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3 Hochaltrige Eltern und ältere Familien

3.2 Zur Häufigkeit älterer Familien

3.3.2 Biografische Erfahrungen, aktuelle Lebenssituation und

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hat sich damit verändert (‚Behinderung darf nicht arm machen‘) (vgl. Axmann 2018a; Kruse

& Tenbergen 2019). Mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz werden Eltern bzw. Angehörige von Zuzahlungen bei der Hilfe zur Pflege und der Hilfe zum Lebensunterhalt befreit, sofern ihr jeweiliges Jahreseinkommen unter 100.000 Euro liegt. Auch die Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt sollen mit Hilfe des BTHG verbessert werden, indem sogenannte ‚andere Leis-tungsanbieter‘ neben den klassischen Werkstätten für behinderte Menschen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben anbieten dürfen. Aber auch der Ausbau des Budgets für Arbeit bzw.

die Schaffung eines Budgets für Ausbildung sollen den Übergang auf den allgemeinen Arbeits-markt erleichtern.

Dennoch sind auch in Bezug auf das BTHG noch einige Fragen offen, so verweist etwa Falken-störfer (2020) auf § 103 Abs. 2 SGB IX und kritisiert:

„Teilhabeleistungen werden nur noch erbracht (auch in der Pflege), wenn diese zu Teilhabeerfolgen führen. Das ist für Menschen mit komplexen Behinderungen insbesondere auch deshalb besonders be-drohlich, weil ab 2020 keine stationären Wohnformen mehr unterstützt werden, da diese dem Ziel der Teilhabe an der Gesellschaft entgegenstehen.“ (8)

Zwei Dinge sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung:

Erstens belegen die skizzierten historischen Entwicklungen von Leitprinzipien, Gesetzen und Institutionen seit 1945, dass das zum Zeitpunkt der Geburt ihrer beeinträchtigten Kinder noch wenig ausgebaute System der Behindertenhilfe es für Familien notwendig machte, Hilfen wei-testgehend selbst zu organisieren, sofern sie nicht auf die (qualitativ) unzureichenden und nicht flächendeckend vorhandenen Angebote zugreifen wollten oder konnten. Mit der Herausfor-derung, Familienleben, Beruf, Freizeit etc. im Rahmen noch nicht etablierter institutioneller Unterstützungsstrukturen zu organisieren, entwickelten viele ältere Familien Ressourcen, die sie weitestgehend unabhängig machten von diesen Diensten (vgl. Stamm 2009; Lindmeier 2011).

Damit ging mitunter gleichzeitig die bereits beschriebene Entwicklung einer familiären Identi-tät einher, für die der familiäre Zusammenhalt zentral ist (vgl. Lindmeier 2011).

Zweitens macht gerade das Zitat von Falkenstörfer (2020) die Diskrepanz zwischen den an-gestrebten Verbesserungen für beeinträchtigte Menschen und ihre Familien und der jeweiligen Wirklichkeit deutlich: Trotz der genannten Verbesserungen der rechtlichen und gesellschaft-lichen Anerkennung beeinträchtigter Menschen durch das BTHG werden immer noch beein-trächtigte Menschen vom Zugang zu Hilfen ausgeschlossen. Für sie (und ihre Familien bzw.

Unterstützer*innen) werden tendenziell eher die Grenzen der politischen und gesellschaftlichen Inklusionsbestrebungen erfahrbar, und viele Eltern können sich in ihren Befürchtungen bestä-tigt sehen, das Kind werde in Einrichtungen des Wohnens bzw. der Pflege „nur versorgt“ (Lind-meier et al. 2012, 32).

3.3.2 Biografische Erfahrungen, aktuelle Lebenssituation und Zukunftsperspektiven

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gerade im Kontext einer kognitiven Beeinträchtigung in erster Linie Unterstützung, Beglei-tung, Fürsorge35 und mitunter durchaus auch ganz konkrete körperliche Pflege.

Dieses Verständnis deckt sich mit dem Care-Begriff, der für die Definition von ‚Familie‘ (vgl.

Jurczyk 2014, 50) in dieser Arbeit wegweisend ist (vgl. auch 3.1 und 3.5.3): Es geht um ein Verantwortungsgefühl aus Zuneigung heraus, um eine emotionsgeleitete und persönliche Be-gleitung, die nicht durch Institutionen garantiert werden kann. Diese Sorge – oder Care, wie sie eben auch übersetzt werden kann – ist es, die den Zusammenhalt zwischen Menschen schafft, die sich dann als Familie definieren36. Dieser Begriff verweist auch auf die grundsätzlich mög-liche und wahrscheinmög-liche Interdependenz der Sorge umeinander und füreinander, die in vielen Fällen charakteristisch ist für die Beziehungen in älteren Familien (vgl. exemplarisch Williams

& Robinson 2001) (s. u.).

Die besondere Bedeutung der Unterstützungsleistungen wird noch dadurch verstärkt, dass zum Zeitpunkt der Diagnosemitteilung der heute beeinträchtigten Menschen über 40 Jahre Eltern von Ärzt*innen falsche Prognosen bezüglich der Lebenserwartung und dementsprechend auch über das gemeinsame Leben mit ihrem Kind erhalten haben, als sie sich dann tatsächlich ab-zeichneten. Die Kinder haben die Prognosen der Ärzt*innen quasi ‚überlebt‘. Die Eltern, die ihre Kinder dann nicht, wie in den 1970er Jahren noch häufig empfohlen, in die Obhut von Pflegeeinrichtungen gaben, stellten sich familienbiografisch auf diese relativ kurzen Zeiträume eines gemeinsamen Lebens mit ihrem Kind ein (vgl. Lindmeier 2011, 12f ). Mit den Jahren mussten sie diese Pläne immer wieder anpassen. Neben der potenziellen Belastung durch die Aussicht auf ein Leben als Elternteil mit Verantwortung für Begleitung und ggf. auch Pflege steht dann die Freude über die gewonnenen Jahre mit dem älter werdenden Kind. Auch dies unterstreicht, warum das Verständnis und die Bedeutung von der zu leistenden lebenslangen Unterstützung in Familien so komplex sind.

Die familiäre Sorgearbeit ist geprägt von interdependenten Beziehungen zwischen den hochaltrigen Eltern und den erwachsenen beeinträchtigten Kindern.

Verschiedene Studien kritisieren die ‚dichotomisierende Sichtweise‘ (vgl. Williams & Robinson 2001, 56) auf ‚Unterstützer*innen‘ und ‚zu unterstützende Personen‘ und verweisen stattdessen auf reziproke oder interdependente familiäre Unterstützungsstrukturen.

Williams & Robinson (2001) belegen physische, emotionale, soziale und haushälterische Akti-vitäten, mit denen kognitiv beeinträchtigte erwachsene Kinder ihre hochaltrigen Eltern unter-stützen (vgl. ebd., 59). Grant weist darauf hin, dass die Unterstützung mitunter so weit geht, dass das eigene Überleben der Eltern und das Leben in den ihnen vertrauten Strukturen abhän-gig von der jeweiligen Unterstützung des beeinträchtigten Kindes sind (vgl. Grant 1986, 337).

Diese Gegenseitigkeiten werden mitunter von Eltern als „reward for the life-long commitment“

(Grant 1986, 338) gewertet. Hatten die Eltern jedoch andererseits das Gefühl, von ihren Kin-dern ignoriert oder manipuliert zu werden, führte dies in der Unterstützung zu einem erhöhten Belastungsempfinden (vgl. Grant et al. 1998, 65).

Professionelle Dienste wie in Deutschland die Werkstätten für behinderte Menschen wissen zwar in der Regel, wenn kognitiv beeinträchtigte Menschen zu Hause auch eine versorgende

35 Der Fürsorgebegriff wird u. a. in der Behindertenpädagogik bzw. von beeinträchtigten Menschen kontrovers diskutiert (vgl. Barnes 2016). Gemeint ist er hier im Sinne der Care Ethik (vgl. exemplarisch Conradi 2001; Schües 2016) und wird als eine mögliche Übersetzung von Care verwendet (vgl. Schües 2016), das hier auch als ‚familiäre Sorgearbeit‘ übersetzt wird.

36 Für eine umfassendere Auseinandersetzung mit dem Care-Begriff und dem Care-Konzept siehe 3.5.3.

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Rolle einnehmen, reagieren darauf aber nur selten entsprechend den Bedarfen der Familien (erste entsprechende Assessments sind etabliert, vgl. für England Magrill o. J.). Hier offenbart sich die wider besseres Wissen noch immer zu häufig als einseitig wahrgenommene und bewer-tete Situation familiärer Unterstützung. Sie führt in diesem Zusammenhang dazu, dass kognitiv beeinträchtigten Erwachsenen, die ihre Eltern unterstützen, zum einen die Identifikation mit einer sozial anerkannten sozialen Rolle vorenthalten wird und ihnen gleichzeitig die Möglich-keit genommen wird, selbstbestimmt über die Akzeptanz dieser Rolle zu entscheiden:

„Being a carer carries with it a certain status, together with rights and responsibilities. People cannot recognize nor value their own role as a carer unless they are given appropriate recognition and support from professional service providers.“ (Williams & Robinson 2001, 61)

Darüber hinaus verweisen die interdependenten Beziehungen auch ganz deutlich auf die Not-wendigkeit auf Seiten der Anbieter professioneller Hilfen, Familien als Systemen zu begegnen und die Auswirkungen zu beachten und zu begleiten, die eine potenzielle oder tatsächliche Ver-änderung für alle Beteiligten haben kann:

„Little, if any, research or practice has been reported on a planning process that considers the older fam-ily as a whole, taking into account and addressing the needs and concerns of all famfam-ily members affected by ageing circumstances.“ (Jokinen 2006, 248)

Trotz der betonten gegenseitigen Unterstützung darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass bei aller Abhängigkeit von ihren erwachsenen beeinträchtigten Kindern die hochaltrigen Eltern in der Regel diejenigen bleiben, die Verantwortung und Kontrolle über das Leben ihrer Kinder behalten (vgl. Williams & Robinson 2001, 61; auch Stamm 2009, 257) und mit Blick auf die notwendige Entwicklung von Zukunftsperspektiven die „key decision-makers“ (Grant 1989, 338; zit. n. Bigby 2004, 202) bleiben.

Es lassen sich gleichzeitig sowohl eine Reihe von Anforderungen identifizieren, mit denen ältere Familien bzw. hochaltrige Eltern konfrontiert sind, als auch bedeutsame positive As‑

pekte37 der (gegenseitigen) Unterstützungssituation.

Belastungsrisiken familiärer Sorgearbeit

Zu den allgemeinen Belastungsrisiken zählen eine schlechte physische Gesundheit der beeinträch-tigten Kinder sowie auf Seiten der Mütter ein geringes Einkommen, kurze Ausbildungszeiten und der Status als Alleinerzieherin. Diese Aspekte gehen statistisch betrachtet häufiger mit schlechte-rer physischer Gesundheit der Mütter, weniger Lebenszufriedenheit und erhöhter Belastung und Stress einher (vgl. Seltzer & Krauss 1989). Gleichwohl fassen die Autoren zusammen:

„Thus, on an absolute level, our sample should be characterized as having above average health for their age, with a relatively favorable life satisfaction and about average levels of perceived burden and stress.“

(Seltzer & Krauss 1989, 307)

Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Maggs & Laugharne (1996), die besonders auf eine eher kleine, aber bedeutsame Gruppe älterer Familien verweisen, in denen geringe psychische,

37 Die im englischen als „gratifications“, „rewards“ oder „benefits“ bezeichneten positiven Aspekte von Care muten in der deutschen Übersetzung als „Befriedigung“, „Belohnungen“ oder „Vorteile familiärer Sorgearbeit“ nach Meinung der Autorin unpassend an. Eine ‚Belohnung‘ oder ein ‚Vorteil‘, den man aus der Unterstützungsarbeit zieht, suggeriert ein berechnendes Element, das in der Regel nicht damit verbunden ist. Die Übersetzung als

‚positive Aspekte‘ oder ‚positive Seiten‘ von Care bleibt sehr oberflächlich. Mit der detaillierten Beschreibung ebendieser wird die notwendige inhaltliche Genauigkeit erreicht.

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soziale und ökonomische Ressourcen auf Seiten der Unterstützer*innen zu massiven Beein-trächtigungen der eigenen Lebensqualität als auch der der kognitiv beeinträchtigten Kinder führen können. Sie betonen die Gefahr, dass der familiäre Haushalt für alle Beteiligten – für die hochaltrigen Unterstützer*innen und erwachsenen kognitiv beeinträchtigten Kinder – zu einer Insel „of isolated, institutional care-in-the-community“ (Maggs & Laugharne 1996, 249) wird.

Differenzierter betrachtet lässt sich feststellen, dass Belastungsrisiken durch ständigen Zeit-druck sowie die Asymmetrie von Zeitpraxen und Zeitstrukturen forciert werden, dass sie häufig alternsbedingt sind, mit einem erhöhten Exklusionsrisiko älterer Eltern zusammenhängen und/

oder von den ungeklärten Zukunftsperspektiven herrühren.

• Ständiger Zeitdruck

Um die zeitlichen Herausforderungen in Zusammenhang mit der familiären Sorgearbeit zu verstehen, müssen zunächst die konkret anfallenden Aufgaben beleuchtet werden. Unter dem Begriff des „parenting“ (Shearn & Todd 1997, 286) werden die verschiedenen Dimensio-nen der Unterstützung zusammengefasst. ‚Parenting‘ wird dabei definiert als eine Aktivität, die ein Bündel ungleichartiger Aufgaben umfasst, die sich im Laufe der Zeit in Bezug auf ihre Zusammensetzung und ihre (subjektive) Bedeutung verändern können (vgl. Shearn &

Todd 1997, 286; siehe ergänzend Nolan/Keady & Grant 1995). Besonders hervorzuheben ist dabei die koordinierende und priorisierende Sorgearbeit („Articulation Work“, Shearn &

Todd 1997, 297), eine Schlüsseldimension für die Integration der unterschiedlichen Aspekte familiärer Sorgearbeit. Diese umfasst die Koordination einer größeren Spanne ungleicharti-ger Aufgaben, ihre Priorisierung sowie die Einschätzung, Bereitstellung und Kontrolle der Verfügbarkeit der dafür notwendigen Mittel und Ressourcen. Dieses Bündel an Aufgaben umfasst mehr als die hier aufgezählten Dimensionen familiärer Sorgearbeit, es beinhaltet bei-spielsweise auch die Erwerbsarbeit, die Hausarbeit, die Beziehungsarbeit etc.

Die Gleichzeitigkeit der beschriebenen Anforderungen kann bereits eine enorme Herausforde-rung darstellen, die sich aber durch verschiedene Aspekte noch zuspitzen kann:

• Asymmetrie von Zeitpraxen und Zeitstrukturen (vgl. Gerding 2009), von „clock time“ (She-arn & Todd 1997, 297) und „process time“ (She(She-arn & Todd 1997, 297):

Die Inanspruchnahme professioneller Dienste verpflichtet zur Einhaltung bestimmter Zei-ten, während sich die familiäre Sorgearbeit nach der für die einzelnen Unterstützungsprozes-se benötigten Zeit richtet. Auf dieUnterstützungsprozes-se WeiUnterstützungsprozes-se kann es täglich zu belastenden Stresssituationen im Kontext der Inanspruchnahme von Hilfen kommen (vgl. Shearn & Todd 1997, 297f ).

• Alternsbedingte Herausforderungen:

Viele Herausforderungen der familiären Unterstützungssituation korrelieren mit dem Älter-werden älterer Eltern und damit einhergehend dem ÄlterÄlter-werden der Kinder, die zu Erwach-senen werden (vgl. Bigby 2004, 197):

• Nachlassende körperliche Kräfte und Fähigkeiten machen ggf. notwendige körperliche Pflege anstrengend. Sie erschweren das Reagieren auf herausforderndes Verhalten (an sich auch ein eher belastender Faktor elterlicher Sorgearbeit, vgl. Grant et al. 1998, 6638).

Daneben entwickeln ältere Eltern möglicherweise auch selbst Unterstützungsbedarfe, so-dass es mitunter zu einer „faktische[n] Unterstützungsabhängigkeit“ (Wacker 2014; zit. n.

Falkenstörfer 2020, 6) kommt.

38 Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass herausforderndes Verhalten nicht zwingend die Ursache, sondern auch die Folge von Belastungen sein kann (vgl. Grant/Ramcharan/McGrath/Nolan & Keady 1998, 66).

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• Mit zunehmendem Alter kommt es auch eher zu Einschränkungen der Mobilität, die ver-mehrt von der Unterstützung Dritter abhängig wird, da, je nach Art der Einschränkung, weder das eigene Auto noch der öffentliche Personennahverkehr ein adäquates Mobilitäts-angebot mehr darstellt (vgl. Shearn & Todd 1997).

• Mit zunehmendem Alter mehren sich die Erfahrungen von Verlusten: Die eigenen Eltern, Freund*innen oder auch die (Ehe-)Partner*innen selbst sind in älteren Familien nicht sel-ten bereits verstorben oder selbst pflegebedürftig. Kleiner werdende Netzwerke erhöhen somit das Risiko der Vereinsamung im höheren Alter, auch in älteren Familien.

• Neben den eigenen Unterstützungsbedarfen und denen der beeinträchtigten Kinder sind noch weitergehende Unterstützungsbedarfe denkbar, beispielsweise die von weiteren (nicht beeinträchtigten) Kindern, etwa in Bezug auf die Betreuung der Enkel*innen.

• Erhöhtes Exklusionsrisiko auf Seiten älterer Eltern durch höhere Anforderungen bei der Übernahme weiterer sozialer Rollen:

Die Ergebnisse hierzu sind zum Teil gegensätzlich: Repetti/Matthews & Waldron (1989; zit. n. Hogg

& Lambe 1998, 46) kommen zu dem Ergebnis, dass die Beschäftigung mit verschiedenen Rollen das psychologische Wohlbefinden von Eltern senkt, und formulieren analog der Disengagement-Theo-rie des erfolgreichen Alterns (vgl. Theunissen 2002, 29f ) eine „Scarcity hypothesis“ (Hogg & Lam-be 1998, 46). Konträr dazu ist die „accumulation hypothesis“ (Hogg & LamLam-be 1998, 46), nach der die Übernahme verschiedener sozialer Rollen das psychologische Wohlbefinden steigert (vgl. dazu auch die Aktivitätstheorie erfolgreichen Alterns, exemplarisch Theunissen 2002, 30f ). Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommen auch Hong & Seltzer (1995), die einen positiven Zusammen-hang zwischen mehr sozialen Rollen und weniger Anzeichen von Depression nachweisen konnten.

Shearn & Todd (1997) analysieren differenzierter, mit welchen Facetten das Eingebundensein in mehrere soziale Rollen verbunden ist. Die Inanspruchnahme professioneller Dienste verschafft Eltern den Freiraum, andere Rollen als die der Unterstützer*innen wahrzunehmen. Gleichzeitig sind sie an die zeitlichen Vorgaben der Dienste gebunden, die aber nicht automatisch den Zeiten entsprechen, in denen gleichaltrige Eltern von nicht kognitiv beeinträchtigten Kindern, mögliche Peers, ihre Freizeit gestalten und andere soziale Rollen ausfüllen. Es kommt so zu zeitlichen Asym-metrien, die mitunter als „form of segregation“ (Todd & Shearn 1996, 390) wirken. Ergebnisse von Seltzer et al. (2011, 488ff ) bestätigen, dass Eltern, die mit ihren erwachsenen Kindern zusam-menleben, seltener ausgehen. Dies begünstigt eine unterschiedliche Entwicklung von Biografien:

„The successes and failures in the lives of parents such as these often have no counterpart in the daily lives of others, whose children live their own lives, have friends, go to work and get married.“ (Hubert

& Hollins 2002, 4)

Die Herausforderungen, die sich auf diese Weise entwickeln und womöglich zu elterlichen Be-lastungen führen, können folglich nicht auf die Eltern-Kind-Beziehung zurückgeführt werden, sondern sind in den gesellschaftlichen Bedingungen verankert, unter denen sich Familien mit be-einträchtigten Kindern entwickeln. Durch sie wird die Übernahme weiterer sozialer Rollen er-schwert, Räume biografischer Erfahrung und Emergenz (vgl. Kapitel 2) werden damit reduziert.

„For many parents, the stresses they encountered did not stem from their relationship with their off-spring, but from the difficulties which they faced in trying to enrich their lives with extra-parental in-volvements.“ (Shearn & Todd 1997, 300)

• Belastungen durch Zukunftssorgen:

Die am weitesten verbreitete Belastung unter älteren Eltern scheint jedoch die Sorge um die Begleitung der beeinträchtigten Kinder nach dem Ende ihrer Zeit als Unterstützer*innen zu

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sein (vgl. Bigby 2004, 197), Bigby beschreibt es als „[t]he worry of their life“ (Bigby 2000, 69): „concrete planning and preparing for the future is associated with increased anxiety“

(Heller & Factor 1991, 173). Diese Belastungen lassen sich auf die mannigfaltigen Aspekte der Sorgebeziehung zurückführen: Betrachtet man die verschiedenen Dimensionen der Sor-gebeziehung, in denen Eltern aktiv werden (vgl. Shearn & Todd 1997; Nolan/Keady & Grant 1995), ist es fraglich, welcher Dienst in der Lage und bereit ist, sich so umfassend und be-dingungslos an den Bedürfnissen der beeinträchtigten Menschen zu orientieren (vgl. Bowey/

McGlaughlin & Saul 2005, 144). Professionelle Dienste betonen in der Regel andere Werte, als Eltern dies tun (vgl. Bigby 2004, 206), argumentieren zum Beispiel mit Selbstständigkeit und Selbstbestimmung (vgl. u. a. Emmelmann & Greving 2019; Bowey/McGlaughlin & Saul 2005, 141f ). Für Eltern konkurrieren diese Prinzipien aber, wie bereits gezeigt wurde, häufig mit anderen, in ihren Augen gleichwertigen Aspekten der Lebensqualität.

Die Herausforderungen elterlicher Sorgearbeit dürfen nicht als alleinige oder dominierende Aspekte der Lebenswirklichkeit hochaltriger Eltern bewertet werden, während sie gleichzeitig auch nicht außer Acht gelassen werden dürfen. „Although the experience of stress is an unde-niable part of caregiving for almost everyone, it only represents one of the relevant dimensions“

(Grant et al. 1998, 59). Nur in Kombination mit den positiven Aspekten der Sorgebeziehung ist es möglich, sich den Lebenswirklichkeiten älterer Familien anzunähern.

Positive Aspekte familiärer Sorgearbeit

Grant et al. (1998) betonen die hohe Wertigkeit der familiären Sorgebeziehung trotz der par-allel damit einhergehenden Herausforderungen: „Indeed, rewarding experiences, at least in the case of this sample, appear to be very much the norm“ (63). Als positive Aspekte von Care be-nennen Eltern u. a.:

• das Ermöglichen eines Lebens abseits von Institutionen,

• die gute Entwicklung der zu unterstützenden Person in der Familie,

• das Erkennen und Wertschätzen auch kleiner Entwicklungsschritte,

• die Gewissheit der Achtung der Würde der zu unterstützenden Person,

• die Gewissheit, dass die familiäre Sorge die bestmögliche Unterstützung ermöglicht (vgl.

ebd., 62f ).

Jokinen hebt die herausragende Bedeutung der Familie aus Sicht der beeinträchtigten Kinder hervor und bestätigt damit einige der von Grant et al. (1998) benannten positiven Aspekte:

„Family plays a pivotal role in the lives of adults with an ID (Bigby & Balandin 2004; Seltzer et al. 2004) regardless of living circumstances or service provision. Family fosters a sense of belonging. Regular con-tact, sharing family dinners, and celebrating special occasions together are some of the ways in which practical and emotional supports are provided by parents, siblings, and other relatives. This reduces the likelihood of social isolation for middle-aged and older adults with an ID.“ (Jokinen 2006, 247) Auch die finanziellen Zugewinne stellen einen positiven Aspekt der familiären Sorgearbeit dar:

„Kindergeld, Pflegegeld, Grundsicherung bei Erwerbsminderung und andere Geldleistungen“39 (Burtscher 2012, 321) stellen mitunter einen wesentlichen Beitrag zum Familieneinkommen dar, ohne den der bisherige Lebensstil in einigen Familien vermutlich nicht aufrechterhalten

39 Nach 20 Jahren Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen erhalten beeinträchtigte Menschen eine Erwerbsminderungsrente, „deren Höhe sich nicht an ihrem realen Verdienst orientiert, sondern an der durchschnittlichen Rentenhöhe in der Bundesrepublik Deutschland“ (Lindmeier 2011, 16). Sofern sie sozialhilferechtlich selbstständig wohnen und keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen, steht ihnen diese Rente im vollen Umfang zu Verfügung.

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werden könnte (vgl. Lindmeier 2011, 10). Dieser Aspekt ist gleichzeitig Teil der interdependen-ten Beziehungsstruktur innerhalb der Familien (s. o.).

Bezogen auf die Familie als System kann das Sorgeverhältnis eine wichtige positive Funktion haben und verbindend und identitätsstiftend wirken (vgl. Lindmeier 2011, 10; Lindmeier et al.

2018, 26f ), möglicherweise dient es sogar als deutlich sichtbares Signal nach außen: ‚Wir sind eine Familie, wir gehören zusammen und wir halten zusammen‘.

Die Gleichzeitigkeit von Belastungsrisiken und positiven Aspekten familiärer Sorgearbeit Ältere Forschungsansätze über Sorgebeziehungen im weitesten Sinne gehen einseitig von Belas-tungen aus, die mit der Unterstützungssituation verbunden sind. Die Modelle zur Veranschauli-chung familiärer Belastungen verwenden einfache „de facto stimulus-response“ (Grant et al. 1998, 58)-Modelle, Belastungen werden also als verlässliche Reaktionen auf bestimmte Reize gewertet.

Durch das spätere Modell der ‚life events‘ (ebd.) werden Belastungen stärker als Beiprodukt bzw. Ergebnis kumulierender Effekte im Rahmen bedeutsamer Lebensereignisse charakterisiert (zum Beispiel der Geburt eines Kindes oder des Todes eines geliebten Menschen).

Das transaktionale Stressmodell nach Lazarus (vgl. exemplarisch Lazarus 1995) hebt die Bedeu-tung der BewerBedeu-tungen eines Ereignisses durch die Subjekte selbst hervor. Ein bestimmtes Ereignis ist damit nicht an sich stressauslösend oder belastend, sondern erst die Bewertung des Ereignisses durch das Subjekt – in Abwägung mit vorhandenen Ressourcen, dieses Ereignis zu bewältigen – entscheidet darüber, ob es die Person als Belastung und Stress empfindet oder nicht.

„There is also a strong empirical support to suggest that stress in caregiving cannot be adequately ex-plained either by reference to the tasks they undertake or to the ‚dependency‘ characteristics of the care recipient. Caregiver appraisal processes, external contingencies and outcome considerations are also involved.“ (Grant et al. 1998, 59)

Heller/Miller & Factor (1997, 345; zit. n. Hogg & Lambe 1998, 44) gehen noch einen Schritt weiter und fordern, Belastungen und positive Aspekte nicht länger als zwei Enden eines Unter-stützungskontinuums zu betrachten, sondern als zwei voneinander unabhängige Merkmale ihrer Situation. Die Aufgabe der Begleitung des eigenen Kindes wird von Eltern in der Regel nicht in Frage gestellt, sondern selbstverständlich und bejahend angenommen. Untersuchun-gen, die diese Trennung nicht vornehmen, sondern weiterhin von der Idee des Überwiegens von entweder Belastungen oder Gewinnen ausgehen, bilden die Situation älterer Familien nicht an-gemessen ab: Selbst wenn Eltern außerordentlich viele und hohe Belastungen in der Unterstüt-zungssituation wahrnehmen, können die möglicherweise zahlenmäßig deutlich geringeren Vor-teile dennoch signifikant höher bewertet werden. Eine einfache Rechnung nach dem Prinzip des Vergleichens von Faktoren der Belastung und der positiven Aspekte durch Außenstehende ist nicht zulässig. In diesem Zusammenhang ist auch ein Teil der häufig scheiternden Versuche zu erklären, hochaltrige Eltern mit dem Verweis auf ihre eigene Entlastung von den Pflegever-pflichtungen von der Richtigkeit eines Umzugs ihres Kindes in institutionelle Wohnformen zu überzeugen. Es sind die subjektiven Bewertungen, die darüber entscheiden, ob ein Umstand oder ein Ereignis als beanspruchend oder positiv eingeschätzt wird (Grant et al. 1998, 62).

Die Herausforderungen und positiven Seiten, die mit der familiären Sorgebeziehung verbun-den sind, können als ‚pull- und push-Faktoren‘ im familiären Alltag gewertet werverbun-den (vgl. Grant et al. 1998, 59), in dem Bedingungen, die zu Herausforderungen führen, wiederum auch Er-folge zur Folge haben können (vgl. ebd.): So können beispielsweise belastende Situationen bei einem gleichzeitig grundsätzlich guten Familienzusammenhalt das Zusammengehörigkeitsge-fühl noch zusätzlich stärken (vgl. ebd., 67).

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Unterschiedliche Erwartungen und Wünsche verschiedener Akteur*innen im Leben älterer Familien hemmen die Entwicklung von Zukunftsperspektiven.

Ältere Familien sind unterschiedlichen Erwartungen von außen ausgesetzt. Professionelle Dienste treten immer noch eher mit der Erwartung an alte Eltern heran, einen Auszug ihrer beeinträchtigten Kinder aus dem Elternhaus anzustreben, um zum einen ihrer Verantwortung nachzukommen, die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit ihrer Kinder zu fördern, und zum anderen als Eltern selbst entlastet zu sein und die letzte Lebensphase für sich genießen zu kön-nen (vgl. Lindmeier 2011, 9f ). Von gleichaltrigen Nachbar*inkön-nen und Bekannten dagegen sind sie tendenziell häufiger mit konträren Haltungen konfrontiert, „dass eine ‚gute Mutter‘ sich um ein solches ‚Sorgenkind‘ besonders intensiv und dauerhaft zu kümmern habe“ (Lindmeier et al.

2018, 12). Auch die Elternteile selbst sind mitunter unterschiedlicher Meinung in Bezug auf die zukünftige Organisation der Unterstützung ihrer Kinder. Und Grant (1990) weist noch dazu auf die intrapersonellen Ambivalenzen hin, mit denen Elternteile konfrontiert sind: Einerseits fühlen sie sich mitunter verpflichtet, die Sorgebeziehung so lange wie möglich aufrechtzuerhal-ten, gleichzeitig werden sie möglicherweise immer wieder eingeholt von der Überzeugung, dass ein Auszug eher im Interesse ihrer Kinder wäre (vgl. ebd., 361).

In diesem Zusammenhang fällt auf, wie selten die Wünsche der beeinträchtigten Menschen selbst erhoben werden. So wäre es denkbar, dass eine von Seiten der beeinträchtigten Kinder formulierte Zukunftsperspektive in der Lage wäre, Eltern Entscheidungen zu erleichtern. Kog-nitiv beeinträchtigte Menschen selbst spielen aber im gesamten Geflecht der Entwicklung von Zukunftsperspektiven eine noch deutlich zu geringe Rolle. Driller et al. (2010) belegen, dass bei der Entscheidung über einen Auszug vom Elternhaus in ein Wohnangebot der Behindertenhilfe nur in sehr wenigen Fällen (12 %) beeinträchtigte Menschen in die Entscheidung einbezogen werden (vgl. 166). Für das Leben beeinträchtigter Menschen im Alter bestätigen das auch die Ergebnisse von Thimm et al. (2018, 86; 101). Ein Grund dafür liegt in dem Versuch von Eltern, ihren beeinträchtigten Kindern dieses für sie als belastend eingeschätzte Thema zu ersparen, da es gleichzeitig das Älterwerden und den Tod der Eltern impliziert (vgl. Bowey & McGlaughlin 2005, 1379). Ein weiteres Problem stellte bis 2018 auch das Fehlen unabhängiger Beratungs-stellen dar, die dabei unterstützen können, gemeinsam mit den beeinträchtigten Angehörigen über wohnbezogene Zukunftsoptionen ins Gespräch zu kommen40:

„Für Angehörige scheint es schwer, eine unabhängige Entscheidung gemeinsam mit dem Betroffenen zu treffen, da es keine neutrale Beratung dazu gibt und sie den Betroffenen selbst teilweise nicht die Entscheidungskompetenz zutrauen und ihre Rolle eher als ‚fürsorgliche Angehörige‘ sehen.“ (Thimm et al. 2018, 105)

Durch diese Zurückhaltung wird die Teilhabe kognitiv beeinträchtigter Menschen jedoch wei-ter eingeschränkt: „A lack of involvement in the process will further disempower an already disempowered group. This lack of power is yet again often deemed to be justified in a culture of protectiveness“ (Bowey & McGlaughlin 2005, 1391).

Verschiedene Studien illustrieren die Wünsche und Zukunftsperspektiven beeinträchtigter Men-schen (vgl. Walmsley 1996, 12; Metzler & Rauscher 2004; McGlaughlin/Gorfin & Saul 2004;

40 Mit der Schaffung Ergänzender Unabhängiger Teilhabeberatungsstellen (EUTB) durch das Bundesteilhabegesetz (vgl. SGB IX §32) sind in diesem Punkt mittlerweile entsprechende Anlaufstellen vorhanden, deren Kompetenz zur Beratung kognitiv beeinträchtigter Menschen jedoch je nach EUTB unterschiedlich ausgeprägt ist. Informa-tionen zu den jeweils vorliegenden Erfahrungen mit besonderen Teilhabebeeinträchtigungen sind für jede einzelne EUTB in Deutschland in einem gemeinsamen Internetauftritt unter www.teilhabeberatung.de hinterlegt.

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Bowey & McGlaughlin 2005), belegen also, dass sie in der Lage sind, sich mit diesem anspruchs-vollen Thema auseinanderzusetzen. Die Ergebnisse zeigen auch, dass sie mitunter ihre Wünsche verschweigen, um Konflikte mit ihren Familien zu vermeiden (vgl. Bowey/McGlaughlin & Saul 2005, 143f ), und verweisen damit auf den bereits erwähnten notwendigen systemischen Blick auf Familien.

Für viele ältere Eltern ist die Entwicklung von Zukunftsperspektiven mit großen emotiona‑

len Belastungen verbunden.

Ausgehend von der Überzeugung, „that their home is the most suitable environment and that they provide the best care“ (Bowey/McGlaughlin & Saul 2005, 144), sind Eltern mit der Auf-gabe konfrontiert, eine tragfähige und Lebensqualität gewährleistende Zukunftsperspektive für ihr Kind zu entwickeln, das ein Leben lang auf individuelle Unterstützung angewiesen sein wird41. Diese Perspektiven müssen sich gegenseitig ausschließende Anforderungen erfüllen:

• Zum einen müssen sie möglichst konkret sein und Stabilität und Sicherheit für das erwach-sene beeinträchtigte Kind gewährleisten. Wenn die Wohnsituation des erwacherwach-senen beein-trächtigten Kindes in dieser Weise gesichert ist, können alle Beteiligten die Veränderung an-gemessen antizipieren und beruhigt einer bewegten Zukunft entgegenblicken.

So kommt es mitunter dazu, dass Angehörige sich für einen Umzug in eine allgemeine Pfle-geeinrichtung aussprechen, wenn diese in der Nähe des Wohnortes der Familie liegt und ein spezielles Wohnangebot der Behindertenhilfe deutlich weiter entfernt wäre42. Dahinter steht der Gedanke, das Umfeld, soziale Bezüge und Beziehungen des beeinträchtigten Menschen möglichst zu erhalten. Bekräftigt wird eine solche Entscheidung durch die Erwartung, dass eine Pflegeeinrichtung eine Versorgung in einem Rahmen garantieren kann, die im familiären Rahmen nicht (mehr) möglich wäre (vgl. Thimm 2018, 85ff ).

• Zum anderen muss der Entwurf möglichst flexibel sein, denn auch nach einer Veränderung der Unterstützungssituation und einem potenziellen Auszug aus dem Elternhaus liegen in der Regel noch mehrere Jahrzehnte Lebenszeit vor dem beeinträchtigten Menschen und es ist nicht vorhersehbar, was sich in dieser Zeitspanne ereignen wird (Gründe für Umzüge inner-halb einer Einrichtung bzw. aus ihr heraus wurden durch Driller et al. 2010 erhoben):

• Das Älterwerden des beeinträchtigten Menschen selbst kann zu notwendigen Verände-rungen seiner Lebenssituation führen, z. B. kann sich der Hilfebedarf verändern oder die Tagesstruktur kann vom Träger mit dem Eintritt in den Ruhestand nicht mehr gewähr-leistet werden.

• Familiäre Netzwerke, die auch nach einer veränderten Unterstützungssituation noch aktiv sind, können sich alters- oder krankheitsbedingt verändern.

• Einrichtungen entwickeln sich weiter und können – im Falle der Nutzung entsprechend professionell begleiteter Wohnangebote – Umzüge erforderlich machen (z. B. „Umstruk-tierungsmaßnahmen der Einrichtung“, Driller et al. 2010, 168).

• Politische bzw. gesetzliche Veränderungen können die Lebenssituation beeinträchtigter Menschen beeinflussen, wie beispielsweise die aus Sicht pflegebedürftiger Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung unzureichende Vernetzung von Eingliederungshilfe und Pfle-ge (vgl. exemplarisch Frewer-Graumann & Schäper 2015).

41 Natürlich im besten Fall ausgehend von den Wünschen ihrer beeinträchtigten Kinder.

42 Die Autoren verweisen hier auf einen möglichen Zusammenhang mit den ländlichen Strukturen, in denen sie ihre Daten erhoben haben (Kreis Warendorf ) (vgl. Thimm et al. 2018, 85).