Das Radiofrequenz-Ionentriebwerk und dessen Peripherie
3.5 Besonderheiten und Entwicklungsziele
3.5.1 Eigenschaften
Das RIT gehört zu der Klasse der Gitter-Ionentriebwerke. Diese werden über den Mechanismus der Leistungseinkopplung in das Plasma (siehe 2.3.2) weiter unter-schieden. Dies geschieht beim RIT induktiv anstelle z. B. einer DC-Entladung, wie sie beim Kaufmann-Triebwerk Verwendung findet.
Eigenschaften der Gitter-Ionentriebwerke:
I) Räumlich getrennte Mechanismen zur Ionisation und zur Extraktion, die in erster Ordnung unabhängig voneinander sind [69].
II) Aufgrund des Gitter-Extraktionssystems ergeben sich im Vergleich zu anderen Antrieben relativ geringe Divergenzwinkel1.
III) Die Extraktionsgeschwindigkeit und somit auch die elektrische Strahlleistung können weitestgehend unabhängig von der Ionenbereitstellung eingestellt wer-IV) Das Extraktionssystem eines Gitter-Ionentriebwerks verfügt über einen elek-den.
trischen Wirkungsgrad nahe 12. Die zur Ionisation benötigte Energie und alle hierbei entstehenden Verluste tragen nicht zur kinetischen Energie der extra-hierten Ionen bei und führen zu einer zusätzlichen Effizienzminderung.
V) Punkt III und IV führen zu einer systembedingten elektrischen Effizienzstei-gerung, wenn die Austrittsgeschwindigkeit erhöht wird [71]. Dies prädestiniert Gitter-Ionentriebwerke für Anwendungen mit hohen Isp-Anforderungen.
VI) Das Gitter-Extrakionssystem ist raumladungsbegrenzt (siehe Kapitel 7), wo-durch die zu extrahierende Stromdichte und somit die Schubdichte begrenzt sind. Zum Erhöhen des Schubs bei gleichem Arbeitsgas und gleicher Extrakti-onsgeschwindigkeit muss die Extraktionsfläche, sprich das Triebwerk, vergrö-ßert werden.
Eigenschaften aufgrund der induktiven Leistungseinkopplung:
I) Im Vergleich zu einem Kaufmann-Triebwerk wird keine Elektronenquelle als Teil des Plasma-Heizsystems im Ionisationsgefäß benötigt [69].
1 Z. B. < 25° beim RIT 2X und < 15° beim RIT 10 EVO [62]. Hierbei ist der Halbwinkel angegeben, in dem sich 95 % des Strahlstroms befinden. Zudem sei noch zu erwähnen, dass der Divergenzwinkel arbeitspunktabhängig ist.
2 Hiermit ist gemeint, dass der Schubverlust durch eine radiale Teilchenbeschleunigung aufgrund der geringen Divergenz recht klein ist, Wirkungsgrade der DC/DC-Netzteile≥95 % möglich sind [70] und die ohmschen Verluste in Leitungen und im Gitter verhältnismäßig klein sind.
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3.5 Besonderheiten und Entwicklungsziele
II) Zur induktiven Aufheizung des Plasmas sind eine Spule und ein Radiofrequenz-generator erforderlich.
III) Das Plasma kommt nur mit dem Gaseinlass, dem Ionisationsgefäß und dem Extraktionsgitter in Berührung. Für die Leistungseinkopplung werden im Ver-gleich zu einem Kaufmann-Triebwerk keine weiteren elektrischen Durchfüh-rungen und mit dem Plasma in Berührung stehende Metallteile benötigt.
a) Das Triebwerk ist inhärent elektrisch isoliert [69].
b) Ein möglicher lebensdauerbegrenzender Verschleißmechanismus wurde eli-miniert [71].
IV) Die Kombination aus hoher Anregungsfrequenz und Massenträgheit der Ionen führt dazu, dass diese dem induzierten RF-Feld quasi nicht folgen.
V) Gemäß Ref. [71] kommt es im Vergleich mit einer DC-Entladung zu einer ge-ringen Bildung von mehrfach geladenen Ionen. Solche können, durch Sputter-Effekte, tendenziell die Lebensdauer aller mit dem Plasma in Berührung kom-menden Materialien verringern.
VI) Um eine induktive Leistungseinkopplung zu ermöglichen, sollte das Ionisati-onsgefäß eine elektrische Leitfähigkeit von 0 sowie eine relative Permittivität und eine relative Permeabilität von 1 aufweisen.
Das Konzept der Radiofrequenz-Ionenquelle ist gekennzeichnet durch eine gute Ska-lierbarkeit in Schub und im Isp [62; 63], wodurch es prinzipiell für eine Vielzahl der in Abschnitt 2.1.4 vorgestellten Weltraummanöver geeignet ist. Diese Skalierbar-keit zeigt sich auch durch die Verwendung der Radiofrequenz-Ionenquellen in an-deren Anwendungen wie z. B. zur Materialbearbeitung oder als Neutralgasteilchen-Injektionsquelle [72] bei der Kernfusion. Zudem erlaubt das Konzept durch Änderung des Arbeitspunktes die Variation von Schub und Isp mit einem Triebwerk, soweit die Systemgrenzen es zulassen.
3.5.2 Auslegungskriterien
In Ergänzung zu den unter 3.1 erwähnten Anforderungen gibt es eine Reihe konzept-bedingter Auslegungskriterien, die im Folgenden zusammengefasst sind. Diese sind notwendig, um die Funktionsfähigkeit des Triebwerkssystems zu gewährleisten und seine Zerstörung zu vermeiden. Diese Kriterien betreffen das geometrische De-sign, die Spezifikation der einzelnen Komponenten und die Auswahl der möglichen Betriebspunkte bzw. ein Abwägen zwischen allen Punkten.
a) Die verlustbedingte Eigenerwärmung des Systems darf nicht zum vorzeitigen Ausfall führen.
b) Eine starke Defokussierung des Gittersystems führt zu dessen vorzeitiger Zer-störung. Für eine gewählte Geometrie darf nur eine Teilmenge der möglichen Kombinationen aus Plasmaparametern und Gitterspannungen verwendet wer-c) Das Potential an dem ACG muss so negativ gewählt werden, dass keine freienden.
Elektronen außerhalb des Triebwerks in die Ionisationskammer beschleunigt werden. Die hierzu notwendige Spannung hängt u. a. vom Strahlstrom ab.
Kommt es zu einem Elektronenfluss, nimmt der Leistungsbedarf der Hoch-spannungsnetzteile zu. Die kinetische Energie der eindringenden Elektronen wird an der Ionisationskammerwand deponiert und erwärmt diese.
Kapitel 3 Das Radiofrequenz-Ionentriebwerk und dessen Peripherie
d) Die Energie, mit der Ionen die Wände treffen, steigt mit der Elektronentem-peratur an. Bei Arbeitspunkten mit hoher ElektronentemElektronentem-peratur kann die Energie der Ionen ausreichen, um Sputter-Effekte zu verursachen. Durch diese werden Wände, die mit dem Plasma in Berührung sind, zerstört. Dieser Effekt ist zu vermeiden. Das Sputtern ist prinzipiell ein komplexer Prozess, der von vielen Parametern abhängt. Die Parameter sind hauptsächlich die involvier-ten chemischen Elemente von Ion und Target, Oberfläche und Temperatur des Targets und der Einfallswinkel. Um das Sputtern zu vermeiden, ist es jedoch ausreichend unterhalb einer bestimmten Energieschwelle zu bleiben, unterhalb der kein oder fast kein Sputtern auftritt. Um die Größenordnung der Sputter-schwelle zu verdeutlichen, seien hier 50 eV bei der Kollision von einem einfach geladenem Xenonatom mit einer Molybdänoberfläche, 60 eV mit einer Tita-noberfläche und 320 eV mit einer Kohlenstoffoberfläche angeführt [73].
e) Bei der Ion-Neutralteilchen-Kollision kann es zu einem Ladungsaustausch kom-men, bei dem das Neutralteilchen ein Elektron an das Ion abgibt. Es entsteht ein Ladungsaustauschion. Tritt dieser Effekt im Beschleunigungskanal der Io-nenoptik oder im nahen Außenbereich des Triebwerks auf, führt dies letzt-endlich zur Zerstörung der Ionenoptik [71; 74]. Hierbei entsteht durch den Ladungsaustausch ein Ion mit thermischer Geschwindigkeit, welches nach der Kollision entsprechend der elektrostatischen Felder beschleunigt wird. Dieses Ion trifft tendenziell das sich auf negativem Potential befindliche Gitter und erodiert dieses durch Sputtern. Die Lebensdauerreduktion durch diesen Pro-zess lässt sich durch Auswahl eines geeigneten Gittermaterials und durch Ver-wendung von Arbeitspunkten mit hoher Masseneffizienz bzw. geringen Neu-tralgasverlusten verringern.
f) Um die Stabilität der Strahlstromregelung zu gewährleisten, sollten keine Ar-beitspunkte angefahren werden, in denen ∂Ib/∂UDC <0 gilt1.
e) Arbeitspunkte, in denen das Plasma erlischt, sind zu vermeiden.
3.5.3 Optimierungsziele
Um das System aus Triebwerk, Peripherie und Stützmasse zu optimieren, wird ein Optimierungsziel benötigt. Die idealen Eigenschaften der einzelnen Bestandteile sind:
a) Ionenbereitstellung bzw. Stützgas:
I) Die Ionisationsenergie liegt bei 0 eV II) Es entstehen keine Anregungsverluste:
- Anregungsenergie = 0 eV oder - Wirkungsquerschnitt = 0 m2
III) Die Elektronen, die eine Wand treffen2, haben die Geschwindigkeit 0.
IV) Jedes erzeugte Ion wird extrahiert. Das heißt auch, dass kein Ion die Wand trifft.
1 Hierbei wird von einer Strahlstromregelung in der üblichen Verwendungsform als PID-Regler ausgegangen.
2 Da aus dem Plasma Ionen extrahiert werden, muss es einen Mechanismus geben, der diesem die gleiche Anzahl an Elektronen entnimmt. Ansonsten käme es zum Aufladen des Plasmas.
Für gewöhnlich fließen die Elektronen über die Wände ab und bewegen sich von dort über Lei-tungen zum Neutralisator, wo ein Elektronenmangel besteht. Hierzu mehr in Abschnitt 7.3.3.
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