• Keine Ergebnisse gefunden

4 Diskussion

4.2 Aktuelle Studienlage

4.2.1 Publikationen vergangener Jahre zum Thema Wirkung der manuellen Lymphdrainage

Zum Thema der Wirksamkeit der manuellen Lymphdrainage im Hinblick auf die Schwel-lungsreduktion existieren zahlreiche mehr- oder minderqualitative Studien. Einige davon möchte ich im Folgenden aufgreifen, um die Komplexität und Probleme der Forschung zum Thema aufzuzeigen.

Boris et al. publizierten 1994 eine Studie mit 38 Patienten, die einen Monat lang komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE) erhielten. Die Autoren konnten signifikante Re-duktionen der Schwellungen der oberen Extremitäten von 73% und 88% bei Patienten mit Ödem der unteren Extremitäten nachweisen (Boris et al. 1994).

Andere Autoren (Majewski-Schrage und Snyder 2016) betrachteten anhand von drei Stu-dien das Thema der MLD kritisch. Kessler et al. bestätigten mittels einer RCT mit 22 Pati-enten, dass die zusätzliche Durchführung der MLD zur postoperativen Standard-Physiotherapie (aktive und passive Bewegungstherapie, Thrombose-Prophylaxe) täglich nach Operationen am Fuß, einen signifikanten Vorteil in Bezug auf die Volumenreduktion der Extremität am Tag der Entlassung brachte (Kessler et al. 2003). Auch Ebert et al. un-tersuchten den Effekt der Lymphdrainage in der frühen postoperativen Phase bei 24 Pati-enten nach Knie-TEP (Kontrollgruppe ohne MLD mit 26 PatiPati-enten) bei täglicher Durch-führung von 30 Minuten. Eine signifikant höhere Schwellungsreduktion konnten sie an keinem Messpunkt im Vergleich zur Kontrollgruppe feststellen, allerdings eine bessere aktive Kniebeugefähigkeit bereits vier Tage postoperativ (Ebert et al. 2013). In der dritten Studie – die zum Vergleich herangezogen wurde (Knygsand-Roenhoej und Maribo 2011) – sollte die Effektivität einer speziellen Lymphdrainage bei Patienten mit subakutem Ödem des Armes nach distalen Radiusfrakturen bewertet werden. Dazu wurden 29 Patienten (14

in Behandlungsgruppe, 15 in Kontrollgruppe) vier Wochen lang dreimal pro Woche, da-nach zwei Wochen lang zweimal pro Woche, einer speziellen MLD Technik unterzogen.

Die postoperativen Physiotherapiemaßnahmen im Sinne von Kompression, Hochlagerung und aktiven Kräftigungs- und Funktionsübungen erhielten alle Patienten. Ein signifikanter Effekt der MLD auf die Schwellungsreduktion konnte auch hier nicht bestätigt werden.

Nach neun Wochen gab es lediglich einen statistischen Hinweis, dass die Ödeme der Be-handlungsgruppe geringer waren als die der Kontrollgruppe. Nach drei Wochen konnten die Patienten mit MLD Alltagsaufgaben besser erfüllen. Die drei Studien, die Majewski-Schrage und Snyder hier zurate zogen, betrachteten völlig unterschiedliche Patienten-Gruppen nach diversen Traumen und Operationen, sogar die Zeiträume und -punkte der Behandlungen überschnitten sich nicht. Trotzdem stimmten die Verfasser mit Erkenntnis-sen vorheriger Autoren (Vairo et al. 2009) überein, dass die MLD einen positiven Effekt auf die Schmerz- und Ödemreduktion nach muskuloskelettalen Verletzungen und darauf-folgenden Operationen habe. Darüber hinaus äußerten die Autoren, das bisherige postope-rative Therapiemanagement RICE (= rest [Ruhe], ice [Eis], compression [Kompression], eleva-tion [Hochlagerung]) sei veraltet und neige dazu, Lymphgefäße gar zu okkludieren und so-mit den Abtransport von Flüssigkeit zu verhindern (Majewski-Schrage und Snyder 2016).

MLD sollte also unbedingt als postoperative Standardtherapie angewendet werden, um das Lymphgefäßsystem zu aktivieren und das Outcome der Patienten in Bezug auf Schwellung und Funktion zu verbessern. Auch Vairo et al. erkannten diese Notwendigkeit bereits im Jahr 2009 und erstellten aus diesem Grund einen Überblick über Publikationen zum The-ma MLD aus den Jahren 1998 bis 2008, um deren Evidenz zu diskutieren (Vairo et al.

2009). Zwar gab es mehr als 100 Artikel zum Thema MLD, aber nur neun relevante zum Thema Wirksamkeit der MLD, die die Einschlusskriterien der Autoren (RCT, Kohorten-studie, Fallstudie oder innovatives Tierexperiment, Patienten mit diagnostizierter musku-loskelettaler Verletzung, vertrauenswürdige bewährte Messmethoden) erfüllten. Unter an-derem konnte im Tiermodell eine erhöhte Aufnahme von Flüssigkeit aus dem Gewebe (Dery et al. 2000) bzw. ein vermehrter Lymphfluss im Ductus thoracicus durch manipulative Intervention im Sinne lymphatischer Pumptechniken nachgewiesen werden (Knott et al.

2005; Hodge et al. 2007). Theoretische Konzepte der MLD wurden damit bestätigt. Wei-terführend galt die Übertragung auf den Menschen, um die Wirksamkeit der MLD kritisch zu bewerten (Vairo et al. 2009). Dazu zeigte eine RCT mit 55 Patienten mit akuten Knö-chelverletzungen (Eisenhart et al. 2003) – davon 28 Patienten in der Behandlungsgruppe – einen signifikanten Einfluss einer einzigen maximal zwanzigminütigen Behandlung mit spezifischen osteopathisch-manipulativen Techniken (OMT), die auch Lymphdrainage-techniken einschlossen.

Eine andere Publikation untersuchte den Einfluss der Lymphdrainage nach Vodder auf 26 Patienten mit distalen Radiusfrakturen. Alle erhielten einen Fixateur externe. Die Behand-lungsgruppe mit zwölf Patienten bekam zusätzlich zur postoperativen Standardtherapie zehn 45-minütige Lymphdrainage Behandlungen über einen Zeitraum von durchschnittlich

sechs Wochen. Am ersten Messpunkt – nach durchschnittlich sechs MLD-Sitzungen – und am zweiten Messpunkt zeigten sich bei den Volumenmessungen signifikante Unterschiede in der Ausprägung der Ödeme der Kontroll- und Behandlungsgruppe. Die Autoren schlussfolgerten einen positiven Effekt der MLD auf die postoperative Schwellung nach Radiusfrakturen. Sie waren der Meinung, MLD ersetze keinesfalls die Standardtherapie, sollte aber bei Patienten mit besonders ausgeprägten persistierenden Schwellungen als zu-sätzliche Maßnahme in Betracht gezogen werden (Härén et al. 2000).

Die Schlussfolgerung mehrerer Autoren (Boris et al. 1994; Weiss 1998; Härén et al. 2000;

Eisenhart et al. 2003; Vairo et al. 2009; Majewski-Schrage und Snyder 2016), dass eine Kombination an abschwellenden Maßnahmen am effektivsten sei, erscheint sehr sinnvoll.

In allen genannten Studien war eine postoperative Standardtherapie unverzichtbar. Die Kombination der Maßnahmen verbesserte das postoperative Outcome der Patienten in Bezug auf Schwellung, Funktion und Schmerz.

4.2.2 Publikationen zur Wirkung von PhysioTouchâ

Bisherige Ergebnisse der Forschung mit PhysioTouchâ bzw. LymphaTouchâ resultierten größtenteils aus Fallstudien eines Patienten und den Publikationen finnischer Autoren.

Hauptsächlich wurden Patienten mit Lymphödem, resultierend durch Mammakarzinom mit Lymphknotenentfernung, therapiert. Studien an unfallchirurgischen Patienten mit postoperativen bzw. posttraumatischen Ödemen waren auch nach intensiver PubMed Centralâ-Recherche nicht auffindbar.

Zwei verschiedene Studien am Unterarm derselben gesunden Patienten betrachteten die Effekte der Unterdrucktherapie auf das Gewebe näher. Interessanterweise bezogen sich diese Studien auf die diagnostischen Möglichkeiten des PT-Gerätes. Durch einen integrier-ten Infrarot-Lichtsensor im PT-Aufsatz wurde die mechanische Antwort des Gewebes als Verformung der Haut durch den Unterdruck gemessen. Dies passierte an ödematösen Un-terarmen, herbeigeführt durch venöse Okklusion. Zuvor erfolgten selbige Messungen an den ruhenden Unterarmen (Iivarinen et al. 2013). Basierend auf diesen Daten und mithilfe gewonnener geometrischer Dimensionen aus der Quantitativen Computertomographie konstruierten die Wissenschaftler vereinfachte 3D-Modelle, fibril-reinforced hyperelastic finite element (FE) model, des Unterarms. Aus diesen zogen sie Rückschlüsse auf die Beschaffen-heit des Gewebes, besonders der Haut und des geschwollenen Gewebes im Falle von Ödemen. Elastizitätsmodule charakterisierten die mechanische Antwort auf den negativen Druck. Die errechneten Modelle deuteten an, dass PT besonders bei großen Spannungen die mechanischen Eigenschaften der verschiedenen Gewebe sensitiv messen konnte.

Ödematöses Gewebe reagierte außerdem mit weniger Deformation, also erhöhter Steifig-keit, auf den Sog als gesundes Gewebe (Iivarinen et al. 2013). Die Autoren schlussfolger-ten, dass aufgrund charakteristischer schwellungsinduzierter Änderungen der Gewebestei-figkeit eine Anwendung von PT für diagnostische Zwecke im Hinblick auf

Gewebe-Pathologien – wie Ödeme – sinnvoll sei. Des Weiteren wurden verschiedene Behandlungs-protokolle für den Unterarm – der pulsierende und der kontinuierliche Unterdruck-Modus im Vergleich – angewendet, um die effektivste Stimulation des lymphatischen Abflusses zu bestimmen (Iivarinen et al. 2016). Es galt, die Fließeigenschaften der freien Flüssigkeit im Gewebe durch den Sog besser zu verstehen und einen optimalen Behandlungsplan zu er-mitteln. So fanden die Autoren heraus, dass der kontinuierliche Sog höhere Flüssigkeits-drücke und Fließgeschwindigkeiten erzielte. Die mittlere Geschwindigkeit war beim inter-mittierenden Unterdruck 96% geringer. Die kontinuierliche Sog-Methode erbrachte somit einen effektiveren Transport freier Flüssigkeit im Gewebe. Ein Problem dieser Studie stell-te allerdings die Tatsache dar, dass lediglich der Fluss freier Flüssigkeit im Gewebe, nicht aber die Aufnahme und der Transport von Flüssigkeit durch das Lymphgefäßsystem in die Modelle einbezogen wurde. Wie sich der Unterdruck also im Detail auf die Aktivierung initialer Lymphkapillaren und den Weitertransport der Lymphe auswirkte, blieb noch un-klar. Somit erlaubte die Studie höchstens für Bereiche mit defektem Lymphgefäßsystem therapeutische Schlussfolgerungen. Ob die kontinuierliche Methode verglichen mit dem intermittierenden Modus auch effektiver das Lymphgefäßsystem aktiviert, könnte Gegen-stand zukünftiger Forschungen sein (Iivarinen et al. 2016).

Australische Studenten haben die Technik der Unterdruckmethode beschrieben und kamen zu dem Schluss, dass es sich um eine innovative Therapie handelt, die potentiell das Out-come komplexer Lymphödem Therapien verbessern kann und weiterer Validierung mittels Forschung und Erfahrung bedarf (Gott et al. 2018).

In einer finnischen klinischen Studie (Vuorinen et al. 2013) wurden 13 Mastektomie-Patientinnen mit Lymphknotenresektion und darauffolgendem Lymphödem des Armes untersucht. Sieben erhielten an zehn Arbeitstagen in zwei Wochen eine 60-minütige Lym-phaTouchâ-Therapie während die anderen sechs Patientinnen mittels MLD nach der Vodder Methode behandelt wurden. Eine Kompressionstherapie des Armes bekamen alle Patienten zusätzlich. Die Studie bearbeitete die These, ob die Unterdrucktherapie sicher sei, welche die Forscher eindeutig mit Ja beantworteten. Keine der Patientinnen klagte über Beschwerden von der Therapie. Es stellte sich die zweite Frage, ob die Unterdrucktherapie die Schwellung effektiver als die MLD zurückdrängt. Um diese Frage zu beantworten, wurden verschiedene Messwerte erhoben – darunter die Umfangsmessung der Ex-tremitäten – die Volumenbestimmung der Arme mittels MRT, die Hautfestigkeit sowie die Lebensqualität anhand eines speziellen Fragebogens. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass LymphaTouchâ effektiver sei, da im MRT ödematöses Muskelgewebe um 7% ab-schwoll, nur 2% nach MLD. Das gesamte Armvolumen unterschied sich zwischen den beiden Methoden allerdings nicht. Anhand der Umfangsmessungen war zwar im Verlauf eine Verringerung erkennbar, allerdings gleiche Werte bei beiden Methoden. Nach der Un-terdrucktherapie war die Haut elastischer, 2% MLD versus 9% LymphaTouchâ. Die Pati-enten, die man mit Unterdruck behandelte, gewannen laut Fragebögen 14% an

Lebensqua-lität, während der Wert bei MLD-Patientinnen nur 5% stieg (Vuorinen et al. 2013). Insge-samt handelte es sich um eine äußerst geringe Patientenzahl in den Gruppen und die Er-gebnisse nach MLD und LymphaTouchâ zeigten sehr ähnliche Werte. Offensichtlich braucht es größere randomisiert kontrollierte Studien, um einen Unterschied zwischen den Therapiemethoden festzustellen.

Autoren einer ebenfalls kleinen finnischen klinischen Studie, in der 15 Patienten je nach Bedarf zwei bis sechs 20-minütige Behandlungen mit PT bekamen, schlussfolgerten, dass PT eine gut kombinierbare Methode zu aktiver Physiotherapie sei und für eine Vielzahl unterschiedlicher Beschwerden zur Schmerz- und Schwellungsreduktion eingesetzt werden könne. Als Vorteile der PT-Therapie stellten sie das Eindringen der Wirkung in tiefere Schichten ohne Verursachung zusätzlicher Schäden und die Möglichkeit der Therapie frü-her Phasen akuter Traumen mit geschädigtem Gewebe frü-heraus (Airaksinen et al. 2011). Da von insgesamt 66 Therapieeinheiten nur nach drei Einheiten subjektive Schmerzanstiege zu verzeichnen waren und das Schmerzlevel anhand der VAS gleichblieb oder sank, resümier-ten die Autoren einen signifikanresümier-ten Vorzug der Therapie. Außerdem beschrieben sie eine subjektiv beobachtete Schwellungsreduktion durch Inspektion und Palpation nach allen Einheiten.

Eine weitere Einzelfallstudie (Osborne und Newell 2015), die auf dem 25. Welt-Kongress der Lymphologie 2015 vorgestellt wurde, zeigte mittels Umfangsmessung und Bioimpe-danz-Messung eine Reduktion eines sekundären Lymphödems nach Mammakarzinom um 50% nach sechsmonatiger PT-Behandlung.