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Teil 3: Empirische Analyse

9 Regionentypisierung als Methode zur Erfassung regionaler

9.2 Bestimmungsgrößen der ökonomischen Entwicklungspfade

Der ökonomische Entwicklungspfad einer Region ist gekennzeichnet durch den erreichten Entwicklungsstand sowie durch deren ökonomische Entwick-lungspotentiale, verstanden als das Ausmaß von Entwicklungsaktivitäten ei-nerseits und den ökonomischen Entwicklungsperspektiven andererseits.214 Um die ökonomischen Entwicklungspfade erkennen zu können, müssen ge-eignete Indikatoren zur Operationalisierung gefunden werden.

Sucht man nach Merkmalen, die Aussagen über den erreichten ökonomi-schen Entwicklungsstand zulassen, dann sollten sogenannte Output-Indikatoren gewählt werden, da sie den Vorteil haben, das Produktionser-gebnis der Regionen unabhängig von den aufgewendeten Ressourcen ab-zubilden. Theoretisch stehen hierfür eine Reihe ökonomischer Kennziffern zur Verfügung (vgl. Übersicht 4). Zu nennen ist dabei vor allem die Brutto-wertschöpfung, die als Ausdruck aller in der Region erstellten Güter und Dienstleistungen abzüglich der Vorleistungen gilt, aber auch der Umsatz im Bergbau und Verarbeitenden Gewerbe sowie das Gewerbesteuer-Ist-Aufkommen, die beide Rückschlüsse auf den Umfang wirtschaftlicher Aktivi-täten im Raum zulassen. Sodann sind die Bruttolohn- und Gehaltssumme anzuführen, durch welche ein Verteilungsaspekt der regionalen Erwerbsmög-lichkeiten erfaßt wird. Die Steuereinnahmekraft215 ist ein weiterer

214 Vgl. z.B. Crow (1997); Heuer (1977).

215 Die Steuereinnahmekraft setzt sich zusammen aus der (hebesatzneutralen) Realsteuer-kraft plus dem Gemeindeanteil an der Einkommensteuer minus der Gewerbesteuerumlage.

scher Indikator für die Leistungskraft einer Region und hat gegenüber ande-ren öffentlichen Einnahmequellen den Vorteil, daß nur solche Einnahmen, die in direktem Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit der Regionen ste-hen, berücksichtigt werden, während andere Einnahmequellen wie Gebüh-ren, Beiträge oder Veräußerungserlöse unberücksichtigt bleiben.

Im Zusammenhang mit der regionalen Entwicklungsperspektive ist die Wett-bewerbsfähigkeit der Arbeitsplätze von zentralem Interesse, da nur diese eine stabile Basis für die künftige Entwicklung erwarten läßt bzw. kein zusätzliches Arbeitsmarktrisiko darstellt. Allerdings gilt es dabei zu bedenken, daß die Interpretationsmöglichkeiten des Ausmaßes des In-dustriebesatzes ambivalent ausfallen216 und daß dem Anteil der Beschäf-tigten im Primären Sektor in Sachsen-Anhalt eine nachgeordnete Bedeutung zukommt217. Bei der Beurteilung der Arbeitsplätze im Tertiären Sektor sollte zudem berücksichtigt werden, daß der Öffentliche Dienst in ganz Ostdeutschland, besonders aber in Sachsen-Anhalt, vergleichsweise über-besetzt ist218, was zu einer anhaltenden Tendenz des Abbaus von Überkapazitäten führt. In die vorzunehmende Regionentypisierung wird daher nur der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Bereich der privaten Dienstleistung Eingang finden. Dabei gilt: Je höher der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Bereich der privaten Dienstleistung, desto positiver die Entwicklungschancen.219

216 Gerade in den neuen Bundesländern kann der Industriebesatz sowohl „als Hinweis auf veraltete Wirtschaftsstrukturen und unbewältigten Strukturwandel angesehen wer-den...Andererseits (schafft) ein hoher Industriebesatz aber Möglichkeiten zur industriellen Arbeitsteilung und einen breiten Arbeitsmarkt für Industriebeschäftigte“ (Barjak et al. 2000:

37).

217 Vgl. Crow et al. (1997).

218 Vgl. Crow et al. (1997: 169f).

219 Horbach & Ragnitz (1995) kommen in ihrem Artikel zu einer anderen Einschätzung des Dienstleistungssektors, da sie eine Unterscheidung in konsum- und produktionsnahe Dienst-leistungen vornehmen. Hier wird auf diese Unterscheidung verzichtet, da die konsumnahen Dienstleistungsarbeitsplätze ebenfalls dem Wettbewerb ausgesetzt sind.

Übersicht 4: Auswahl ökonomischer Indikatoren zur Beurteilung des er-reichten Entwicklungsstandes (Output-Indikatoren)

Bruttowertschöpfung Gewerbe-Steuer-Ist-Aufkommen

Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitsplätze Einkommen Umsatz im Bergbau und

verarbeitenden Gewerbe

Wendet man sich den Entwicklungsaktivitäten zu, dann fragt man nach Indi-katoren, die den ökonomischen Input abbilden, so z.B. nach dem Aufbau eines unternehmerischen Kapitalstocks oder des Bildungspotentials (vgl.

Übersicht 5). Für ersteres stehen als Indikatoren die Investitionen im Berg-bau und Verarbeitenden Gewerbe sowie die Dynamik der Unternehmens-gründungen zur Verfügung. Die Messung des Bildungspotentials erfolgt in der Regel über die Erfassung der formalen Qualifikation. Problematisch ist hierbei, daß die Aussagefähigkeit dieses Kriteriums in starkem Maße von der Bewertung der jeweiligen Qualifikation sowie von der Kompatibilität der Qua-lifikationsstruktur und den aktuellen Erfordernissen abhängig ist.220 Weiter ist in diesem Zusammenhang problematisch, daß in zunehmendem Maße so-genannte extrafunktionale Qualifikationen an Bedeutung gewinnen, die durch die rein formale Qualifikation aber nicht erfaßt werden.221

Übersicht 5: Auswahl ökonomischer Indikatoren zur Beurteilung der Ent-wicklungsaktivitäten (Input-Indikatoren)

Investitionstätigkeiten Bildungsniveau Gründungsaktivitäten Weiterqualifizierung

Eine Bestimmung der Entwicklungspfade von Regionen wäre unvollständig ohne Berücksichtigung der regionalen Entwicklungsperspektiven. Eine inno-vative Methode zur Vorabschätzung der ökonomischen Entwicklung wurde vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) entwik-kelt und von Horbach/ Ragnitz (1995) modifiziert. Mit Hilfe eines theoretisch

220 Vgl. Solga (1993); Bundesanstalt für Arbeit / Bundesinstitut für Berufsbildung (1990).

221 Vgl. z.B. die Beiträge in Lutz, Meil & Wiener (2000).

begründeten Indikatorensets wird die sogenannte Statistik “Produktion im Produzierenden Gewerbe” auf der Grundlage des Systematischen Güterver-zeichnisses für Produktionsstatistiken (kurz: Produktionsstatistik) ausgewer-tet, um zu einer Beurteilung der mittel- und langfristigen Aussichten der Indu-strie zu gelangen (vgl. Übersicht 6).

Übersicht 6: Auswahl ökonomischer Indikatoren zur Beurteilung der Ent-wicklungsperspektive

Wachstumsintensität Baunähe der Güter

Technologieintensität Handelbarkeit der Güter

Bei der Zuordnung222 der produzierten Güter nach ihrer Wachstumsintensität geht es um die Zukunftsorientierung der Industrieproduktion. Dabei wird zwi-schen Gütern, die in wachstumsintensiven bzw. in schrumpfenden Branchen erstellt werden, unterschieden. Die Aussichten auf eine selbsttragende Ent-wicklung ist um so besser, je mehr Güter in wachstumsintensiven Branchen hergestellt werden. Auch die Technologieintensität, die zur Erstellung indus-trieller Güter zum Einsatz gebracht wird, kann Hinweise auf die Zukunftsori-entierung der Industrieproduktion geben. Je höher die Technologieintensität, desto günstiger die Entwicklungsperspektiven.

Die Aufnahme des Kriteriums „Handelbarkeit der Güter“ gründet sich auf die Überlegung, daß die Möglichkeiten, die regionalen eigenen Einkommen mit-tel- bis langfristig zu steigern, davon abhängen, wie gut sich die in der Regi-on erzeugten Produkte überregiRegi-onal absetzen bzw. handeln lassen. Man geht – in Anlehnung an die Exportbasistheorie223 – davon aus, daß das regio-nale Wirtschaftswachstum umso stärker ist, je stärker die Produktion durch Güter geprägt wird, die sich leicht bzw. durchschnittlich handeln lassen. Vor dem Hintergrund der starken Transferabhängigkeit und im Hinblick auf die Normalisierung der Baunachfrage kommt dem Kriterium der Baurelevanz der produzierten Güter eine besondere Bedeutung zu. Die Aggregation der

222 Für Beispiele für die Zuordnung der Zweige der Produktionsstatistik zu den einzelnen Kriterien vgl. Übersicht A1.

223 zur Exportbasistheorie vgl. z.B. Krieger-Boden (1995).

zelnen Produkte nach dem Grad ihrer Baurelevanz erlaubt eine Abschätzung des Risikopotentials im Wachstumsprozeß.

Bei den hier vorgestellten ökonomischen Kennziffern handelt es sich nicht um eine vollständige Aufzählung aller theoretisch möglichen Kenngrößen zur Erfassung und Beschreibung der regionalen Wirtschaftsentwicklung. Sie lehnt sich vielmehr an die üblicherweise in Strukturanalysen verwendeten Indikatoren an224 und wird durch die Datenverfügbarkeit auf regionaler Ebene begrenzt.

Die sich nun anschließende Indikatorenauswahl folgt dem Ziel, aus dem Rahmen der theoretischen und empirischen Möglichkeiten heraus einen sachlich zusammenhängenden Variablenkomplex als inhaltliche Basis zur Verfügung zu haben, um ein trag- und aussagefähiges Regionentypisie-rungsmodell zu entwickeln.