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Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz

In Deutschland liegt die Zuständigkeit für den Bevölkerungsschutz nicht bei einem Akteur, vielmehr sind verschiedene Akteure beteiligt. Auf staatlicher Seite sind dies der Bund, die Länder und Kommunen im Rahmen eines komplexen Systems föderal aufgeteilter Verantwortlichkeiten. Begrifflich wird dies unterstrichen durch den Zivilschutz, der Aufgabe des Bundes ist, und dem Katastrophenschutz, für den sich die Länder verantwortlich zeichnen.

Die Zuständigkeit des Bundes bezieht sich auf den Schutz der Zivilbevölkerung während eines Verteidigungsfalls, also dann, wenn die Bundesrepublik Deutschland mit Waffengewalt angegriffen bzw. unmittelbar bedroht wird (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG und Art. 115a Abs. 1 Satz 1 GG). Die Zuständigkeit des Bundes entsprechend dem Zivilschutz tritt zudem bei der Freisetzung von Kernenergie und ionisierender Strahlung in Kraft (Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG). In Ergänzung dazu steht der in Friedenszeiten agierende Katastrophenschutz. Die hierfür verantwortlichen Länder

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führen sowohl die Ressourcenvorsorge als auch das operative Krisen- und Koordinationsmanagement aus (Art. 30, 70 und 83 GG).

Dies gilt auch dann, wenn durch eine Großschadenslage bzw. Katastrophe mehrere Länder gefährdet oder betroffen sind (Meyer-Teschendorf 2008).

Zivilschutz und Katastrophenschutz sind jedoch stark miteinander verzahnt. Kommt es zu einem Verteidigungsfall, greift der Bund auf den Katastrophenschutz zurück.

Deswegen stellt der Bund dem Katastrophenschutz zusätzliche Ressourcen, zumeist in Form von Fahrzeugen und Ausstattung, zur Verfügung. Darüber hinaus zählt auch die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) zu den gestellten Ressourcen mit Zivilschutzbezug (§§ 11 Abs. 1, 26-27 ZSKG). Indessen nutzen die Bundesländer im Rahmen des Katastrophenschutzes die bereitgestellten Mittel bei Unglücksfällen und Großschadenslagen (Meyer-Teschendorf 2008). Somit können die Länder bei Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen Unterstützung in Form von Personal und Ausstattung bei der Bundes- und den anderen Länderpolizeien, der Bundeswehr, sowie anderen Verwaltungen anfordern (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG). Diese Einrichtungen werden somit zum maßgeblichen Akteur innerhalb der originär nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr.

Die Jahre 2001 und 2002 stellen einen Wendepunkt für das Konzept des Bevölkerungsschutzes nach dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes dar. Zunächst wurden am 11. September 2001 die von Al-Qaida initiierten Terroranschläge in den USA verübt. Im Jahr danach kam es in Deutschland zum sogenannten Sommerhoch-wasser, von dem mehrere Bundesländer betroffen waren. Diese beiden Ereignisse führten zu einer allgemeinen Sensibilisierung für die Verwundbarkeit von Staaten und einem neuen Bewusstsein für den Zivil- und Katastrophenschutz. Seit diesen Ereignissen wird die nationale Notfallvorsorge umstrukturiert und an die neuen Herausforderungen angepasst. Bund und Länder legten sich auf eine „Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland“ als Rahmenkonzeption für den Zivil- und Katastrophenschutz fest. In dessen Rahmen einigten sie sich auf eine engere Kooperation bei national wichtigen Ereignissen als „partnerschaftliches Zusammen-wirken über föderale Grenzen hinweg“ (Meyer-Teschendorf 2008), um ein effektives Krisenmanagement bei Großschadenslagen und Katastrophen zu ermöglichen.

Die neue Ausrichtung des Bevölkerungsschutzes führte auch zur Gründung einer neuen Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) soll im Gegen-satz zu ihrer Vorgängereinrichtung, dem Bundesamt für Zivilschutz, alle Bereiche der zivilen Sicherheitsvorsorge in den Blick nehmen. Auch beim Ausstattungskonzept wird der Schwerpunkt neu gesetzt. Ergänzte der Bund zuvor flächendeckend die

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Grundversorgung mit Blick auf den Verteidigungsfall, werden nun Spezialfähigkeiten zur Abwehr risikobehafteter Sonderlagen gefördert. Zudem wird der Zivilschutz so umgeformt, dass im Sinne des Doppelnutzens „einerseits die Aufgaben der Länder bei der Bewältigung von Katastrophen in Friedenszeiten unterstützt werden sollen, andererseits für den Bund der Nutzen gezogen wird, dass die für originäre Bundes-zwecke vorgehaltenen Einrichtungen auch von den Ländern in Friedenszeiten genutzt und beübt werden können und müssen, um im Verteidigungsfall einsatzfähig zu sein“

(BBK & DKKV 2009, S. 122).

All dies fand auch in einem Gesetz zur Änderung des Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetzes (ZSKG bzw. ZSGÄndG) Niederschlag. Am 9. April 2009 trat das entsprechende Gesetz in Kraft. Es verbindet entsprechend der obigen Aus-führungen den alten Zivilschutz mit der neuen Katastrophenhilfe des Bundes mit dem Ziel, die Kooperation von Bund und Ländern zu optimieren. Somit wird „die gesamtstaatliche Verantwortung bei länderübergreifenden Großschadenslagen […]

erstmals auf eine gesetzliche Grundlage gestellt“ (Meyer-Teschendorf 2008, S. 4).

Der Bund erhält die Möglichkeit, zentrale Koordinierungsmaßnahmen durchzuführen, sofern dies von den Ländern gewünscht ist. Die Länder sind weiterhin für das operative Krisenmanagement verantwortlich, d.h. der Bund bekommt im Krisenfall auch künftig kein Weisungsrecht (§ 15 ZSKG). Jedoch behält sich die Bundes-regierung das Recht vor, in diesem Fall, „soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen gemäß Art. 35 Abs. 3 GG Weisungen [zu]

erteilen, Polizeikräfte anderer Länder zur Verfügung zu stellen sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes7 und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einzusetzen“ (BBK & DKKV 2009, S. 120).

Gleichzeitig sichert der Bund den Ländern materielle und konzeptionelle Unter-stützung zu (§ 13 Abs. 1 ZSKG und Meyer-Teschendorf 2008).

Dessen ungeachtet bleiben die einzelnen Katastrophenschutzgesetze als Bestandteil der Landesgesetzgebung unberührt von den Umstrukturierungen der Inneren Sicher-heit.

Der Bevölkerungsschutz ist dementsprechend vom Katastrophenschutz abzugrenzen, der als „eine landesrechtliche Organisationsform der kommunalen und staatlichen Verwaltungen in den Ländern zur Gefahrenabwehr bei Katastrophen, bei der alle an der Gefahrenabwehr beteiligten Behörden, Organisationen und Einrichtungen unter

7 Der Bundesgrenzschutz wurde 2005 in Bundespolizei umbenannt.

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einheitlicher Führung durch die örtlich zuständige Katastrophenschutzbehörde zusammenarbeiten“ definiert wird (BBK 2011e).

Den oben angeführten Aussagen nachstehend soll Bevölkerungsschutz wie folgt verstanden werden:

„Der Bevölkerungsschutz beschreibt als Oberbegriff alle Aufgaben und Maßnahmen der Kommunen und der Länder im Katastrophenschutz sowie des Bundes im Zivilschutz. Der Bevölkerungsschutz umfasst somit alle polizeilichen und nicht-militärischen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und ihrer Lebensgrundlagen vor Katastrophen und anderen schweren Notlagen sowie vor den Auswirkungen von Kriegen und bewaffneten Konflikten. Der Bevölkerungsschutz umfasst auch Maßnahmen zur Vermeidung, Begrenzung und Bewältigung der oben genannten Ereignisse“ (BBK 2011e).

An dieser Stelle wird kurz auf den Begriff der Katastrophe eingegangen, denn er wird zwar häufig genutzt, jedoch sehr unterschiedlich verstanden. Deswegen hat jedes Bundesland neben den eigenen Katastrophenschutzgesetzen auch ein eigenes Katastrophenverständnis entwickelt. Eine ausführliche Definition von Katastrophe findet sich beispielhalft im Landeskatastrophenschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt:

„Ein Katastrophenfall im Sinne dieses Gesetzes ist ein Notstand, bei dem Leben, Gesundheit oder die lebensnotwendige Versorgung einer Vielzahl von Personen oder erhebliche Sachwerte gefährdet oder wesentlich beeinträchtigt werden und zu dessen Abwehr oder Eindämmung der koordinierte Einsatz der verfügbaren Kräfte und Mittel unter einer gemeinsamen Gesamtleitung erforderlich ist“ (Landeskatastrophen-schutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (KatSG-LSA § 1 (2)). Hingegen wird der Katastrophenbegriff im Landeskatastrophengesetz von Nordrhein-Westfalen gar nicht benutzt und stattdessen von Großschadenslage gesprochen (Gesetz über den Feuerwehrschutz und die Hilfeleistung (FSHG), Nordrhein-Westfalen). Die vor-liegende Studie orientiert sich an der Begriffsbestimmung des Grünbuchs des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit und versteht Katastrophe als „einen weit-räumigen und über eine längere Zeit anhaltenden Zusammenbruch zentraler öffentlicher Strukturen, Systeme und Funktionen“ (Reichenbach et al. 2008, S. 14).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Begriff der Katastrophe ein offener Rechtsbegriff ist, der sehr offen formuliert wird, um alle Unterformen einschließen zu können. Folgende Unterformen gilt es zu unterscheiden:

Außergewöhnliche Brände (z.B. ausgedehnte Waldbrände)

Biologische Gefahrenlagen (z.B. Seuchen)

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Naturereignisse (z.B. Überschwemmungen)

Technisch bedingte Ereignisse (z.B. Stromausfall)

Um die inhaltlichen Dimensionen und die Akteursinteraktionen des Subsystems Bevölkerungsschutz innerhalb des Politikfeldes Innere Sicherheit näher zu erörtern, wird dieser Studie eine Politikfeldanalyse zu Grunde gelegt.