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Bestimmung des Gegenstandsbereichs .1 Die Frage nach dem Gegenstand

Im Dokument Politik und Film in der DDR (Seite 31-39)

Ihre immer noch vorhandene Fähigkeit zur List bewies die Vernunft der Geschichte nachdrücklich am Fall der DDR: dem Besuch des Partei- und Staatsratsvorsitzenden der DDR in der Bundesrepublik im September 1987, dem Höhepunkt im jahrzehntelangen Ringen um Anerkennung, einem Be-such, der „vielen als die Ratifikation der deutschen Teilung, als Besiegelung deutscher Doppelstaatlichkeit“41 galt, folgte fast auf dem Fuß der Niedergang der SED-Herrschaft. Der Kollaps des Kommunismus in der DDR und in Europa war ein epochales historisches Ereignis von unerwarteter Plötzlich-keit. Das Ende des gewaltsamen Experiments der Schaffung eines „Neuen Menschen“ und einer „Neuen Gesellschaft“ war dabei „keiner äußeren ‚De-stabilisierung’ zuzuschreiben“, der Zusammenbruch erfolgte vielmehr „von innen heraus“.42

Die Annahme einer ungefährdeten Stabilität der Herrschaft des Kommunis-mus in der DDR, die prophezeite und mindestens hundert Jahre währende Weiterexistenz eines mauerumgrenzten „Arbeiter und Bauernstaates“ prägte bis zuletzt das Selbstbild der herrschenden Partei in der DDR. Die Annahme eines unabsehbaren Weiterbestandes der DDR bildete übrigens eine bedeut-ende deutsch-deutsche Gemeinsamkeit: der „diskrete Charme des Status quo“43 war nahezu unwiderstehlich; ein breiter Konsens in Politik und

41 Rexin, Manfred, Der Besuch. September 1987: Honecker in der Bundesrepublik, Aus Politik und Zeitgeschichte B 40 - 41/97, S. 3 -11, hier: S. 3.

42 Koenen, Gerd, Utopie der Säuberung. Was war der Kommunismus, Berlin 1998, S. 28.

43 Schröder, Klaus und Staadt, Jochen: Der diskrete Charme des Status quo: Die DDR-Forschung in der Ära der Entspannungspolitik, in: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwis-senschaft, 21. Jg. 1993, Heft 1, S. 24 - 63, hier: S. 24.

senschaft der Bundesrepublik bestand darin, der SED-Herrschaft ebenfalls Stabilität und lange Dauer zuzubilligen.

Die bei den Machteliten der SED dominierende Vorstellung einer Geschlos-senheit des historischen Raumes des praktizierten Sozialismus beherrscht auch die Oberfläche der vorhandenen Zeugnismittel aus der versunkenen Welt der DDR; sie subsumierten auch noch jene historisch-politischen Phä-nomene ihrer Kommunismus-Vorstellung, die dies nur noch dem Namen nach sind, der Sache und ihrer historischen Bedeutung nach aber den sukzes-siven Verlust der Fundamente dieser Vorstellung indizieren. Im Selbstver-ständnis der Machteliten der SED ist nun aber folgende Aporie enthalten: die eigene Geschichte artikulierte sich ihnen als Darbietung eines unaufhaltsa-men Fortschritts; ihnen fehlte das Mounaufhaltsa-ment „der Differenz oder der Schwel-le“; ohne „immanente Differenz“ aber „wäre dies eine Geschichte, in der nichts geschieht“, denn sie wäre voller „immanenter Teleologie.“ 44

Die Frage nach jener „immanenten Differenz“ ist die Leitfrage dieser Unter-suchung. Fragen, wann und wodurch das Ende dieser Epoche herbeigeführt wurde, Fragen nach der Erkennbarkeit und Sichtbarkeit innerer Gründe für den Untergang des SED-Regimes in der DDR nehmen in der aktuellen sozi-al- und kulturwissenschaftlichen Forschung eine Schlüsselstellung ein. Es kann nun allerdings bei dieser Fragestellung nicht darum gehen, die Ent-wicklung in der DDR auf das Jahr 1989 hin zu finalisieren, also im Zug einer großen Umdeutung ex post alle Krisensymptome in die Logik einer Zusam-menbruchsnotwendigkeit einzufügen. Von Interesse ist vielmehr die Frage nach der Vorhandenheit von Zeugnismitteln aus der DDR, die jene imma-nente Differenz indizieren können und an denen die immaimma-nente Zersetzung der Herrschaftsgrundlagen abzulesen wäre; die Frage nach historischen Hin-terlassenschaften, die die bei der politischen Klasse der DDR bis zum Ende herrschende Vorstellung einer ungefährdeten Stabilität und eines unauf-haltsam waltenden Fortschritts als konstitutive Selbsttäuschung erkennbar werden lassen können.

Die ersten Schwierigkeiten bei der Annäherung an den Gegenstand sind grundsätzlicher Art: welche Zeugnismittel aus der DDR können überhaupt die Bedingung der Möglichkeit erfüllen, Aufschluss zu geben, über eine innere Erosion der Herrschaftsgrundlagen? Der Blick auf die

44 Blumenberg, Hans, Epochenschwelle und Rezeption, in: Philosophische Rundschau XX Jg., H. 6, 1958, S. 94 -120, hier: S. 98.

gungen der herrschenden Staatspartei ergibt dafür keinen Anhalt; bis zum Ende dominierte dort die hermetische Geschlossenheit des ideologischen Raums: mit der Sache des Sozialismus konnte es immer nur auf- und vor-wärts gehen. Der begrenzte Aussagehalt „bei allen offiziellen Quellen“45 ist grundsätzlich zu berücksichtigen; ein Vorgehen, das sie nicht immanent, sondern im Kontext interpretiert, d.h. es nicht unterlässt, sie „in den gesell-schaftlichen und historischen Rahmen einzuordnen, in dem sie entstanden und auf den sie bezogen“46 waren, wird sie dennoch einbeziehen können.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass außer den offiziellen nur partiell nicht-offizielle Quellen aus der DDR zur Verfügung stehen.

Dieses Dilemma lässt sich allerdings auflösen durch Einbeziehung von Zeugnissen aus dem Kunstdiskurs der DDR, die wegen der spezifischen Funktion von Kunst überhaupt als „Ersatzmedium für mangelnde öffentliche Diskussion“47 erkennbar für die gesellschaftliche Binnenkommunikation in der DDR von Bedeutung waren und daher „zu einem wichtigen Unter-suchungsgegenstand“48 auch in den Sozialwissenschaften geworden sind:

„Hier (sc. in den Kunstwerken) werden die gesellschaftlichen Probleme, Bewußtseinslagen, Sehnsüchte und Phantasien gestaltet, die -in fiktiver Form- ein Stück von jener Realität sichtbar machen, nach der die hiesige DDR-Forschung (sc. die bundesdeutsche vor 1990), soweit sie sich auf of-fizielle Quellen und Institutionsforschung beschränkt, vergeblich sucht. In der Einbeziehung literarischer Quellen öffnet sich der Blick für die Realität auf einer völlig anderen als der öffiziösen Ebene.“49 Dies gilt – mutatis mu-tandis – auch für den DDR-Film.

0.2.2 Der Gegenstand Kunstwerk

Die Einbeziehung von Kunstwerken in eine sozialwissenschaftliche Unter-suchung bedarf allerdings der theoretischen Fundierung der spezifischen

45 Grunenberg, Antonia, Aufbruch der inneren Mauer. Politik und Kultur in der DDR 1971 – 1990, Bremen 1990, S. 224.

46 Ebd.

47 Hanke, Irma, Alltag und Politik. Zur politischen Kultur einer unpolitischen Gesellschaft.

Eine Untersuchung zur erzählenden Gegenwartsliteratur der DDR in den 70er Jahren, Opladen 1987, S. 8.

48 Ebd.

49 Grunenberg, Aufbruch der inneren Mauer …, a. a. O., S. 225.

Aussagepotentiale dieses Gegenstands und, damit einhergehend, der Klärung des Begriffs Realität.

Die Frage hat zwei Aspekte: einmal eine erkenntnistheoretisch orientierte Frage nach den Möglichkeitsbedingungen von hermetischen Wirklichkeits-vorstellungen, wie sie der marxistisch-leninistischen Weltanschauung und ihrer Ästhetik zugrunde liegen sowie eine ästhetisch und sozialhistorisch orientierte Frage nach dem Zustand der Gesellschaft, die in Kunstwerken gesellschaftlich relevante Probleme thematisiert.

0.2.2.1 Der erkenntnistheoretische Aspekt

Das Verhältnis von wahrnehmbarer Außenwelt und Bildern der künstleri-schen Innenwelt ist prinzipiell impliziter Gegenstand und implizites Thema des Kunstwerks und zugleich Grundbedingung und Grundproblematik der künstlerischen Darstellung. Möglichkeitsbedingung von künstlerischen Dar-stellungen von „Welt“ ist dabei, wie Hans Blumenberg in den ästhetischen Überlegungen seiner historisch-kritischen Phänomenologie dargelegt hat, immer ein „Wirklichkeitsbegriff“50, der sich selber im Werk nicht diskursiv expliziert, sondern sich nur an der Darstellung ablesen lässt.

Was für eine bestimmte Epoche mit ihren Distinktionen von Wirklichem und Unwirklichem, von Faktum und Fiktion, von Traum und Wirklichkeit, von Echtheit und Phantasie (und allen weiteren möglichen Antithesen dieser Art) als „Welt“ gilt, kurz: der zugrundeliegende „Wirklichkeitsbegriff“, kann vornehmlich und vorzüglich an Kunstwerken erkannt werden; zumal dann, wenn das, was Wirklichkeit heißen soll, zu ihrem Thema wird.

Für die DDR-Kunst und ihre normative Ästhetik war der Wirklichkeitsbeg-riff des Marxismus-Leninismus verbindlich; ihre Existenzberechtigung be-stand darin, den von der Theorie als wirklich, als richtig und als wesentlich erkannten Entwicklungsgesetzen von Natur, Geschichte und Gesellschaft ein möglichst volkstümliches künstlerisches Kleid überzuwerfen, d.h. Thesen zu bebildern. Es geht bei dem vorliegenden Ansatz auch um die Beachtung und Einbeziehung einer historisch bekannten Stellenverschiebung: im Zusam-menstoß von Realität und Inszenierung unter den Bedingungen der Diktatur

50 Vgl. Blumenberg, Hans, Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans, in: Nachah-mung und Illusion. Kolloquium Gießen Juni 1963, hrsg. von H. R. Jauß, zweite, durchge-sehene Aufl., München 1969 (= Poetik und Hermeneutik I), S. 9-27.

wechselt der „Index der Fiktion die Seite“51; es findet eine sukzessive Um-kehrung des Verhältnisses von Faktizität und Fiktion statt; die von den ideo-logisch-politisch überdeterminierten Real-Instanzen der Macht betriebene Derealisierung von Realität zieht die komplementäre Entfiktionalisierung der Fiktionsmedien nach sich: eine These, für die in Hinsicht auf unsere Frage-stellung zusätzlich zu den bereits angeführten Gründen ein besonderes Aus-sagepotential des Mediums Film erkennbar werden lässt.

Für die Frage nach immanenten Differenzen ist die Beobachtung von Bedeu-tung, ob und in welcher Weise diese vorgängige und mit Machtmitteln durchgesetzte Kongruenz des politisch-ideologischen und des künstlerischen Wirklichkeitsbegriffs durchgehalten wird in den Kunstwerken, ob und wie sie sich verändert, ob gar eine Inkongruenz zu erkennen ist. An den künstle-rischen Darstellungen von Wirklichkeit wird sich erkennen lassen, welchen Modifikationen der normative Wirklichkeitsbegriff der Parteivernunft in der Sozialwelt unterzogen wurde, anders gesagt: an ihnen wird sich zeigen, ob und inwieweit für die Grundthesen der Parteitheorie überhaupt ein ästheti-sches Sinnäquivalent vorhanden war.

Das spezifische Aussagepotential des Gegenstands Kunst liegt in der an den Darstellungen der Kunstwerke - an ihrer Form, an der Wahl und Verwen-dung von Metaphern, an der Stringenz der Übernahme thematisch-politischer Vorgaben etc. - selbst ablesbaren Nachweismöglichkeit von Kongruenz bzw.

Inkongruenz52 der zugrundeliegenden Wirklichkeitsbegriffe von Poli-tik/Macht und Kunst.

0.2.2.2 Der sozialhistorische Aspekt: Die Thematisierungsleistungen der Kunst

Die Einbeziehung von Kunstwerken in die Analyse heißt, auf soziale Prozes-se in der DDR zu rekurrieren. DieProzes-se ProzesProzes-se werden allerdings nicht direkt präsentiert, sondern indirekt, symbolisch vermittelt über die formen-sprachlichen Spezifika der einzelnen Kunstgattungen im Kontext des gesell-schaftlichen Diskurses. Dies gilt ganz allgemein; dies gilt vor allem aber in

51 Blumenberg, Hans: Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans, a. a. O., S. 22 f und ders.: Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans. Kunst und Natur in der ide-alistischen Ästhetik. Sechste Sitzung, a. a. O. S. 219.

52 Diese Frage der In/Kongruenz der „Wirklichkeitsbegriffe“ ist im übrigen keineswegs identisch mit dem Problem der Intention des Künstlers.

der Kunst der DDR, für die diese Art von Realitätsreferenz und die Dignität sozial relevanter Stoffe geradezu konstitutiv waren.

Die Einbeziehung von Kunstwerken heißt daher auch, eine Verbindung von Herrschaftsgeschichte und Sozialgeschichte herzustellen; diese doppelte Analyseperspektive, die einer herrschaftsstrukturellen und einer sozial-historischen Analyse, kann in ihrer gegenseitigen Bezogenheit dazu bei-tragen, Einseitigkeiten und Verzerrungen zu vermeiden, beide Perspektiven können als wechselseitiges Komplement und Korrektiv fungieren.

Durch diese Verbindung kann die Kategorie des Sinns zur Geltung kommen, eine Kategorie, die für sozialwissenschaftliche Analysen zentral ist. Damit wird die Sinnhaftigkeit einer Sozialwelt, die eine „symbolisch vor-strukturierte Welt“ (Habermas) ist, Teil des Gegenstandsbereichs. Daraus ergibt sich die methodische Konsequenz der Anwendung des hermeneuti-schen Paradigmas; es ist gegenstandsadäquat nach beiden Seiten hin: zur Seite der Analyse einer symbolisch vorstrukturierten Sozialwelt und zur Seite der Analyse von Darstellungen dieser Sozialwelt in Kunstwerken.

0.2.3 Film als Untersuchungsgegenstand

Die Hierarchisierung historischer Hinterlassenschaften ist bekannt: Quellen, Denkmäler, Überreste können – nach Droysen - Auskunft geben über Ver-gangenes. Die klassische Quelle ist die schriftliche Quelle; dabei vor allem die Akte und alles, was nicht Akte ist, ist fast Nichts. Und gerade das soll hier zum Gegenstand gemacht werden: die „Überreste“, jene Spuren einer vergangenen Gesellschaft, denen wir aus der Perspektive einer politischen Kulturforschung ein besonderes Aussagepotential zuschreiben. Was unter den Aktenbergen der SED verborgen bleibt, was sie verdecken, das gerade können vorzüglich die „Überreste“ der DDR, zu denen die Filme der DEFA zählen, entdecken: das Gesicht der Welt des Sozialismus und den Menschen, der es durch sein Denken, Fühlen und Handeln zum Ausdruck bringt. Nur im Modus mitgeteilter Subjektivität, in der erzählten Geschichte, ist Teilnahme an Weltsicht und Weltverstehen des Anderen möglich; diese „Grundform der Subjektivität“ (Blumenberg) erfüllt der Film: er erzählt Geschichten.

Der Film der DDR kann daher einen doppelten Zugang eröffnen: einen Zu-gang zum Selbstbild des Sozialismus als Herrschaftssystem und einen sozi-alhistorisch relevanten Blick in die Sozialwelt, d.h. i.S. Siegfried Kracauers einen Zugang zu den Menschen, ihren Imaginationen, ihren Hoffnungen und Träumen, eröffnen – dies ist sein singuläres Aussagepotential.

Der Film der DDR erscheint daher als besonders geeigneter Gegenstand für unsere Untersuchung. Dies vor allem auch deshalb, weil das Medium Film in der DDR unter dem Titel „DEFA“ als staatlicher Monopolbetrieb unter der direkten Lenkung der herrschenden Partei stand. Selbstverständlich ist das Medium Film kein – mit Cassirer gesprochen - „Paradies der reinen Unmit-telbarkeit“; d.h. ein Blick auf die Filme der DEFA gestattet keinen direkten Durchgriff auf die empirische Realität der DDR.

Eine Verwischung der Geltungsgrenzen der herangezogenen Quellen ist im Fall des Films ebensowenig möglich wie in den Fällen des traditionellen Bestandes historisch-politischer Quellen; die kategoriale Differenz von

‚Wirklichkeit’ und ‚Fiktion’ ist grundlegend. Die Naivität eines ontologi-schen Realismus, der dies übersieht, liegt dem Ansatz dieser Arbeit fern.

Dies schon deshalb, weil sie gar nicht nach ontologischen Entsprechungen der Medienbilder fahndet, d.h. weil sie nicht im Modus positivistischer Tat-sachenfeststellung operiert. Der vorliegende Ansatz tritt im Gegenteil aus der kruden Opposition von Faktizität und Fiktion heraus im Versuch des Verste-hens eines medial produzierten und repräsentierten Sinns. Grundsätzlich ist jede holistisch operierende Identifikation einer – spezifischen - Quelle, in unserem Fall also des Films, mit der „Wirklichkeit“ im Ganzen verfehlt, weil eine solche Identifizierung die Differenzierung der Realität in eine objektive, soziale und subjektive Wirklichkeit annulierte. Eine solche Identifikation stellte die gleiche erkenntnistheoretische Naivität dar wie ihre Antithese: die Diskriminierung einer Quelle als bloß „fiktive“, die also ohne Aussage-potential über die „harten“ Tatsachen der Historie sein soll. Diese Auffas-sung ist besonders in Bezug auf das hier vorliegende Medium Film verfehlt.

Gerade weil Film einen fiktiv-inszenatorischen Charakter hat, verfügt das Medium über ein Aussagepotential, eine spezifische Qualität als Quelle, welches das historisch Reale des Fiktiv-Imaginativen ausmacht: den symbo-lisch verkörperten Sinn. Der mediale Sinndiskurs ist dabei eingebunden in einen übergreifenden gesellschaftlich relevanten Prozess der Sinnbildung.

Das spezifische Vermittlungsmedium Film ist daher zu verstehen als Ele-ment einer übergreifenden Sinnstruktur: der symbolischen Ordnung einer Gesellschaft. Auf die Erschließung dieser Sinnstruktur richtet sich der An-satz der Arbeit.

Das Massenmedium Film gehört daher zu den wichtigen kulturellen Hinter-lassenschaften der DDR; als Teil des Medienmonopols der SED ist es Reprä-sentationsmedium von Welt- und Selbstauffassung der Partei sowie der ihr

assoziierten Künstler und der sozialistischen Gesellschaft, kurz: es repräsen-tiert den herrschenden „Wirklichkeitsbegriff“ in seinen unterschiedlichen Ausprägungen und Wandlungen. Die Produktionen des Mediums Film gelten dem Ansatz dieser Arbeit als Sinngebilde, in denen die Ambivalenzen der gesellschaftlichen Kommunikation in der DDR, die Beziehungen von Herr-schaftsdiskurs und Artikulation ästhetisch-künstlerischer Erfahrungen der Lebenswelt signifikant repräsentiert werden. Die leitende Fragestellung nach einer immanenten Differenz zwischen den postulierten Grundannahmen des ideologischen Systems mit ihrem absoluten Geltungsanspruch und ihrer tat-sächlichen Deutungsmacht im medialen und damit auch im sozialen Binnen-diskurs der DDR kann in den Produktionen des DDR-Films rekonstruiert werden.

0.2.4 Gegenstand der Arbeit: Arbeiter und Kader

Gegenstand dieser Arbeit ist daher das Selbstbild des Parteikommunismus in der DDR in den Erzeugnissen des visuellen Repräsentationsmediums Film, in denen eine ihm assoziierte politisierte Ästhetik ein eigenes Bildarsenal geschaffen hat, um das kommunistische Emanzipationsprogramm der heroi-schen Selbstbefreiung der ökonomisch ausgebeuteten und politisch unter-drückten Arbeiterklasse darstellen zu können. Zentrale Gestalten dieser Kunst waren die zwei Körper des Heros: der Prolet mit stählern-entschlossener Physiognomie sowie der Kader als allwissender Funktionär des historischen Prozesses.

Das kommunistische Selbstbild als projektiv-konstruktive Kraft hat einmal unter der Metapher vom „Erbauer der Zukunft“ seinen prägnanten Ausdruck gefunden; sein visuelles Idealportrait liegt vor in der Doppelgestalt des He-ros. Die Figur des heroischen Arbeiters ist das visuelle Äquivalent zum theo-retischen Hauptstück der Geschichtsmetaphysik des Parteikommunismus, dem Theorem vom historischen Subjekt Arbeiterklasse; die Figur des Kaders ist das visuelle Äquivalent des Hauptsstücks der Theorie vom Klassenkampf und der Rolle der Partei als Avantgarde und ausführendes Organ der „hist-orischen Mission“ der Arbeiterklasse.

Die beiden heroischen Gestalten Arbeiter/Kader sind ausgestattet mit den Attributen Gewissheit, Handlungssicherheit und Zukunftsoptimismus; sie symbolisieren die Prämissen und den substantiellen Gehalt des kommunisti-schen Theorieprogramms. Die Figuration dieses heroikommunisti-schen Selbst-Bildes repräsentiert die ideologische Legitimation des Kommunismus; sie ist

zu-gleich Symbol der Souveränität der kommunistischen Herrschaft, die, weil sie im „historischen Auftrag“ handelte, sich von demokratischer Legitimati-on emanzipiert wähnte.

Der hier vertretenden grundlegenden These zufolge waren Aktivist und Ka-der als die beiden paradigmatischen Figuren dieses heroischen Selbstbildes nicht Abbilder eines Gegebenen, es waren vielmehr Nachbildungen der Kernelemente des totalitären Mythos des Marxismus-Leninismus.

Der konkret bestimmte Gegenstand der Untersuchung ist das im DEFA-Film konstruierte Bild vom Arbeiter bzw. vom Kader; eine Hermeneutik des He-roismus dieser Figuren wird in einem diachronen Durchgang durch die Pro-duktionen der DEFA die Metamorphosen dieser Figuren aufweisen und interpretieren.

Diese Arbeit rekonstruiert immanente Differenzen in der Herrschaftsge-schichte der SED, indem sie auf der Ebene des gesellschaftlichen Diskurses Indikatoren einer progressiven Erosion ihrer Deutungs-Macht am Exempel des heroischen Selbstbildes des Parteikommunismus im visuellen Repräsen-tationsmedium Film zeigt.

Im Dokument Politik und Film in der DDR (Seite 31-39)