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Radiofrequenz-Ionentriebwerks

2.1 Raumfahrt und Bedeutung elektrischer Triebwerke

2.1.5 Chemische und elektrische Triebwerke

Limitierungen der Antriebsarten

Chemische Triebwerke: Bei chemischen Triebwerken wird im Treibstoff gebun-dene Energie durch eine chemische Reaktion frei, wodurch sich dieser bzw. die entste-henden Reaktionsprodukte erwärmen. Die resultierende Temperatur entspricht einer zufällig gerichteten Teilchenbewegung. Diese Bewegung wird für gewöhnlich inner-halb einer Düse in eine gerichtete Geschwindigkeit umgewandelt. Bei einem solchen Konzept wird eine begrenzte Energiemenge in chemisch gebundener Form als Treib-stoff mitgeführt, der allerdings in kurzer Zeit umgesetzt werden kann. Dementspre-chend ist das Triebwerk faktisch nicht leistungsbegrenzt und es wird keine externe Leistung zur Schuberzeugung benötigt. Jedoch ergibt sich eine maximal erreichbare Austrittsgeschwindigkeitcgemäß

cmax =

s2Ekin,max

m (2.6)

aus der maximalen kinetischen Energie Ekin,max des Reaktionsprodukts des chemi-schen Prozesses nach Ablauf aller Reaktionen und der Masse des Reaktionsprodukts m. Die mit diesem Konzept maximal mögliche Austrittsgeschwindigkeit ist beim Re-aktionsprodukt Berylliumoxid mit bis zu 6.921 m/s gegeben. Weitere Alternativen ergeben sich durch Betrachtung der chemischen Verbindung mit den höchsten be-kannten Bildungswärmen pro Masseneinheit [1]2. Aufgrund diverser Herausforderun-gen3 bei der Verwendung dieser Stoffe ergibt sich in der Praxis eine reduzierte An-zahl eingesetzter Treibstoffe, mit Austrittsgeschwindigkeiten zwischen 2.500 m/s und 4.500 m/s [1]4.

1 Geschwindigkeitsbedarf gemäß S. 290 in Ref. [1]

2 Eine Tabelle mit den 18 chemischen Verbindungen mit der höchsten bekannten Bildungswärme pro Masseneinheit ist der Quelle auf S. 221 zu entnehmen.

3 Je nachdem, welche Stoffe verwendet werden, sind diese giftig, aufgrund der hohen Reakti-onsfreudigkeit schwer handhabbar, weisen hohe Agressivitäten auf und/oder es bilden sich undurchlässige Oxidschichten, wodurch der Stoff kaum vollständig zu verbrennen ist [1].

4 S. 226 f. in Ref. [1] sowie S. 180 f. in Ref. [12]

Kapitel 2 Umfeld des Radiofrequenz-Ionentriebwerks

Alternative Triebwerke: Alternativen zu den chemischen Triebwerken stellen elektrische, solarthermische und nukleare Antriebe sowie Sonnensegel und elektrische Sonnenwindsegel dar.

Elektrische Triebwerke: Bei den elektrischen Triebwerken wird dem Antriebs-system von extern eine elektrische Leistung zur Verfügung gestellt. Dementsprechend entfällt die bei den chemischen Triebwerken vorliegende Energiebegrenzung und die kinetische Energie eines einzelnen Teilchens kann quasi beliebig hoch gewählt wer-den. Ein solches Konzept hat eine Leistungsbegrenzung durch die dem Satelliten zur Verfügung stehende Leistungsgeneration. Aus Ekin = 12mv2 folgt

P = 1

2mc˙ 2. (2.7)

Aus Betrachtung der Gl. (2.3) folgt, dass der Schub linear mitczunimmt, die Leis-tung jedoch quadratisch. Um bei gleicher LeisLeis-tung die Austrittsgeschwindigkeitczu verdoppeln, muss der Massenfluss ˙m geviertelt werden, was zu einer Halbierung des SchubsF führt. Durch Einsetzen von 2.3 in 2.7 folgt

P = 1

2F c bzw. F = 2P

c. (2.8)

Typische Austrittsgeschwindigkeiten für solche Triebwerke liegen etwa Faktor 10 oberhalb der von chemischen Triebwerken. Typisch für Radiofrequenz-Ionentrieb-werke sind Geschwindigkeiten zwischen 3.000 m/s und 45.000 m/s [20], wobei es auch viele weitere Triebwerkskonzepte gibt. So sind auch Austrittsgeschwindigkeiten von 500.000 m/s angedacht [21]. Beim Einsatz von Elektronen anstelle von Ionen zur Extraktion stellt die Neutralisation ein Problem dar, jedoch können auch Pho-tonen beschleunigt werden, was einer Austrittsgeschwindigkeit mit Lichtgeschwin-digkeitentspricht.

Anwendung und Historie der elektrischen Triebwerke

Anwendungen aufgrund der höheren Austrittsgeschwindigkeit: Gemäß Gl. (2.4) kann die für ein Manöver notwendige Geschwindigkeitsdifferenz durch Erhö-hen von Startmasse ma und/oder Austrittsgeschwindigkeitc erfolgen. Hierbei liegt eine ungünstige logarithmische Abhängigkeit von der Startmasse vor, sodass eine signifikante Erhöhung von ∆v durch Vergrößern von ma technische Herausforde-rungen und hohe Kosten verursacht. Dies ist z. B. bei Trägerraketen ersichtlich, welche aufgrund der Triebwerksanforderungen auf den Einsatz chemischer Antriebs-systeme angewiesen sind. Bei der Trägerrakete Ariane 5 ECA (siehe Abb. 2.2b) ergibt sich trotz Verwendung eines mehrstufigen Raketenkonzepts eine Startmasse von 777.000 kg bei einer maximalen LEO-Nutzlast von 16.000 kg [22]. Sobald der Satellit sich im Weltraum befindet, ist der Einsatz von elektrischen Triebwer-ken möglich, welche meist nur unter weltraumähnlichen Bedingungen einsatzfähig sind. Das Triebwerkskonzept ergibt sich aus der jeweiligen Missionsauslegung unter Abwägung der GrößenP, cund F sowie den konkret verfügbaren Triebwerkstypen.

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2.1 Raumfahrt und Bedeutung elektrischer Triebwerke

Bei der Abwägung sind folge Punkte zu beachten:

- Leistung ist nur in begrenztem Maße verfügbar bzw. kostet Masse.

- Ein größeresc erlaubt mehr ∆v, was manche Missionen erst ermöglicht.

- Ein größeresc kann

• die Missionsdauer aufgrund des kleineren F verlängern (tendenziell bei kleinen Distanzen).

• die Missionsdauer aufgrund der höheren Endgeschwindigkeit verkürzen (tendenziell bei großen Distanzen).

• den Stützmassebedarf reduzieren, wodurch mehr Nutzlatz mitgenommen werden kann, mehr Satelliten in einer Trägerrakete transportiert werden können oder eine günstigere Trägerrakete verwendet werden kann.

Anwendungen aufgrund weiterer Vorteile: Zusätzlich zu der höheren Aus-trittsgeschwindigkeit haben elektrische Triebwerke typischerweise noch folgende Vor-teile gegenüber chemischen Antrieben:

a) Mehrfache Ein- und Ausschaltbarkeit1.

b) Der Schub kann auf Basis elektrischer Größen bestimmt werden.

c) Der Schub ist mit einer gegebenen (meist hohen) Auflösung einstellbar.

d) Der Schub kann relativ genau eingestellt werden.

e) Der Schub kann relativ schnell verändert werden.

f) Der Schub kann als quasikontinuierliche Steuergröße in einer geschlossenen Regelschleife verwendet werden, um einen Satelliten dauerhaft (ohne Wegdrif-ten zwischen einzelnen Steuerimpulsen) in einer Position, Lage oder auf einer Geschwindigkeit zu halten.

g) Das Schubrauschen kann sehr gering sein.

j) Es kann eine chemische inerte Stützmasse verwendet werden.

Aufgrund der genannten Vorteile sind elektrische Triebwerke für manche Missionen essenziell bzw. prädestiniert. Als Beispiele hierfür sind z. B. LISA [23], XEUS [24], Darwin [25] und GOCE [26–28] mit hohen Anforderungen an die Positionsgenauig-keit bzw. SchubregelbarPositionsgenauig-keit zu nennen.

Historischer Überblick: Die ersten 50 Jahre der elektrischen Antriebe von 1906 bis 1956 sind in Ref. [29] zusammengefasst, während Ref. [30] einen detaillierten Überblick von 1962 bis 2018 gibt. Ein Kurzüberblick ist Ref. [31] zu entnehmen.

Gemäß Ref. [29] erfolgten die ersten nachweisbaren Ideen elektrischer Antriebe 1906 durch Robert Goddard [32] und unabhängig davon 1911 durch Konstantin Eduar-dowitsch Ziolkowski [33; 34]2. Die ersten elektrischen Triebwerke wurden Anfang der 1960er Jahre im Weltraum eingesetzt. Seitdem hat sich die Technologie weiterentwi-ckelt und verbreitet. Hierzu beigetragen hat u. a. die aufgrund verbesserter Solarzel-len höhere zur Verfügung stehende elektrische Leistung. Neben wissenschaftlichen Missionen ist ein wichtiges Anwendungsgebiet die Positionsregelung von kommerzi-ellen Satelliten.

1 Dies ist bei manchen chemischen Triebwerken auch möglich, stellt jedoch tendenziell eine größere Herausforderung als bei elektrischen Triebwerken dar.

2 In Ref. [34] lässt sich der folgende Text: „It is possible that in time we may use electricity to produce a huge velocity for the particles ejected from the rocket device.“ auf S. 95 entnehmen.

Kapitel 2 Umfeld des Radiofrequenz-Ionentriebwerks

Gegenwart: Aktuell gibt es eine Vielzahl von verschiedenen im Wettbewerb ste-henden Triebwerkskonzepten wie Resistojets, Arcjets, Hall-Triebwerke, Gitterionen-triebwerke (Radiofrequenz-Ionentriebwerk, Ring-Cusp-IonenGitterionen-triebwerke, Kaufmann-Triebwerke, und Triebwerke mit ECR-Leistungseinkopplung), Kolloid-Kaufmann-Triebwerke, HEMPs, FEEPs und viele weitere. Aktuelle Trends sind geprägt von einem zu-nehmenden Kostendruck, der stärkeren Privatisierung der Weltraumbranche sowie durch eine höhere Bereitschaft einzelner Akteure, neue Technologien einzusetzen.

Eine Entwicklung ist z. B. das sogenannte „orbit raising“, bei dem der Transfer ei-nes geostationären Satelliten von seinem Transferorbit (Orbit nach dem Aussetzen von der Trägerrakete) in seinen Zielorbit mit elektrischen Triebwerken durchgeführt wird [35; 36]. Zudem sind nach der Iridium-Konstellation erneut sogenannte „mega constellations“ im LEO, wie Starlink, OneWeb und Projekt Kuiper, geplant.