Teil I: Theoretische Grundlagen und einführende Diskussion
1. Diskurs, Sprache, Ideologie
1.7. Diskursive Strategien
1.7.2. Argumentation und Topoi
48
werden somit zwei wichtige Funktionen zugeschrieben: Neben der Bezugnahme auf ein Objekt bekunden sie Einstellungen der Sprecher gegenüber dem Objekt. Mit der Hervorhebung der wertenden Komponente der Nomination versucht man außerdem, bestimmte Einstellungen gegenüber dem Objekt auf Seiten des Adressaten zu bewirken (vgl. Girnth 2002, 64). Als Beispiel für die konkurrierende Nomination dienen z.B. die Wörter Kriegsdienst und Friedensdients in Bezug auf den Dienst in der Bundeswehr (vgl. Girnth 2002, 63).
Nominationen, die mit der Einstellung des Adressaten kontrastieren, fordern seine Reaktion heraus (Girnth 2002, 57). Angesichts der Darstellung der ideologischen Zeichen in Ponzio (2004; s. Abschnitt 1.3.2.) kann man in diesem Zusammenhang von einem hohen Grad der Dialogizität der betreffenden Nominationen sprechen. Gleichzeitig erfüllen Nominationen eine gruppenbildende Funktion, indem sie die Grenze zwischen verschiedenen Gruppen markieren und somit gruppenbezogene Ein- und Ausschließung bewirken (vgl. Kosakowski 2013, 161).
Die für ideologische Zusammenhänge typische Dichotomie ‘Eigen- vs. Fremdengruppe’
kommt anhand der konkurrierenden Nominationen sowohl in Bezug auf Eigen- bzw.
Fremdengruppe als auch in Bezug auf gruppenspezifische Aktivitäten, Einstellungen, Intentionen und Interessen, ideologisch relevante Systeme und Institutionen sowie Ereignisse und Sachverhalte zum Ausdruck (vgl. Girnth 2002, 59 f.). Eine der typischen Nominationsstrategien besteht dabei in der Verwendung der so genannten ‘Fahnenwörter’ in Bezug auf die Eigengruppe und der so genannten ‘Stigmawörter’ in Bezug auf die Fremdengruppe: mit den positiv konnotierten Fahnenwörtern wird die Eigengruppe aufgewertet, mit den negativ konnotierten Stigmawörter wird hingegen die Fremdengruppe abgewertet (vgl. Girnth 2002, 54). Dabei werden Stigmawörter von der Fremdengruppe gemieden oder explizit zurückgewiesen (vgl. Girnth 2002, 54).
Wie bei allen Zeichen gilt auch hier: Es hängt von mehreren ‘objektiven’ Faktoren ab, ob diese motivierten Zeichen, in denen die durch den Kontext bedingten ikonischen Aspekte im Vordergrund stehen, mit der Zeit zu regelbasiert interpretierbaren Symbolen und somit zum Bestandteil des ‘mentalen Lexikons’ der Sprecher werden (vgl. Schmid 2005, 83).21 Man kann somit sagen, dass die ‘subjektiven’ Faktoren, die die Wahl der sprachlichen Mittel der Nomination bestimmen, durch ‘objektive’ Faktoren wie lexikalische Bedeutung der zugrunde liegenden Mittel, Gebrauchsregeln, Kombinationsregeln, Akzeptanz auf Seiten anderer Sprecher usw. ausgeglichen werden (vgl. Serebrennikov/Ufimceva 1977, 92).
49
als ein formal logischer Schluss definiert, bei dem aus zwei Prämissen eine Konklusion folgt:
„wenn p, dann q; nun aber p: also q“ (Kraus 2009, 270). In der Rhetorik gelten jedoch die auf evidenten Aussagen beruhenden und in der strengen logischen Form eingehaltenen Syllogismen als „unangemessen“ und „pedantisch“ (Kraus 2009, 272 f.). Aus diesem Grund bevorzugt man die auf den plausiblen Prämissen beruhenden und oft in verkürzter Form auftretenden Syllogismen (Enthymeme). Enthymeme unterscheiden sich von den streng logischen Syllogismen dadurch, dass sie auf „anerkannten Meinungen“ basieren (Kraus 2009, 273). Die Tradition des Enthymems wird im 20. Jahrhundert in der Argumentationstheorie sowie in der Diskuranalyse neu aufgegriffen (z.B. von Toulmin 1974). Dabei wird von ‘quasi-logischen’ Argumenten gesprochen (vgl. Kraus 2009, 297). Traditionell versteht man unter Enthymem „ein prägnant formuliertes Argument, das die Wahrheit bzw. Plausibilität einer Aussage über einen bestimmten Sachverhalt durch deren Deduktion aus anderen, allgemein anerkannten oder schwer bestreitbaren Aussagen zu erhärten sucht“ (Kraus 1994, 1197).
Aristoteles sah in Enthymem einen „syllogistischen Wahrscheinlichkeitsschluß […], dessen Aufgabe es ist, dem Zuhörer deutlich zu machen, daß das, wovon er überzeugt werden soll, sich aus dem, wovon er bereits überzeugt ist, ergibt.“ (Kraus 1994, 1203). Die Konklusion folge aus den Prämissen nicht „notwendigerweise“, sondern „zumeist“ oder „im Regelfall“ (ebd.).
Ottmers (1996, 74) hebt fünf Merkmale hervor, die heutzutage ein Enthymem in der alltagssprachlichen Verwendung aufweist: „Erstens ist es in seiner formalen Struktur nicht festgelegt, zweitens müssen nicht alle drei Enthymemkomponenten explizit aufgeführt werden, drittens zielt die enthymemische Argumentation auf Plausibilität und nicht auf letzte Gewissheit, viertens darf das herangezogene Argument selbst nicht strittig sein, und fünftes basieren solche Enthymemschlüsse auf spezifischen, teils alltagslogischen, teils konventionalisierten Schlußverfahren, die von der rhetorischen Argumentationstheorie in der sogenannten Topik gesammelt und analysiert worden sind.“
Einige Autoren (z.B. Kopperschmidt 1989, 96) unterscheiden zwischen den Begriffen
‘Argument’ und ‘Argumentation’ und betrachten ‘Argument’ als einen Bestandteil der Argumentation, die ihrerseits eine Sprechhandlungssequenz darstelle. Klein (2001, 1309) betrachtet ‘Argumentation’ als einen „gesamten Komplex der auf eine strittige Position bzw.
eine offene Frage (‘quaestio’) bezogenen Pro- u./o. Contraargumente samt der strittigen Position bzw. quaestio selbst.“ Argumente fungieren dabei als „Prämissen eines Schlusses […], in dem der zuvor unklare Sachverhalt bzw. die strittige Position nunmehr als sichere Konklusion und damit als erklärter Sachverhalt bzw. als unstrittige Position dastehen.“ (Klein 2001, 1315). Das zentrale Merkmal der Argumentation sei, so Klein (2001, 1311), die logisch-semantische Konklusivität oder, mit anderen Worten, die ‘Inferenzialität’; dabei beziehe sich erstere auf die logische Struktur und die zweite auf den kognitiven Prozess (ebd.). Beim Argumentieren wird also eine Position p mit einem Argument q in ein konklusives bzw.
inferenzielles Verhältnis gesetzt (ebd.). Dies erfolgt mithilfe einer Schlussregel, die meist implizit bleibt (Klein 2001, 1312).22 Die Konklusion wird in einem Argument „konstruiert und
22 Eggs (2000a, 402; 2000b, 588) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ‘Schlussregel’ in der Linguistik unter Abweichung von der formalen Logik als Implikationsbeziehung innerhalb der generischen Prämisse verstanden wird: p → q ‘wenn p, dann q’. Eine ‘Schlussregel’ schließt in der Logik hingegen neben der Implikationsrelation innerhalb der generischen Prämisse auch das Vorliegen von p ein: [(p → q) ∧ p] → q.
50
intendiert“ (Peirce 1986, 115); sie gehöre somit nicht zum Argument, sondern sei „die Zustimmung zu ihm, der Interpretant“ (Peirce 1986, 115).
Die zentrale Rolle in der Argumentation wird den generischen Prämissen beigemessen, weil diese für die Legitimation einer Konklusion und somit für das Gelingen argumentativer Sprechhandlungen ausschlaggebend sind (vgl. Eggs 2000a, 404). Aus generischen Prämissen werden in der Argumentationsforschung in Anlehnung an die antike Rhetorik von Aristoteles
‘Topoi’ abgeleitet. Einige Autoren unterscheiden dabei zwischen allgemeinen (‘bereichsunabhängigen’) und speziellen (‘spezifischen’ oder ‘besonderen’) Topoi (vgl. Klein 2001, 1316; Wengeler 2013, 153). Allgemeine und spezielle Topoi weisen einen unterschiedlichen Abstraktionsgrad auf: „(Bereichsunabhängige) Topoi sind abstrakte, an keinen bestimmten Themenbereich gebundene kognitive Schemata für das Ziehen von Schlüssen, z.B. das Teil-Ganzes-Schema für das Schließen vom Ganzen auf Teile bzw. vice versa von Teilen auf das Ganze.“ (Klein 2001, 1316). Spezifische Topoi lassen sich auf allgemeine Topoi zurückführen, inhaltlich sind sie aber an einen bestimmten Kontext gebunden (vgl. Wengeler 2003, 183). Laut Eggs (1992, 924) stellen die besonderen Topoi „nichts anderes als die allgemeinen Prämissen“ in einem Enthymem dar, z.B.: ‘Wenn zwei x die gleichen Interessen haben (p), dann werden sie normalerweise auch Freunde (q)’ (Ebd.). Solche generellen Aussagen bezeichnet Eggs (ebd.) als „Meinungen (über Sachverhaltszusammenhänge)“. Der entsprechende allgemeine Topos lautet: ‘wenn p, dann normalerweise auch q’. Klein (2001, 1318) betont dabei, dass Topoi zweistellig seien (weil
‘Konklusivität’ ein Verhältnis zwischen mindestens zwei Propositionen voraussetzt). Topoi werden somit durch propositionalsemantische Relationen bestimmt, die zwischen diesen zwei Teilen bestehen (vgl. Klein 2001, 1316). Ihre Funktion besteht ferner darin, die Regelhaftigkeit dieser Beziehung zu konstituieren (Klein 2001, 1318).
Wengeler (2003, 224, 234) betrachtet kontextspezifische Topoi aus erkenntnistheoretischer Sicht als besonders wertvoll, denn ihre Analyse liefere „Aussagen […] über typische, wichtige oder dominante Denkweisen, Wissenssegmente bestimmter Gruppen, in einem bestimmten Zeitraum, bezogen auf ein bestimmtes Thema“ (Wengeler 2013, 154). Der Autor weist auf die Verknüpfung von spezifischen Topoi mit dem ‘Lebensbild’ einer Gesellschaft hin. Dies stelle einen Legitimationsgrund für wissenschaftliche Analysen von Topoi dar (vgl. Wengeler 2003, 237) dar. In Topos und Diskurs (2003) analysiert Wengeler den Migrationsdiskurs in Deutschland in den Jahren 1960-1985. Der Autor unterscheidet mehrere spezielle Topoi, die er mit der kausalen Konjunktion weil einleitet: So lautet z.B. der ‘Ausbeutungs-Topos’
folgenderweise: ‘Weil durch bestimmte Handlungen Menschen ausgenutzt und ausgebeutet werden, sollten diese Handlungen unterbunden/verhindert werden’ (Wengeler 2003, 302). Der Autor hat sich im Gegensatz zu der gängigen Topoi-Formulierung mit der konditionalen Konjunktion wenn für die kausale Konjunktion weil entschieden, weil dadurch „die Konklusion des Argumentationsmusters als Konklusion und nicht nur als mögliche Schlussfolgerung bei Erfülltsein der Unterprämisse in einem Satz zum Ausdruck“ gebracht werde (Wengeler 2003, 301). Andernfalls würde der ‘Ausbeutungs-Topos’ folgenderweise lauten: „Wenn durch bestimmte Handlungen Menschen ausgenutzt und ausgebeutet werden, sollten diese Handlungen unterbunden/verhindert werden.“ Die komplette Argumentation demonstriert Wengeler am Beispiel des ‘Geschichts-Topos’:
51
„(1) Wenn die Geschichte lehrt, dass bestimmte politische Entscheidungen bestimmte politische Folgen haben, sollten die anstehenden Entscheidungen getroffen / nicht getroffen werden.
(2) Die Geschichte lehrt, dass bestimmte politische Entscheidungen bestimmte politische Folgen haben.
(3) Also sollte die anstehende Entscheidung (von der unterstellt wird, dass sie in relevanter Hinsicht dem aus der Geschichte entnommenen Beispiel gleich ist) getroffen / nicht getroffen werden.“ (Wengeler 2003, 300 f.)
Um andere zu überzeugen, greift man auf gemeinsame „Annahmen, Normen und Werte“
zurück (Klein 2001, 1310). In Topoi, so Konerding (2008, 122), werde Geltung für eine soziale Gruppe präsupponiert: „Sie erhalten ihren Geltungsstatus auf der Grundlage von jeweiligen sozialen Traditionen und sozialer Praxis, erhalten von dort in der Regel eine nicht weiter hinterfragte wie hinterfragbare Plausibilität.“ (Ebd.).
Topoi selbst zählen zum konsensuellen Wissensvorrat einer Kommunikations-gesellschaft, sie betreffen das (implizite) Wissen zu den kollektiv relevanten (regelhaften) Zusammenhängen. Dieses Wissen erscheint häufig relativ undifferenziert, mit präferenzorientierten Bewertungen und Einstellungen verbunden. Es findet nicht selten unreflektiert in Stereotypen und Klischees Ausdruck. (Konerding 2008, 123 f.)
Konerding (2008, 122) präsentiert Topoi / generische Prämissen als allgemeine Aussagen (mit einem Allquantor), z.B.: ‘Jeder, der auf Bermuda geboren wurde, ist britischer Staatsbürger’,
‘Beim Betreten eines Raumes begrüßt man dort anwesende Personen’ usw. Klein (2001, 1313) weist zudem darauf hin, dass in einem Gespräch Topoi oft als „generalisierte Normen“
formuliert werden: z.B.: ‘So wie man ist, ist man’. Im Einklang damit spricht Ottmers (1996, 90) in Bezug auf konventionalisierte Schlußverfahren von „normativen Prämissen“ wie
‘Gleiches Recht für alle’, „ethischen Präferenzregeln“ wie ‘Man soll dem Schwächeren helfen’
oder klischeehaften Gemeinplätzen wie ‘Dicke Menschen sind gemütlich’ (Ottmers 1996, 90).
Wichtig ist, dass Topoi in Form allgemeiner Prämissen im Diskurs zumeist nicht ausgesprochen werden: sie werden “interpretativ aus den sprachlich realisierten Bestandteilen der Argumentation erschlossen […].” (Wengeler 2003, 181).
Eggs (2000a, 398) unterscheidet drei Bereiche, auf die sich Argumente beziehen können: das Seiende, das Sein-Sollende und das Gute und das Schöne. Dementsprechend unterscheidet der Autor zwischen epistemischen, deontischen und ethisch-ästhetischen Argumenten, die sich auf ein Problem, das verallgemeinert als ‘Für oder gegen T?’ formuliert werden kann, beziehen.
Abb. 2. Topoi (nach Eggs 2000a, 398 f.; 2000b, 599 f.)
Problem: ‘Für oder gegen T?’
epistemische A deontische A ethisch-ästhetische A belegen/bestreiten anraten/abraten für gut/schlecht befinden epistemische A: T ist der Fall / T ist nicht der Fall
deontische A: Wir sollten T tun / Wir sollten T unterlassen ethisch-ästhetische A: T ist gut (schön) / T ist schlecht (hässlich)
52
Deontische und ethisch-ästhetische Argumente unterliegen dem ‘Präferenztopos’, einem
‘allgemeinen’ Topos, den Eggs (2000b, 604) in eine Reihe mit logisch stringenten Schlussregeln stellt. Den allgemeinen Präferenztopos formuliert Eggs (2000a, 405) folgenderweise: „Wenn eine Sache gut ist, erstreben wir sie, wenn sie schlecht ist, meiden wir sie.“ Die nach dem Prinzip des allgemeinen Präferenztopos fungierenden spezifischen Topoi bezeichnet er als ‘Bewertungen’, ‘Bewertungstopoi’ oder ‘Werttopoi’ (vgl. Eggs 2000a,b). Bei ethisch-ästhetischen Argumenten kann laut Eggs (2000a, 406) fast immer ein Gegentopos formuliert werden: ‘Das Alte ist gut’ vs. ‘Das Neue ist gut’. Wie ersichtlich wird, entsprechen die Bewertungstopoi den wertenden Einstellungen (s. Unterkapitel 1.5). Auf den Zusammenhang zwischen wertenden und deontischen Aussagen macht auch Arutjunova (1998, 130 f.) aufmerksam: Die Autorin weist darauf hin, dass in deontischen Theorien Werte (das Gute) traditionell als primär angesehen würden, während Soll-Konzepte von den Werten abgeleitet würden. Sie vertritt ferner die Meinung, dass man mit einer wertenden Aussage den Adressaten in irgendeiner Hinsicht beeinflussen möchte: sei es eine Entscheidung, die getroffen werden muss, sei es sein Verhalten usw. (vgl. Arutjunova 1998, 183). Auch Eggs (2000b, 603;
2001, 405) lässt in seinen Abhandlungen zu, dass aus einer generischen Bewertung bzw. einem spezifischen Werttopos und einem positiv/negativ zu bewertenden Sachverhalt eine deontische Konklusion erfolgen kann. Demnach können wertende Aussagen zu den Argumenten gezählt werden, die aus dem oben angeführten Präferenztopos abgeleitet werden. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang, dass wertende Prädikate wie ‘gut’ und ‘schlecht’ an sich nicht informativ sind. Sie verweisen auf das idealisierte Weltmodell des Sprechers, teilen aber dabei nicht mit, was genau unter ‘gut’ oder ‘schlecht’ zu verstehen sei.23 Laut Arutjunova (1998, 218) verfügen sie über eine starke ‘Valenz auf sinngemäße Erweiterung’. Die fehlenden Informationen werden dabei entweder aus der für die Sprecher gemeinsamen Kommunikationssituation oder aus den im Laufe der Diskussion erfolgten Explizierungen auf Seiten des Sprechers hergeleitet (ebd.).
Topoi stellen also einen ersten Schritt zur Verallgemeinerung und Überführung konkreter Situationen in ‘normale’ bzw. ‘Standardsituationen’ dar (vgl. Völzing 1979, 98). Werden sie vom Gesprächspartner angezweifelt oder gar bestritten, führt ihre Thematisierung und Problematisierung dazu, dass sie sich aus stillschweigend akzeptierten Gemeinplätzen oder Stereotypen zu ideologischen Inhalten (im Sinne von Vološinov (1975) und Ponzio (2004); s.
Unterkapitel 1.3) entwickeln. Völzing (1979, 14) betont in diesem Zusammenhang, dass man sich eines Phänomens (z.B. der Werte und Normen) erst dann bewusst werde, „wenn man es der Ebene der Selbstverständlichkeit entreißt, etwa indem man darüber nachdenkt, es problematisiert oder seine Berechtigung begründet“. Werden Normen und Werte in einem konkreten Kontext begründet oder ‘definiert’, handelt es sich nicht um eine Deskription, sondern um die Aufstellung von Normen und die Setzung von Prioritäten, was seinerseits den
23 In letzter Instanz werden Werte in Arutjunova (1998) im Gegensatz zu utilitaristisch geprägten Wertauffassungen auf ‘das höchste Gut’ (vysšee dobro) zurückgeführt: „Это высшее добро лингвистика определить не может. Она может лишь подтвердить, что употребление общеоценочных предикатов (хороший и хорошо, плохой и плохо) обусловлено отношением к идеализированной модели мира“
(Arutjunova 1998, 181). ‘Die Linguistik kann nicht bestimmen, was dieses höchste Gut ist. Sie kann nur bestätigen, dass die Verwendung wertender Prädikate (gut und schlecht) durch ihre Relation zum idealisierten Weltmodell bedingt ist.’
53
weiteren Diskussionsverlauf bestimmen kann (vgl. Völzing 1979, 128). Nur durch eine
„konsensfähige normative Setzung“ kann ein Problem argumentativ gelöst werden (ebd.).
Konsens wird erreicht, nachdem das Explizierte „intersubjektiv und normativ fixiert“ wurde (ebd.). Normen, die intersubjektiv geteilt werden, bedürfen in der Regel keiner Explikation. In den oben dargestellten Prozessen lassen sich die Konzepte der ideologischen Zeichen von Eco (1977; 1987) einerseits und Vološinov (1975) und Ponzio (2004) andererseits erkennen (s.
Unterkapitel 1.3): Die Zeichen, die zur Begründung oder Legitimierung einer Handlung dienen, fungieren in der Regel als gesellschaftlich anerkannte Normen und Stereotype, was dem ideologischen Konzept von Eco (1977; 1987) entspricht; werden diese im Diskurs problematisiert und sind umstritten, so werden sie zu ideologischen Zeichen im Sinne von Vološinov (1975) und Ponzio (2004). In einem Diskurs könnte dieser Prozess wie folgt aussehen: Ein strittiger Sachverhalt wird durch ein Argument gestützt, von dem angenommen wird, dass es eine anerkannte Meinung oder eine Norm darstelle. Dabei wird eine bestimmte Konklusion (d.h. der Interpretant) im Sinne von Peirce (s. oben), die die Zustimmung des Adressaten sichern soll, konstruiert und vorgegeben. Wird der vorgegebene Interpretant vom Interpreten nicht angenommen, führt dies zu einer Umwertung der Prämissen und somit zu einem neuen Argument.