irrelevant. Dies bedeutet je-doch nicht, dass mit wachsendem Alter keine Wandlung der Leistungsfähig-keit einhergeht. Bemerkenswert ist jedoch, dass einige mit 70 Jahren noch in-novativ und produktiv, andere jedoch schon mit 45 Jahren zu alt für ihre Tätig-keit sind. Offensichtlich liegt dieser eklatante Unterschied:

„weniger an biologisch determinierten, altersbedingten Wandlungen der menschlichen Leistungsfähigkeit, sondern […] eher an der Art der Tätigkeit und dem Erwerbsverlauf, der zu ihr führte.“13

Diese Erkenntnisse zeigen, dass durch geeignete betriebliche Weichenstel-lungen (z. B. gesundheitliche Betreuung, Fort- und Weiterbildung) einem vor-zeitigen beruflichen Altern entgegengewirkt werden kann. Dieser Gesichts-punkt wird in einer eigenen Betrachtung noch thematisiert.

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Abb. 4: Demografische Alterung (grafische Darstellung der Tab. 1)

Lebendgeborene und Gestorbene in Deutschland 1950 bis 2000 in Tausend

700 800 900 1000 1100 1200 1300

1950 1960 1970 1980 1990 1995 1998 1999 2000

Jahr

Anzahl

Lebendgeborene Gestorbene

abgeleitet aus: Statistisches Bundesamt (2002), S. 38

Tab. 1: Demografische Alterung (tabellarische Darstellung in Tausend)

Jahr

Lebendge-borene Gestorbene

Überschuss der Gebore-nen bzw. der Gestorbenen

(-) Anzahl Anzahl Anzahl

1950 1117 748 368

1960 1262 877 385

1970 1048 976 72

1980 866 952 -87

1990 906 921 -16

1995 765 885 -119

1998 785 852 -67

1999 771 846 -75

2000 767 839 -72

entnommen: Statistisches Bundesamt (2002), S. 38

Die Tab. 2 zeigt die zunehmende demografische Alterung. Der Anteil der jün-geren Menschen geht zurück, während gleichzeitig der Anteil der älteren Men-schen (= Altenquotient) zunimmt. Im Jahre 1950 entfielen auf eine Person im

„Ruhestand“ (d. h. hier: Altersschwelle über 60 Jahre) vier Personen im er-werbsfähigen Alter (= Medienalter) von 20 bis unter 60 Jahren, in den neunzi-ger Jahren waren es wenineunzi-ger als drei. Prognostische Modellrechnungen bis 2030 zeigen, dass sich die Relationen immer mehr zu Ungunsten der jünge-ren Jahrgänge verschieben und sich innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte ein Verhältnis von nahe an eins zu eins ergeben dürfte.

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Tab. 2:

Demografische Alterung 1871 – 2030

1871 1950 1960 1970 1980 1990 1996 2010 2020 2030 unter 20 Jahre 43 31 29 31 26 22 22 17 15 15 20 bis unter

60 Jahre 47 55 55 50 54 58 57 55 54 48

über 60 Jahre 8 14 16 19 19 20 22 28 31 37

entnommen: Geißler, Rainer (2001), S.117 (Angaben in Prozent)

Um die „Reproduktion“ einer Bevölkerung über Geburten zu sichern, müssen statistisch 100 Frauen etwa 208 Kinder14 – bei Nichtbeachtung der Wande-rungsbewegungen - zur Welt bringen. Seit 1969 werden in Westdeutschland und seit 1971 in Ostdeutschland15 sinkende Geburtenraten registriert. In den alten Bundesländern reduziert sich die nächste Generation gegenüber der El-tern-Generation um etwa ein Drittel und in den neuen Bundesländern um etwa die Hälfte.

Als Gründe der sinkenden Eigendynamik bzw. des Fortpflanzungsverhaltens (=

Fertilität) können folgende Ursachen (= generatives Verhalten) ausgemacht werden:

• Struktur- und Funktionswandel der Familie

- Entfall der Kindermitarbeit in der Familienwirtschaft, bei der Pflege und im Alter,

- Rückgang der Familienbetriebe,

- Übernahme von Fürsorgeleistungen durch staatliche Einrichtungen,

- verminderte „ökonomische“ Bedeutung der Kinder. Empirische Hinweise auf diesen Ursachenkomplex liefern die hohen Kinderzahlen in den Bau-ernfamilien, die nur am Rande von dem zuvor erwähnten strukturellen Wandel erfasst wurden.

• „Emanzipation“ der Frau

- Kinder binden die Mütter an das Haus.

- Behinderung der Frau bei Selbstverwirklichung, Berufstätigkeit. Bekannt ist, dass Frauen mit höherem Bildungsniveau vermehrter auf Kinder (sog.

Gebärstreik) verzichten.

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Lebensstil und Konsumdenken

- Kinder bedingen sozio-ökonomische Nachteile (Kosten, Bewegungsfrei-heit, UngebundenBewegungsfrei-heit, Lebensstandard u. s. w.), diese können als zentrale Einflussgrößen für die Geburtenentwicklung gesehen werden.

- In Deutschland ist auch ein „Zeugungsstreik der Männer“ zu beobachten.

Dieser wird mit der Angst vor einem Scheitern der Beziehung und dem an-schließenden Zwang zur Versorgung begründet.16

• Gesellschaftliche Fokussierung

- Die Gesellschaftsstrukturen orientieren sich in ihrer Spezialisierung und Rationalisierung zunehmend an den Bedürfnissen der Erwachsenen.

- Den spezifischen Bedürfnissen der Kinder (Anm.: aber auch der Alten) wird mehr oder weniger gleichgültig entsprochen (Anm.: z. B. Verkehrsfüh-rung, Dienstleistungen in Bahn, Post, Gastronomie; Medizin usw.).

• Abneigung langfristiger Festlegungen

- Die Zunahme der Handlungsoptionen durch die Ausweitung der Individua-lisierung und Pluralität der Lebensführung schmälert die Bereitschaft sich festzulegen.

- Kinder engen die Flexibilität der Eltern in ihren Alternativen für einen länge-ren Zeitraum ein.

Emotionalisierte und verengte Paarbeziehungen

- Der familiäre Strukturwandel führte zur Bildung von Lebensgemeinschaften ohne Trauschein.17

- In zweckbestimmten Zweierbeziehungen können Kinder als Last, Konkur-renz oder Störung empfunden werden.

• Zunahme der gesellschaftlichen Akzeptanz der Kinderlosigkeit

- Lebensformen ohne Kinder gewinnen gesellschaftlich zunehmend an Ak-zeptanz18 und stehen in Konkurrenz zur „Normalfamilie“.

- Es hat den Anschein, dass die Elternschaft ihren naturwüchsigen Charak-ter verloren hat.

• Die Elternrolle wird anspruchsvoller

- Die Gesellschaft stellt durch den Bedeutungszuwachs der Schule und der Ausbildung sowie der „Emanzipation des Kindes“ höhere Ansprüche an die Eltern als Erzieher.

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- Diese stärkere Fokussierung des Familienlebens auf die Kinder birgt die Gefahr der Bildung von Erziehungsunsicherheiten und psychischen Belas-tungen.

• Familie als Planungsobjekt

- Durch Aufklärung und bessere Methoden der Empfängnisverhütung wird die Geburt eines Kindes planbarer.

- Das generative Verhalten steht zwar unter dem Einfluss des allgemeinen Rationalisierungs- und Säkularisierungsprozesses, aber „Irrationalitäten“

sind weiterhin aktuell, wie an den Diskussionen über die Beratungsstellen und die Schwangerschaftsabbrüche zu ersehen ist.

• Ökonomische Situation

- Die derzeitigen und in naher Zukunft zu erwartenden ungünstigen Wirt-schaftsprognosen ermuntern explizit nicht zur Geburt eines Kindes.

- In Ostdeutschland sind es vorwiegend materielle, im Westen eher postma-terielle Gründe, die den Kinderwunsch beeinflussen.19

Auf die Auswirkungen des derzeit laufenden neoliberalen Projektes eines ge-sellschaftlichen und sozialstaatlichen Umbaues für Kinder, der zu Lasten vieler Eltern geht, weisen Butterwegge und Klundt hin:

Die „gezielte Aushöhlung des ′Normalarbeitsverhältnisses′ (erzwungene Teil-zeit- und Leiharbeit, befristete und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, Werkverträge und Scheinselbstständigkeit) durch die Arbeitgeberseite über den durch erhöhte Mobilitäts- und Flexibilitätserwartungen der globalisierten Wirt-schaft noch beschleunigten Zerfall der ′Normalfamilie′ bis zur ′regressiven Mo-dernisierung′ des Sozialstaates verschlechtern sich die Arbeits- und Lebensbe-dingungen der heute Erwerbstätigen wie der ihnen nachfolgenden Generatio-nen.“20

Die Autoren stellen weiterhin fest, dass Kinder und Jugendliche von einer Dua-lisierung, d. h. Zweiteilung bzw. Spaltung des Arbeitsmarktes, der Sozialstruk-tur, des Wohlfahrtsstaates und der Armutsbevölkerung als Haupteffekt der Glo-balisierung, nicht unberührt bleiben. Kinder und Jugendliche leiden in besonde-rer Weise unter Einschränkungen, denen sie ausgesetzt sind, da für sie die Auswirkung der zunehmenden Polarisierung für lange Zeit den verbleibenden Gestaltungsraum vorgibt.

Dieses Szenario ist geeignet, auf eine „geordnete“ Familienplanung Einfluss zu nehmen.

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2.4 Sozialer Konnex

Die Diskussion zum Thema des gesellschaftlichen Verhaltens gegenüber der älteren Generation wird geprägt durch Begriffe, wie z. B. soziale Gerechtigkeit, Sozialverhalten, Sozialkompetenz, Sozialrecht, Sozialrelevanz, Generationen-gerechtigkeit usw.

Im Art. 20 Abs. 1 GG ist verfassungsrechtlich festgelegt, dass die Bundesre-publik Deutschland (BRD) ein demokratischer und sozialer Bundesstaat ist.

Aus diesem Verfassungsgrundsatz ergibt sich, dass die BRD ein sozialer Staat ist,

„…der sich die Fürsorge für alle Teile der Bevölkerung, insbesondere für die wirtschaftlich schlechter gestellten Kreise, angelegen sein lässt, um jedem ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.“21

Gemäß Art. 20 Abs. 2 GG geht die Staatsgewalt vom Volke aus, die den „so-zialen Rechtsstaat“ an diese Verfassungsgrundsätze (z. B.Volkssouveränität, demokratische Willensbildung, Sozialstaatsgebot, Rechtssicherheit) mit seiner vollziehende Gewalt und Rechtsprechung bindet. Diese auch unter dem Beg-riff Sozialstaatsprinzip subsumierten Verfassungsgrundsätze besagen, dass zum Zusammenleben in der Gesamtheit von Volk und Staat zwar vom Einzel-nen die Einordnung und die Respektierung der Rechte anderer verlangt wird, aber auch gleichzeitig die Garantie der eigenen Rechtsstellung und eine an-gemessene Lebensmöglichkeit gewährleistet sind. Somit beinhaltet die Sozi-alstaatlichkeit sowohl verpflichtende Bindungen an das Gemeinwohl (z. B. Art.

14 Abs. 2 GG = Sozialstaatsgebundenheit des Eigentums) als auch das sub-jektive öffentliche Recht des Hilfsbedürftigen auf Fürsorge.

Die Enquete-Kommission „Recht und Ethik in der modernen Medizin“, die am 24. März 2000 ihre Arbeit aufnahm, ist der Ansicht, dass die Gerechtigkeit als normativer Maßstab in Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Institutionen und Strukturen zu beurteilen ist. Sie vertritt die Meinung:

„(N)och so gut funktionierende und wohl abgestimmte Gesetze und Institutio-nen 'müssen' abgeändert oder abgeschafft werden, wenn sie ungerecht sind.“

Dabei geht es ihr vorrangig um die soziale Gerechtigkeit

„und damit um die gerechte Verteilung von Rechten und Pflichten sowie von sozialen und ökonomischen Gütern.“22

Unter dem Begriff „sozial“ subsumieren sich die der Gesellschaft bzw. der Gemeinschaft zugewandten Attribute, wie gemeinnützig, gesellschaftlich und wohltätig.

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Die dem Sozialstaatsgebot innewohnende soziale Gerechtigkeit, die im Art. 3 Abs. 3 GG mit der Nennung der Diskriminierungsanlässe ihren Niederschlag findet, soll in dieser Arbeit unter Berücksichtigung des (noch) fehlenden Krite-riums „Alter“ betrachtet werden.