Ausblick: Handlungsbedarf und Optimierungspotenziale

In document Schussenprogramm 2008 Erfolgskontrolle und Maßnahmenpotimierung (Page 71-77)

zu steigern. Aus gewässerökologischer Sicht ist aber der Reduktion der NH4-Belastung ein wesentlich höherer Stellenwert beizumessen als der Reduktion des Gesamt-N. Die Betreiber sollten daher auf diesen Aspekt zumindest verstärkt hingewiesen werden.

Die hier vorgestellte kurze Übersicht über die aktuelle Schadstoffbelastung der Schussen hat weiterhin die schon aus früheren Untersuchungen (Hetzenauer 1997) bekannte Tatsache bestätigt, dass die Schussen unter den baden-württembergischen Bodenseezuflüssen auch eine vergleichsweise umfangreiche Palette von Schadstoffen (u.a. Pestizide, Komplexbildner, Arzneimittel) aufweist, von denen ein großer Teil auch über Abwasser ins Ge-wässer gelangt. Zwar werden auch in diesem Fall die von den EU-WRRL vorgegebenen Grenzwerte in der Regel nicht überschritten, dennoch erscheint es angesichts des unzureichenden Kenntnisstands hinsichtlich möglicher Wirkungen geboten, diese Problematik nach dem Vorsorgeprinzip im Auge zu behalten und bestehende Mög-lichkeiten zur Belastungsminderung ernsthaft zu prüfen. Da ein Teil dieser Stoffe auch bei gut ausgebauter konventioneller Klärtechnik oft nur unzureichend zurückgehalten werden, stellt sich in diesem Fall besonders die Frage nach der Notwendigkeit und Machbarkeit weitergehender Abwasserreinigung. Als potenziell hierfür wirksame Technologien werden derzeit vorrangig Aktivkohlefilterung nach vorangehender konventi-oneller Reinigung (inklusive Flockungsfiltration) in Betracht gezogen (Meyer, H. 2008). Angesichts der bis-lang noch unzureichenden Praxiserfahrungen, erscheint es sinnvoll, hier zunächst über Pilotprojekte konkretere Anhaltspunkte über Wirksamkeit und Kosten-Nutzen-Aspekte zu erhalten. Erste Anstöße hierzu wurden auch schon unternommen, indem durch den Abwasserzweckverband Mariatal für die große Kläranlage Langwiese eine Machbarkeitsstudie durchgeführt wird.

Immer wieder werden weitergehende Abwasserreinigungsverfahren (hier neben Ozonierung vor allem UV-Be-handlung und Membrantechnologie) insbesondere auch im Zusammenhang mit der Zielsetzung der hygie-nischen Verbesserung des gereinigten Abwassers diskutiert (z. B. Krampe 2001, Kolch & Diering 2004, Gasse et al. 2005). Im Hinblick darauf, dass Badeverbote an Strandbädern im Mündungsbereich mit ausschlagge-bend für das Zustandekommen des Schussenprogramms waren und auch die aktuelle Keimbelastung der Schus-sen immer noch hoch ist (siehe Ergebnisse), besteht zweifellos Anlass, solche Möglichkeiten besonders ernsthaft in Betracht zu ziehen. Wie u. a. auch die Erfahrungen in Bayern (Schleypen 2002) gezeigt haben, kann damit tatsächlich auch die Konzentration von Fäkalkeimen in Kläranlagenabläufen sehr effizient gesenkt werden. An-dererseits hat aber die vorliegende Studie wie auch alle bisher zur Keimbelastung von Bodenseezuflüssen durch-geführten Untersuchungen (Güde et al. 2003) durchgängig belegt, dass gut betriebene Kläranlagen in der Regel Keimreduktionen von mindestens zwei Zehnerpotenzen erbringen, eine Absenkung um eine weitere Zehner-potenz ist in Anlagen mit Flöckungsfiltration möglich. Da die Hauptlast der Fäkalkeimeinträge aus Regenent-lastungen des Kanalnetzes stammt, sollte die Priorität der Maßnahmen zur Reduzierung der Keimbelastung in jedem Fall zunächst auf den Bereich der Regenwasserbehandlung (siehe unten) gelegt werden. Darüber hinaus sind aber sicher auch Potenziale zur Senkung der Grundlasten aus den Kläranlagenabläufen schon in vorhandener Klärtechnik gegeben, wie der Vergleich der Ablaufwerte zeigt.

Regenwasserbehandlung

Wie im Abschnitt Erfolgskontrolle gezeigt wurde, beträgt das inzwischen vorhandene Regenbeckenvolumen im betrachteten Einzugsgebiet praktisch 100 % des nach DWA-Richtlinien erforderlichen Volumens. Für das Gebiet der Stadt Ravensburg ist festzustellen, dass der Ausbaugrad des Rückhaltevolumens sogar noch deutlich darüber liegt und den aller anderen Städte im Schussengebiet übersteigt.

Der daraus errechnete „Erfolg“ (Tabelle 21, Abbildung 62) beruht aber nicht allein auf Ausbau, sondern auch auf veränderten Berechnungsgrundlagen mit verstärkter Berücksichtigung des Stauvolumens im Kanalnetz. Ob die aufgrund der Zunahme des somit zusätzlich verfügbaren Kanalvolumens nach Schmutzfrachtmodellen er-rechnete Reduktion der Menge von entlastetem Mischwasser um ca. 20 % tatsächlich erbracht wurde, konnte bislang nicht anhand von Messdaten überprüft werden. Dieser Sachverhalt macht ein Defizit bei der Über-wachung im Bereich der Regenwasserbehandlung deutlich: Wohl sind inzwischen Messeinrichtungen und planerische Voraussetzungen (Schmutzfrachtmodelle) vielfach vorhanden, jedoch fehlen zugehörige Plausibili-tätsbetrachtungen, Messungen, Steuerungskonzepte und Messwertauswertung noch weitgehend. Dieses Defizit ist angesichts der relativen Bedeutung der Regenwasserbehandlung (Abbildung 63) wohl kaum als marginal zu betrachten. Da auch bei der Regenwasserbehandlung der „Stand der Technik“ Grundlage wasserrechtlicher Entscheidungen ist, darf dessen Einhaltung nicht allein an der Bereitstellung von Beckenvolumen bemes-sen werden. Es werden deshalb folgende Punkte für die Erreichung dieses Ziels vorgeschlagen:

Prüfung der vorliegenden Schmutzfrachtberechnung auf Plausibilität unter Berücksichtigung von Bebauungs-1

zustand und Drosselorganen (z. B. mit dem Schätzverfahren des Bayerischen Landesamtes für Umwelt).

Plausibilitätskontrolle der Überlaufcharakteristika (Anzahl

2 /a und Überlaufdauer) nach Brombach bei nicht

vorhandener Messtechnik durch Befragung des Betriebspersonals (Die Becken sind nach jedem Einstau nach EKVO zu besichtigen).

Dokumentation der bestehenden Messwerterfassungssysteme (was wird wie gemessen?); Erfassung von Mess-3

gerätetyp, Schwellentyp, Lage der Messung, Störkomponenten der Messung, Art der Messwerterfassung, Hy-sterese usw.

Dokumentation von Einbau, Eichung und Wartung von Messgeräten an mehreren verschiedenen RÜB.

4

Auswertung der Messwertaufzeichnungen und Vergleich mit den Sollwerten aus Schmutzfrachtberechnung 5

und Kläranlagenzufluss.

Bewertung der Kläranlagenzuflüsse (Qm) entsprechend Betriebsbuchaufzeichnungen, Kläranlagenbemes-6

sung und Schmutzfrachtberechnung.

Aus Punkt 1 - 6 resultierende Vorschläge zur Betriebsoptimierung, insbesondere Abschätzung des Optimie-7

rungspotenzials beim Zusammenspiel von Kanalnetz und Kläranlage hinsichtlich Frachtaustrag und Kon-zentrationsspitzen, angepasste Messkonzeptionen in den jeweiligen Kläranlageneinzugsgebieten und Behe-bung festgestellter Mängel.

Ein Teil dieser Vorschläge hat auch Eingang in ein Papier (Arbeitsmaterialien zur Regenwasserbehandlung – Mischsystem) und einen Erlass (vom 16.06.2008) des Umweltministeriums gefunden. Auch wenn somit Aussicht besteht, dass die Daten-Grundlagen zur Bilanzierung der Emissionen aus der Regenwasserbehandlung künftig verbessert wird, gelten aber für die hier vorgelegten Bilanzierungen in jedem Fall noch die erwähnten Ein-schränkungen. Damit verbleibt vorläufig sowohl eine vergleichsweise große Restunsicherheit bezüglich der tatsächlich abgeschlagenen Mischwassermengen (Lange et al. 2006) als auch bezüglich des Ausmaßes einer

„unvermeidbaren“ Restlast. Erst dann kann nämlich die Frage wirklich beantwortet werden, ob die angestrebten Ziele hinsichtlich des ökologischen Zustands der Schussen und der Belastung des Bodensees auch bei Einhaltung des Stands der Technik tatsächlich erreichbar sind.

Für die klassischen Abwasser-Belastungen mit Nährstoffen und sauerstoffzehrenden Stoffen, kann diese Frage nach dem nun vorliegenden Kenntnisstand, soweit es den ökologischen Zustand der Schussen angeht bis auf den untersten Flussabschnitt und den mündungsnahen Uferbereich des Bodensees wohl mit ja beantwortet werden.

Will man auch dort einen guten Zustand erreichen, so ist das wahrscheinlich nur durch über den Stand der Tech-nik hinausgehende weitergehende Maßnahmen bei der Abwasserreinigung und bei der Regenwasserbehandlung möglich. Selbst dann wird der Erfolg allerdings davon abhängen, ob die erreichbaren Belastungsreduktionen von den Restbelastungen aus diffusen Quellen überlagert werden (siehe unten). Folgerichtig ist die Erfolgswahr-scheinlichkeit weitergehender Maßnahmen besonders für solche Stoffe mit Dominanz der Einträge aus dem Siedlungsbereich gegeben. Dies gilt in besonderem Maß für die Belastung mit Fäkalkeimen, darunter vor allem mit E.coli, für die die Regenentlastungen des Kanalnetzes die mit Abstand bedeutendste Eintragsquelle darstellt (Abbildung 63). Weiterhin ist wahrscheinlich, dass der jetzige Ausbaustand der Regenwasserbehandlung offensichtlich noch nicht ausreicht, um das Risiko von Grenzwertüberschreitungen nach der Badegewässerver-ordnung in mündungsnahen Strandbädern nachhaltig zu senken. Dieses Ziel ist also vermutlich nur erreichbar, wenn im Bereich der Regenwasserbehandlung über den jetzigen Stand der Technik hinausgehende Maßnahmen ernsthaft ins Auge gefasst werden (z. B. Born 1998, Brunner & Roth 2004, LfU 1998, Spieker et al. 2002, Wood et al. 2005). Dabei muss realistischerweise davon ausgegangen werden, dass nur eine Kombination von mehreren Maßnahmen Aussicht auf praktische Umsetzung hat, darunter insbesondere:

Konsequente Umsetzung der oben schon geforderten Optimierung von Steuerung und Überwachung

des Zusammenspiels zwischen Kläranlagen und Kanalnetz (Londong 1994, Pecher et al. 2000, Krauth &

Schwentner 1994, Seggelke 2004, Lange et al. 2006)

Weitergehende hydraulische Entlastung der Kanalisation durch Ausbau modifizierter Entwässerung

Wo möglich Nachbehandlung des Mischwassers über Retentionsbodenfilter, für die speziell bei der

Keim-•

reduktion ein hoher Wirkungsgrad festgestellt wurde (LfU 1998, Born 1998, Kreikenbaum et al. 2004, Brunner & Roth 2004). Darüber hinaus sollten auch Möglichkeiten der Belastungsminderung durch Fäl-lung /Flockung des Mischwassers (Krauth & Bonderova 2000) geprüft werden.

Diffuse Einträge aus der Landwirtschaft

Aus den Bilanzierungsansätzen (Abbildung 64, Tabelle 21) ergab sich zwingend, dass sowohl eine Gesamtbe-trachtung der Einträge aus diesem Bereich wie auch eine Bewertung von „Erfolgen“ nur mit Berücksichti-gung des Hintergrunds der diffusen Belastungen erfolgen kann. Dabei bestätigte diese Studie erneut dass die diffusen Einträge von Fäkalkeimen zumindest bei E.coli in der Gesamtbilanz untergeordnet sind, was al-lerdings nicht ausschließt, dass diese lokal von Bedeutung sein können, insbesondere bei der Keimgruppe der intestinalen Enterokokken (Güde et al. 2003, Weiss 2003, Gasse et al 2006).

Demgegenüber sind die diffusen Einträge für die Gesamtbilanzen bei den Nährstoffen (und wohl auch bei den Frachten organischer Stoffe) mit Sicherheit weit bedeutender. Dabei ergeben sich zwei Feststellungen, die als solche keineswegs neu sind, in ihrer Bedeutung für das wasserwirtschaftliche Management aber oft nicht hinrei-chend berücksichtigt werden:

Die Summe der jährlichen Emissionen aus dem Siedlungsbereich der Schussen ist für Nährstoffe und für 1

organische Belastungen immer deutlich geringer als die an der Mündung jährlich erfassten Frachten. Diese ungeachtet der erwähnten Bilanzunschärfen als gesichert anzunehmende Feststellung bedeutet, dass die heu-tigen Gesamtbelastungen von Nährstoffen und organischen Substanzen nur zum geringeren Teil aus aktuellen Einträgen aus dem Siedlungsbereich stammen.

Vor allem bei Phosphor und Fäkalkeimen sind jedoch auffällige

2 Diskrepanzen zwischen emissions- und

immissionsbasierten Ansätzen zur Bilanzierung erkennbar. Dabei werden an der Mündung teils deutlich weniger (gelöstes P, Fäkalkeime), teils mehr (partikuläres P) Frachten gemessen als aus den jeweiligen Einträ-gen zu erwarten wären. Diese Diskrepanzen verweisen darauf, dass bestehende BilanzierunEinträ-gen noch mit beträchtlichen Unsicherheiten behaftet sind. Neben den schon bei der Betrachtung der diffusen Einträ-ge benannten EinschränkunEinträ-gen, sind hier zusätzlich Rückhalt in bzw. Mo-bilisierung aus Flusssedimenten von Belastungsstoffen zu nennen, die bislang noch sehr unzureichend verstanden wurden. Es ist von daher jedenfalls nicht ohne weiteres möglich, für die Bilanzierung der diffusen Einträge einfach die Differenz aus an der Mündung erfassten Gesamtfrachten und Einträgen aus dem Siedlungsbereich zu berechnen. Vielmehr können quellenbezogene Bilanzen nur auf der einheitlichen Grundlage von Emissionsbetrachtungen vorge-nommen werden (wie z. B. Abbildung 64).

Diese grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Bilanzierung erschweren somit auch erheblich die Erfolgsbewer-tung anhand der Entwicklung der Frachten. Wäre die Sicherheit der Bilanzierung hinreichend groß, so müsste man ja folgern, dass die Minderungen aus dem Siedlungsbereich durch Mehreinträge aus diffusen Quellen kom-pensiert wurden. Somit könnte man „erklären“ warum sich die seit 1990 erreichte Reduktion der Frachten aus dem Siedlungsbereich bislang nicht in entsprechenden Reduktionen der Gesamtfrachten niederschlugen. Ab-gesehen davon, dass die erwähnten Unsicherheiten in der Bilanzierung keinesfalls zu dieser Schlussfolgerung berechtigen, lassen sich hierfür auch aus Emissionsbetrachtungen keine begründeten Anhaltspunkte entnehmen.

Allerdings sind auch für die Flächenbelastung aus der Landwirtschaft in dem betrachteten Zeitraum si-gnifikante Abnahmen nicht nachzuweisen.

Unabhängig davon sollte aber für den Bereich der Landwirtschaft die gleiche Messlatte wie beim Siedlungsbe-reich angesetzt werden. Dem „Stand der Technik“ in der Siedlungsentwässerung würde demnach die Einhal-tung der „guten landwirtschaftlichen Praxis (GLP)“ entsprechen. Diese ist allerdings weit weniger scharf definiert und insbesondere auch deutlich weniger zu überprüfen als der Stand der Technik bei der Abwasserreini-gung. Selbst bei deren Einhaltung ist dann aber – wie bei der Siedlungswasserwirtschaft - zu hinterfragen, ob das ausreicht, um einen guten ökologischen Zustand des Gewässers zu sichern. Dies muss nach den Erfahrungen des SOS-Programms zumindest dann bezweifelt werden, wenn die Gewässer Zuläufe zu Seen im Hinterland sind.

Andererseits belegt die jüngere Belastungsgeschichte (seit 1950) des Bodensees wie der Schussen, dass zumindest im Falle der Phosphorbelastung und der organischen Belastungen der Hauptanteil aus dem Siedlungsbereich gekommen sein muss (Güde 1999 a, Güde et al. 1999). Da Maßnahmen zur Rückhaltung von P und sauerstoff-zehrenden Substanzen weitestgehend auf den Siedlungsbereich beschränkt waren, kann auch der eindrucksvolle Rückgang dieser Belastungsarten nur mit diesen Maßnahmen in Zusammenhang gebracht werden. Mit diesen Überlegungen soll aber die Landwirtschaft keineswegs aus ihrer Verpflichtung zur Minimierung der stofflichen Belastung der Gewässer entlassen werden. Sie sollen aber dennoch unterstreichen, dass trotz der verbleibenden

unverminderten diffusen Belastungen ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis der Belastungen des Boden-sees und der Schussen im Siedlungsbereich liegt und damit der im Schussenprogramm gesetzte Schwerpunkt auch gerechtfertigt war und ist.

In document Schussenprogramm 2008 Erfolgskontrolle und Maßnahmenpotimierung (Page 71-77)