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Der folgende, in der vorliegenden Studie herausgearbeitete Sachverhalt macht eine weitere Auseinandersetzung mit der Endemiten-Biogeographie der Laufkäfer Hochasiens sehr lohnenswert: Hochgebirgs-Laufkäfer bilden aufgrund ihrer geringen Ausbreitungsfähigkeit und der damit verbundenen Tendenz zur Evolution neoendemischer Entwicklungslinien zweifellos eine hervorragende Gruppe von Modellorganismen, die auf viele verschiedene Fragestellungen der Paläoumweltforschung Antworten liefern kann. Die entscheidenden Voraussetzungen für die Qualität der Aussagen liegen im biogeographischen und phylogenetischen Bearbeitungsstand des rezenten Artenbestandes des Gebirgssystems.

Hier besteht zwar noch ein erheblicher Verbesserungsbedarf, jedoch sind dies aufgrund der umfangreichen Vorarbeiten durchaus lösbare Aufgaben. Eine weitere Hilfestellung für solche Fragestellungen, die bis an den Beginn der Heraushebung des Himalaya-Tibet Orogens zurückreichen, liefert der fossile Schatz im Baltischen Bernstein, der hinsichtlich der Laufkäfer reichhaltig ist, aber noch ungenügend bearbeitet wurde. Auch hierin verbirgt sich ein lösbares Problem. Aus diesen Vorbemerkungen lassen sich mit Hinblick auf die weitere Beschäftigung mit Fragestellungen der Umweltgeschichte Hochasiens folgende Aufgabenstellungen formulieren:

A) Arbeitsgebiet quartäre Umweltgeschichte Hochasiens 1) Modellierung der LGM-Umwelt für ganz Hochasien

Eine Kartierung der horizontalen und vertikalen Arealgrenzen lokalendemischer Laufkäfer in den verschiedenen Teilen des Himalaya-Tibet Orogens ermöglicht a) die Darstellung der lokalen Vereisungsgrenzen aus der Lage der jeweiligen LGM-Refugien, b) die Ableitung der lokalen LGM-Temperaturabsenkung anhand der hier präsentierten neuen Methode sowie c) grundsätzliche Aussagen zu den LGM-Niederschlagsverhältnissen aufgrund der Bindung der einzelnen Arten an eine spezifische Bodenfeuchte und winterliche Schneebedeckung.

Basierend auf den umfangreichen Vorarbeiten lässt eine flächendeckende Erfassung der hochalpinen Trechus-Arten Hochasiens aussagekräftige Ergebnisse vor allem für die zentralen Teile des Plateaus erwarten. Verschiedene weitere Artengruppen der Laufkäfer wären hinzuzuziehen, deren Vertikalareale tiefer liegen. Dies würde die Ableitung der lokalen LGM-Umweltbedingungen auch in den Randgebieten des Plateaus und eine Kartierung der LGM-Waldgebiete in Hochasien ermöglichen. Da der Zeitraum seit dem Letztglazial zu gering ist, um Isolation von Käferpopulationen in Mikrorefugien anhand morphologischer Untersuchungen zu identifizieren, sollten die bisherigen Analysemethoden mit molekulargenetischen Methoden an schnell evoluierenden Markern erweitert werden.

Parallel muss ein Feldarbeitsprogramm zur Erfassung der regionalen Werte für das Temperaturgefälle entlang der Berghänge in verschiedenen Gebieten Tibets installiert werden. Aus der Differenz der bislang verfügbaren Werte resultiert eine zu große Schwankungsbreite der ermittelten Werte für die LGM-Temperaturabsenkung.

2) Erarbeitung von Methoden zur Modellierung der Paläoumweltbedingungen Hochasiens früherer Vereisungsperioden

Der Nachweis endemischer Entwicklungslinien der Trechus-Laufkäfer auf dem Tibetischen Plateau, deren Entstehung in das Tertiär zurückreicht, lieferte bereits hinreichende Indizien, dass keine der quartären Eiszeiten zu einer vollständigen Auslöschung der tertiären Fauna auf dem Plateau geführt hat. Damit bietet sich die Möglichkeit, anhand phylogeographischer Analysen der in den zentralen Teilen Tibets endemischen Laufkäfer-Artengruppen die Umweltbedingungen früherer Kaltzeiten zu rekonstruieren. Dazu muss die Arealgenese der jeweiligen Entwicklungslinien nachgezeichnet werden. Hierzu wären Sequenzanalysen verschiedener mitochondrialer und kerngenomischer Marker erforderlich. Es liegen bereits umfangreiche eigene Studien in der Gattung Carabus vor, welche die zügige Erarbeitung geeigneter molekulargenetischer Methoden für diese Aufgabenstellung ermöglichen. Der zusätzlich notwendige Feldarbeitsaufwand würde relativ geringfügig ausfallen, da er mit der vorhergehenden Aufgabenstellung weitgehend korreliert.

B) Arbeitsgebiet Hebungsgeschichte Hochasiens

1) Eichung der „Molekularen Uhr“ in endemischen Laufkäfer-Artengruppen Hochasiens mittels Bernsteinfossilien

In der vorliegenden Studie wurde dargestellt, dass phylogenetisch-biogeographische Untersuchungen in endemischen Artengruppen die Datierung bestimmter Phasen in der Heraushebung des Himalaya-Tibet Orogens ermöglichen. Voraussetzung ist die Kenntnis über die Evolutionsgeschwindigkeit der untersuchten Genabschnitte. Da die Eichpunkte nicht aus der Paläogeographie Hochasiens selbst gewonnen werden können, ist es notwendig, vorrangig auf Fossilbefunde zurückzugreifen. Idealerweise liegt mit den Inklusen des Baltischen Bernsteins ein Datenfundus vor, dessen Entstehung vermutlich auf dieselbe Epoche zurückgeht, wie die primäre Heraushebung des Orogens. Dieses Material bedarf aber einer eingehenden Analyse, da über die systematische Stellung der Bernstein-Laufkäfer noch zu wenig bekannt ist. Hierzu müssen die Inklusen-Sammlungen verschiedener naturkundlicher Museen eingehend morphologisch untersucht werden. Ziel ist der Nachweis solcher Taxa, die abgeleitete Entwicklungslinien in Hochasien besitzen. Durch den Fund des Calathus elpis (Ortuño & Arillo 2009) ist dies bereits in einem Falle gelungen (siehe Kapitel 2.3). Die Ergebnisse sind eine der Grundlagen für die Erarbeitung der folgenden Arbeitsschwerpunkte.

2) Datierung der Heraushebung des Hohen Himalaya

Für die Geowissenschaften ist dies eines der interessantesten und zugleich scheinbar schwierigsten Themen in der Hebungsgeschichte des Himalaya-Tibet Orogens. (vgl. Mulch &

Chamberlain 2006). Die Biogeographie kann hierzu vermutlich belastbare Daten liefern.

Grundlage ist die Entdeckung des tertiär-tibetischen Ursprungs der im Himalaya endemischen Artengruppen. In der Datierung der Genese der terminalen Artengruppen solcher Endemiten liegt der Schlüssel für die Datierung der Himalaya-Hebung.

Phylogeographische Untersuchungen in den artenreichen Taxa Calathus wittmerianus-Gruppe, Carabus Subgenus Meganebrius und Pterostichus Ethira-clade, für die bereits umfangreiche morphologische und z.T. auch molekulargenetische Voruntersuchungen vorliegen, bieten gleich drei unabhängige Wege zur Bearbeitung dieses Themas.

3) Datierung der Heraushebung Zentraltibets

Analog zum vorhergehenden Punkt liefert die phylogeographische Analyse transtibetischer Artengruppen den Schlüssel für die Datierung der Heraushebung der Gebirgsareale zwischen Transhimalaya und Tanggula Shan sowie weiter bis zum Kunlun Shan.

Entsprechend der Anpassung der betreffenden Gruppen an verschiedene Höhenstufen dürften Aussagen zur Anhebung Zentraltibets in das Hochmontan (z.B. Cychropsis),

Subalpin (z.B. Zabrus) oder Alpin (Bradytulus, Deltomerodes) möglich sein. Auch dieser Arbeitsschwerpunkt scheint realistisch, da sowohl morphologische Vorarbeiten und umfangreiche Datensammlungen aus allen genannten Gruppen vorliegen, sowie erste molekulargenetische Befunde (Cychropsis).

4) Lokalisierung und Datierung der primären Gebirgshebungen im Himalaya-Tibet Orogen Hierunter verbirgt sich vermutlich das interessanteste und anspruchsvollste Thema in der historischen Biogeographie Hochasiens. Damit wird nicht nur ein wichtiges und in wesentlichen Punkten ungelöstes Problem der Geowissenschaften angegangen (vgl. Kapitel 2.3), es werden auch basale Fragestellungen zur Faunengenese Asiens aufgegriffen. Die Lokalisierung der primären Evolutionszentren der Fauna Hochasiens und die phylogenetische Einordnung der Entwicklungslinien ihrer Laufkäfer würde sowohl die Fragen nach der Lage und dem Hebungsbeginn der frühesten Gebirge des Himalaya-Tibet Orogens beantworten können, als auch eine biogeographische Charakterisierung Süd- und Ostasiens zum Zeitpunkt dieser Hebungen ermöglichen. Sicher ist bereits, dass sich die Laufkäferfauna des Himalaya-Tibet Orogens aus verschiedenen Ursprungsgebieten rekrutiert und dass sie verschiedene primäre Evolutionszentren besaß (Kapitel 2.3). Unter Letzteren wurden Südtibet und Osttibet bereits als eigenständige Entwicklungsgebiete identifiziert, die vermutlich aber nicht gleichzeitig entstanden. Gerade für Osttibet ist aufgrund der enormen Artengruppen-Diversität und der biogeographischen Heterogenität die ursprüngliche Existenz vieler Sekundärzentren wahrscheinlich. Die in der vorliegenden Studie getroffenen Aussagen über den Zeitpunkt der Entstehung dieser Faunen sind noch sehr unsicher. Umfassende kombinierte morphologisch-molekulargenetische Analysen in Laufkäfer-Artengruppen, die in den verschiedenen Teilen Hochasiens endemisch sind, dürften in Zukunft erhebliche Beiträge zur Klärung solcher fachübergreifenden Fragestellungen liefern.