6.2.5 Probleme bei den Sprachaufnahmen
Die Aufnahmen zur Umgangssprache von Halle wurden an unterschiedlichen Orten unter verschiede-nen Bedingungen aufgenommen und lassen sich damit in den Bereich der empirischen Feldforschung einordnen, bei dem unter natürlichen Untersuchungsbedingungen gearbeitet wird. Mit der Wahl des Aufnahmeortes verbinden sich einerseits Vorteile, andererseits aber auch Nachteile. Zugunsten der Natürlichkeit der Aufnahmen wurde in dieser Untersuchung auf feste Studioräumlichkeiten verzichtet, in denen die akustischen Bedingungen immer gleich sind. Die Tonaufnahmen sind teilweise an Orten mit großem Geräuschpegel mitgeschnitten, z. B. auf dem Markt (Hintergrundgeräusche beim Verkauf) oder in der Bibliothek (hallige Räume, Knallen bzw. Zuschlagen der Tür). Das hat wiederum Konse-quenzen auf die Wahl der Untersuchungsmethodik, da sich hier natürlich akustische Untersuchungen zur Lautstärke verbieten.
Ein weiterer Nachteil bei den Aufnahmen ohne festen Studioplatz und ohne einen zweite Person, die sich um die Technik kümmerte, bestand darin, dass häufig eine manuelle Regulierung oder Nachregu-lierung des Aufnahmepegels am tragbaren DAT-Recorder notwendig war, da die interviewte Person manchmal die Sitzposition und damit den Abstand zum Mikrofon änderte. Oft musste hier der Blick-kontakt von Seiten der Interviewerin und damit der Kontakt zum Kommunikationspartner (dem Inter-viewten) unterbrochen werden. An dieser Stelle entstanden Pausen in den Interviews und der Ge-sprächsfluss kam ins Stocken. Auf alle Fälle ist es immer günstiger, bei Aufnahmen in Form eines In-terviews eine zweite Person zur Seite zu haben, die die Technik bedient.
Weiterhin wurde erwartet, dass ältere Leute eher Probleme haben, vor dem Mikrofon zu sprechen als jüngere. Aber während der Aufnahmen entstand genau der umgekehrte subjektive Eindruck: Ältere Leute (Rentner) waren vor dem Mikrofon teilweise viel unbefangener als jüngere Personen (Schüler).
Dieser Umstand drückte sich z. B. in der Länge der Erzählpassagen und der Bereitschaft zum Berich-ten über das eigene Leben aus. Bei den jüngeren Probanden (speziell bei den Schülern) war es manchmal schwierig, den Gesprächsfluss aufrecht zu erhalten. Kennzeichnend waren hier besonders kurze und knappe Antworten auf Seiten der befragten Person und häufiges Fragen und Nachfragen auf der Seite der Interviewerin. Eine mögliche Erklärung ist hier z. B. der Ort, an dem die Aufnahme stattgefunden hat: Bei den Schülern war das meist die Schule, die auf alle Fälle auch ein Stück Offi-zialität vermittelt, unter der sich notwendigerweise auch die kommunikativen Verhaltensweisen ver-ändern. Hinzu kommt der Faktor, dass die Schüler häufig durch Vermittlerpersonen (in diesem Falle die Klassenlehrerin oder Deutschlehrerin) angesprochen wurden. Bei den älteren Leuten wurden die Aufnahmen im privaten Umfeld gemacht (entweder im eigenen Haus oder im eigenen Zimmer des Altersheimes), so dass hier das Maß an Privatheit größer war als bei den Aufnahmen im Rahmen der Institution Schule.
6.3 Arbeits- und Untersuchungsmethoden
6.3.2 Transkription
Die Transkription des Audiomaterials ist eine der wichtigsten Vorarbeiten, die für weitere Analysen geleistet werden muss. Aus diesem Grund wurde der Text zuerst orthografisch transkribiert (vgl. An-hang 06 a). Hierbei wurden alle Pausen, segmentale und suprasegmentale Besonderheiten der Auf-nahme außer Acht gelassen. Diese orthografischen Transkripte wurden den Hörern vorgelegt, die segmentale und suprasegmentale Merkmale am Material untersuchen sollten, um später die eigenen Analysen damit zu vergleichen.
In einem zweiten Schritt wurden die für die Hauptanalyse ausgewählten Texte in das Transkriptions-system GAT umgesetzt, das aber den Erfordernissen der Untersuchung teilweise angepasst wurde (vgl.
Anhang 05 und Anhang 06 b). Segmentale phonetische Auffälligkeiten wurden mit IPA transkribiert.
Für die genauere Analyse der Melodisierung und Akzentuierung wurde die Tonbruchnotierung von STOCK (1999 a) verwendet. Zur Analyse der suprasegmentalen Merkmale und der Akzentbeurteilung wurde eine eigene Skalierung in Anlehnung an die bereits erprobten Merkmalskategorien von BOSE (2003), BENKWITZ (2004) und KRANICH (2002) entwickelt (vgl. Kap. 6.3.2.1 und Tab. 68 im An-hang 05). Die Transkription und Analyse der Sounddateien wurden mit Hilfe des Wave-Editors Sound-Forge und des Soundverarbeitungsprogramms PRAAT durchgeführt.
6.3.2.1 Transkription segmentaler Merkmale
Für die Transkription der segmentalen Merkmale der Umgangssprache von Halle wurde das Zei-cheninventar der IPA (Stand 1996) verwendet. Es muss darauf verwiesen werden, dass der Transkri-bient nicht objektiv in der Lage ist, das Gesprochene in einer phonetischen Transkription darzustellen.
Trotzdem die Transkriptionsschrift IPA eine Lautschrift ist, die die auditiven Beobachtungen mög-lichst genau wiedergeben bzw. verschriftlichen soll, ist zu berücksichtigen, dass verschiedene Ein-flüsse auf Transkribientenseite (z. B. die individuellen Hörgewohnheiten des Trankribierenden) einen Einfluss auf das Transkriptionsresultat ausüben können. Diesem Effekt kann durch das Arbeiten und Abhören in Hörergruppen entgegengewirkt werden, indem man eine fundierte Hörbasis schafft. Wei-terhin ist zu bemerken, dass eine phonetische Transkription nur den Versuch darstellen kann, be-stimmte lautliche Merkmale (lautliche Qualitäten und Quantitäten) mittels des Zeicheninventars in schriftlicher Form darzustellen.
Allgemein werden bei der Transkription zwei Ebenen unterschieden: die „breite“, „weite“ oder „pho-nematische“ Transkription, mit der bedeutungsdifferenzierende, globale Lautkategorien eines Textes notiert werden, und die „enge“ oder auch „impressionistische“ Transkription, mit der phonetische De-tails einer tatsächlich vorliegenden Äußerung festgehalten werden (vgl. POMPINO-MARSCHALL 2003, 267; GLÜCK 2000, 746). Das weit verbreiteste Transkriptionssystem ist das Internationale Phonetische Alphabet (IPA), eine Sammlung phonetischer Zeichen, die es ermöglichen soll, die Laute aller menschlicher Sprachen zu beschreiben.
Aufgrund der allgemeinen Verbreitung des IPA als Transkriptionssystem in der Phonetik und damit auch der Lesbarkeit phonetischer Informationen wurde als Transkriptionssystem das IPA-Alphabeth für die vorliegende phonetische Untersuchung verwendet. Bei der Analyse des Sprachmaterials wur-den die segmentalen Eigenschaften der Umgangssprache von Halle in enger Transkription (vgl. Tran-skriptionsbeispiele im Anhang 06 b) ausgefertigt und unter dem Transkript nach GAT notiert.
6.3.2.2 Transkription suprasegmentaler Merkmale
Die suprasegmentalen Merkmale der Umgangssprache von Halle wurden vorwiegend auditiv unter-sucht. Das betrifft vor allem Dehnungen und Kürzungen der Akzente. Zur Untersuchung der Akzente wurde über dem orthografischen Text die Akzentstärke (0 = unbetont, 1 = leicht betont, 2 = stark be-tont, 3 = sehr stark betont) markiert. Unbetonte Silben wurden nicht gekennzeichnet. Weiterhin wur-den unter dem Akzent die subjektiv empfunwur-dene Abstufung der Akzentuierungsmittel auf einer Skala von 1-5 (0 heißt: Merkmal nicht vorhanden) notiert:
z Dehnung (D): 0 =nicht gedehnt, 1 = sehr schwach, 2 = schwach, 3= mittel, 4 = stark, 5 = sehr stark
z Melodiesprung/Melodiebewegung (M): 0= kein Melodiesprung, 1 = sehr klein, 2= klein, 3 = mit-tel, 4 = groß, 5 = sehr groß
z Lautstärke (L): 0 = keine Lautstärkesteigerung, 1 = sehr schwach, 2 = schwach, 3= mittel, 4 = stark, 5 = sehr stark
Dabei wurden die Hauptmelodieverläufe mit der Tonbruchnotierung nach STOCK (1999 a) gekenn-zeichnet.
6.3.3 Zur Frage der akustischen und auditiven Analysemethodik
Die zentrale Frage bei der Auswertung und Transkription des Untersuchungsmaterials besteht in der Wahl der Methode. Einige Vertreter sprechen sich für die rein auditive Methodik aus, andere für die rein akustische Analysemethodik, wieder andere befürworten die Verbindung der beiden Methoden zur auditiv-akustischen oder computergestützten Analysemethodik. Im Folgenden sollen Vor- und Nachteile der Methoden angerissen und diskutiert sowie Schlüsse für die vorliegende Arbeit gezogen werden, aus denen sich die hier angewendete Arbeitsmethodik ergibt. LINDNER (1981, 34 ff.) setzt insbesondere die Beobachtung und das Experiment als Forschungsmethoden der Phonetik in den Mit-telpunkt seiner Betrachtungen. Die Beobachtung ist somit eine grundlegende phonetische For-schungsmethode, denn „das Wissen, das als Kernstück der Phonetik traditionsgemäß überliefert wird und das im Grunde seine Lehrbarkeit und Anwendbarkeit in der Praxis bewiesen hat, ist zum großen Teil als Ergebnis von Beobachtungen gewonnen worden“ (LINDNER 1981, 34-35).
BOSE (2003, 90) geht mit Verweis auf die sprechwissenschaftlichen Arbeiten von KRECH / RICH-TER / STOCK / SUTTNER (1991), STOCK (1993) und NEUBER (2002) davon aus, dass in der mündlichen Kommunikation polyrelationale Form-Funktions-Verhältnisse bestehen. Das trifft auch für das vorliegende Korpus der Umgangssprache von Halle zu. Auch hier werden für bestimmte Funktionen verschiedenste phonetische Mittel angewendet, die unterschiedlich kombiniert werden.
BOSE (2003, 91) formuliert das Problem folgendermaßen: „Ein perzeptorisches Einordnen der gehör-ten Phänomene in bestimmte Muster ist relativ gut möglich, aber auf der Merkmalsebene dürfgehör-ten so-wohl auditiv als auch messphonetisch kaum konstante Verwendungen oder Kombinationen nachzu-weisen sein.“ Eine grundlegende Frage, die sich für die Untersuchung der phonetischen Merkmale der Umgangssprache von Halle stellt, ist die Wahl der Untersuchungsmethoden. Hinsichtlich der betref-fenden Fragestellung bietet sich für die Untersuchung phonetischer Merkmale eine breite Auswahl an Untersuchungsmethoden an, die auf die entsprechende Untersuchungsaufgabe zugeschnitten werden müssen.
6.3.3.1 Auditive Analysemethode
Die so genannte Ohrenphonetik wird in der Literatur auch als „kategoriales Hören“ (NEPPERT 1999, 274), „analytisches Hören“ (VIEREGGE 1996, 1) oder „funktionelles Hören“ (KRECH 1960, 125) bezeichnet. Die auditive Analysemethode baut auf der Fertigkeit des Gehörs auf, gesprochene Sprache
„segmental und suprasegmental mit Hilfe von Beurteilung, Skalierung und Transkription in Merkmale und Merkmalskomplexe zu zerlegen“ (VIEREGGE 1996, 1). Die auditive Beurteilung phonetischer Merkmale ist als sprechwissenschaftliche Untersuchungsmethodik lang erprobt (vgl. BOSE 2003, 93).
Hinsichtlich der Entscheidung, ob für die Untersuchung phonetischer Merkmale auditive oder akusti-sche Analysemethoden verwendet werden sollen, schreibt LINDNER (1969, 27-28): „Manches Pro-blem, das unter dem eingeengten Blickpunkt der reinen Lautphysiologie zu unlösbaren
Fragestellun-gen führt, [...] wird, wenn man es von der Seite des Partners, letztlich also der auditiven Beurteilung aus, aufgreift, auf eine andere Fragestellung geführt und damit einer Lösung näher gebracht; denn es erscheint vom realen Kommunikationsakt aus betrachtet, nicht notwendig, andere und genauere Un-terscheidungskriterien zu verwenden als sie der Hörer verwendet, der das akustische Signal entziffert und versteht.“ In diesem Sinne soll auch in der vorliegenden Untersuchung bei der Analyse des auf-genommen Interviewmaterials vorgegangen werden. Der Transkribient, in diesem Fall ein phonetisch ausgebildeter Hörer, prüft die Aufnahmen zur Umgangssprache von Halle auf eben diese Unterschei-dungskriterien auf segmentaler und suprasegmentaler Ebene, die die Umgangssprache von Halle als regional markieren und damit im Vergleich zur deutschen Standardaussprache bzw. zu anderen Um-gangssprachen als „besonders klingend“ hervorheben. Es sollen eben diese Merkmale geprüft werden, die die Umgangssprache von Halle auf Hörerseite ebenfalls als „typisch hallisch“ klingen lassen.
Der rein auditiven Analysemethodik wird ein hohes Maß an Subjektivität nachgesagt und auch häufig kritisiert, da die Qualität der Untersuchungen von Wahrnehmungsselektion, kategorialen Erwartungen, Aufmerksamkeitsschwankungen des Forschers abhängig ist und die Ergebnisse dadurch z. B. bei phonetischen Transkriptionen und anderen phonetischen Analysen auf der segmentalen und supra-segmentalen Ebene verfälscht werden können (vgl. STOCK 1999 c, 57).
In verschiedenen Untersuchungen wird beschrieben, dass die Beurteilung einzelner auditiver Parame-ter sich zum Teil problematisch gestaltet, da das Sprachsignal „komplex“ als perzeptorischer Gesamt-eindruck auftritt. Die Intonation wird in der normalen Kommunikation im Hinblick auf die Spreche-rintonation inhaltsbezogen verarbeitet, allerdings muss der Hörer in der auditiven Beobachtung oder im Experiment formbezogen vorgehen und partiell phonetisch transkribieren. Diese Hörweise fällt auch Phonetikern teilweise schwer, die aus dem komplexen Hörsignal einzelne Signaleigenschaften auditiv erfassen sollen (vgl. STOCK 1996 a, 217). Bei der Arbeit mit den Kontrollhörern trat diese Schwierigkeit in Erscheinung. Bei Akzentbeurteilungen nach den Akzentuierungsmitteln Lautstärke, Melodisierung und Dehnung fiel es den Hörern teilweise schwer, sich auf ein einzelnes suprasegmen-tales Mittel zu konzentrieren. Ähnliche Erfahrungen berichtet BENKWITZ (2004, 80) mit ihren Kon-trollhörern. Meine Erfahrungswerte bei der Arbeit mit auditiven Analysemethoden ähneln insgesamt denen von BENKWITZ (2004, 80). Sie ist der Überzeugung, dass die Fähigkeit, einzelne Signalei-genschaften auditiv aus dem komplexen Höreindruck zu sondieren, trainiert werden kann. Ähnliche Beobachtungen ergaben sich bei meiner Arbeit mit Studenten der Sprechwissenschaft und Phonetik, die anfangs über große Schwierigkeiten bei der Beurteilung einzelner auditiver Parameter bei der Be-stimmung von Akzentuierungsmitteln in der Umgangssprache von Halle klagten, dann aber im Laufe der Untersuchungen ihre Urteile hinsichtlich der Ausprägung der Akzentuierungsmittel (Lautheit, Dehnung, Melodie) sicherer fällten. Die Objektivierung der Untersuchungsergebnisse kann durch mehrmaliges Abhören in zeitlichem Abstand (und Vergleich der Ergebnisse) mittels mehrerer Hörer erfolgen, die die Ergebnisse diskutieren, prüfen und dokumentieren (vgl. STOCK 1999 c, 57; BOSE 2003, 92; u. a. NEUBER 2002; BENKWITZ 2004).
Verschiedene Autoren, die auditive Verfahren für die Untersuchung phonetischer Merkmale empfeh-len, fordern die Stützung der auditiver Daten durch signalphonetische (akustische) Messungen (vgl.
BOSE 2003, 93; STOCK 1999 c, 55). STOCK (1999 c, 55) verlangt für die Untersuchung phoneti-scher Fragestellungen in der Sprechwissenschaft „stets eine signalphonetische, die akustische Struktur abbildende Analyse [...]. In der weiterhin naturwissenschaftlich arbeitenden Phonetik sind solche Analysen die notwendige Grundlage – sie werden von niemandem in Zweifel gezogen. Gemessene Daten sind als solche nur von der Art des Meßvorganges abhängig, dessen Einfluß aber in der Regel abgeschätzt werden kann. Sie sind folglich 'objektiver' als anderweitig gesammelte Daten; ihre Kate-gorisierung und Interpretation ist gleichwohl ein Problem.“
GREISBACH (2001, 52) bezieht die Subjektivität auditiver Beurteilungen auf zwei Aspekte, „die Übereinstimmung des Ergebnisses bei einer Wiederholung der Transkription – sei es durch die gleiche oder eine andere Person – d. h. die Reliabilität, und auf die Richtigkeit des Transkriptes, d. h. die Va-lidität“.
6.3.3.2 Akustische Analysemethode
Bei GREISBACH (2001) werden hinsichtlich der Beobachtung und Messung akustischer Signale zwei Untersuchungsmethoden voneinander unterschieden, auf die ich im Einzelnen näher eingehen möchte, da sie im Einzelfall für die vorliegende Arbeit relevant sind. An erster Stelle soll es um die „akustische Beurteilung“ (vgl. GREISBACH 2001, 53 f.), an zweiter Stelle um die „akustische Messung“ – eben-falls im Sinne von GREISBACH (2001, 54 ff.) gehen.
Akustische Beurteilung
Die akustische Beurteilung „beruht auf der einfachen Inspektion der Visualisierungsform des akusti-schen Signals“, z. B. Oszillogramm, Spektrogramm, Sonagramm, F0-Kurve usw. (vgl. GREISBACH 2001, 53). Hierbei werden die qualitativen Kriterien für die Klassifikation „subjektiv“ durch visuelle Inspektion geprüft (es wird kein quantitativer Wert ausgemessen). Diese Untersuchungsmethodik kann für eine Vielzahl von zu untersuchenden Kriterien angewendet werden (z. B. Stimmhaftigkeit/Stimm-losigkeit eines Lautes, Behauchung/Nichtbehauchung eines Lautes, Verschluss eines Lautes vorhan-den oder nicht vorhanvorhan-den). Sie findet vor allem Einsatz in der „computergestützen auditiven Tran-skription“ (vgl. GREISBACH 2001, 53; auch STOCK 1999 c, 55; BOSE 2003, 93).
Akustische Messungen
Unter akustischen Messungen werden „Messungen von Eigenschaften“ der gesprochenen Sprache „in physikalischen Einheiten“ (GREISBACH 2001, 55) verstanden, z. B. Grundfrequenz (F0) in Hz, In-tensität in dB, Dauer in ms. Zur Begründung der auftretenden Abweichungen zwischen auditivem Ur-teil und akustischer Messung lassen sich verschiedene Argumente finden (vgl. NEUBER 2001, 103 f., BENKWITZ 2004, 78):
(1) Die signalphonetische Messung akustischer Daten erfolgt nach einzelnen Parametern getrennt, die auditive Wahrnehmung dagegen ist immer komplex bzw. gesamtheitlich.
(2) Signalphonetische Messungen sind formorientiert, Sprachwahrnehmung ist funktionsbezogen.
(3) Ergebnisse signalphonetischer Messungen präsentieren sich durch die Umwandlung in Bild- oder Zahlendaten immer künstlich (artifiziell), Ergebnisse auditiver Wahrnehmung sind nicht artifi-ziell.
6.3.4 Fazit für die eigenen Untersuchungen
Die Frage nach der geeigneten Untersuchungsmethodik ist vor jeder Forschungsaufgabe neu zu stel-len. Für die Bestimmung der phonetischen Merkmale der Umgangssprache von Halle wurden im ers-ten Untersuchungsschritt auditive Analysen von einzelnen phonetisch geschulers-ten Personen (Sprech-wissenschaftlern und Phonetikern der Martin-Luther-Universität Halle und der Friedrich-Schiller-Universität Jena) durchgeführt. Die Einzeluntersuchungen wurden verglichen, Problemfälle diskutiert und in Hörergruppen wiederholt abgehört. Weiterhin wurden verschiedene auditive Analysen von Studentinnen der Sprechwissenschaft des zweiten und dritten Studienjahres hinsichtlich segmentaler und suprasegmentaler Merkmale durchgeführt, miteinander verglichen und diskutiert. Alle in die Un-tersuchungen eingeflossenen auditiven Belege wurden einer akustischen Beurteilung im Sinne von GREISBACH (2001, 53) unterzogen. Generell wurde folgende Vorgehensweise eingehalten:
(1) Die Transkriptionen wurden in mehreren Untersuchungsläufen mit einem zeitlichen Abstand von mindestens einem Monat durchgeführt, um bereits auditiv beurteilte Textausschnitte nochmals zu überprüfen. Bei Unstimmigkeiten wurde eine zweite Person herangezogen.
(2) Die Transkriptionen wurden stichprobenartig durch mehrere Kontrollhörer bestätigt.
(3) Zur Beurteilung auditiver Analysen (vgl. oben; u. a. auch GREISBACH 2001, 53) wurden u. a.
visualisierte Darstellungsformen wie Oszillogramm, Spektrogramm, Sonagramm, F0-Verlauf für akustische Parameter herangezogen und im Zweifelsfall ausgemessen.