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Der Beitrag von mütterlicher Unterstützung, Bindungssicherheit, Desorganisation und Geschlecht zur individuellen Entwicklung der

6. Zusammenfassende Diskussion

6.2. Der Beitrag von mütterlicher Unterstützung, Bindungssicherheit, Desorganisation und Geschlecht zur individuellen Entwicklung der

emotionalen Regulation

Die Bindungsforschung beschäftigt sich vielfach mit Zusammenhängen zwischen der frü-hen Mutter-Kind-Bindung und dem späteren Verhalten der Kinder. Dabei ist von einem naiven Entwicklungsmodell, wonach mit ca. einem Jahr alles weitgehend festgelegt ist und Eltern und Erzieher später wenig Einflussmöglichkeiten auf die Entwic klung der Kinder haben, Abstand zu nehmen (Spangler & Zimmermann, 1999). Forscher wie Sroufe (1983) oder Spangler (1999b) weisen darauf hin, dass die Unterstützung der Kinder im Vorschulalter durch ihre Bezugsperso-nen genauso wichtig ist wie die Bindungsqualität.

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Zudem zeigen die Ergebnisse, dass keiner der Einflussfaktoren auf die Entwicklung der Emotionsregulationsfähigkeiten isoliert betrachtet werden kann (Calkins, 1994). Sie stehen e-benfalls in Verbindung mit den anderen Faktoren, die in diesem Entwicklungsbereich bedeut-sam sind. Sroufes Modell der „developmental issues“ (Sroufe, 1989) eignet sich dazu diese Zusammenhänge zu interpretieren. So ist der Entwicklungsweg, den Kinder einschlagen, ab-hängig von verschiedenen Faktoren. In diesem Alter sind, nach den Ergebnissen der vorliegen-den Studie, die frühe Bindungsqualität und Desorganisation, die aktuelle Unterstützung der Mutter und das Geschlecht der Kinder wichtige Variablen. Das Gewicht der einzelnen Faktoren auf das Verhalten der Kinder wurde nicht (z.B. anhand einer Regressionsanalyse) überprüft, so dass die Stärke des Zusammenhangs der einzelnen Faktoren nicht statistisch verglichen werden kann. Aber es wurde der gemeinsame Zusammenhang der Faktoren mit dem Verhalten der Kin-der untersucht. So ist vor allem die Bindungsqualität von eigenständiger Bedeutung für das Verhalten der Kinder, während der Einfluss der anderen Faktoren oft Wechselwirkungen auf-wies. Die Strategien der emotionalen Regulation der Kinder werden jedoch offensichtlicher, wenn man die Interaktion dieser Faktoren untereinander bzw. mit dem Geschlecht betrachtet, das im Zusammenhang mit der mütterlichen Unterstützung und der Bindungsdesorganisation entscheidend war.

So zeigten die Kinder in Abhängigkeit ihrer frühen Bin dungsqualität unterschiedliche Re-gulationsstrategien (vgl. Kapitel 3.2.4, Kapitel 4.2.2und Kapitel 5.2.2). Die frühe Bindung ent-scheidet über die Art der emotionalen Regula tion, die auch mit sechs Jahren zu beobachtbaren Verhaltensunterschieden führt. Die Regulationsstrategie der Kinder mit unsicherer Bindung wird von der mütterlichen Unterstützung moderiert, wie die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen. Bei Kindern, die aktuell eine hohe Qualität an mütterlicher Unterstützung erfahren, konnten negative Konsequenzen einer unsicheren Bindungsqualität weniger beobachtet werden.

Das bestätigt die Annahme, dass eine sichere Bindungsqualität und gute mütterliche Unterstüt-zung wie Schutzfaktoren wirken (Spangler & Zimmermann, 1999).

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass sich fast keine Geschlechtsunterschiede in der allgemeinen Ausprägung von Verhaltensmerkmalen fanden. Nur im Zusammenhang mit der frühen Bindungsdesorganisation der Kinder und in den wechselseitigen Bezügen zwischen müt-terlichen und kindlichen Verhaltensweisen zeigten sich Geschlechtsunterschiede.

So scheint für die emotionale Regulationsstrategie von Kindern mit einer Desorganisation in der frühen Bindung zur Mutter das Geschlecht der Kinder von Bedeutung zu sein. Desorgani-sierte Jungen und Mädchen waren in der kognitiven Anforderungssituation ohne Mutter bei Schwierigkeiten ähnlich beeinträchtigt in ihrer Aufmerksamkeit und in ihrem Aufgabenverhal-ten. Sie gingen aber mit dieser Beeinträchtigung sehr unterschiedlich um, was sich auch in den

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beiden anderen Situationen bestätigte (vgl. dazu auch Kapitel 3.2.5, 4.2.3 und 5.2.3). Desorgani-sierte Jungen verhielten sich schüchtern und zogen sich zurück, desorganisie rte Mädchen waren offen, freundlich und fröhlich. Desorganisierte Jungen und Mädchen könnten so eine unter-schiedliche Strategie mit Stress umzugehen entwickelt haben (Lyons-Ruth et al., 2001; Taylor et al., 2000). Der Geschlechtsunterschied zeigte sich in dem Verhalten der Kinder, d.h. die Kin-der hatten schon eine von Kin-der Organisation ihrer Bindung und ihrem Geschlecht abhängige un-terschiedliche Strategie entwickelt. In Zusammenhang mit der Desorganisation spielte die müt-terliche Unterstützung eine zwar modifizierende, jedoch eher sekundäre Rolle.

Insgesamt beeinflusste die mütterliche Unterstützung im Hinblick auf die aktuellen Ent-wicklungsthematiken (vgl. Erickson, 1988; Sroufe, 1989) das Verhalten der Kinder. Dabei war sowohl die aktuelle emotionale Unterstützung als auch die Unterstützung in handlungsstruktu-rierender Hinsicht wichtig für die Art, wie Kinder Anforderungen und Schwierigkeiten bewält i-gen. Der Zusammenhang zwischen Feinfühligkeit und Verhalten bzw. Bindungsqualität der Kinder ist nachgewiesen (vgl. Metaanalyse von de Wolff & van IJzendoorn, 1997). Untersu-chungen bestätigen auch den Zusammenhang zwischen früher mütterlicher Feinfühligkeit und dem späteren Abschneiden von Vorschulkindern in einer kognitiven Aufgabe (Symons & Clark, 2000). Die vorliegende Studie bestätigt darüber hinaus die Bedeutsamkeit der aktuellen mütter-lichen Unterstützung. Vor allen Dingen waren aber die Interaktionen mit der Bindungsqualität und dem Geschlecht von Bedeutung. So war der Einfluss der mütterlichen Unterstützung zu einem Teil vor allem bei Kindern mit unsicherer Bindungsqualität von Bedeutung (siehe oben).

Ein Zusammenhang zur mütterlichen Unterstützung zeigte sich über die verschiedenen Situatio-nen und eine Vielzahl von Verhaltensweisen aber vor allen Dingen in Abhängigkeit vom Ge-schlecht der Kinder (vgl. Kapitel 3.2.5, 4.2.3 und 5.2.3). Dabei zeigten sich im Verhalten der Kinder allgemein, wie bereits erwähnt, kaum Geschlechtsunterschiede (siehe oben). Die Kinder scheinen insgesamt keine vom Geschlecht abhängige Regulationsstrategie entwickelt zu haben.

Die Interaktion mit ihren Müttern, bzw. die Unterstützung die sie von ihren Müttern erhalten und der Zusammenhang zu ihrem Verhalten (der sich auch unabhängig von der Anwesenheit der Mütter ergab), ist aber abhängig von dem Geschlecht. In einer Studie von van Aken und Riksen-Walraven (1992) zeigten sich darüber hinaus vom Geschlecht abhängig, unterschiedli-che Zusammenhänge im Längsschnitt zwisunterschiedli-chen der Unterstützung durch die Eltern und der Entwicklung von Kompetenzen im Alter von neun Monaten bis 12 Jahren. So war für Jungen nur die Autonomieunterstützung der Eltern entscheidend, während für Mädchen verschiedene Dimensionen der elterlichen Unterstützung bedeutsam waren. Dies bestätigt die Bedeutung, die das Geschlecht der Kinder in diesem Alter hat (Sroufe, 1989). Ebenso haben Mütter einen Ein-fluss auf die Ausbildung der Geschlechterrollen (Trautner, 1991).

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Die Ergebnisse weisen auf einen weiteren interessanten Zusammenhang hin. Die unter-schiedliche Behandlung von Jungen und Mädchen ist aus der Literatur bekannt (siehe Kapitel 3.3.1, Alfermann, 1989). In der vorliegenden Studie konnte dies zumindest teilweise auf das Verhalten der Mütter, deren Kind eine unsichere Bindung zu ihnen hatte, zurückgeführt werden.

Unsicher gebundene Jungen wurden von ihren Müttern besser handlungsstrukturierend unter-stützt als unsicher gebundene Mädchen. Bei sicher gebundenen Kindern zeigte sich dieser Un-terschied nicht (siehe Kapitel 3.3.4).

Für die emotionale Regulation von Vorschulkindern ist somit die frühe Bindungssicher-heit, die frühe Bindungsdesorganisation, das Geschlecht und die mütterliche Unterstützung und Wechselwirkungen zwischen diesen Faktoren von Bedeutung. Daraus ergibt sich die Frage, ob das Geschlecht allgemein eine wichtige Rolle in diesem Alter spielt, oder ob sich die Zusam-menhänge zwischen den einzelnen Variablen und dem Geschlecht in ihrer Entstehung unter-scheiden.

Im Zusammenhang mit der Bindungsqualität alleine ergaben sich, wie aus der Bindungs-forschung (vgl. Grossmann et al., 2003) bekannt, nahezu keine Interaktionen mit dem Ge-schlecht der Kinder. Erst wenn die mütterliche Unterstützung einbezogen wurde, deuteten sich Wechselwirkungen mit dem Geschlecht der Kinder an. Diese wurden alle rdings aufgrund der äußerst geringen Gruppengrößen der beiden unsicher gebundenen Bindungsgruppen nicht signi-fikant bzw. erlauben keine Schlussfolgerungen. Ein Zusammenhang zwischen Bindungsqualität und Geschlecht scheint so wenig wahrscheinlich und wird höchstens im Zusammenhang mit der mütterlichen Unterstützung bedeutsam.

Dagegen war das Geschlecht im Zusammenhang mit der Bindungsdesorganisation von entscheidender Bedeutung, hier schien die mütterliche Unterstützung zweitrangig. Wie bereits erwähnt fanden Lyons-Ruth et al. (2001) bei 18 Monate alten, desorganisierten Kindern Verhal-tensunterschiede in Abhängigkeit des Geschlechts (vgl. auch Carlson, Cichetti, Barnett &

Braunwald, 1989; Lyons-Ruth, Bronfman & Parson, 1999, zitiert nach Lyons-Ruth et al., 2001).

Ihre Ergebnisse zeigen, dass sich der Entwicklungsweg der desorganisierten Kinder, bzw. die emotionale Regulation bei Stress, im Gegensatz zu den Kindern mit einer organisierten Bin-dung, schon früh in Abhängigkeit ihres Geschlechts unterscheiden könnte (vgl. Kapitel 3.3.3, 4.3.4 und 5.3.4). Taylor und Kollegen (2000) nehmen an, dass Frauen und Männer mit Stress unterschiedlich umgehen. Männer sollten die typische „fight and flight“ Reaktion zeigen, wäh-rend das Verhalten von Frauen eher durch „affiliate and befriend“ gekennzeichnet ist. Die „Ver-schwisterung“, die unter Stress bei Frauen gefunden wird, ist einer der robustesten Geschlechts-unterschiede (Belle, 1987). Taylor und Koautoren (2000) nehmen eine endogen (d.h. über Oxy-tocin und andere Geschlechtshormone) vermittelte Ursache dieser unterschiedlichen

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reaktion von Männern und Frauen auf Stress an, die somit schon bei Kleinkindern und nicht nur in den (sicherlich deutlich stärker gestressten) Risikostichproben zu finden wäre.

Dies weist darauf hin, dass das Geschlecht in Zusammenhang mit der Bindungsdesorgani-sation nicht nur ein bedeutender Faktor dieses Altersabschnitts ist (Sroufe, 1983; 1996), sondern von Anfang an eine Rolle spielen kann. Deshalb wäre es wichtig, dass sich die Bindungsfor-schung dieser Variable erneut annimmt. Da die vorliegende Studie in dieser Hinsicht explorati-ven Charakter hatte und ein Zufallsbefund nicht ausgeschlossen werden kann, sollte dieser Zu-sammenhang in Forschungsarbeiten in verschiedenen Altersbereichen untersucht werden.

Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig eine differenzierte Betrachtungsweise ist. Erst der un-terschiedliche Zusammenhang der Faktoren kann so die Ätiologie von Entwicklungsstörungen erklären und eine Prognose über Mala daptivität von Verhalten (vgl. Spangler & Zimmermann, 1999), bzw. sich entwickelnde Anpassungsstörungen treffen. Zum einen sollte diese differen-zierte Betrachtungsweise das ganze System beinhalten, d.h. ein Einbeziehen der Mutter und der aktuellen Entwicklungssituation, in der sich das Kind befindet. Zum anderen muss eine detail-lierte Betrachtung auch die Situation, in der das Kind handelt, sowie den Handlungsprozess, der hier auf verschiedenen Ebenen beim Kind stattfindet, genau analysieren.

Um dies genauer zu untersuchen, werden die emotionalen Regulationsstrategien von Kin-dern mit unterschiedlicher Bindungsqualität in Bezug auf die Situation im Folgenden genau beschrieben.

6.3. Emotionale Regulationsstrategien in Abhängigkeit der