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Die autoritäre Zeit zwischen 1949 und 1987 und ihre Auswirkungen

Kapitel 1 Politische, Wirtschaftliche und demographische Entwicklung seit 1945 als Hintergrund der wohlfahrtsstaatlichen Konstruierung

2. Die autoritäre Zeit zwischen 1949 und 1987 und ihre Auswirkungen

(1) Zwischenfall vom 28. Februar 1947 als Ausgangspunkt zur Bildung der politischen und ethnischen Spaltung

Wurden die nationalchinesischen Truppen zunächst noch mit Begeisterung von der kriegsmüden Bevölkerung Taiwans empfangen und die „Rückkehr zum chinesischen Mutterland“ begeistert gefeiert (Schubert 2003: 329), so verschlechterte sich das Verhältnis des KMT-Regimes zur Inselbevölkerung innerhalb kurzer Zeit aus vielfältigen Gründen merklich. Am wichtigsten waren die durch die 50-jährige japanische Kolonialherrschaft entstandenen sprachlichen und kulturellen Unterschiede zwischen den Festlandchinesen und der Inselbevölkerung Taiwans.

Ende des Zweiten Weltkriegs gab es auf der Insel 6,3 Millionen Einwohner, die neben der Minderheit der protomalaiischen/polynesischen Ureinwohnerschaft und einer Restgruppe dritter Nationalitäten zu 95% Chinesen waren. Von ihnen stammten 75% aus dem südlichen Landesteil des chinesischen Festlands und vor allem der der Insel Taiwan unmittelbar gegenüberliegenden Provinz Fukien. Diese Gruppe unterschied sich von den anderen durch ihren südfukienesischen Minnan-Dialekt, der aufgrund seiner großen Verbreitung auf der Insel häufig auch als

„Taiwanisch“ bezeichnet wird. Der Rest der chinesischen Inselbevölkerung setzte sich aus den

Einwanderern anderer chinesischer Provinzen zusammen. Zu Beginn der Kolonisierung verhing Japan eine Zuwanderungssperre für das chinesische Festland. So wurde im Laufe der Zeit die Gesamtheit der frühen chinesischen Einwanderer – trotz bestehender sprachlich-kultureller Unterschiede – einheitlich als „Taiwaner“ bezeichnet. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelten die Taiwaner eine eigene Identität (Bürklin 1994: 115).

Durch die problematische Wirtschafts- und Finanzpolitik bzw. ungerechte Machtverteilung sahen viele Taiwaner das KMT-Regime in scharfem Kontrast zur japanischen Herrschaft, die wirtschaftliche Effizienz, Rechtssicherheit und öffentliche Ordnung gebracht hatte. Viele Taiwaner hielten das KMT-Regime bloß für eine weitere fremde Besatzungsmacht (Tränkmann 1997: 21). Der sich daraus ergebene Unmut spitzte sich auf den Zwischenfall am 28. Februar 1947 (2-28-Zwischenfall) zu, der zu landesweiten Unruhen führte.5 In den nächsten Jahren setzte das Regime die Verfolgung der Regimegegner kompromisslos fort – eine Politik, die als „weißer Terror“ bezeichnet wurde, und tabuisierte das Thema des 2-28-Zwischenfalls bis Anfang der 1990er Jahre. 6 Diese Ereignisse gruben sich tief in das kollektive Gedächtnis der Inselbevölkerung ein und bildeten den Ausgangspunkt für die ethnische Spaltung zwischen

„Taiwanern“ und „Festländern“. Der Begriff Festländer umfasst vor allem diejenigen Chinesen, die nach dem Krieg nach Taiwan geflohen sind.

(2) Wesentliche autoritäre Maßnahmen zur Machtkonzentration auf das Amt des Präsidenten, Einschränkung der politischen Freiheitsrechte und Mitwirkung der Wählerschaft auf kommunaler Ebene

Der ethnische Konflikt erhielt eine neue Qualität nach der Ausrufung der Exilregierung der Republik Chinas auf der Insel. Das KMT-Regime führte zahlreiche Maßnahmen zur Konsolidierung seiner politischen Herrschaft und zur Abwehr der kommunistischen Bedrohung durch. Ausschlaggebend waren die Verhängung der Vorläufigen Bestimmungen und des Kriegsrechts sowie die eingeschränkten Partizipationsmöglichkeiten der Wählerschaft auf kommunaler Ebene.

Ursprünglich waren die Vorläufigen Bestimmungen als kurzfristige Maßnahmen zur Überwindung des bürgerkriegsbedingten Notstandes gedacht.7 Im April 1948 wurden sie auf die Insel Taiwan

5 Beamte der staatlichen Monopolbehörde griffen eine ältere Frau unter dem Verdacht des Verkaufs unversteuerter Zigaretten auf und schlugen sie. Dies führte zum Massenprotest gegen den neuen Machthaber, der erst durch die Entsendung von nationalistischen Verstärkungstruppen beendet werden konnte. Den Eingriffen und einer anschließenden Säuberungswelle, die nicht zuletzt gegen die kleine taiwanische Intelligenz gerichtet war, fielen mehrere Tausend Menschen zum Opfer. Schätzungsweise bewegt sich die Anzahl der Todesopfer unter der Inselbevölkerung zwischen 4.200 und 20.000 (Bürklin 1994: 116).

6 Im Februar 1992 drückte der Staatspräsident Lee Teng-hui bei einer Gedenkfeier erstmals offiziell sein Bedauern über diesen Vorfall aus, gestand die Fehler der Regierung ein und bat die Hinterbliebenen der Opfer um Verzeihung (Tränkmann 1997: 22).

7 Der vollständige Name dieser Bestimmungen lautete: „Vorläufige Bestimmungen während der Periode der Mobilmachung zur Niederschlagung der Rebellion“.

ausgedehnt. Es handelte sich hierbei um eine Art Verfassungsbruch, d.h. um „Recht außerhalb der Verfassung“ (Tränkmann 1997: 49). Während die Kompetenz des Parlaments eingeschränkt wurde,8 war die Macht des Staatspräsidenten damit praktisch unbegrenzt geworden: Er besaß allein das Recht, die kommunistische Rebellion für beendet zu erklären. Im Zusammenspiel mit anderen politischen Maßnahmen der 1960er Jahre wurde das Amt des Präsidenten zum eigentlichen Machtzentrum des Regierungssystems gemacht (Bürklin 1994: 122).9

Im Mai 1949 wurde das bereits auf dem Festland bestehende Kriegsrecht auch auf Taiwan übertragen. Demzufolge wurden zahlreiche in der Verfassung verankerten sozialen und politischen Rechte außer Kraft gesetzt, vor allem die Freiheitsrechte: Freiheit der Meinungsäußerung und –verbreitung sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. In dem Zuge wurde ebenfalls die Gründung politischer Parteien verboten. Um der Kritik des westlichen Auslandes begegnen zu können, legalisierte man einige regimenahe Parteien.10 Das Kriegsrecht führte zusammen mit anderen Sondergesetzen zur Unterbindung konfliktorientierter gewerkschaftlicher Aktivitäten. Die im Jahre 1947 vollzogenen „Maßnahmen zur Behandlung von Arbeitskonflikten für die Zeit der Mobilmachung zur Unterdrückung der kommunistischen Rebellion“ schrieben die Einrichtung staatlicher Tarifkommissionen vor, ordneten ein Zwangsschlichtungsverfahren an und hoben das Streikrecht auf. Dadurch wurden die Rechte der Arbeiter in Bezug auf Koalition, Handlung und Streik aufgehoben. Mit der Novelle des Gewerkschaftsgesetzes 1975 wurden die Gewerkschaften unter die Kontrolle des KMT-Regimes gebracht.11 Insgesamt hatte die Einschränkung der politischen Rechte das Verbot oppositioneller Parteien und autonomer Gewerkschaften sowie eine Schwächung der intermediären Instanzen – Verbände und Zivilgesellschaft – zur Folge.

Wie erwähnt gibt es seit den 1950er Jahre freie Wahlen auf kommunaler Ebene, und zwar für den Rat und die Bürgermeister der Kommunen sowie die Provinzversammlung. Bei diesen Wahlen konnten sich unabhängige Politiker vielerorts gegen die Kandidaten der KMT behaupten.

Dennoch behielt die KMT aufgrund ihrer finanziellen Übermacht und den engen Verbindungen mit den einflussreichen einheimischen Lokalfraktionen stets die Kontrolle über das Geschehen und griff mitunter gegen besonders notorische Regimekritiker mit den Mitteln des Polizeistaats durch (Schubert 2003: 332). Selbst wenn die Wahlen das Regime nicht gefährden konnten, wurden dadurch mehr politisches Gehör und Handlungsspielraum für die Opposition geschaffen.

(3) Regimekrise in den 1970er Jahren durch die außenpolitischen Rückschläge und die Herausforderung der Opposition

8 Die in der Verfassung vorgeschriebene Zustimmungspflicht des Parlaments für den Erlass von Notverordnungen und Gesetzen sowie für die Erklärung und die Aufhebung des Kriegsrechtes wurde aufgehoben.

9 Zu den wichtigsten Kompetenzzuwächsen gehört die unbegrenzte Verlängerung der Amtzeit des Präsidenten (1960), die Ermächtigung des Präsidenten zur Möglichkeit der Umgestaltung der verfassungsgemäßen Struktur der Regierung sowie die Einrichtung der außerhalb der Verfassung angesiedelten Institutionen (1966) (Tränkmann 1997:

22).

10 Wie z.B. die Chinesische Jugendpartei und die Demokratisch-Sozialistische Partei.

11 Zur Entwicklung der taiwanischen Gewerkschaften vgl. Huang 2002: 312 ff. und Deyo 1989.

Ausgangspunkt der Regimekrise war die Aufnahme der VR China in die UN im Jahre 1971 und damit die Übertragung des Alleinvertretungsanspruches, den zuvor die Republik China inne hatte.

In den folgenden Jahren befand sich das KMT-Regime in einer bedrohlichen Lage durch den als Dominoeffekt gekennzeichneten Abbruch der diplomatischen Beziehungen, der sich durch die Aufnahme formaler diplomatischer Beziehungen der USA mit der VR China zum 1. Januar 1979 zuspitzte.12 Folglich ist der Alleinvertretungsanspruch der Republik China zur rechtlichen Fiktion geworden; Taiwan wurde nach und nach international isoliert.

Zu diesem Zeitpunkt begann sich im Vorfeld der Kommunalwahlen eine radikale und vom taiwanischen Unabhängigkeitsgedanken beeinflusste Opposition zu sammeln, die sich zur informellen Gruppierung von “Parteilosen“ zusammenfand und schließlich die Bewegung der Tang-wai (wörtlich übersetzt: außerhalb der Partei, also der KMT) formierte. Durch eine Reihe politischer Ereignisse wurde die innenpolitische Legitimität des KMT-Regimes in Frage gestellt:

den aufsehenerregenden Wahlerfolg von 197713, die Zusammenschließung der oppositionellen Kräfte zum “Tang-wai Campaign Corps” für die Zusatzwahlen zu zentralen Vertretungsorganen 1978 und den Kao-hsiung-Zwischenfall im Dezember 1979.14 Die politische Opposition war während der Zeit informelle Gruppierung der KMT-Gegner. Sie präsentierten sich mit einer anti-autoritären Orientierung, die sich später zur Anti-KMT entwickelte.

3. Die „Great Transformation“ durch die Demokratisierung seit Mitte der 1980er Jahre und

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