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6 Die Erwerbsarbeit im Spiegel des demografischen Wandels

6.2 Auswirkungen des demografischen Wandels

6.2.1 Das Alter als Chance sehen

Schon gegenwärtig ergeben sich für Unternehmen Probleme in der Be-schaffung von qualifiziertem Nachwuchs. Auch die erleichterte Zuwande-rung von ausländischen Arbeitskräften (z. B. im Rahmen der Green-Card) stellt keine langfristige Lösung dar. Zur Sicherung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit wird zukünftig stärker auf ältere Arbeitskräfte zurück-gegriffen werden müssen. Leider hat sich diese Erkenntnis in den deutschen Unternehmen noch nicht allgemein durchgesetzt. Die Möglichkeit der früh-zeitigen Ausgliederung Älterer ist noch weit verbreitet.

Nur 39 Prozent der 54- bis 65-Jährigen befinden sich in Deutschland in ei-nem Arbeitsverhältnis. Ohne Berücksichtigung der Frühverrentungen macht diese Altersgruppe 21 Prozent der Arbeitslosenquote (Stand 2001) aus. Die Mehrheit dieser Kohorte ist langzeitarbeitslos und weitestgehend chancen-los am Arbeitsmarkt.

Angesichts dieses Paradoxons stellt sich die Frage, wie bei einem erkenn-baren und drohenden Fachkräftemangel die Integration auch älterer Ar-beitskräfte in den Arbeitsmarkt verbessert werden kann. Die Arbeitsverwal-tung jedenfalls versucht mit Förderinstrumenten und Anreizmechanismen (z. B. Eingliederungshilfen), wie etwa durch die Initiative „50 plus – die kön-nen es“, die Integration der über 50-jährigen Arbeitslosen in den Arbeits-markt zu fördern. .

Das von der Bundesagentur für Arbeit (BA) umgesetzte Altersteilzeitgesetz sollte die Möglichkeit bieten, ab dem 55. Lebensjahr die Arbeitszeit zu hal-bieren und dafür Arbeitslose und Ausgebildete einzustellen. Dieses Gesetz wurde jedoch kritisiert, da es statt der Eingliederung Älterer in den Arbeits-markt die Frühverrentungspraxis der Unternehmen förderte. Vor allem Großkonzerne, wie z. B. Volkswagen, Deutsche Telekom, nutzen dieses Gesetz zur Verjüngung ihrer Belegschaft. Die Bertelsmann-Stiftung stellte hierzu in einem „Standort-Check“ fest, dass Deutschland im internationalen Vergleich in der Frage der Integration Älterer in den Arbeitsmarkt hinterher

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hinkt. Der Anteil der Erwerbslosen unter den 55- bis 64-Jährigen ist mehr als zweieinhalb Mal so hoch wie im Durchschnitt von 20 anderen großen Indust-riestaaten. „Die Quote liegt in Deutschland bei 11,3 Prozent, in den anderen Ländern dagegen im Schnitt bei 4,4 Prozent. Zugleich sind hierzulande demnach nur 44,2 Prozent der Älteren erwerbstätig, also nicht einmal jeder Zweite.“21

Der demografische Umbruch ist also nicht erst ein Problem von morgen, sondern bereits jetzt ein laufender Prozess. Dieser wird den Anteil der über 55-jährigen von1993 bis1998 um 22 Prozent steigen lassen. Hieraus folgt, dass sich in bestimmten Branchen wegen der extensiven Frühverrentungen in Verbindung mit Einstellungsstopps und fehlender altersbedingter Fluktua-tion eine gestauchte Alterspyramide bildet.22

Bemerkenswert ist somit, dass offensichtlich das „Problem“ der Beschäfti-gung älterer Arbeitnehmer weniger wegen der Kosten oder der starren Kün-digungsschutzregelungen begründet ist. Vielmehr scheint sich bei den Un-ternehmen die Vorstellung eines „Defizitmodells“ in Bezug auf ältere Arbeit-nehmer verfestigt zu haben. Nämlich, dass Ältere durchgängig als weniger leistungs-, innovations- und lernfähig beurteilt werden.

Diese Sichtweise lässt das bei älteren Arbeitnehmern vorhandene Erfah-rungswissen und das berufliche Know-how außer Ansatz. Im Verlaufe eines Erwerbslebens verändern sich die Kompetenzen und Qualifikationen der Beschäftigten. Die nachlassende physische Belastungsfähigkeit wird durch andere Stärken und Vorteile, wie z. B. Beharrlichkeit, Betriebstreue, Lernbe-reitschaft, Verantwortungsbewusstsein usw. (sowie durch den technischen Fortschritt), kompensiert. Dieser Kompensierungseffekt beeinflusst maßgeb-lich die Arbeitsbedingungen. Es kommt zu einer Belastungsverschiebung weg von der physischen und hin zur psychischen Beanspruchung. Vor al-lem die Niedrigqualifizierten und die Gesundheitsgeschädigten sind häufiger von der Externalisierung (z. B. Outsourcing) und somit von Arbeitslosigkeit betroffen.

In fast allen Branchen findet sich das System einer begrenzten Tätigkeits-dauer, d. h. eine Beschäftigung an Arbeitsplätzen, auf denen man „nicht alt werden kann“. Mangels fehlender so genannte Schonarbeitsplätze, die häu-fig Opfer der Rationalisierung wurden, verschlechterte sich die

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gungssituation. Problemverschärfend wirkt sich die betriebliche Praxis der langfristigen Verweildauer in gleichen Tätigkeiten aus. Das Veraltern der be-ruflichen Qualifikation, die sinkende Flexibilität, die nachlassende Innovati-onsfähigkeit und die Lernentwöhnung sind Folgen einer „falschen“ betriebli-chen Personalpolitik. Das heißt: Zum älteren Arbeitnehmer wird man im Ver-laufe der Berufsbiographie „gemacht“.

Die Folgen sind in ihrer graduellen Ausprägung nicht für alle Arbeitnehmer gleich, sondern auch ein Ergebnis des formalen Bildungsniveaus und der steigenden Expositionsdauer unter belasteten Arbeitsbedingungen: Die Weichenstellung muss daher in der Arbeitswelt, in den Unternehmen, erfol-gen. Primär ist daher neben der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik auch die betriebliche Personalpolitik gefordert. Da das betriebliche Rekrutierungsver-halten nach wie vor stark jugendorientiert ausgerichtet ist, kommen auf den Älteren nicht nur fachliche, sondern vertrauensbildende Fähigkeiten zu. In-zwischen widerlegte die Forschung die Vorurteile über eine geminderte Leistungsfähigkeit Älterer.23

Die Equéte-Kommission Demografischer Wandel stellte 1998 dazu fest, dass die Belegschaften der Zukunft älter und vor allem „anders strukturiert (u. a. mehr weibliche und mehr ausländische Arbeitskräfte)“ sein werden.

Für den Arbeitsmarkt und die Personalentwicklungspolitik erwächst daraus die Notwendigkeit, sich stärker auf die spezifischen Präferenzen und Be-dürfnisse der verschiedenen Beschäftigungsgruppen einzustellen.

Einen besonderen Handlungsbedarf sieht die Kommission in einer Intensi-vierung der Bildungs- und der beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen für Frauen, Ältere, Behinderte und bereits hier lebende Ausländer/innen.24

Zur Überwindung der Altersdiskriminierung stellt der Schlussbericht fest:

„Bei vielen älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern tritt eine Häufung von Benachteiligungen auf. Es gilt, die jahrzehntelang geförderte und prakti-zierte Altersdiskriminierung in den Betrieben und auf dem Arbeitsmarkt zu überwinden. […] Von daher müssen auch zukünftig unterschiedliche (Anm.:

für Beschäftigte in gesundheitlich belasteten Tätigkeiten) Optionen des Aus-scheidens aus dem Erwerbsleben in sozial akzeptabler Weise zur Verfü-gung gestellt werden. Zukünftige Altersgrenzenregelungen müssen diesen unterschiedlichen Bedarfslagen Rechnung tragen. Dies gilt auch für die bis-lang praktizierten pauschalen Kürzungen von Frührenten“.25

Es liegt auch an den von der demografischen Herausforderung Betroffenen, durch Artikulation von Gestaltungsoptionen u. U. auch durch Einbezug der

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Mitarbeitervertretungen einen alterstrukturellen Wandel der Belegschaften zu erwirken.

Hierzu zählen insbesondere folgende Handlungsfelder:

Ð eine altersgerechte Arbeitsgestaltung und betriebliche Gesundheitsprä-vention zur Verlängerung der beruflichen Verweildauer,

Ð eine permanente Aktualisierung der Wissensbasis und ein lebenslanges Lernen im Unternehmen. Neues Wissen sollte nicht ausschließlich über den „Einkauf“ jüngerer Nachwuchskräfte integriert werden. Auch ökono-misch gewinnt die betriebliche Weiterbildung zunehmend an Bedeutung.

Der ältere Mitarbeiter muss die Bereitschaft zur ständigen Weiter- und Fortbildung erbringen.

Ð Eine systematische Förderung der Kompetenz und Flexibilität durch eine begleitende betriebliche Laufbahngestaltung und die Vermeidung von zu einseitiger Spezialisierung,

Ð Begünstigung des Wissenstransfers zwischen den betrieblichen Alters-gruppen und dessen Förderung durch die Implementierung altersgerech-ter Arbeitsgruppen,

Ð Aufbau der präventiven Gesundheitsförderung und Auswertung des be-trieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes.

Mit den aufgeführten Schwerpunkten der betrieblichen Personal- und Orga-nisationsentwicklung würden die Voraussetzungen geschaffen, die eine In-novationsbereitschaft in Unternehmen mit alternden Belegschaften fördern.

Die Innovationsfähigkeit ist nicht altersabhängig, sondern ist ein „Produkt“, welches durch das Arbeitsumfeld im Laufe eines Erwerbslebens „geprägt“

wird.

Stefanie Weimer und Kollegen weisen exemplarisch auf Unternehmen hin, die in Märkten mit dynamischer Wissensbasis und hohem Innovationstempo auch mit älteren Belegschaften erfolgreich tätig sind. Einige der traditionel-len deutschen Industriezweige (wie z. B. der Maschinenbau) stützen ihre in-ternationalen Erfolge auf ein erfahrungsbasiertes „Innovationsmilieu“ durch die Kooperation und den Wissensaustausch zwischen älteren, erfahrenen und den mit frischem Fachwissen ausgestatteten jüngeren Mitarbeitern.26

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